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Alt 27.02.2003, 23:40
Gast
 
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Standard wie geht dein mann mit der situation um?

Hallo Melanie,
„ich kann zwar zeitungen lesen aber ich schaffe keine bücher mehr. ich habe einfach das gefühl das ich meine zeit verschwende,wenn ich ein buch lese.“

aufgrund Deines Zitates bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich Dir den folgenden Text zumuten soll. Wie ich ganz unten erstaunt feststellen musste, wurden es nun doch wieder einmal mehr Worte, als ich ursprünglich schreiben wollte. Aber entscheide selbst…

seit Tagen liegt mir meine Chefin in den Ohren und drängt mich dazu, doch endlich einmal ein paar Worte zu schreiben, weil Du wissen möchtest, wie ich als Mann von einer Betroffenen mit der ganzen Sache umgehe.

Wie es meinem Naturell entspricht, hatte ich mich erst einmal zurückgezogen und den Kopf in den Sand gesteckt. Aber bei soo einer Frau kann der nicht lange drin stecken bleiben. Also habe ich mich nun damit abgefunden, dass ich mich wieder einmal mit dieser Problematik aktiv auseinander setzen muss.

Wir Männer im allgemeinen (und ich evtl. im besonderen) neigen wohl eher dazu, die unangenehmen Wahrheiten zu verdrängen oder mindestens so in den Hintergrund zu schieben, dass „mann“ sich lieber mit "wirklich Wichtigem" beschäftigt.
Das kann bei dem einen das verpatzte letzte Spiel oder der Tabellenplatz der Lieblingsmannschaft sein, bei anderen kann es das komische Geräusch sein, was „mann“ seit Tagen im Autogetriebe hört... Alles wird dem Unangenehmen vorgezogen.
Man flüchtet sich also eigentlich ganz gerne in wirkliche Banalitäten und versucht auf diese Weise sich selbst und anderen die eigene Dünnhäutigkeit nicht so offensichtlich werden zu lassen.
Ohne als "Weichei" erscheinen zu wollen, habe ich für mich aber erkannt, dass die althergebrachte Unterscheidung in das starke und schwache Geschlecht so keinen Bestand mehr hat. Diese Einteilung hat vermutlich ein Mann alten Schlages gemacht, der nicht die Stärke besaß, die eigenen Schwächen einzugestehen.
Den Punkt habe ich Gott sei Dank hinter mir gelassen.

Die ganzen Mechanismen die uns "harten" Männer in Funktion halten, halte ich alle für anerzogen und von allgemeinen Erwartungshaltungen bestimmt. Ob es da noch eine Rolle spielt, dass man lange vor unserer Zeit Keulen schwingend Angst und andere Gefühle verdrängend Auerochsen erschlug, um die Horde satt zu bekommen, weiß ich nicht.

Jedenfalls glaube ich, dass wir heutzutage ein ganzes Sortiment Verdrängungstechniken entwickelt haben, um die uns Frauen beneiden würden.
Nur ab und zu einmal passiert es unverhofft, einem Blitz aus heiterem Himmel gleichend, dass uns das ungeschminkte Leben die eigenen Augen öffnet und für uns selbst endlich wirklich sichtbar wird.
Das sind dann die Augenblicke oder Lebensstationen, an denen sich "die Geister scheiden". Wie man dann mit der jeweiligen Erkenntnis umgeht, ist individuell höchst verschieden.
Der eine klinkt sich aus der Lebensgemeinschaft aus, lässt alles stehen und liegen und flüchtet. Andere bleiben physisch an der Seite der Lebenspartner, verkriechen sich aber in sich selbst und lassen ihn auf diese Weise alleine. Wieder andere flüchten sich in Alkohol oder ähnliche Sackgassen.

Ich wählte für mich einen anderen Weg.

Vor vielen, vielen Jahren diskutierten wir, Renate und ich einmal durch, wie sie sich als meine Frau wohl verhalten würde, wenn ich bei meinem Dienst einmal derart verletzt werden würde, dass ich im Rollstuhl säße oder meine Kollegen mich mit sonst einem „irreparablen“ Schaden heim brächten. Gedanken, die aufgrund meiner Arbeit durchaus nahe lagen, wie viele Kollegen und deren Partnerinnen leider schon erfahren mussten.

