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Alt 25.05.2013, 04:28
Peppi79 Peppi79 ist offline
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Standard Das einzige was mich derzeit aufbaut

Hallo,
meine geliebte Mama ist vor 10 Tagen gestorben.
Sie hatte Lungenkrebs im Endstadium und erlitt in der Klinik eine Woche vor Ostern einen sehr schweren Schlaganfall.
Die Ärzte sagten, weil man das Ding das den Schlaganfall auslöste, nicht entfernen konnte, dass Mama spätestens über Ostern an Hirnversagen sterben wird, weil die Blutversorgung abgeschnitten war.

Wir hatten ein extrem inniges Verhältnis zueinander. Wir telefonierten jeden Tag mind. 30 Min. über Skype und waren mehr wie beste Freunde, als wie Mutter und Kind. Wir gingen durch dick und dünn und wären, wie Grönemeyer in seinem Lied: "der Weg" singt, füreinander gestorben.

Etwa zu Ostern saß ich an ihrem Bett. Sie konnte nur ja und nein sagen und hat als ich sie das erste Mal nach dem Schlag besuchte, ein letztes Mal meinen Namen gesagt und mir dabei sanft die Wange gestreichelt.

Der Klinikpfarrer kam damals ins Zimmer und sprach mit mir. Ihm erzählte ich, dass ich mich, nachdem meine Eltern damals entschieden, dass ich wenn ich bereit dazu sein würde, meinen Glauben selbst wählen sollte und mich deshalb am 06.01.2013 taufen ließ. Ich erzählte auch dass wir die Krebsdiagnose am 20.12.2012 erhalten haben. Ich sagte ihm, wie sehr der Taufspruch den ich für mich selbst wählte, meine Mutter im Herzen und der Seele trafen, als sie ihn das erste mal laß. Psalm 91,11
Sie brach in Tränen der Rührung und Freude aus, als sie ihn laß.

Auch der Klinikpfarrer wusste davon, dass meine Mutter wohl über Ostern, laut den Ärzten sterben sollte.
Er schenkte mir ein ca. 8cm großes Christuskreuz aus Holz, zum umhängen. Er wünschte mir viel Kraft und ging dann aus Mamas Zimmer.

Ich saß neben ihrem Bett, und hatte meinen Kopf nahe an ihrem. Ich sang ihr leise das Kinderlied: "La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu..." Klingt komisch, aber ich kenne nicht viele Schlaflieder die ich singen könnte
Etwa 15 Min. nachdem der Pfarrer ging, hustete meine Mama stark. Plötzlich lief ihr Kopf extrem rot und blau an. Irgendwas stimmte nicht und ich drückte den Knopf am Krankenbett. Dann kam ein Pfleger und er legte Mama von der Seite auf den Rücken und ließ das Kopfstück des Bettes etwas höher fahren.
Mamas Gesichtsfarbe normalisierte sich wieder.

Ich saß mich dann mit auf das Bett. In meiner linken Hand hielt ich das Holzkreuz fest. Mit meiner rechten Hand hielt ich Mamas "gesunde" Hand, also auf der Seite die nicht wegen dem Schlaganfall gelähmt war.
Das ging etwa 5 Min. so.
Dann wurde ihr Kopf wieder extrem blau.
Ich drückte wieder den Knopf.

Während diesen 5 Min. schaute Mama mit einem starren, leeren Blick an die Zimmerdecke. Mit ihrem Daumen streichelte sie mir die ganze Zeit meine Hand.
Als sie wieder so extrem blau anlief, streichelte sie meine Hand sehr stark mit ihrem Daumen.
Dann kurz bevor der Pfleger wieder kam, begann Mama mit diesem komischen starren Blick, äußerst zufrieden zu lächeln, auch wenn eine Gesichtshälfte gelähmt war.

Ich hatte das starke Gefühl, dass sie nun gehen würde.

Ich habe oft gehört und gelesen, dass Sterbende in die "neue Welt" sehen können, oder dort geliebte Verwandte sehen, die sie "abholen".
Ich sang weiter "la le lu".
Ich sagte: "Mama, siehst Du auch was schönes? Wen siehst Du denn?"

