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Alt 04.08.2004, 17:00
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Rudolf Rudolf ist offline
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Standard Bücher zum Thema: Krebs und Psyche

Hallo Ladina und Gabi,
die beiden Bücher von LeShan gehören zu den wichtigsten, die ich gelesen habe. Und ich finde absolut keine Schuldzuweisung!
Gerade der Satz "Krebs ist oft ein Anzeichen dafür, dass etwas anderes im Leben des Patienten nicht in Ordnung ist" ist das Ergebnis langjähriger Beobachtung, Forschung und Begleitung von und mit Krebspatienten.
LeShan hat ja praktisch von Null anfangen müssen. Nachdem er ursprünglich mit der Freudschen Analyse begonnen hatte, bemerkte er bald, daß er damit nicht weit kam. So mußte er einen anderen Weg suchen und hat u.a. durch statistische Erhebungen versucht, Gemeinsamkeiten bei den Persönlichkeitsstrukturen wie auch den Gefühls-Lebensläufen seiner Patienten zu finden.
Sehr viele seiner Patienten stammen aus Familien, in denen Körperkontakt vermieden wurde und wo die Beziehungsfähigkeit geschädigt statt gefördert wurde. Als Kinder erfuhren sie ihre Wertlosikeit statt ihres einmaligen unschätzbaren Wertes. Sie lernten nicht, sich zu wehren, verteidigen, artikulieren, sich selbst zu lieben. Sie lernten stattdessen, daß sie nur dann geliebt werden, wenn sie sich anpassen. So wurde manch "kreatives Feuer" gelöscht, manche Begeisterungsfähigkeit unterdrückt.
Entweder: "Ich bin, der ich sein will: dann bin ich einsam und werde nicht geliebt." (Außenseiter)
Oder: "ich bin so, wie man es von mir erwartet: dann erhalte ich Zuwendung, aber die Liebe gilt nicht mir, und ich bin auch einsam." (angepaßt)
In diesem Dilemma, wo keine Lebensfreude aufkommen kann, wird dann der Krebs als manchmal willkommener Schlußpunkt gesehen.
Bei diesen Menschen ist/war sehr wohl etwas "nicht in Ordnung". LeShan sucht bei jedem einzelnen seiner Patienten nach dem wahren Kern, der Lebensfreude, nach dem was der Patient am meisten an sich schätzt, wo er echt sein will, nach Begeisterungsfähigkeit. Es geht darum, das ständige Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Sinnlosigkeit zu überwinden, das schon VOR der Krebserkrankung da war.

Als ich selbst vor nunmehr fast vier Jahren die Diagnose Krebs erhielt, war mein erster Gedanke: was habe ich falsch gemacht? Nicht im Sinne einer Schuld, sondern mit dem Gedanken: was sollte ich in Zukunft anders machen?
Mir wurde bald bewußt, was mir "an die Nieren" gegangen war. Ich konnte es abstellen, habe (wieder) geheiratet und die Lebensfreude wiederentdeckt.

Damals kannte ich LeShan noch nicht, aber >Krankheit als Weg< von Dr. Rüdiger Dahlke, wo er schreibt: "Krebs muß nicht bekämpft, er will verstanden werden." Diesen Weg wollte ich von Anfang an gehen, zwar nach der Operation, aber mit Metastasen.
Es sei noch bemerkt, daß LeShan wohl vorwiegend mit "austherapierten" Patienten arbeitet.
Die von ihm beschriebene, beobachtete, nicht erfundene oder ausgedachte, gefühlsarme Jugend habe ich in gemäßigter Form erlebt. Ich habe es vorgezogen, Außenseiter zu sein und zu bleiben. Und ich bin es noch. Ich will um meiner selbst willen geliebt werden, nicht wegen irgendwelcher Leistungen. Das mag wenige Freunde bedeuten, aber die wenigen sind echt.

Liebe Ladina, Deine Geschichte kenne ich ein wenig, und ich vermute, daß bei einer Chromosomenaberration die psychische Situation vor der Erkrankung gar keine Rolle spielt. Wahrscheinlich ebenso in den Fällen, wo der Krebs durch eine hohe chemische oder Strahlen-Belastung verursacht wurde. Trotzdem ist die psychische Stabilität sicher für die Bewältigung wichtig.
Für mich selbst gilt: Erst kommt das Loch, in das man fällt, dann kommt der Krebs hinterher. Bei LeShan lese ich die Bestätigung.
Liebe Grüße
Rudolf

Geändert von Rudolf (12.07.2006 um 18:42 Uhr)