Für Renate stand es außer Frage, dass sie sich dem stellen würde und mir zur Seite stünde. Für sie war es völlig wurscht, wie ich aussehen würde oder gehandikapt wäre-
Eine Reaktion, bzw. ein Bekenntnis, dass ich damals sehr gerührt, aber auch etwas beschämt zur Kenntnis nahm, weil ich für mich an ihrer Stelle die Frage damals so eindeutig und zweifelsfrei nicht hätte beantworten können.

Diese Diskussion lag dann schon über 20 Jahre zurück und war eigentlich aus meinem Gedächtnis verschwunden. In der Zwischenzeit war ich nie wirklich der Vorzeige-Ehemann oder Mustergatte. Es herrschte halt Alltag mit allen Höhen und Tiefen. Dann aber kam der Tag, an dem ich erstmals vom wirklichen Zustand meiner Frau erfuhr. Sie hatte schon längere Zeit die Gewissheit, die bodenlose Angst alleine mit sich herumgetragen und ich Blindfisch war so mit allem anderen beschäftigt, dass mir die Zerrissenheit, die sie wegen der urplötzlichen Zukunftsangst als Mutter zweier Kinder und mir, dem dritten und größten Kind(skopf) empfand, überhaupt nicht aufgefallen war.

Da, ganz plötzlich war diese Diskussion von damals wieder da und ich hatte nun nicht einen einzigen Augenblick Zweifel daran, wo mein Platz war. So gut es eben ging, begleitete ich sie und war für sie da, wenn ich –was nicht immer der Fall war- von ihr als Halt oder wie man es nennen möchte, angenommen wurde.
Immer wieder einmal zog sie sich auch in sich zurück und schloss mich anfangs oftmals aus, was für mich das schlimmste war. Die eigene Hilflosigkeit hatte man ja ohnehin schon vor Augen, konnte nichts ändern an ihrer Krankheit. Man war der Sache ausgeliefert und musste zusehen. Sich dann noch irgendwie überflüssig oder gar lästig zu fühlen, wenn man trösten oder einfach nur die Hand halten wollte und zurück gewiesen wurde, war für mich meine persönliche Hölle.

Irgendwie und irgendwann hat sie, haben wir die Krankheit als solche angenommen und uns mit ihr arrangiert. Was blieb ihr und mir auch anderes übrig. Auch hier fand man schließlich zu einer Art Alltag, der sich zwar vom früheren Alltag grundlegend unterscheidet, auf seine Art aber eben doch schließlich auch Alltag geworden ist.
Trotz vieler gemeinsamer Erfahrungen geht sie heute eindeutig offensiver mit ihrer Krankheit um, als ich es auf Dauer je könnte.
Hier kommt bei mir immer wieder das typische eingangs beschriebene Verhaltensmuster durch, die Neígung zur Verdrängung.

Es zeichnet sich bei Renate eine deutliche Verschiebung ihrer Aktivitäten ab. Das Internet mit seinen Foren und Informationsmöglichkeiten ist fast zu ihrem „zweiten Zuhause“ geworden. Früher hatte sie sich vehement gegen einen Computer und ein bescheidenes analoges Modem gesperrt. „Quatsch, so einen Käse brauchen wir nicht“, konnte man noch vor rund 18 Monaten hören. Heute stehen zwei PC herum und die DSL-Flat wurde unentbehrlich.

In Deinem Beitrag, liebe Melanie lese ich, dass Dein Freund die Auffassung vertritt, es reiche, dass sich der Arzt mit dem Thema beschäftigt und dass es ihm genügt, wenn Du Dich informierst. Ich glaube, dass ist nun einmal SEINE Technik, die er für sich als gangbaren Weg empfindet, um seine Krankheit zu händeln.
Vielleicht auch eine Selbstschutzfunktion um sich von der Krankheit nicht völlig überrollen zu lassen. Da ist es sicher sehr wichtig für ihn, dass Du ihn begleitest und die Bereiche mit eigenen Aktivitäten auffüllst, die er für sich etwas beiseite schiebt. Ich weiß nicht, wie ich das sonst umschreiben sollte.
Mit absoluter Sicherheit schaffst Du so für ihn ein Klima, in dem er sich gut aufgehoben und wohl auch angenommen und geborgen fühlt. Gerade für uns so harten Männer ein unendlich wichtiger Faktor, den „mann“ aber niemals so einfach zugeben würde…

