Einzelnen Beitrag anzeigen
  #9  
Alt 20.02.2017, 04:24
lotol lotol ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 10.04.2016
Beiträge: 716
Standard AW: Delle in der Lunge

Liebe Katja1806,

voraussetzend, Du wirst es mir nicht übel nehmen, kann ich Dir nur aus meiner Sicht ganz klar raten, wie in diesem Dilemma wohl am besten zu handeln ist.
Dazu muß auch ich etwas ausholen, damit diese Sichtweise nachvollziehbar wird.

Mein Großvater starb im Alter von 50 Jahren an einem Gehirnschlag, und mein Vater hatte insgesamt drei Schlaganfälle.
Jedes Mal war er anfangs nicht mehr in der Lage, richtig sprechen, schreiben, gehen oder sonstwas tun zu können.
Aber sämtliche "ausgefallenen" Funktionen des Gehirns wurden von anderen Hirnregionen nach und nach "übernommen".
Und zwar vollumfänglich und komplett.
So, daß er auch wieder uneingeschränkt in der Lage war, alles was er wollte, auch tun zu können.
Mein Vater starb auch nicht an einem Schlaganfall, sondern mit 72 Jahren an einem Herzinfarkt.

Zitat:
Er hat wache Phasen, wo wir vermuten das er etwas mitbekommt. Die Ärzte sind sich dessen nicht so sicher. Ich glaube wir wünschen uns das als Familie und interpretieren etwas das es garnicht gibt, wenn ihr versteht wie ich das meine.
Ich kann ihn nicht in die Entscheidung mit einbinden weil er nicht mit uns kommunizieren kann.
Ich verstehe sehr wohl, was Du meinst.
Und denke, daß die Sichtweise der Ärzte richtig ist.
Denn so phantastisch das menschliche Hirn bzgl. "Übernahmefähigkeit" von Funktionen ausgestattet ist:
Wenn diese Übernahme nicht von Anfang an und kontinuierlich erfolgt, ist sie nach menschlichem Ermessen nicht mehr zu erwarten.

Ich nehme an, daß ihr während der 3 Jahre alles versucht habt, mit Deinem Vater wieder irgendwie kommunizieren zu können.
Leider ohne Erfolg.

Zitat:
...genau, die Untersuchung ist nicht das Problem sondern eher was wir mit dem Wissen dann anfangen. Eine Op ist unzumutbar und Chemo und Bestrahlung kommen nicht in Frage. Dann weiß ich lieber nicht ob da was ist und hoffe einfach das es was Nekrotisches ist.

Es gibt keine Patientenverfügung und uns ist nicht bekannt was er wollte. Er wollte nie darüber sprechen und hat immer das Thema gewechselt.

Mein Bruder, meine Mutter und ich sind als Betreuer eingetragen...
Es ist bedauerlich, daß Dein Vater seine Familie im Unklaren darüber ließ, was z.B. in so einer Situation, in der er sich nun befindet, zu tun sei.

Meine Familie weiß ganz genau, was mein Wollen ist, wenn ich nicht mehr dazu in der Lage sein sollte, mein Leben selbst zu beenden, weil ich es nicht mehr für lebenswert halte.

Ausgehend davon, daß ihr drei eingetragenen Betreuer rechtsverbindlich handeln könnt, besteht das Dilemma einer Entscheidungs-Findung für euch darin, Einigkeit darin zu erreichen, was zu tun ist.

An sich ist es aus meiner Sicht bereits eine Zumutung an Euch, nur so agieren zu können.
Weil damit unnötige familiäre Querelen "vorprogrammiert" sind.
Naja, es steht mir nicht zu, diesbzgl. Deinen Vater zu kritisieren.
Er wird ja vermutlich ohnehin niemals darüber gesprochen haben, was er sich dabei eigentlich dachte.

Zitat:
Meine Mutter handelt nicht rational, sie klammert sich an ihn und will ihn mit aller Gewalt "halten". Mein Bruder meint das da nix ist. Dann bleibe ich ziemlich alleine weil ich einfach denke er hat kein lebenswertes Leben mehr. Er kann ja garnichts alleine. Klar würde ich alles tun damit er noch lange bei uns bleibt, aber irgendwann muss man vielleicht auch mal loslassen und nicht egoistisch sein....so weh es auch tut.
Ob noch Hoffnung besteht das sein Zustand sich jemals bessert weiß niemand. Die Chancen stehen aber nicht gut und sein Allgemeinezustand verschlechtert sich auch immer mehr.
Die Situation ist, wie sie ist:
Von vorne bis hinten leider katastrophal.
Es wird Euch dennoch kaum erspart bleiben, gemeinsam entscheiden bzw. handeln zu müssen.
Schon alleine deshalb, um gemeinsam die Verantwortung für das für Deinen Vater stellvertretende Handeln übernehmen/tragen zu können.

