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Alt 09.12.2013, 11:38
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Schäferhund26 Schäferhund26 ist offline
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Standard AW: Nun auch ich....

Liebe Mama,

heute habe ich einen Tag an dem ich alles und jeden zusammenschlagen könnte (ich friedliches Schaf). Vorhin in der Fahrstunde haben sie nur über Weihnachten geredet,wer alles kommt,was sie kochen,wie schön alles wird und ich saß hinten und musste mir echt die Tränen verkneifen.Sehr feinfühlig manche Menschen.
Zu Hause habe ich lange mit dir geredet,geweint und geschimpft.Jetzt fühle ich mich niedergeschlagen.Die Tante von meinem Studentenkredit hat mir noch denn Rest gegeben. "Jetzt studieren sie aber wieder voll oder?Dann müssten ja bald wieder Noten kommen." Danke,mein Tag ist erst mal gelaufen.

Gestern vor einem Jahr Mama,da fing alles an.....

. Im Dezember letzten Jahres sind wir mit dem Taxi mitten in der Nacht zum Evangelischen Krankenhaus gefahren. Ich habe immer wieder deine kalte Hand gestreichelt und gefragt „Geht es?“. Ich weiß noch, wir sind zur Straße gegangen, um auf das Taxi zu warten und alles war so friedlich um uns herum. Das Taxi kam und brachte uns in ein neues Leben. Wir sind Seite an Seite ins Krankenhaus gegangen. Das sollte das letzte Mal sein, dass du du warst. Danach warst du todkrank. Während sie dich untersucht haben, habe ich gebetet, dass wir wieder nach Hause fahren können. Das es nichts Schlimmes ist. Das alles wieder gut wird. Als die junge blonde Schwester sagte, sie wollte dir einen Verband anlegen, dachte ich draußen vor der Tür noch, dass wir danach zusammen nach Hause fahren können. Wie absurd, hatte ich doch keine Stunde zuvor dein Blut vom Badezimmerfußboden aufgewischt, das literweise geflossen war.
In der Nacht konnten wir beide nicht schlafen und haben zugehört wie ein Baby seinen ersten Schrei auf dieser Welt tat. Am nächsten Tag habe ich zum Glück Stefan im Wohnheim angetroffen. Ich bin mit ihm nach Hause, habe die Hunde in die Pension bringen lassen, hab deine und meine Sachen gepackt und bin zurück zu dir.
Du warst nun im Klinikum Kreyenbrück, wo ich dich von einer Untersuchung zur nächsten begleitete. Eine ewige Unruhe, niemand erzählte einem was. Als ich mich vor Erschöpfung zu dir aufs Bett legte, wurde ich gleich von einer Schwester runtergescheucht. Röntgen, CT-dann plötzlich Hektik. Wir mussten in die Notaufnahme, wo du eine Halskrause bekamst und deinen Rollstuhl. Niemand sprach mit uns, nur deinen Kopf solltest du nicht mehr bewegen. Der Arzt würde später mit uns sprechen. Die Ärztin sprach mit dir und du mit mir. Brustkrebs mit Metastasen in Leber, Lunge, Knochen. Ein Wirbel schon eingebrochen. Der Plan: Erst Rücken-OP, dann Chemo. Dass diese nur palliativ sein würde, erfuhren wir erst später. Spät abends plötzlich MRT und Verlegung ins Evangelische Krankenhaus (EK) auf die Neurochirurgie. Du bekamst Panik in der Röhre, musstest abbrechen. Der Neurologe im EK war deshalb genervt, war ungeduldig und arrogant. Er nahm mich und Stefan mit in ein Besprechungszimmer. Ob mir klar sei, dass meine Mutter unheilbar krank sei? Mir zog es den Boden unter den Füßen weg, ich musste mich hinlegen. Der Arzt sprach auch mit dir. In dem lauten Dreibettzimmer. Ich konnte lange nicht zu dir, war zu fertig. Auch du hattest Angst, warst aber auch sauer, wo ich so lange gewesen sei. An diesem Tag stand ich unter Schock. Im Bett im Wohnheim habe ich so gezittert. Am nächsten Tag bei dir im Krankenhaus hast du gesagt, ich würde aussehen, als wenn ich unter Schock wäre. Da habe ich dir von meiner Angst erzählt und ab da ging es mir besser. Der Arzt war dann auch gar nicht so arrogant wie ich dachte. Er verlegte dich in ein ruhiges Zweibettzimmer, erklärte uns die OP. Aber ich hatte ständig Angst um dich, wie ich nie wusste was als nächstes kommt. Du wolltest nie ohne mich sein am Anfang, warst böse, wenn ich Abends gehen wollte. Du hattest große Angst.
Trost fand ich in kleinen Spaziergängen in der Stadt, beim Essen im Bistro und bei der Seelsorge. An dem Tag, als du operiert wurdest, saß ich fast nur bei ihr. Über acht Stunden musste ich warten, bis du aus dem OP kamst. Alle sagten, ich sollte doch woanders warten, mich ablenken, aber wie kann ich mich ablenken, wenn das Kostbarste auf der Welt in Gefahr ist? Du hast die OP toll gemeistert, aber sie haben dich danach nie wieder mobil bekommen. Du wurdest immer schwächer. Nach der OP eine schnelle Rückverlegung, um mit der Chemo zu beginnen. Die Worte des Arztes: „Es geht ums nackte Überleben.“ Der Arzt kannte deinen Zustand natürlich und trotzdem sagte er mir auf dem Flur, du wärst sehr tapfer und er denkt, du würdest die Krankheit gut überstehen. Ich glaube nicht, dass diese Worte ernsthaft glaubte, aber sie schenkten uns Hoffnung und dafür bin ich ihm dankbar.

Ich liebe dich und du fehlst mir
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MEINE MAMA
1960-2013.Du wirst immer in meinem Herzen sein-bis wir uns wieder sehen.
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