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Alt 02.01.2006, 16:21
Bettina K. Bettina K. ist offline
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Standard AW: Meine Geschichte: Warum ich hier bin

Meine große Schwester konnte mit dem Sterben nicht um gehen und ist in der letzten Zeit nur noch zu morgen und Nacht sagen zu Ihr gegangen, sie quälen bis jetzt Schuldgefühle nicht da gewesen zu sein. Sehr selten man kann es bis heute 11 jahre später an einer Hand abzählen, hat sie sich geöffnet.

@Silke
Ach ja, das Thema Schuld gehört aber wohl auch zu fast jeder Trauer irgendwie dazu, habe ich den Eindruck. Denn obwohl ich ja eigentlich bei meiner Mutter war und alles Menschenmögliche getan habe, haben auch mich lange Schuldgefühle gequält und die Frage, ob ich nich doch etwas versäumt habe. Aber letztlich tut eben jeder, was er kann, und wir alle - ich denke, auch das dürfen wir uns im Umgang mit Sterbenden zugestehen - haben auch unsere Grenzen. Auch ich habe insbesondere während der beiden letzten Tage vor dem Tod meiner Mutter große mühe gehabt, in ihre Nähe zu gehen bzw. still an ihrem Bett zu sitzen. Ich mußte dazwischen auch nach draußen, um Kraft zu schöpfen, sonst wäre ich durchgedreht. Es ist und bleibt eine Grenzsituation, mit der jeder anders umgeht und für die es keine Regeln gibt. Ich bin heute davon überzeugt, daß mein Vater und ich und alle, die uns begleiteten, ihr bestes gegeben haben. Und das wußte meine Mutter. Für sie war es das wichtigste, nicht allein in einem sterilen Krankenhaus zu sterben, und das konnten wir ihr ermöglichen. Ich danke noch heute Gott dafür.
Du hast recht, eine wirkliche Verarbeitung - in jeder Hinsicht - kann eigentlich nur dann stattfinden, wenn alle Beteiligten sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, so wie sie ist. Das ist sehr schwer, kostet viel Kraft und erfordert einiges an Mut; und natürlich sollte man, solange es möglich ist, immer die Hoffnung bewahren. Aber wenn das Unvermeidbare offensichtlich wird, tut man besser daran, es anzunehmen und den geliebten Menschen loszulassen. Als meine Mutter mir damals mitteilte, daß sie zu Hause nun sterben wolle, konnte ich es nicht glauben. Ich wollte sie überreden weiterzukämpfen, nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Aber damit habe ich ihr zunächst keinen Gefallen getan, denn für sie war es ohnehin schwer genug, mich, ihre Tochter, zurückzulassen. Und eine Chance auf Heilung gab es in diesem Stadium einfach nicht mehr. Schließlich hat sie mich förmlich angefleht, ihr einfach nur zu helfen und da zu sein. Es war ein schwerer Abschied, aber heute kann ich sagen, daß ich froh bin, ihr das Sterben erleichtert zu haben.

Ich hoffe für Dich, liebe Silke, daß es auch euch mit Deinem Schwiegervater gelingen möge, wenn es so weit sein sollte.

Liebe Grüße,
Bettina
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"Ich glaub, es zählt im Leben / nur, daß du in der Tat / Wie es auch mit dir umspringt / Vor dir selbst gradesteh'n kannst." (Reinhard Mey)
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