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Alt 11.10.2005, 14:04
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Tanja_k. Tanja_k. ist offline
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Registriert seit: 04.10.2005
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Standard AW: Du fehlst mir, und ich möchte von Dir erzählen

Hallo Ihr lieben,

erst mal 1000 Dank für die lieben Worte und euer Mitgefühl! Danke auch Dir Jutta für diesen Thread, bin zwar nicht sehr gut im Schreiben aber ich versuche es hiermit mal.

Fang mal ganz von Vorne an und erzähl hier von meinen Eltern, die beide jung sterben mussten….

Unser Familiendrama begann Mai 2001 als mein Papa (52) an multiblem Organversagen starb. Er war Alkohol krank und bis er kapierte, dass er daran sterben kann war es schon zu spät. Innerhalb eines halben Jahres baute sein Körper so enorm ab, dass es schwer fiel damit klar zu kommen. Die letzten 6 Monate vor seinem Tod waren wir nur mit ihm und seiner Pflege beschäftigt und dann kam das große Loch…… Was kommt jetzt, wie wird es weiter gehen?

Es schweißte unsere Familie dadurch so sehr zusammen, dass wir (obwohl meine Schwester und ich ja ausgezogen waren) täglich bei unserer Mutter waren. Sie war ja ab dem Zeitpunkt ‚alleine’ und wir, natürlich auch die Kinder meiner Schwester versuchten diese Lücke so gut es ging zu füllen. Erst nach und nach kam unsere Mutter damit klar ‚alleine’ zu sein und wurde richtig unternehmungslustig. Zog um die Häuser, engagierte sich enorm bei der Suchtkrankenhilfe und fand dort so viele Freunde, dass sie bald nur noch unterwegs war. Es tat so gut sie wieder lachen zu sehen und Herbst 2003 flog sie sogar in Urlaub, was sie seit Jahren nicht mehr getan hatte. Muss dazu sagen dass mein Vater über 6Jahre Alkoholiker war und sämtliches Geld durchbrachte was Mama mühselig zur Seite schaffte. Will nicht bös über meinen Papa reden aber Mama hatte es mit ihm schon nicht einfach, umso größer war die Freude, dass sie wieder raus kam.

Sie blühte richtig auf und hatte enormen Spaß am Leben. 2004 buchte sie gleich ihren nächsten Urlaub, zu dem es leider nicht mehr kam Der Blasenkrebs kam dazwischen!
Sie meinte ganz tapfer:“Ich kann ja wieder fliegen wenn ich alles überstanden hab!“
Wir wunderten uns, da meine Mama nie jammerte wegen Schmerzen oder ähnliches aber
erkannt wurde es durch Blut im Urin. Die erste OP war noch in HN (September) um Gewebe zu entnehmen. Dort wurde sie aber ganz schnell nach Heidelberg überwiesen, da es sich um eine ganz aggressive Krebsart handelte und sich schon Metastasen gebildet haben.
Im Oktober brachte sie dann eine 10-11 Stündige OP hinter sich, in der alles aus ihrem Körper entfernt wurde was nicht zum Leben benötigt wird. So hatte sie noch eine Niere, Leber, ihren Magen und den Darm. Trotz der schweren OP und des künstlichen Blasenausgangs war Mama innerhalb drei Tagen wieder auf den Beinen und versprühte ihren Optimismus:“ Das wird schon wieder werden, ich werde wieder gesund!“ Über Weihnachten bis Mitte Januar 05 erhielt sie dann eine sehr aggressive Chemo, was ihr manchmal sehr zu schaffen machte aber nichts konnte ihren Optimismus und ihre Hoffnung zerstören. Sie war der Meinung sie könne bis Mitte des Jahres wieder arbeiten gehen…..

