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Alt 16.05.2010, 12:48
Katrin&Mark Katrin&Mark ist offline
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Standard AW: Katrinchen, mein Schutzengel

Ich war mit der Gesellschaft in der Disco. Ziemlich groß der Laden und total überfüllt. Mein Schatz hätte alle bei weitem überstrahlt an dem Abend. Dreimal war ich mit Ihr dort und jedesmal mußte ich Neidhammel und geile Buben von Ihr fernhalten. Sie sah einfach toll aus und zog alle Männerblicke auf sich. Sie war nicht nur wunderschön, sie war einfach perfekt, Sie hat sich toll bewegt, war humorvoll, offen, geistreich, natürlich, verständnisvoll, sensibel, voller Emotionen und der klügste Mensch den ich bisher kennenlernen durfte. Mit einer so tollen Frau wie Sie es war unterwegs zu sein hat ungemein gestresst. Wir waren nie allein. Immer standen wir im Mittelpunkt des Interesses. Ich will nicht weniger als Sie und das bleibt mir für Allezeit nun verwehrt. An dem Tag als wir uns kennenlernten wollte ich nur noch Sie, ganz allein Sie.

In unserer Stadt gibt es Sportstudenten, Lehramtsstudenten, Medizinstudenten und Kunststudenten zuhauf. Als kleiner Designer mußt du da schon deutlich mit Charme hervortreten um das Interesse zu wecken, was öfter scheiterte. Ich hatte immer das Gefühl ich bin nicht gut genug und mache nichts wirklich nützliches. Katrin wollte mich und das machte mich so unglaublich Stolz. Sie hat mich in allem bestärkt und mich uneingeschränkt so genommen wie ich war.

Ich erinnere mich an eine Szene auf der Palliativstation Ende Februar. Katrin hatte dem Besuch von Medizinstudenten zugestimmt. Als ich in Ihr Zimmer trat waren ungefähr zehn Personen anwesend. Das Krankenzimmer war voll. Ich sagte verlegen, hallo, und verdrückte mich ein wenig eingeschüchtert in die einzig freie Ecke. Die Stationsärztin schien sich zu wiederholen als sie sich an Katrin mit den Worten wandt, haben Sie Fragen, fällt Ihnen noch irgendwas ein, lassen Sie sich ruhig Zeit. Katrin genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. Sie ließ sich Zeit, ungefähr, ich schätze, fünf bis sieben Minuten, gefühlt eher eine halbe Stunde. Alles war still, fast andächtig. Sie schaute immer wieder zu den hübschen Medizinstudenten, ich hätte Sie dafür am liebsten über´s Knie gelegt. Schließlich sagte Sie, also mir fällt jetzt nichts mehr ein. Die Ärztin: Lassen Sie sich bitte Zeit. Dann setzte ein hmm hmm Gesang ein und ohne das Sie es selber merkte summte Sie ein Lied das Sie sehr mochte. Drei Minuten später, als das Lied zu Ende war, sagte Sie, nö, mir fällt jetzt wirklich nichts mehr ein. Das war absolut surreal. Manchmal denke ich, das alles habe ich nur geträumt. Und jeden Augenblick wach ich auf und alles kann so sein wie ich es mir wünsche.

Manchmal wünsche ich mir auch ein Zervixkarzinom um meinem Schatz noch näher zu sein, um selbst als Betroffener zu erfahren wie tapfer Sie wirklich war und wie sehr Sie wirklich leiden mußte. Ich konnte ja nur daneben stehen und versuchen Ihr Halt zu geben. Wenn man diesen Namen spricht, Zervixkarzinom, klingt er eigentlich , finde ich jedenfalls, ganz nett. Was sich dahinter verbirgt sind 9 Monate Folter.

Vier Tage hoffen und bangen und dann ... am 08.01.2010: Anamnese: Zustand nach Zervixkarzinom und Wertheim-Meigs Operation. Aktuell Rezidiv mit Einbruch in die Harnblase. Reduzierter AZ. Staging.

Für Sie war die Nachricht ein Todesurteil. Sie hatte sich so sehr gefürchtet davor. Sie wußte genau was es bedeutet. Die nächsten Tage hatte sie fürchterliche Krämpfe. Sie konnte nur noch bedingt Wasser lassen und der Stuhl nahm auch immer mehr ab.

