Einzelnen Beitrag anzeigen
  #4  
Alt 08.02.2005, 10:05
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard fühlt jemand auch so?

Hallo Judy,

ich finde es sehr gut dass Du so für Deine Tante da bist. Vielleicht hilft es Dir wenn Du mal ein Buch liest zum Thema Sterbebegleitung, hier im KK gibt es doch die vielen Buchtipps auch zu diesem Thema von Ladina. Vielleicht kann Dir das ein wenig dabei helfen die gedanken Deiner Tante besser zu verstehen. Jemanden zu begleiten der schwer krank ist oder stirbt ist eine aufreibende und äusserst schwierige Aufgabe. Und man muss natürlich auch sich selbst im Auge behalten, darf seine eigenen Bedürfnisse oder Ängste nicht ganz verleugnen, wenn es nötig ist muss man sich selbst dazu auch Hilfe und Unterstützung holen um das zu schaffen. Ich habe meinen Vater im letzten Jahr verloren. Und ich weiss von mir persönlich dass ich es aus Angst vor diesem Thema nicht gewagt habe habe ihm zuzugestehen dass ER vielleicht nicht mehr will oder kann und sich aufgegeben hat. Ich habe damals nicht akzeptieren können dass er es nicht mehr schaffen wird, und aus Scheu vor dem Unaussprechlichen mich selbst an den "Durchhalteparolen" festgehalten.... Und ich denke es ist ganz wichtig zu unterscheiden was der Betroffene will: wenn er ermutigt werden will sollte man ihn ermutigen, aber wenn derjenige Dir schon selbst sagt dass Du etwas nicht sehen willst was er/sie schon selbst sieht.... dann denke ich sollte man zumindest versuchen damit umzugehen. Bzw. denke ich Ehrlichkeit ist am Wichtigsten: ich denke Du kannst Deiner Tante ruhig sagen was Du hier geschrieben hast, dass Du sie nun mal liebst und nicht loslassen willst und dass Du einfach die Hoffnung nicht aufgeben willst. Das wird sie sicher verstehen. Ich denke nur wenn die Betroffene in Gedanken schon dabei ist ihre Angelegenheiten zu ordnen, für die Versorgung des Sohnes zu sorgen usw., dann nimm diese ihre Sorgen ernst und hilf ihr dabei soweit Du kannst.

Ich denke es geht nicht darum eine positive Einstellung zu verleugnen... wenn Du mit guten Gefühlen und ohne Resignation zu deiner Tante gehst wird ihr das sicher gut tun. Ich denke trotzdem dass es wichtig ist sich soweit man es kann auf den Betroffenen einzustellen.

Mein Vater lag nach OP-Komplikationen die letzten 9 Wochen auf der Intensivstation, oft im Koma bzw. stark sediert und beatmet, also konnten wir nicht mehr sprechen. Nach Aussagen des Personals hat er schon bald "nicht mehr mitmachen" wollen und ich weiss er hatte einen lebenslangen Horror vor Ärzten und Krankenhäusern, das alles -was er auch immer aus der Zeit bewusst mitbekommen hat - muss ganz ganz furchtbar gewesen sein für ihn. Und trotzdem habe ich immer versucht ihn mit positiven Meldungen aufzumuntern, dass er es schaffen kann (manchmal sah es ja auch wieder so aus) und dass wir ihn doch brauchen usw.... und manchmal würgte es mich an seinem Bett und ich dachte ich muss ihn fragen "oder willst Du garnicht mehr" und ich konnte es nicht.... ich hatte nicht den Mut dazu. Erst ganz zum Schluss als es um die letzte schwere Entscheidung ging die Intensivmassnahmen zu verringern um es ihm zu erleichtern zu gehen habe ich dann für ihn diese Entscheidung getroffen denn die Ärzte sagten er könne so noch Tage oder Wochen so liegen bis schliesslich alle Organe versagen... die Gedanken daran, und dass ICH es war die das "ja" dazu gesagt sind für mich immer noch zu viel, manchmal denke ich wie kann ein Mensch sowas entscheiden müssen... auch wenn ich denke /hoffe es war richtig so... trotzdem denke ich bin ich oft einfach feige gewesen. Aber mein Therapeut sagt ich hätte alles getan was eine liebende und sorgende Tochter machen könnte... das versuche ich zu glauben und zu akzeptieren dass es Dinge gab die ich tun konnte und andere die ich nicht tun konnte.... und das würde ich dir gern mit auf den Weg geben: es ist OK wenn Du auch deine Grenzen hast aber versuch trotzdem zu erkennen was für deine Tante wichtig ist, vielleicht tut es Dir sonst im Nachhinein leid, man kann doch mehr aushalten als man so denkt...

Oh je hoffentlich hört sich das alles jetzt nicht zu pessimistisch an. Es ist schon so viele Monate her und jetzt wo ich das schreibe kommt alles wieder hoch. Tut mir leid falls es sich zu düster anhört aber die Zeit die man mit seinem geliebten Menschen noch hat kann manchmal so schnell vorbei sein. Es ist unheimlich schwer das alles zu schaffen aber es gibt auf der anderen Seite auch nichts wichtigeres....

Viele Grüsse
Kerstin
Mit Zitat antworten