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Alt 05.12.2009, 18:50
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Kerstin22 Kerstin22 ist offline
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Registriert seit: 18.07.2006
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Standard AW: Krebs und Studium

Hallo A. und alle anderen lieben hier,
heute habe ich auch wieder über meine Oma und das Thema Schmerzen und deren Umgang damit nachgedacht. Vielleicht sollte ich wirklich verständnisvoller mit meiner 86jährigen Oma umgehen, aber es nervt mich auch. Wenn sie mir immer erzählt, dass ihre Schmerzen schlimmer sind als je vorher, auch wenn es sich um eine andere Ursache handelt, verliert der Satz an Bedeutung und ist für mich nur noch eine lose Floskel. Heute hat sie mir noch mal gesagt, dass ich neulich frech zu ihr war. Auch mein Bruder und seine Freundin, die sich auf einmal wie eine liebende Enkelin aufführt, können mein Problem nicht verstehen. Sie verstehen, dass meine Oma eine beschränkte Sichtweise und Welt hat, was ich ja auch einsehe. Sie sehen aber nicht, dass ich das nicht einfach als 26 jährige Enkelin, sondern als 26jährige Enkelin mit einr inzwischen mehrjährigen Krankengeschichte betrachte und vielleicht genau in diesem Bereich sensibler geworden bin. Dafür haben sie kein Verständnis. Bin ich vielleicht durch meine Krankheit engstirniger geworden? Ich latsche mit meinen jungen Jahren öfter ins Krankenhaus als meine Oma, was ja eher ungewöhnlich ist, und bin genervt, wenn meine Oma mir vorjammert, dass sie schon wieder ambulant ins Krankenhaus muss. Das ist für mich Alltag.
Kann sie das nicht einem anderen Familienmitglied vorjammern, was seltener als sie ins Krankenhaus latscht?
Ich habe durchaus Verständnis für die "kurzen" Krankheiten oder Problemchen meiner Mitmenschen, aber es kommt auch auf die Masse an.
Glücklicherweise hat meine Mama für meine Sichtweise Verständnis sonst würde ich mich wie die "böse Kerstin" fühlen. Sie hat wohl irgendwann aufgegeben ihrer Mutter ihre Meinung zu sagen und mit ihr zu streiten, weil es nichts brachte.
Ich bin traurig darüber, dass mein Bruder und seine Freundin sich als lieber Enkel und liebe Pseudo-Enkelin aufführen, aber nicht bedenken, dass meine Situation anders ist. Meine Krankheit habe ich wohl zu viel alleine mit der Hilfe von der Mama ausgefochten. Die Familie als Ganzes hat meine Krankheit vielleicht zu wenig tangiert. Vielleicht hätte ich auch mehr jammern solln. Aber ich war ja damit beschäftigt mein Studium auf die Reihe zu bekommen.

Apropos Studium: Gestern hatte ich über meinem Sweat-Shirt ein T-Shirt an, was ich mir schon vor einiger Zeit habe bedrucken lassen. Vorne mit: RETTE LEBEN!, hinten: WERDE STAMMZELLSPENDER! Das war mal eine gute Kontextualisierung meines Mundschutzes. Meine Mathedidaktikprofessorin ist nach der Vorlesung zu mir gekommen, und hat mit bezüglich dieser "starken Aussage" befragt. Ich habe ihr von der Transplantation erzählt und dass mich die Schweinegrippe-Diskriminerungen nerven. Sie hat mir ihren Respekt ausgesprochen. Das tat gut.
Im Mathe-Tutorium habe ich an der Tafel - selbstverständlich mit Mundschutz - meine Lösung präsentiert und ich denke nicht, dass jetzt einer aus dieser Gruppe, die ja nun alle Gelegenheit hatten meinen Rückenaufdruck zu lesen, mir noch mal was von Schweinegrippe erzählen wird. Manchmal sind weniger Worte mehr.

Am Mittwoch hatte ich eine nervenaufreibende Diskussion mit meinen Lehramtsstipendiaten und Nicht-Lehramtsstipendiaten, mit denen wir zusammengelegt werden sollen. Da haben sich auch viele über meinen Mundschutz gewundert und auch meine Mitstipendiaten wurden befragt.

Ach ja, falls ihr mal in der Zeitung lest, dass eine 26jährige Amok gelaufen ist, Ich wars. Dann habe ich wohl einmal zu viel das Wort Schweinegrippe gehört. Vielleicht sollte ich es als Kompliment für mein gesundes Aussehen deuten.

Ansonsten geht es mir gut. Ich erstmalig seit der Transplantation mit 2x150mg Sandimmun am Tag aus und habe keine Magen-Darm-Beschwerden. Ich habe den Eindruck, dass ich deswegen sogar etwas weniger Schlaf benötige. Nur meine Haut scheint sich aufzulösen. An meinem Kinn hängen Hautfetzen, aber mein Kinn sieht ja die Öffentlichkeit nicht. Seit gestern ist mir die wunde Haut am Rumpf, besonders am Rücken aufgefallen, den ich mir ja schlecht anschauen kann. Aber auf die Haut können wir laut Dr. Blau keine Rücksicht nehmen, um meine Nieren zu retten. Vielleicht sehe ich bald aus wie ein Leprakranker. Mal sehen! Eigentlich müsste ich deswegen mal zum Dermatologen, aber ich habe irgendwie gerade wenig Zeit. Vor Weihnachten muss ich noch neben den normalen Hausaufgaben zwei Leistungen abliefern.

Tut mir leid, dass ich euch wieder mal so zugetextet habe!
Schönes Wochenende und einen schönen zweiten Advent und viele Nikolausgeschenke!
Kerstin
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Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
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