Ich denke, Du erkennst Deinen Freund mit Deinen feinen Antennen (andere mögen es weibliche Intuition nennen) besser als er sich selbst erkennt und drängst ihn nicht, weil er sich dann nur erst recht sperren würde.
Er wird sich, davon bin ich überzeugt, auch gefühlsmäßig in dem Moment öffnen, wenn er für sich den Punkt erreicht hat, an dem er sich mit seiner Krankheit wirklich arrangiert und sie annimmt, sie als Teil von sich selbst sieht und für sich selbst mit ihr umzugehen gelernt hat. Das wird eventuell länger dauern, als bei einer Frau, aber diesen Punkt erreicht er auch.

Meine Bewunderung für die Haltung meiner Frau, die ich für die Art des Umganges mit der Krankheit empfand, hatte ich einmal in einem anderen Bereich dieses Forums in Worte zu kleiden versucht. Am Ende stand da der Versuch eines Gedichtes, den ich Dir an dieser Stelle auch noch, zumindest auszugsweise zumuten möchte…

Krankheit, Kinder, Haushalt, Mann
wie sie das alles packen kann,
wird mir stets ein Rätsel bleiben.
Ich hingegen lass mich treiben…

Mich mit der Wahrheit arrangieren,
und nicht den Überblick verlieren,
draußen meinen Mann zu steh´n
wie soll das nur zusammen gehen?

Tausende erleben´s täglich,
zu verzagen fürcht´ ich kläglich.
Wie geh´ ich um mit dem Problem,
verdrängen ist wohl zu bequem.

Sie lacht ja wieder, scheint gesund.
ganz schnell verdrängt man - und
glaubt es ginge immer so weiter,
so unbeschwert und locker/heiter.
Weit gefehlt, das glaubt man nur,
zur Seite schieben, -Manns Natur.
Jederzeit kann´s wieder kommen.
Das macht auch Partner sehr beklommen.

Was ändert das Jammern, Gestöhne, Gehader
man spielt einfach weiter im Alltagstheater.
Die Rolle die mir das Leben verpasst hat
fragt nicht danach, ob es mir wohl gepasst hat.

Wie´s in mir drin aussieht, das will keiner wissen,
obwohl ich viel lache fühl´ ich mich beschissen.
Dann klink´ ich mich aus, lass die Seele kurz baumeln,
lass´beim Angeln den Wobbler mal taumeln.

Krankheit, Kinder, Haushalt, Mann
wie sie das alles packen kann,
Es ist wohl die Liebe zu den Ihren
Drum kann sie sich nicht selbst verlieren.

Wären Männer ähnlich stark,
wär´ die Welt nur halb so karg.
…und die Moral von dem Gedicht?
Ich würd´mich gern bessern, nur schaff ich´s nicht

Jetzt habe ich Dich so „zugetextet“ und mir dabei Einzelheiten von der Seele geschrieben, die ich in dieser Ausführlichkeit bislang noch nicht ausgesprochen hatte.
Sicher wirst Du nun niiie mehr die Frage stellen, wie ich zu dem einen oder anderen Thema stehe, aus der Befürchtung heraus, ich knalle wieder Deinen Bildschirm zu. Aber so ist´s nun mal bei mir. Erst drückt er sich um den Anfang herum und dann findet er keinen Schluss.…
(Da fällt mir noch der blöde Spruch ein: „Ein Mann ein Wort“ von wegen…)
Renate wird diese Zeilen ja auch lesen, da habe ich mir das eine oder andere Wort schon gespart. Man weiß ja, dass man nach mehr als einem viertel Jahrhundert gemeinsamen Lebensweges nicht mehr soo viele Worte macht ;-)

Euch beiden wünsche ich neben den obligatorischen Grüßen ganz besonders Mut, Kraft und Ausdauer und, ganz wichtig, immer ein freies Eckchen in der Seele für den unverzichtbaren Humor

Werner, alias noch´n Gast
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