Sie wollte Einläufe machen und ich besorgte Ihr von der Apotheke Glycerin. Im Bad lag sie seitwärts auf dem Boden und hielt mit einer Hand den Becher in die Höhe. Sie schimpfte, klagte, jammerte, war wütend, schließlich weinte Sie und war völlig entkräftet. Ich hatte inzwischen den Becher übernommen und stand über Ihr. Sie verstand nicht warum kein Wasser rein lief. Es war mittlerweile der 4 Liter und das Badezimmer eine einzige große Lache. An dem Tag wollte sie sich Erleichterung erzwingen. Ich stand nur blöd rum, dachte Sie hat fürchterliche Schmerzen, Sie quält sich und wenn du dich jetzt zu Ihr kniest, Sie umarmst, schlägt Sie um sich, um sich zu befreien. Sie hat sich gewunden und war völlig verkrampft. Die Schmerzen konnte ihr niemand abnehmen. Ich stammelte nur irgendwelchen Unsinn und war Ihr überhaupt keine Hilfe. Wir waren so oft im Klinikum wegen Ihren Blähungen, der Blasenentzündung und anderen Leiden, die Sie begleiteten. Immer wieder hieß es, nach der Untersuchung, alles in Ordnung, kein Grund zur Besorgnis und gaben Ihr Movicol oder sonstwas, das Ihr nur sehr kurzweilig half. Das wir scheinbar keine Hilfe erfuhren, machte mich immer wütender. Sie hatten Ihr zwar wieder und wieder angeboten Sie könne auf Station gehen, doch mit den Beteuerungen Ihrer Ärzte ist Sie jedesmal so schnell es ging wieder nach Hause zurück. Die Ärzte warteten scheinbar auf den Darmdurchbruch um uns dann mitzuteilen wie schlecht es steht. Der konnte dann gerade noch, dank Ihrer Eltern, die rechtzeitig bei Ihr waren um den Sturkopf ins Klinikum zu schaffen, abgewendet werden. Ich war nicht da, schon wieder nicht. Immer wenn es darauf ankam war ich nicht da. Wie Superman, nur umgekehrt.

51 Tage, 19 Stunden und 28 Minuten.

Sie war gerne shoppen. Wir waren oft stundenlang unterwegs. Sie war das perfekte H&M Modell. Die hätten Sie nur noch zu entdecken brauchen. Die Ausstattung hatte Sie schon und auch Ihren Zweitwohnsitz in der Kabine sieben auf der rechten Seite. Sie war nie oberflächlich, Sie hatte einfach Spaß und dabei konnte Sie auch über sich lachen. Einmal hat Sie so viel anprobiert das ich vom kauern in der kleinen Kabine Krämpfe in den Waden hatte und mein Rücken entsetzlich schmerzte, so das mir nichts anderes übrig blieb als die Flucht nach vorne. Ich bin raus und habe Ihr noch mehr Kleidungsstücke gesucht um mich zu erholen. Was für ein Irrsinn. Versteht Ihr, Sie hatte soviel Freude daran sich neu einzukleiden und das passende für sich zu finden, das ich ihr den Spaß unmöglich verderben konnte. Es ging immer weiter und die Schmerzen wurden unerträglich aber ich hatte immer wieder Pausen auf der Suche nach noch einem Kleidungsstück. Schatz, fragte Sie, da ist, ... das Kleid, das blaue mit den ... Würde das nicht gut zu dem Hemd ... Als wir fertig waren, nach ca. ein bis zwei Stunden, meistens aber zwei Stunden, ging es in den nächsten Laden. Pimpkin, Esprit, Zara und zum Schluß nochmal in den dm-Markt, der lag auf dem Nachhauseweg. Ich war letztens erst im H&M. Es war wie immer sehr voll und ich mußte mich zusammenreißen um Sie nicht zwischen den Kleiderständern zu suchen. Ich besuche nicht absichtlich Orte die mich an Sie besonders erinnern. Ich will mich nicht unnötig quälen. Alles erinnert mich an Sie. Sie ist noch vollständig, kein Mosaik, kein Trugbild. Unsere Stadt, die Menschen, die Geschichten alles hängt an Ihr.

Sie hat auch immer wieder Ware bestellt, zu Hause anprobiert, kombiniert. Das meiste ging wieder zurück. 20 Teile bestellen, eins behalten. Mir wäre das zu anstrengend.

Sie hat trotz Ihrer Krankheit so viel gemacht und geschaft. Ihre Bewerbung hat sie immer wieder neu formuliert bis Sie schließlich zufrieden war. Sie gönnte sich dann auch keine Pause sondern verbiss sich solange bis es Ihren Ansprüchen genügte. Für die wichtigen Dinge, hat Sie sich immer Zeit genommen. Ihre Bewerbungsunterlagen hat Sie noch im November versendet. Ihr Vertrag lief Ende März aus. Sie wollte nicht ohne Job sein. Sie fühlte sich bei Ihrer alten Stelle sehr wohl und mochte auch Ihre Kollegen, doch leider hatte Sie nur einen befristeten Vertrag. Ihr Chef war übrigens toll. An dieser Stelle auch an ihn ein großes Dankeschön. In Heidelberg war eine Stelle ausgeschrieben die zu Ihrem Jobprofil passte. Dorthin hatte Sie Ihre Unterlagen geschickt. Kurz vor unserer Reise nach München kam die Einladung zum Bewerbungsgespräch. An den Brief kamen wir aber erst einige Tage später als wir wieder zurück von München waren. Ich brachte Ihr den Brief, Sie las kurz, freute sich nicht, - keine Reaktion. Sie zerriß das Schreiben und erzählte, das wegen einer blöden Schwester, die es nicht hinbekam den Stomabeutel richtig anzubringen, die ganze Soße zweistunden zuvor sich in Ihrem Bett ausgebreitet hatte. Ich hätte Ihr den Brief nicht geben sollen.

Geändert von gitti2002 (03.11.2016 um 22:31 Uhr)
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