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Alt 27.09.2013, 15:03
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Sprüche... für Umgang mit Krebs, Durchhalten, Mut, Hoffnung...

Guten Morgen,

"Ich kämpfe nicht, ich lebe!" Das ist die Aussage. Genau wie J.F. und Wangi sehe ich das differenzierter, das ist mir persönlich ein bisschen zu flach.

Bereits das Ausrufezeichen in dieser Aussage bedeutet Kampf und zwar mit sich selber. Nämlich bereits zu Beginn in der Depression nach der Erstdiagnose zu sagen: "Das ist nicht das Aus. Ich kann was tun gegen den Tot durch Krebs. Ich stelle mich der Herausforderung." Was keineswegs selbstverständlich ist. Man darf nicht nur von der Klientel hier im Forum ausgehen. Die will ja in der Regel was tun, sonst wäre sie nicht hier bzw. sie sucht sich hier die Hilfe, die sie braucht, um sich eben der Herausforderung erst mal stellen zu können. Ich denke, dass hauptsächlich außerhalb der bekannte Vogel Strauss immer wieder muntere Einkehr feiert. Davon kann man hier nichts lesen. Wobei er auch bei uns nicht selten zu Gast ist.

Ich denke, ich weiß welche Userin Ilse meint. Diese Userin benutzte jedoch auch folgenden Satz: "Siehst du den Wasserfall in ihren Augen?" Dieser Wasserfall bedeutet Angst und/oder Verzweiflung. Diesen Wasserfall zu überwinden, das heißt die Angst als aufmerksamen Partner, der vor Gefahren warnt, zu verstehen oder die abgrundtiefe Verzweiflung zu überstehen um sich der Gefahr überhaupt erst sinnvoll stellen zu können, bedeutet schwersten Kampf mit sich selbst. Das nicht nur bei der Erstdiagnose, sondern immer wieder. Sei es, wenn der erste Tropfen der x-ten Chemo in die Ader läuft, vor der OP, bei einem Rezidiv oder auch nur vor der Kontrolluntersuchung. Ich weiß, dass bewusste Userin das Leben liebte und in vollen Zügen genoss. Ich weiß jedoch auch, dass sie keineswegs frei war von Angst und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie in ihrer letzten Zeit mit allem, was ihr greifbar war und sinnvoll erschien, gegen ihren Krebs kämpfte. Leider war für sie der Wille alleine nicht entscheidend.

Kämpfen heißt für mich: leben wollen. Das muss man zuerst mal erreichen, bevor man leben kann. Etwas wollen heißt: man hat ein Ziel. Im Jetzt muss man die Weichen erst mal stellen (können), um es vielleicht irgendwann zu erreichen. Diesen Willen muss man sich, gegen sich selbst, erkämpfen und ganz sicher auch immer wieder auffrischen. Vielleicht wird es mit der Zeit weniger kräftezehrend. Schön, wenn man ihn irgendwann verinnerlicht hat und nicht mehr daran zu denken braucht.

Die Aussage: "Ich bestimme mein Leben! Nicht der Krebs" ist falsch. Er tut es sehr wohl. Für immer. Die Unschuld in Bezug auf Krebs ist dahin. Er ist die Ursache für das Leben nach der Diagnose und was immer er auch ausgelöst hat und weiterhin auslöst. Er ist die Ursache für die Aussage vieler: "Ich lebe jeden Tag. Bewusst. Besser. Anders als früher". Hut ab vor den Betroffenen, die sich bis dahin gegen alle Widrigkeiten hindurch gekämpft haben. Diese Aussage ist absolut OK, denn sie kann und soll Mut machen, soll zeigen, dass man es schaffen kann und ist für den Betreffenden richtig. Für andere gibt sie ein Ziel vor. Nur, jeder muss für sich selbst und letztendlich alleine (wenn auch, je nach dem, mit Unterstützung des Umfeldes) den Weg dahin schaffen. Das heißt jedoch nicht, der Krebs wäre dann aus dem Gedächtnis gestrichen.

Krebs zu haben heißt für mich Kampf. Sei es ins Leben oder in den Tod. Man ist sich selbst dabei Rüstung und nicht zu unterschätzende Waffe. Weitere Waffen heißen Chemo, OP, Bestrahlung und was es alles an komplementären und sonstigen Dingen gibt. Man muss begreifen, dass es scharfe Waffen, stumpfe und eigengefährliche gibt. Die Rüstung, der Lebenswille, die Kraft von Kopf, Bauch und Körper wird mit jedem Tag, den man wieder leben kann, stärker und stabiler. Ein schwerer Weg bis dahin. Wenn man die Chance dazu überhaupt hat.

Es mir geht nicht darum, bewusste Beiträge zu verneinen. Ich gehe ebenso keineswegs davon aus, dass es leicht war, zu dieser Einstellung zu kommen, doch manche Beiträge können diesen Eindruck erwecken. Es geht vielmehr darum, die Krankheit und ihre Begleiterscheinungen bewusst zu erleben, zu akzeptieren, dass sie da ist, das persönlich Bestmögliche daraus zu machen. Es geht darum, anderen mögliche Ziele zu zeigen und zu helfen, Ängste an zu nehmen, und den jeweils persönlichen, gangbaren Weg zu finden. Es geht darum, einem krebskranken Menschen zu helfen, zunächst ein starker krebskranker Mensch zu werden, der selbstbewusst und eigenverantwortlich seinen Weg geht. Hoffnung ist dabei ein starkes Wort.

Einen mit dem Ziel: "Ich lebe."


Das ist meine persönliche Meinung.


Liebe Grüße,

Helmut
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