[Pflegefrau]

Meine Kleine,

heute vor einem Jahr saß ich an Deinem Bett und hielt schon den zweiten Tag und die zweite Nacht Wache! Du schliefst nur noch vom Morphin, aber ich weiß sicher, Du hast jedes Wort verstanden! Ich habe es genau an Deiner Atmung gespürt, als ich Dir gesagt habe, Du dürftest gehen. Ich spürte eine Erleichterung bei Dir und mir liefen nur die Tränen! Du hast so gelitten und warst immer so tapfer! Aber ich kann einfach nicht begreifen, dass wir beide nie über Deine Krankheit und deren Ausgang sprechen konnten! Wolltest Du mich schonen, aber Du wußtest doch genau, dass ich mich bestens informiert habe? Oder wolltest Du es für Dich einfach nicht wahrhaben, warum konnten wir nicht darüber reden? Als ich Deine Patientenverfügung vier Wochen vor Deinem Tod ausgestellt habe, ja da hast Du erstmalig zugegeben, wie schlecht es um Dich bestellt ist! Und dann sagtest Du oft, dass Du so traurig bist! Zu recht warst Du traurig, wir waren alle sehr traurig und haben alles getan, um Dir die letzten Tage so schön wie möglich zu machen! Du hast Dich geborgen gefühlt, Du warst niemals alleine, alle haben Dich umsorgt und Dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen! So sehr ich Dich vermisse, so sehr bin ich aber auch dankbar, dass Dir ein langes Siechtum erspart geblieben ist. Das war eine meiner allergrößten Sorgen um Dich!
Mein Mädchen, unser Leben geht weiter, wenn auch ganz anders als geplant. Es ist nichts wie früher, eben weil Du uns so fehlst. Aber ich bin dankbar, dass Du nun keine Schmerzen mehr hast. Es gab keine Heilung, von Anfang an nicht, und trotzdem hast Du gekämpft wie ein Löwe! Leider vergebens!
Morgen ist nun Deine Jahresmesse, an dem Sonntagmorgen, an dem Du uns verlassen mußtest. Ich habe Angst vor morgen und auch Angst vor Weihnachten! Aber ich weiß, Du bist uns ganz nahe, Du bist unser Schutzengel und passt gut auf uns alle auf! Du hast es mir versprochen, und Du hast immer Dein Wort gehalten!

Meine Kleine, ich werde Dich immer lieben und niemals vergessen!

Deine traurige Mama