Einzelnen Beitrag anzeigen
  #22  
Alt 24.02.2006, 14:20
shalom shalom ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 25.08.2005
Ort: Baden-Württemberg
Beiträge: 221
Standard AW: Ich habe gestern meine liebe Frau beerdigt!

Lieber Dieter,

Du bist mit der von Dir beschriebenen Zerissenheit ganz und gar nicht allein.

Du schriebst am 19.02.06:

Grauenhaft, nichts ist so, wie es mal war, ich gehe arbeiten, aber es fällt mir schwer, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, ich möchte nach Hause, aber wenn ich zu Hause bin, will ich wieder weg, weil mir die Decke auf den Kopf fällt, ich besuche meine Freunde und will wieder weg, ich kann nichts geniessen, mir macht nichts mehr Spass!

Vieles ähnelt im Ablauf meinen ersten Tagen der Trauer, 5-6 Wochen hatte ich sehr große Konzentrationsprobleme bei der Arbeit. Meine Kollegen hatten Verständnis dafür, der direkte Vorgesetzte jedoch nicht, wohl aber wiederum dessen Vorgesetzter. Um mich abzusichern mußte ich eben auch unseren gemeinsamen Chef informieren, der dann zum Glück sehr verständnisvoll reagierte.

Irgendwie habe ich in den letzten Tagen VOR dem Tod meiner Frau und vor allem nach ihrem Tod NEBEN MIR GESTANDEN. Ich wußte gar nicht recht, wo ich nun hingehörte. Ich wollte eigentlich nicht allein sein in der einsamen Wohnung, war ich bei Freunden, so zog es mich dann doch wieder von dort weg.

Was die Arbeit anging, so habe ich mir (als Schreibtischarbeiter) einfache und zeitfüllende Aufgaben gesucht, mehr war einfach nicht drin. Zuhause gab es viel auf- und wegzuräumen. Das Schmerzlichste war, mich sehr bald mit Hilfe von Freunden von Kleidern und Schuhen meiner Frau zu trennen. Die bürokratische Abwicklung des Trauerfalls nahm eine ganze Weile in Anspruch, hier habe ich mir die Dinge Stück für Stück und Tag für Tag vorgenommen. Dabei habe ich versucht, nichts auf die lange Bank zu schieben, ich wollte einfach Dinge abschließen können.

Dinge, die wir wunderbar gemeinsam erlebten und durch Bilder an den Wänden dokumentiert waren, waren nicht mit Trauer, sondern mit schöner gemeinsamer Erinnerung besetzt. Ich kann diese Bilder auch heute ohne Schmerz anschauen, daher blieben (bleiben) sie hängen.

Andere Details meines Trauerwegs habe ich an anderer Stelle beschrieben, sie beschreiben eher die spätere gedankliche und gefühlsmäßige Nachbetrachtung meines Trauerwegs und sind mir zum damaligen Zeitpunkt direkt nach dem Tod meiner Frau vielleicht gar nicht so recht bewußt gewesen.

Bei der Erinnerung in der nun einsamen Wohnung, oder bei der Erinnerung an gemeinsame Wanderungen, bei wiederholten Besuch (NACH ihrem Tod) von Krankenhaus, Reha-Klinik und Hospiz, liefen damals viele Tränen. Es gab dabei viele "unsichtbare" Zwiegespräche mit meiner verstorbenen Frau. Es tat jedes Mal gut, mich laut auszusprechen und auszuweinen. Meine ganze seelische Last mußte ich aussprechen und abladen. Es gab auch Kollegen und Bekannte, die zur selben Zeit ein ähnliches Schicksal erlebten, da war ein direkter Austausch von Betroffenen möglich und die Möglichkeit, die kleinen Nuancen festzustellen, wie jeder mit seinem Schicksal etwas anders umging.

Jeden Tag habe ich mir was Schweres zugemutet und mir jeden Tag irgendeinen kleinen Lichtschimmer gegönnt, denn ich wollte nicht, daß mich die Trauer dauerhaft in Besitz nimmt.

Öffne Deine Seele ganz vorsichtig (sie wird es Dir vielleicht signalisieren, was sie braucht) und lasse bisweilen den einen oder anderen Lichtschein zu Dir hinein, woher er auch kommt.

Liebe Grüsse
Shalom
__________________
Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel
Mit Zitat antworten