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Alt 04.04.2003, 17:29
Gast
 
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Standard schlimme gedanken

Hi Claudia,
... nun, ich glaube, von all den Freunden, die Du verloren hast (durch das "dauernde darüber sprechen wollen"), würdest Du wahrscheinlich, bei genauerem Hingucken, entdecken, dass die Mehrheit davon nicht wegen DIR weg ging, sondern weil SIE selber nicht damit klar kamen.
Das klingt jetzt für diese Freunde vielleicht ein bisschen vorwurfsvoll, doch wenn man sie FRAGEN würde, WARUM sie sich zurück gezogen haben, würden die wenigsten zugestehen, dass sie damit nicht klar kamen, dass das "ewige" Problem für sie viel zu gross war. - Nein, sie würden sagen, es läge an DIR!
Hier stelle auch ich mir immer wieder die Frage: "Wieviel MUSS eigentlich an den Krebspatienten alles selber liegen?"

Naja, daher auch mein Beispiel aus dem letzten Beitrag. (Der "Unterschied" zwischen üblichen schweren Alltags-Problemen und dem dauernden Krebsproblem.)
Da erzähle ich Dir wahrscheinlich nichts Neues, Claudia, gell? Doch da hier Angehörige im Forum sind, möchte ich auch ihnen gerne unsere "Sicht" zeigen.

Man kann sich auch als Beispiel (ob man jetzt gesund oder krank ist) vorstellen, man kennt da einen guten Freund. Der gute Freund hat eines Tages einen Nervenzusammenbruch, und dann wird er psychisch krank.
Seien wir ehrlich: Wie lange schaffen wir es, dem guten Freund beizustehen, und zusehen zu müssen, wie er unter seiner psychischen Krankheit leidet? Haben wir die Kraft dazu? Haben wir diese Energie, diesem Freund täglich zuzuhören?
Aus meiner Erfahrung (genau auch ein solches Beispiel), "flüchten" die meisten Leute vor sowas. Das geht zu nahe. VIEL zu nahe! Ich persönlich habe das aber mal durchgestanden. Habe eine schwer psychisch kranke Frau begleitet. Eine Freundin. Habe ihr täglich zugehört. Täglich daselbe. Täglich das selbe Problem. - Ich war die EINZIGE, die das für sie tat!
Und es war hart, es war echt hart! Aber sie war eine Freundin! Und ich wusste genau, SIE würde auch das SELBE für mich tun!
Irgendwann geriet aber auch ich an eine Grenze, an einen Punkt, wo es mir zu viel wurde. Es GIBT da nur die eine Lösung, mal für eine Weile Pause zu machen. NICHT davon laufen, sondern mit der Betroffenen REDEN und ihr sagen, dass man mal ein bisschen Pause braucht.
Und SO hat's geklappt! Echt! So super! Diese Frau ist heute wieder gesund, und wir sind noch immer Freundinnen!

Wirklich, ALLE haben sich von ihr abgewendet! Als sie in die psychiatrische Anstalt kam, hat sie keiner besuchen wollen. Vielleicht schämten sich die Leute, so eine Psychiatrie zu betreten? Oder WOLLTEN sie sich nicht mit so was "verrücktem" abgeben?
Ist es DAS, was jemandem in so einer Situation helfen sollte? Sich von ihm Abwenden? Und dann auch noch IHM die Schuld dafür geben?
Das ist immer sehr einfach. Es ist "einfach" für denjenigen, der sich zurückzieht. ER hat die Rückzugsmöglichkeit, ... der oder die Betroffene jedoch NICHT.

Genau so geht es auch mit dem Krebs. Wenn man Krebs hat, kann man nicht so locker "flüchten" wie die anderen, ja, man kann nicht mal Pause machen! Unmöglich! (Zumindest nicht in der Anfangszeit, oder wenn es sehr schlimm mit der Krankheit ist.) Das "Karusell" im Kopf dreht sich immer nur um das selbe, es geht gar nicht anders, und es fällt einem oftmals schwer, sich auf was anderes zu konzentrieren. Kaum hat man aber mal einen "ruhigen" Moment erwischt, muss z.B. schon wieder eine Arztuntersuchung her, und dann ist eben das "Karusell" bereits von neuem wieder in Betrieb.
Das ist diese "kleine GROSSE Welt", in welcher sich der Krebspatient befindet, und WIE soll ER da bloss raus kommen?
Eigentlich geht es NUR durch "Heilung" oder Gesundheit. Durch die ZEIT, die einem die Genesung und die Verarbeitung richtig zulässt.

Aber ich weiss, dass es natürlich auch an jedem selber ein bisschen liegt, denn es gibt auch Krebsbetroffene, die müssen nicht die ganze Zeit nur DARÜBER reden wollen. Die WOLLEN das gar nicht, weil sie sich NUR mit schönen Dingen beschäftigen wollen. - Ob dies jetzt Verdrängung oder völlige Akzeptanz ist, spielt eigentlich keine Rolle.
Und dann gibt es Krebsbetroffene, die müssen BEIDES haben, also "darüber Reden" und dann auch wieder "nur Schönes haben und leben wollen", ... die haben dafür dieses ewige Auf und Ab, (heute schlecht, morgen super gut drauf), und das ist für Angehörige dann auch wieder sehr schwierig, auf diese dauernden Auf- und Ab Stimmungen eingehen zu müssen.

Es ist für beide Seiten sehr schwierig, aber ich weiss, Claudia, wenn man EINMAL die Betroffenen-Seite selber kennen gelernt hat, versteht man die "wahre Not am eigenen Körper" erst richtig, und wie wichtig es ist, Menschen um sich zu haben, die einem Zuhören, ... auch wenn man fünfmal am Tag mit dem selben Thema anfängt.
Wenn da jedoch Freunde "flüchten", sich hinterher nie mehr melden, und UNS dafür dann auch noch die Schuld geben, ... das finde ich SEHR krass! Ich habe das auch erlebt, Claudia, Du bist da also nicht alleine.
Suche die Schuld daher nicht alleine bei Dir, denn Du magst vielleicht Deinen kleinen Beitrag zu ihrer Flucht mitgegeben haben, aber für diesen "Beitrag" kannst Du nichts dafür. Du kannst nicht einfach aus einem "fahrenden Karusell" aussteigen, und schon gar nicht auf Befehl.
Auch SIE tragen schliesslich eine Verantwortung für ihr Handeln, nicht wahr?
Zumindest empfinde ich das so.
Oder was meinst Du dazu?

Ganz liebe Grüsse
von der "krassen" Brigitte
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