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Alt 05.08.2016, 19:12
zarah zarah ist offline
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Standard AW: Auge wird entnommen

Dann soll die eigentliche OP-Aufklärung wohl morgen / Sonntag erfolgen. Dass man euch vorher wegen notwendiger Untersuchungen in der Stadt herumschickt finde ich etwas seltsam. Das kann man doch auch vor der OP im Krankenhaus aus einer Hand machen. Da hatte Deine Frau völlig recht und sich gut um Dich gekümmert, finde ich.

Du hast das Recht, an anderem Ort eine Zweitmeinung einzuholen. Zahlt die Krankenkasse. Das Krankenhaus muss dazu alle bisherigen Untersuchungsergebnisse zu Verfügung stellen (Unterlagen, CT-Bilder, etc.). Ein "normaler" Augenarzt ist für eine Zweitmeinung nicht so geeignet. Eigentlich sollte man lieber einen zweiten Spezialisten fragen. Also jemand, der selbst häufig mit Krebserkrankungen des Auges zu tun hat. Die findet man oft in Universitätskliniken.

Andererseits kostet das Einholen einer Zweitmeinung natürlich wieder Zeit. Zeit, in der man auf glühenden Kohlen sitzt. Und in der der Krebs weiter wachsen kann. Schwierig.

Was auf Dich zukommt? Eigentlich sollten Dir die Ärzte, die dich operieren wollen, diese Frage(n) beantworten. Vor der Operation. In einem oder mehreren ausführlichen Gesprächen. Mit ausreichend Bedenkzeit zwischen Aufklärungsgespräch(-en) und OP.

Ich versuch's mal mit meinem laienhaften Wissen. Alle Angaben ohne Gewähr. Nimm die Infos, die ich Dir geben kann, nur unter Vorbehalt. Frag' die Ärzte. Deren Job ist es, Dir alles verständlich zu erklären. Mach Dir eine Liste mit eigenen Fragen. Nimm die zum Gespräch mit. Nimm eine Begleitperson (Frau, erwachsenes Kind) mit: Vier Ohren hören mehr als zwei. Zwei Hirne können besser denken als eins allein.

Wenn man nur noch ein Auge hat, dann kann man nicht mehr räumlich sehen. Das sogenannte Gesichtsfeld, also der Bereich, den Du siehst, ohne den Kopf zu drehen, ist kleiner. Und zur Seite des noch vorhandenen Auges hin verschoben. Beides sind Dinge, an die man sich erstmal gewöhnen muss. An die man sich aber weitgehend gewöhnen kann. Deck' einfach mal ein Auge mit einer Hand ab, dann kannst Du Dir die Veränderung besser vorstellen.

Den "Lernprozess" im Anschluss, mit dem man das fehlende räumliche Sehen zu einem gewissen Grad zu ersetzen lernt, kannst Du allerdings nicht testen. In der ersten Zeit rempelt man z.B. öfter mal an, stößt Gläser um o.ä. Die meisten Einäugigen können sich aber nach einer Umgewöhnungszeit (Wochen bis wenige Monate) wieder ziemlich normal im Raum orientieren. Und auch z.B. wieder Auto fahren.

Wenn "nur" der Augapfel selbst entfernt wird, dann kann man nach Abheilen ein Kunstauge ("Glasauge", nur dass die heutzutage nicht mehr aus Glas sondern aus Kunststoff sind) einsetzen. Das ist für andere Menschen kaum von einem echten Auge zu unterscheiden. Aber man kann als Betroffener durch ein Kunstauge natürlich nichts sehen.

Wenn nicht nur der Augapfel, sondern auch die Augenlider und die Muskulatur direkt neben bzw. hinter dem Auge entfernt werden muss, dann geht ein Kunstauge nicht. Denn für ein Kunstauge braucht man die Lider und Muskeln, die es am Platz halten. In dem Fall gibt es sogenannte "Epithesen". Eine Epithese ist quasi ein künstliches Gesichtsteil, inklusive Kunstauge. Es wird individuell hergestellt, der Gesichtsform und -farbe angepasst.

Die Menschen, die sowas herstellen, sind oft wahre Künstler, die die Epithese so passgenau machen, dass auch da Außenstehende auf den ersten Blick kaum was merken. Trotzdem ist eine Epithese natürlich ein Fremdkörper: Man kann durch sie nicht sehen. Sie bewegt sich nicht mit dem restlichen Gesicht mit. Also z.B. wenn man beim Lächeln die Augen etwas zusammenzieht, dann bleibt die Epithese unverändert. Sie lächelt sozusagen nicht mit.

Epithesen werden, wenn man sie trägt, entweder mit einem speziellen Hautkleber befestigt. Oder (heute wohl die häufigere Variante) mit Magneten angeklippt. Manche Kliniken ziehen bereits im Vorfeld der Entfernung eines Auges einen Epithetiker (also jemand, der Epithesen anfertigt) hinzu. Die kleinen Metallteile für die Befestigung einer Epithese können bereits bei der OP, bei der das Auge entfernt wird, angebracht werden. Aber halt nur, wenn da bereits ein Epithetiker mit im Spiel ist.

Was bei Dir der Fall wäre, Kunstauge oder Epithese, kann ich Dir natürlich nicht sagen. Das sollten Dir aber die behandelnden Ärzte sagen. Und zwar möglichst rechtzeitig. Vor einer OP-Entscheidung.

Je nach dem was für eine Krebsart es ist (mit Melanomen kenne ich mich nicht aus, mein Bruder hatte ein Plattenepithel-Karzinom) und je nach dem, wie weit der Krebs bereits gewachsen ist, ist evt. später noch eine Bestrahlung der operierten Augenhöhle erforderlich. Bei meinem Bruder war sie erforderlich. Bei Dir kann das anders sein.

Dass Deine Frau und die erwachsenen Kinder mitleiden ist normal. Auch für sie ist es ein Schock. Auch sie stellen sich viele Fragen und sie machen sich Sorgen um Dich. Du kannst etwas tun (auch wenn es so etwas drastisches ist, wie Dein Auge zu opfern). Sie stehen hilflos daneben. Für Betroffene ist es nicht leicht. Für Angehörige auch nicht. Redet miteinander. Auch über das, wovor ihr Angst habt. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit sowas umzugehen. Eine solche Krankheit verändert vieles. Du bleibst aber der Ehemann, der Papa. Der Mensch, der Du halt bist.

Ich hoffe, ich habe ein wenig helfen können. Alles Gute, zarah
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