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Alt 17.05.2015, 21:59
Sanni1 Sanni1 ist offline
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Hallo Zusammen ,
ich habe es mir schon lange vorgenommen, die Geschichte meiner Mutter zu berichten, nachdem ich immer nur still mitgelesen habe. Und jetzt mache ich es hiermit einfach!

Im Sommer 2003 wurde per Zufallsdiagnose beim Hausarzt ein Tumor an der linken Niere entdeckt. Meine Mutter war zu dieser Zeit 63 Jahre alt. Sie hat nie geraucht oder Alkohol getrunken. Sie war kein typischer Patient für Nierenkrebs.
Im August wurde die linke Niere in einer ortsnahen Klinik komplett entfernt.
Die Diagnose lautete
klarzelliges Nierenkarzinom mit Durchmesser 4,3cm/ pT1b pRo G1.

Bei der Entlassung nach 3 wöchigem Krankenhausaufenthalt, sagte der OP-Arzt:
"Sie hatten Glück, daß der Tumor verkapselt war. Und die Wahrscheinlichkeit nochmal an Nierenkrebs zu erkranken ist so gering, dass Sie eher im Strassenverkehr verunglücken werden."
Eine Rehamaßnahme wurde nicht wahrgenommen.

In den Jahren darauf wurden die üblichen "normalen" Blutuntersuchungen und das Röntgen der Lunge als Nachsorgemaßnahmen gemacht.
Im Frühjahr 2013 meinte der Urologe noch, daß die Blutwerte mit der Zeit immer besser geworden sind und so gut wie noch nie seien.

Rückblickend ins Jahr 2011 jedoch schon, begannen unklare Schmerzen im Bereich der linken Hüfte.
Der ortsansässige Orthopäde machte sich keine Mühe und ging nicht wirklich auf sie ein.
Die Schmerzen wurden schlimmer. Nach einer Röntgenuntersuchung meinten dieser Orthopäde, ebenso wie ein örtlich anerkannter Chirurg für Hüftgelenke, dass die Hüfte ausser einer Arthrose altersgerecht in Ordnung wäre. Das Ganze zog sich über Wochen und Monate hin!!!

Schliesslich hatte sie den Mut und ließ sich zu einem anderen Arzt überweisen.
Im Dezember 2013 bekam sie endlich mal einen MRT-Termin des Becken-/Hüftbereiches für Ende Januar 2014!!!! Wieder gingen Wochen ins Land!
Diese Untersuchung ergab einen unklaren Tumorbefund im Becken!
Mit diesen Befunden ging es zur Tumororthopädie der Uniklink in Münster. Dort mussten wir trotz Termin viele Stunden warten.
Es gab eine Einweisung für eine pathologische Probenentnahme des Tumors. Gleichzeitig wurde erstmalig eine CT-Aufnahme vom Thorax und Abdomen angefordert, die kurz nach der Probenentnahme gemacht wurde.
Durch diese Untersuchung kamen wir endgültig zu der niederschmetternden Diagnose, dass die eine übrige Niere einen Tumorbefall aufwies, und der Hüfttumor eine Metastase dieses Nierentumors war!!!
Die darauffolgende Sprechstunde in der Uniklinik Münster, bei der die Diagnose von der Pathologie besprochen werden sollte, war ein Alptraum . Die stundenlange Warterei und die Ungewissheit wie es nun weitergehen sollte, waren sehr belastend.
In der Sprechstunde in Münster bestätigte man den Zusammenhang des Nierentumors und der Beckenmetastase.
Von einer OP riet man ab, weil das Risiko für Mißerfolg viel zu hoch wäre und wegen der Metastase keine Indikation sei. Uns wurde richtig Angst vor einer OP gemacht.
Man schlug eine kombinierte Therapie mit Bestrahlungen der Hüfte und
einer systematischen Chemotherapie mit Vorstellung beim ortsnahem Onkologen vor.

Der Onkologe Dr. L. leitete die Therapien ein und überwachte sie in 4 wöchigem Abstand. Meine Mutter begann im April mit der Einnahme von Sutent und einer Folge von Bestrahlungen der Hüfte.
Die möglichen Nebenwirkungen schlugen alle voll zu, und wurden auch im Laufe der Zeit nicht besser oder kontrollierbarer. Mutter hatte ständig Durchfall, Erbrechen und vor allem totalen Geschmacksverlust. Das Hand-Fußsyndrom trat auf und der Blutdruck fuhr Achterbahn. Trotz gutem "Nebenwirkungsmanagement " war die Therapie schwer erträglich. Selbst in den Einnahmepausen hat sich der Körper kaum erholt.
Einzig die Schmerzen an der Hüfte gingen nach den Bestrahlungen weg. Die Metastase wurde davon allerdings nicht verkleinert.