Aber weit gefehlt…… Im August musste sie wegen eines Darmverschlusses notoperiert werden und da war es schon besiegelt. Der Krebs hatte nie aufgehört, war bereits im gesamten Körper verteilt und untherapierbar. Die Ärzte gaben ihr nur noch Monate da auch eine weitere Chemo nichts mehr bringen würde.
Auf einmal brach alles über uns zusammen, von wegen alles wird gut….
Witzig fand ich, dass sie als sie auf der Intensivstation war und die schlechte Nachricht erhielt, sie auf der Stelle zu mir sagte:“ Jetzt brauch ich auf der Stelle einen Schnaps oder ne Zigarrette!“ Und sofort als sie in ihr Zimmer geschoben wurde bat sie mich einen Rollstuhl zu besorgen. Mit Schläuchen und Magensonde usw. setzte sie sich wie Graf Rotz rein und meinte:“ Auf zu meiner Zigarrette!“ Die Schwester meinte auch das hätte sie noch nie erlebt. Jeder andere wäre nach der OP und diesen Nachrichten erst mal in Sich gekehrt oder wäre verzweifelt gewesen aber nicht meine Mutter! Sie plante und redete in ein Loch. Was noch zu tun ist, was sie noch gern tun würde und wen sie unbedingt noch sehen will.
Wir unternahmen so viel wie nur möglich aber man konnte jeden Tag sehen wie es zu Ende geht. Zwei Wochen bevor sie starb hab ich noch mal alle mobilisiert, damit sie noch mal zu ihr gehen konnten wenn sie wollten. Hatte es irgendwie im Gefühl aber ihre knapp 40kg sagten schon alles aus. Ihr Körper war nur noch ein Gerippe mit Haut.

Ende September wurde es so schlimm, dass jeder abwechselnd in der Familie sich frei nahm, um bei ihr zu sein. Man konnte sie ja nicht mehr alleine lassen.
Ich hatte dann ab 21.09 Urlaub genommen um bei ihr zu schlafen und sie zu versorgen, was zur absoluten Horror-Nacht wurde!
Zum Glück 'schlief' (haben nicht eine Stunde geschlafen) meine Tante mit bei ihr, sonst hätte ich das nie durch gestanden.....
Hab noch niiiiiiiieeeeee einen Menschen so leiden sehen müssen! Wobei sie aber auch erst drei Tage bevor sie starb Schmerzmittel bekam. Sie hatte wahrscheinlich Schmerzen ohne Ende aber hat nie was gesagt und auf die Frage ob sie welche bräuchte, verneinte sie immer.
Ihre Tumoren wuchsen ja schon nach außen und sahen aus als wollten sie platzen. So war das Wickeln für sie ne Zumutung und manchmal schrie sie vor Schmerzen, dass es durch Mark und Bein ging.

Am 22. musste sie zu ihren Routineuntersuchungen ins Krankenhaus und uns wurde schnell klar, dass wir sie nicht einfach so ins Krankenhaus bringen konnten. Wollten ihr ja nicht noch mehr weh tun und das hätten wir beim Treppenabgang bestimmt.
So riefen wir beim Arzt an, welcher uns einen Krankenwagen verschrieb...
Gegen 13.30Uhr kam dieser. Meine Schwester und die andere Tante durften mit ihr fahren. Gegen 14Uhr erhielten meine andere Tante und ich den Anruf, wir sollen schnell kommen.....es wäre gleich vorbei…..
So machten wir uns natürlich gleich auf den Weg aber 14.15Uhr ist sie dann an einer Lungenemboli gestorben, in dem Moment als der Arzt zu ihr wollte

…..Nun ist das das größte Loch vor uns das es je gab……das eine noch nicht richtig verkraftet und schon ist das nächste Elend vor der Tür…..das Herz schmerzt unheimlich sehr!

Aber wir wissen auch, dass wir unheimlich Glück hatten solche Eltern gehabt zu haben und dass viele Menschen noch mehr Leid erfahren müssen. Wir sind auch so unendlich froh, dass wir das letzte Jahr so intensiv für Mama (53) da waren und bis zur letzten Minute sie nie alleine ließen.

Zum Abschluss wünsche ich allen Betroffenen genauso wie den Angehörigen dieselbe Kraft und Hoffnung, die Mama aufgebracht hat! Es ist nie zu spät, es gibt immer Möglichkeiten und ich bin überzeugt, meine Mutter hätte den Krebs besiegt wenn es nicht so eine seltene und agressive Art gewesen wäre. Glaubt immer daran, dass alles gut wird, denn der Glaube versetzt Berge!

Liebe Grüße,

Eure Tanja
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