Der Pfleger kam rein und sagte zu mir, wenn ich eine besonders sensible Person wäre, sollte ich jetzt gehen. Keine Ahnung mehr, was er genau sagte- das weiß ich nicht mehr.
Jedenfalls entschied ich mich dann zu gehen, in der festen Überzeugung, dass Mama zu den Engeln sieht und gehen wird.

Ich umarmte sie, gab ich Bussis auf Wange und Stirn, sagte ihr wie sehr ich sie liebe und für jede Minute dankbar bin für ihre Liebe. Ich sagte ich werde sie vermissen, aber sie solle sich keine Sorgen machen, ich werde auch alleine zurecht kommen.
Dann sagte ich ihr noch, dass wir uns bald wieder sehen werden und ich jeden Tag an sie denken werde.

Dann ging ich aus dem Zimmer. Ich lief sicherlich zwei oder drei Stunden um das Krankenhaus herum. Weinte, und war der absoluten Überzeugung, dass Mama inzwischen gegangen war. Die Ärzte sagten ja auch, dass es sehr bald, also innerhalb einer Woche passieren wird.
Die Vögel zwitscherten und irgendwie war ich nicht total außer mir.
Dann überlegte ich ob ich heim fahren sollte, oder nochmal hoch in ihr Krankenzimmer. Ich fuhr heim, weil ich Angst vor dem Anblick Mamas hatte und weil ich ein tiefes Gefühl in mir hatte, mich verabschiedet zu haben.

Ich war gute fünf Stunden der absoluten Überzeugung, dass Mama gegangen war.

Meine Schwester rief dann aus Mamas Krankenzimmer an. Ich dachte ernsthaft, sie würde mich verarschen, als sie sagte, dass Mamas Zustand unverändert sei.

So war es dann auch.

Ich bin mir absult sicher, dass Mama in diesem Moment, als sie dieses Lächeln aus tiefer Seele bekam, in die Welt hinein schaute, in die sie am 14.05. dann auch ging.

Während der Folgewochen im Hospiz hatte sie öfters dann diesen leeren, abwesenden, in die Ferne schauenden Blick.
Im Netz laß ich heute von jemandem, dessen Vater starb, aber bis zum Schluss ansprechbar war. Auch dieser Vater hatte diesen Blick ins Leere, an die Zimmerwand.
Der Sohn fragte, wohin er schaue. Dieser Vater erzählte etwas von einem Tor das verschlossen sei.
Als der Sohn dem Vater sagte, dass er seinen Abschied akzeptieren soll, ging dieser Vater dann Tage später.

Bei uns war es ganz ähnlich. Als Mama in der Nacht eingeschlafen war, war eine Helferin des Hospiz bei ihr. Diese Helferin begleitete Mama schon Wochen, warum sie ihr auch bekannt war.
Anscheinend muss Mama wieder unruhig gewesen sein. Die Helferin sagte ihr dann, dass sie uns Kinder loslassen kann. Wir sind alt genug und Mama braucht sich keine Sorgen machen.
Anscheinend dachte Mama dann über diese Worte nach. Wie gesagt, sie konnte nur ja und nein sagen.
Mama sagte dann mehrmals ja und legte sich ins Bett und schlief ein.


Ich glaube Mama wollte in diesem Moment, als ihr Kopf blau angelaufen war und sie in die "neue Welt" blickte und lächelte, noch nicht gehen.
Vielleicht war ihre letzte Aufgabe, auch uns Kinder gehen zu lassen.

Das tiefe Gefühl, dass dieser Moment damals mit Mama "unser" Moment war und die Überzeugung, dass sie etwas wunderschönes in diesem Moment sah und es darum wohl etwas "danach" gibt und wir uns somit irgendwann wieder sehen werden, ist derzeit, 10 Tage nach Mamas Sterben das Einzige was mich aufbaut und mir etwas Kraft schenkt, in dieser schlimmen Zeit.

Viele Grüße
Peppi
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