Womit natürlich auch die "grenzwertige" Frage verbunden ist, wozu jeweils jeder von Euch selbst bereit ist, für einen geliebten Menschen noch etwas tun zu wollen/zu können, wenn dieser selbst handlungsunfähig ist.

Aus meiner Sicht handelt es sich bei dieser Frage allerdings nur scheinbar um eine grenzwertige.
Weil es dabei nur noch eine einzige Frage gibt:
Was würde der geliebte Mensch tun, um sein Leiden (endlich) beenden zu können?
Selbst, wenn es ihn sein Leben "kosten" sollte?

Zitat:
Bitte habt nicht den Eindruck ich wollte meinen Papa loswerden, ich liebe meinen Vater über alles. Aber manchmal bedeutet Liebe auch jemanden gehen zu lassen, sofern es denn so wäre.
Den Eindruck, daß Du Deinen Vater "loswerden" wolltest, habe ich keineswegs.
Ganz im Gegenteil bin ich mir Deines/Eures Dilemmas bewußt.

Und ja, manchmal kann Liebe sogar bedeuten, jemand möglichst beschleunigt gehen lassen zu wollen.
Sofern man das vor sich selbst verantworten kann.

Was übrigens Ärzte nicht tun können, weil sie an den hippokratischen Eid gebunden sind.

Zitat:
Ich werde morgen mit den Ärzten sprechen welche Methoden und Möglichkeiten es gibt und dann entscheiden ob wir eine Biopsie machen lassen oder nicht.
Ich würde das genau anders herum machen:
Jedenfalls eine Biopsie.
Weniger deshalb, um die ohnehin eingeschränkten noch verbleibenden Möglichkeiten abwägen zu können, sondern viel mehr deshalb, um Gewißheit darüber erreichen zu können, was nun mit der "Delle" tatsächlich Sache ist.
Genauer gesagt, inwieweit das Ergebnis dazu geeignet ist, das Ableben Deines Vaters beschleunigen zu können, wenn überhaupt nichts mehr getan wird.
Noch genauer gesagt:
Gar nichts mehr zu tun, um ihn sterben zu lassen.

Das ist alles - wie gesagt - nur aus meiner Sicht gesehen.
In meiner Familie ist bekannt, was ich für den Fall der Fälle will.
Wäre ich in der Lage Deines Vaters und hätte nur noch einen geringfügigen "Funken" an Wahrnehmung, würde ich mir nichts anderes wünschen als schnellstmöglich sterben zu können.
Wozu denn noch weiterleben??

Ich weiß, all diese Überlegungen können Dir nur bedingt weiterhelfen.
Aber vielleicht Dich auch darin bestärken, das Richtige tun zu können.
Letztlich mußt nur Du verantworten können, was für Dich das Richtige ist.
Dein Vater wird - wie es aussieht - unweigerlich sterben.
Früher oder später.
Du wirst aber damit weiterleben müssen, das Richtige getan zu haben.
Guten Gewissens und ohne Zweifel daran.
Sowie mit der Ungewißheit, daß es tatsächlich das Richtige war, weil Du nur stellvertretend für Deinen Vater handeln kannst.

Aus meiner Sicht kann die einzige Rechtfertigung für Dein Handeln nur darin liegen, daß Du Dich in das (vermutliche) Wollen Deines Vaters hineinversetzt.
Ob Du damit aber richtig oder falsch liegst, wird Dir leider für immer verborgen bleiben, weil es Dein Vater versäumt hat, Dir/Euch bei klaren Sinnen zu verdeutlichen, was er für den Fall der Fälle zu tun gedenkt.

Was übrigens für mich höchst verwunderlich ist, weil die Vater-/Tochter-Beziehung i.d.R. eine ganz besondere ist.
Leider manchmal halt auch nur eine einseitig besondere.

Tu bitte das, was für Deinen Vater (rational) angebracht ist.
Möglicherweise ist es das Letzte, das Du für ihn (ihn liebend) tun kannst.


Liebe Grüße
lotol
__________________
Krieger haben Narben.
---
1. Therapie (2016): 6 Zyklen R-CHOP (Standard) => CR
Nach ca. 3 Jahren Rezidiv

2. Therapie (2019/2020): 6 Zyklen Obinutuzumab + Bendamustin => CR
Nach ca. 1 Jahr Rezidiv, räumlich begrenzt in der rechten Achsel

3. Therapie (2021): Bestrahlung
Mit Zitat antworten