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Alt 25.02.2007, 14:20
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AndreaS AndreaS ist offline
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Registriert seit: 09.02.2005
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Standard AW: Die Einsamkeit

Lieber Wolfgang,

ich habe eine Frage an dich: Wie war es, als du erfahren hast, dass Marc geboren werden würde. Als man noch nichts sehen konnte bei deiner Frau, als er noch kein Gesicht, keine Stimme hatte. Hat er da schon für dich gelebt? Hast du ihn da schon geliebt?

Vor langer Zeit habe ich hier im Forum einen Text gelesen, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Vielleicht gibt er dir auch etwas:

ZWILLINGE IN DER GEBÄRMUTTER UNTERHALTEN SICH

"Glaubst du eigentlich an ein Leben nach der
Geburt?"

"Ja, das gibt es. Unser Leben hier ist nur dazu
gedacht, dass wir wachsen und uns auf das Leben
nach der Geburt vorbereiten, damit wir stark
genug sind für das was uns erwartet."

"Blödsinn, das gibt es doch nicht. Wie soll denn
das überhaupt aussehen, ein Leben nach der
Geburt?"

"Das weiß ich auch nicht genau. Aber es wird
sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht
werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?"

"So ein Unsinn! Herumlaufen, das geht doch gar
nicht. Und mit dem Mund essen, so eine komische
Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns
ernährt. Außerdem geht das Herumlaufen gar nicht,
die Nabelschnur ist ja jetzt schon viel zu kurz."

"Doch es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles
nur ein bißchen anders."

"Es ist noch nie einer zurückgekommen von 'nach
der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben zu
Ende. Und das Leben ist eine Quälerei und
dunkel."

"Auch wenn ich nicht so genau weiß, wie das Leben
nach der Geburt aussieht, jedenfalls werden wir
dann unsere Mutter sehen und sie wird
für uns sorgen."

"Mutter? Du glaubst an eine Mutter? Wo ist sie
denn bitte?"

"Na hier, überall um uns herum. Wir sind und
leben in ihr und durch sie. Ohne sie können wir
gar nicht sein!"

"Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie
etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht."

"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst
du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere
Welt streichelt...."

Ich (und bestimmt nicht ich alleine) habe diese Zeit durchlebt, in der alles keinen Sinn mehr machte, in der die Hoffnungslosigkeit den Tag bestimmt hat. Die Wut auf Gott, auf das Schicksal, auf das Leben...

Ich weiß auch, dass ich in dieser Zeit nicht bereit war, den Menschen zuzuhören, die bereits "weiter" waren in ihrer Trauer, die wieder begonnen hatten zu atmen. Nein, ich wollte nicht glauben, dass das Leben irgendwann einmal wieder wenigstens etwas weniger schmerzen würde.

Und dann habe ich mich erinnert an die Zeit mit meinem Mann, ja, auch schmerzvoll und doch mit dem Erkennen, dass nichts bleiben würde von unserer gemeinsamen Zeit, von unserer Lebensphilosophie, wenn ich mein Lachen auf Dauer verlieren würde. Und ich hätte meine Kinder um ihr Leben betrogen, zusätzlich, denn sie hätten nicht nur ihren Papa, sondern auch ihre Mutter verloren, wenn sie ganz aufgehört hätte zu leben, ich meine jetzt, wenn meine Seele ganz erfroren wäre... So ist es mir als 5 jähriges Kind ergangen, als mit dem Tod meines Bruders das ganze Leben aus unserer Familie verschwunden ist...

Irgendwann habe ich begriffen, dass mein Mann es nicht verdient hat, dass ich weine, wenn ich sein Bild sehe, wenn ich an ihn denke. Nein, er hat verdient, dass ich lächle, dass ich mich dankbar und voller Glück darüber erinnere, dass er mir begegnet war, dass er zu meinem Leben gehört hat. Aber das hat lange gedauert, sehr lange sogar.

Du sagst, du kannst Marc nicht spüren. Ich sage jetzt einfach einmal: Noch nicht. Vielleicht, weil der Schmerz im Augenblick ganz einfach deutlicher wahrzunehmen ist.

Weißt du, mir hat geholfen, meinem Mann Briefe zu schreiben. Ich habe sämtliche Gefühle und Gedanken formuliert, mit ihm "geredet" und in dem Augenblick war und ist immer eine unglaublich tiefe Verbindung zu ihm möglich. Habe mittlerweile so oft das Gefühl, dass zwei Seelen in meinem Körper sind...

Gib deiner Seele Zeit, lass dich nicht irritieren, es ist dein Weg. Und deine Seele weiß genau, was sie dir zumuten kann. Ein Schritt nach dem anderen. Und nicht alles, was wir nicht sehen, ist tatsächlich nicht da. Die Sonne scheint auch hinter den Wolken und Liebe ist nicht einfach weg.

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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