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Alt 29.11.2007, 11:32
schwarzwaldmädle schwarzwaldmädle ist offline
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Standard AW: ....und die Sonne geht nie wieder auf für uns

09.05.2006

Er hatte keine Chance bekommen gegen seine Krankheit zu kämpfen. Denn der starke Wille einer Krankheit zu trotzen kann oftmals Berge versetzen und Wunder bewirken. Doch wie sollte er mit seinem Willen dagegen ankämpfen wenn der Tumor sein Gehirn derart angegriffen hatte, dass er meistens gar nicht wusste dass er so schwer krank ist?
Es ist für mich unbegreiflich, dass ein solch vitaler Mensch innerhalb kürzester Zeit wie ein Baum gefällt werden konnte……

Ein winziger Schimmer des Trostes bleibt mir, dass wir ihm den Abschied sehr schön gestaltet haben – wenn man in so einem Fall überhaupt von schön sprechen kann.

Wir haben schon am Freitag geahnt, dass sich mein Papa für die letzte Reise bereit macht – meine Mama hatte ihn am Donnerstagabend in einem langen Gespräch los gelassen. Hat ihm gesagt, dass sie weiß, dass er seinen Weg gehen muss, auf dem sie ihn aber so weit wie möglich begleiten wird.

Wir haben Freitag und Samstag auch nachts komplett an seinem Bett durch gewacht – haben ihm die Hand gehalten und ihn gestreichelt und geküsst.
Seine Lieblingsmusik – irische und keltische Klänge – haben wir immer laufen lassen und der Raum war erleuchtet von vielen Kerzen die wir überall aufgestellt und angezündet hatten. Seine besten Freunde waren alle da und haben ihm die Hand gehalten, mit ihm gesprochen und sind mit ihm und uns einen Stück des schweren Weges gegangen. Aber gegangen ist er dann wirklich erst, als er mit meiner Mama und mir alleine war. Wir konnten uns in den letzten Sekunden seines Lebens noch von ihm verabschieden und eine gute Reise wünschen. Konnten ihm sagen dass wir ihn lieben und vermissen werden.

Ich weiß dass ich vielleicht irgendwann einmal dankbar und glücklich darüber sein werde, dass ich in den letzten Momenten seines Lebens für meinen Papa da war – aber im Moment stehe ich unter einem großen Schock und bin eher verzweifelt.
Ich weiß, dass es besser war, dass er erlöst wurde – aber in dem Moment seines Todes – als er das letzte mal ausatmete da war ich verzweifelt und ich hätte ALLES getan ihn zu halten – denn es war mir bewusst dass dieser Weggang endgültig ist. Ich hätte ihn halten mögen und mir gewünscht dass er wieder Atem holt……zu sehen wie ein geliebter Mensch vor deinen Augen geht hat mich schier in einen Abgrund gestürzt……

Wir haben meinen Papa den ganzen Sonntag noch zu hause behalten – meine Mama hat ihn gewaschen und angezogen – ich konnte das nicht und ich bewundere sie sehr dafür. Wir – auch all seine Freunde - hatten Zeit noch einmal von meinem Papa Abschied zu nehmen. Immer wieder bin ich bei ihm gesessen, hab seine Hand gehalten, mit ihm gesprochen und ihn gestreichelt und geküsst. Und es war mir Trost zu sehen, dass da nun wieder mein Papa vor mir lag. Denn die Krankheit und der lange Kampf hatten ihn sehr stark verändert – aber jetzt hat er ein Lächeln auf dem Gesicht und er sieht zufrieden und irgendwie auch ein bisschen glücklich aus.
Vielleicht hat er ja direkt vor seinem Tod etwas schönes gesehen oder vielleicht hat er auch gesehen was ihn erwartet, da wo er hin geht – und es hat ihn glücklich gemacht.