Dr. L. hatte den Fall inzwischen auf dem Tumorboard mit den Kollegen im angeschlossenen Kreiskrankenhaus besprochen. Die Urologen waren alle der Meinung, dass die betroffene Niere aufgrund einer ungünstigen Tumorposition inoperabel sei, und die begonnenen Therapien der einzige Weg sei um die Krankheit aufzuhalten.
Allerdings hat Dr. L. auf einen Nierenspezialisten in der Uniklinik in München verwiesen, bei dem unsere Mutter sich vorstellen könne. München ist 650 km von uns entfernt!!!! Ok, der Onkologe sollte einen Termin dort machen.

Im 3. Zyklus mit Sutent und wieder mal nach endloser Warterei hatten wir den Termin bei Dr. St.. Er sah sich die mitgebrachten frischen CT Aufnahmen an und fragte, warum wir nicht gleich zu ihm gekommen seien.
Er hätte die Niere lieber sofort operiert!
"Wie?", meinte Mutter, "aber ich habe doch nur noch die eine Niere!"
"Eben!", meinte Dr. St., "die hätte ich ja nicht weggenommen, sondern operiert!!!?!"
Da aber nun mit Sutent schon begonnen wurde, wies er nach einigem Überlegen an, die Einnahmen fortzuführen.
Er schlug vor , den 4 wöchigen Einnahmerhytmus in einen 2 wöchigen umzuwandeln. Also 2 Wochen einnehmen und 1 Woche Pause zu machen, um die Therapie zu erleichtern. Ausserdem verschrieb er Salben für Hände und Füße und kalorienhaltige Trinknahrung ohne Geschmack. In 3 Monaten sollte sie wiederkommen.

Im September stand der nächste Termin in München an. Bei Dr. L. in Wohnortnähe wurde die Therapie mit Blutabnahmen weiterkontrolliert. Die Verträglichkeit von Sutent wurde leider nicht besser. Tapfer machte unsere Mutter jedoch mit der vorgeschlagenen Einnahme weiter.
Neue CT-und MRT-Aufnahmen wurden in einer radiologischen Praxis ebenfalls in München gemacht.
Der Radiologe dort erklärte, daß die Größe der Tumoren gegenüber den älteren Aufnahmen zurückgegangen wären.
Dann wieder hieß es stundenlang warten, bis wir in der Sprechstunde bei Dr. St. erneut drankamen.
Diesmal wies Dr. St. jedoch direkt auf eine sichtbare mögliche Fraktur im Beckenbereich nahe der Metastase hin und schickte uns auf kurzem (!!!!!) Dienstweg und persönlichem Telefonat zu seinem Kollegen Dr. D. in die Tumororthopädie der Uniklinik .
Dr. D. schaute sich freundlicherweise die Aufnahmen der Hüfte an und schlug eine mittelfristig anzusetzende OP vor, bei der
die Metastase an der Hüfte kürretiert werden und die Hüfte mit Zement verfestigt werden solle.
Um eine einfachere Umsetzung dieses Planes zu erreichen, überwies er uns wegen der Wohnortnähe noch einmal nach Münster zu einem Kollegen, um diese OP von ihm durchführen zu lassen .In unserem Beisein telefonierte er sogar mit Diesem und bereitete ihn auf unseren Besuch vor.
Gleichzeitig forderte Dr. D. dazu auf, in nächster Zeit ein Ganzkörper MRT zu machen , um weitere Metastasen als die bekannten, auszuschliessen.
Bei einem weiteren Sprechstundentermin in Münster mit dem o.g. Arzt., hielt dieser die zusätzliche Untersuchung nicht für notwendig. Von der vorgeschlagenen Kürettage-OP von Dr. D. riet er ebenfalls ab, weil das Risiko einer Blutung zu hoch sei.