Was ich bei all dem Schmerz, jedoch fest gestellt habe ist, dass ich innerlich wieder ruhig geworden bin. Diese ständige Auf und Ab zwischen Hoffen und Bangen – die Ausweglosigkeit der Situation und die Erkenntnis dass es keine Chance hat mich innerlich sehr zerrissen. Ich bin oft stundenlang grübelnd da gesessen und habe mich in Gedanken in einer düsteren Spirale immer weiter in die Verzweiflung getrieben. Diese Zerrissenheit ist vorüber. Die Entscheidung ist gefallen.
Zurück bleibt aber ein Heimweh und ein Vermissen……und das tut so unendlich weh.

Morgen steht uns nun der endgültige sichtbare Abschied von meinem Papa bevor und ich habe einen Text geschrieben, den ich ihm mit auf den Weg geben werde:

Für meinen Papa

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass ich dich einschlafen sehe
habe ich mich eng an dich gekuschelt, eine Kerze angezündet und deine Hand gehalten
um dir auch in der Dunkelheit nahe zu sein

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass ich deine Stimme höre
habe ich jeden Ton von dir in mir gespeichert
und ich brauche nur die Augen zu schließen, um dein Lachen zu hören

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass ich dir in die Augen schauen kann
habe ich mir die Liebe und Zärtlichkeit in deinem Blick eingeprägt
um in kalten und trostlosen Momenten deine Wärme zu spüren

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass ich dir sagen kann „Ich liebe dich“
habe ich mich ganz nah zu dir gebeugt und dir die Worte ins Ohr geflüstert
damit du weißt, es wird noch so sein wenn wir uns einmal wieder sehen.

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass ich dich berühren kann
habe ich dir zärtlich über die Wangen gestreichelt und deinen Geruch aufgenommen,
um jeden Tag neu aus dir Atem schöpfen zu können

Weil ich wusste, dass es das letzte Mal ist,
dass wir den Tag miteinander teilen können
habe ich keine Sekunde nutzlos verstreichen lassen
in einer trügerischen Sicherheit es gäbe noch so viele Momente miteinander

Wir hofften auf ein Morgen
Um noch viele gemeinsame Tage zu erleben
Doch ahnten wir, dass uns nur das Heute blieb
Um unsere Gemeinsamkeit zu genießen

Wir wussten weder Tag noch Stunde
Doch es war uns bewusst, dass uns die Zeit miteinander genommen wurde –
Dass es keine andere Chance für uns gibt

Deshalb haben wir das Heute genossen –
Trotz dem Wissen, dass es kein Morgen für uns geben wird
Wir haben das Heute genutzt um uns zu sagen und zu zeigen, dass wir uns lieben
Wir haben nichts auf Morgen verschoben.

Das Morgen ist uns niemals versprochen
Egal wie alt wir sind oder welchen Reichtum wir besitzen
Heute könnte unsere letzte Chance sein
Die wir haben, um unsere Liebe fest zu halten
Wir haben diese Chance genutzt – denn es war die einzige die uns blieb

So viele Menschen warten auf das Morgen,
und vergessen oftmals das Heute!
So viele Menschen verschieben vieles auf Morgen -
Was, wenn das Morgen niemals kommt?
Dann bereuen sie sicherlich
Dass sie sich keine Zeit genommen haben,
für ein Lächeln, eine Umarmung oder einen Kuss
Dass sie zu beschäftigt waren
Um zu sagen und zu zeigen, dass sie einander lieben
Dass sie vergessen haben etwas zu geben,
was sich im nach hinein als letzter Wunsch heraus stellt

Haltet eure Lieben ganz fest,
nehmt euch die Zeit heute und nicht erst morgen flüstert ihnen ins Ohr
und sagt ihnen wie sehr ihr sie liebt und immer lieben werdet
Nehmt euch die Zeit zu sagen „Bitte verzeihe mir“,
„Es tut mir leid“, „Danke“, „Ich bin für dich da“, „Ich liebe dich“

Wir haben uns die Zeit füreinander genommen,
haben erkannt, dass wir das Heute niemals bereuen müssen
denn wir haben es nicht auf Morgen verschoben

Dagmar
08.05.2006

Ich hoffe, dass ich die Kraft finden werde diesen Text zu verlesen, aber ich denke, dass mir mein Papa helfen wird……

Für meine Mama und mich ist die Sonne gesunken bevor es Abend wurde……

Dagmar
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