Dr. H.in Münster meinte, eine lokale Radiofrequenzablation der Metastase wäre besser vertretbar, auch im Kosten-Nutzen Verhältnis.
Im ersten Moment erschien uns dieser minimalinvasive Eingriff tatsächlich sinnvoller und ungefährlicher, jedoch
glücklicherweise nahmen wir auf Anraten einer guten Freundin den Kontakt zu Dr. D. wieder auf und befragten ihn per email, was er von dem alternativen Eingriff in Münster hielte.
Dr. D. nahm sich die Zeit um uns zu antworten, und plädierte dennoch für seinen eigenen Vorschlag, forderte auch nochmals das Ganzkörper-MRT an.
Unser Gefühl sagte uns, daß wir diesem Arzt vertrauen sollten! Freundlicherweise meldete er auf unsere Bitte das Ganzkörper-MRT bei sich in der Uniklinik an. Wir verbanden den Termin zeitgleich mit einer neuen Sprechstunde bei ihm und Dr. St..
Wieder warteten wir stundenlang, und Mutter stellte den Sinn der Aktion schon infrage. Aber: es hatte sich gelohnt!
Zuerst besah Dr. St. die frisch angefertigten CT-Aufnahmen, die wir diesmal von zuhause mitbrachten. Er schimpfte ein bisschen über die Qualität und meinte, dann aber nach einer Weile wörtlich : "Ich kann hier sehen, daß es Ihnen nicht gut geht!"
Dann sagte er, daß das Sutent sehr gut gewirkt hätte und die Tumore deutlich kleiner geworden seien.
"Sie gehen jetzt erstmal zu Dr. D., damit er sich die MRT-Aufnahme ansehen kann. Wenn er mit Ihnen die OP der Metastase bespricht, soll er sich bei mir melden, denn ich würde dann gleichzeitig die Niere operieren wollen. Sollte das so machbar sein, werden Sie zukünftig kein Sutent mehr nehmen müssen!!!!"
Damit hatten wir nicht gerechnet!!!!

Das Ganzkörper-MRT brachte keine weiteren Metastasen zum Vorschein und
letztendlich wurde die OP mit beiden Ärzten abgesprochen.

Am 4.2.2015 wurde Mutter tatsächlich in München von beiden Ärzten in einer OP nacheinander operiert. Die OP war sicherlich nicht einfach, aber sie ist gut verlaufen!

Mutter fühlte sich bei beiden Ärzten und im dortigen Krankenhaus sehr gut aufgehoben. Bemerkenswert für uns war, daß beide Ärzte von ihrer Persönlichkeit vertrauenswürdig und dabei unkompliziert waren. Wir staunen immer wieder, daß es solche Ärzte gibt, vor allem nach den enttäuschenden Erfahrungen bei uns zuhause und auch in Münster. Zu keiner Zeit fühlten wir uns verunsichert, was das Können und Wissen der beiden Ärzte angeht.

Aus diesem Grund können wir jedem betroffenen Patient dazu raten eine Zweitmeinung einzuholen, und sich nicht mit schnellen Diagnosen abspeisen zu lassen! Hätte Mutter die minimalvasive OP machen lassen, wäre die Metastase evtl. kleiner geworden, aber immer noch da.
So sind die Chancen auf eine beschwerdefreie lange Lebenszeit sicherlich richtig gut geworden.

Eine Woche (!!!) nach der OP wurde Mutter aus dem Krankenhaus entlassen.
Sie hatte starke Schmerzen, die jedoch täglich weniger wurden. In einer Rehaklinik war sie 4 Wochen um sich zu erholen. Sie braucht sicherlich auch noch viel Zeit um körperlich und seelisch wieder gesund zu werden.

Die regelmässigen CT- und MRT-Untersuchungen müssen weiterhin gemacht werden. Das nächste Staging stand nun 3 Monate nach der OP an. Die Befunde waren alle bestens. Die OP hat sich gelohnt und sie braucht weiterhin keine Medikamente.

Zusätzlich möchte ich anmerken, dass es seitens der gesetzlichen Krankenkasse, bei der unsere Mutter versichert ist, zu keiner Zeit Einschränkungen oder Nachfragen zu den Untersuchungen, Medikamenten oder der OP in einem wohnortsfernen Krankenhaus gegeben hat.

So, ich hoffe Euch/Ihnen hat die Geschichte gefallen, und ich habe nicht zu wirr berichtet! Ich wünsche allen Betroffenen hier den Mut weiterzukämpfen und nicht aufzugeben!
Vielen Dank fürs lesen!
Liebe Grüße,
Sandra