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Alt 06.01.2012, 10:55
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sywal sywal ist offline
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Standard AW: Myxoides Liposarkom - Rezidive

1995
Meine Freundin sollte (und wollte auch) nach ihrer Total-OP eine medikamentöse Therapie machen. Zur sogenannten Chemotherapie (ein sehr verallgemeinender Begriff) war sie nicht bereit. Es wurde ihr ein „natürlicher“, „homöopathischer“ Wirkstoff vorgeschlagen, am Ende stand „rekombinant“, und eine Strahlentherapie. Bevor sie zu dieser Therapie ihre Einwilligung gab, wollte sie mit meinem Arzt sprechen, sie vereinbarte einen Termin. Da doch eine weite PKW-Fahrt zu bewältigen war, ersuchte ich eine Arbeitskollegin uns zu begleiten. Doch dann, fast schon vor der von uns gewählten Autobahnabfahrt wurde die Autobahn, wegen einem größeren Unfall, gesperrt. Wir saßen bei brütender Hitze und ohne Ausweichmöglichkeit fest. Keiner von uns hatte ein Handy. Ich bat meine Kollegin den netten Mann auf der Nebenspur zu fragen, ob er nicht unseren Onkologen anrufen könne. Kurze Zeit später teilte er uns mit, dass der Arzt nur mehr per Fax zu erreichen war, er seine Sekretärin angerufen und gebeten hat, dem Arzt ein FAX zu schicken. Nach einiger Zeit, ohne Rückmeldung, baten wir unseren „Beifahrer“ die Gendarmerie anzurufen und zu bitten den Arzt zu informieren bzw. in der Ordination aufzuhalten. Und wirklich, das funktionierte. Es gab und gibt sie ja doch noch die Menschen welche bereit sind zu helfen, Zeit zu opfern.

Zufrieden fuhren wir wieder Richtung Heimat, meine Freundin wusste nun, dass sie die von der Klinik empfohlene Therapie machen will. Kurze Zeit später kam es bei ihr zu einem Darmverschluss, sie wurde wieder stationär aufgenommen. Da sie mit ihrem behandelnden KH-Arzt sehr zufrieden war empfahl sie mir doch auch mal mit ihm zu sprechen, vereinbarte gleich einen Termin.

Ich legte die Befunde vor, der Professor begann laut nachzudenken. „Chemo bringt's nicht, Strahlen auch nicht. Aber Strahlen und Hyperthermie wäre eine Möglichkeit“. So rief er seinen Oberarzt an und informierte ihn, dass ich gleich vorbeikommen werde. Vor irgendeiner Therapiefestlegung sollte eine MRT und ein Skelettröntgen durchgeführt werden. Fest davon überzeugt,dass kein Rezidiv gefunden wird, legte ich mich in die Röhre. 3 Wochen später wurde mir mitgeteilt, dass ich geirrt hatte. Es war wieder ein Rezidiv gewachsen. Der Oberarzt sah zum Fenster raus und sagte: „Zu mir können Sie wieder kommen, wenn die Chirurgen nicht mehr schneiden“. Er empfahl einen Termin in der plastischen Chirurgie dieses Krankenhauses. Meine Freundin nahm mich bei der Hand sagte: „komm, jetzt trinken wir erst mal einen Kaffee, rauchen eine und dann suchen wir die Plastische“.

Diesen Termin nahm ich war, 3 Wochen später sollte die OP sein. Da offenbar keine weitere Therapiemöglichkeit bestand, entschloss ich mich wieder für meinen bereits eingeschlagenen Weg, informierte meinen Arzt. Die plastische Chirurgin teilte mir mit, dass mein bisheriger Chirurg bei der OP anwesend sein wird. Ich war gerührt, dachte, wie sehr doch diese Ärzte auch um mein seelisches Wohlbefinden bemüht sind. Doch, würde dies gut gehen? Ich wollte die vom Onkologen empfohlenen Infusionen bekommen, diese ins öffentliche KH mitnehmen. Auch musste wieder ein Tumorstück verschickt werden. Mein Chirurg sollte hier mit fremden Kollegen zusammenarbeiten. Würde es Kompetenzstreitereien, ausgetragen auf meinen Rücken, geben? Ich bat Freunde während der Operationszeit medidativ Friede und Ruhe in den OP-Raum zu schicken.

Als ich aus der Narkose aufwachte saß meine Freundin schon neben dem Bett, streichelte mich.
Am übernächsten Tag, beim Fieber messen wurde festgestellt, dass ich Fieber hätte. 37,5°. Irgendwie, durch die Körpersprache, durch den Ton der Schwester hatte ich das Gefühl, als wäre dies ein Versagen meinerseits. „Das glaube ich nicht“ stellte ich fest und „gibt's ein nicht digitales Fieberthermometer zum nachmessen?“ Die Schwester kam, setzte sich vor mir, schob das Fieberthermometer unter meine Achsel und blieb, das Ding haltend, vor mir sitzen. Was soll denn das, dachte ich und sagte nicht, dass das wesentliche Silberteil aus der Achsel herausragte. Na ja, dann hatte ich 35,7°. Bei der Visite wurde dann irgendwie eigenartig der Frau Professor mitgeteilt, dass ich 37,5° habe. Nein, das stimmt nicht, stellte ich richtig, ich habe 35,7° und wenn ich Fieber habe, dann nur, weil ich noch nicht auf der großen Seite war. „Wo ist das Problem?“ fragte die Frau Primaria. „Ich kann nicht auf die große Seite gehen, ich spüre das Essen schon im Hals stecken“. „Wo ist das Problem?“ wiederholte sie immer wieder, bis ich sagte: „Na und rauchen will ich auch eine“. So wurde eine Bananenmilch verordnet und 1mal am Tag sollte ich mit einem Rollstuhl zu den Rauchern geschoben werden. Als die Visite den Raum verließ flüsterte mir eine Schwester zu: „passen sie auf, dass sie nach der Bananenmilch genügend zu trinken bekommen“. Hmm?

Nächster Tag um 6 Uhr spürte ich, wie mir ein Löffel ziemlich unsanft in den Mund geschoben wurde. Die Bananenmilch. Jetzt wollte ich es genau wissen, was die Schwester gemeint hatte. Bis 11 Uhr ersuchte ich um Wasser, ich bekam es nicht, nicht einmal ein einziges Glas. Da ich, trotz Erlaubnis, nicht zu den Rauchern geschoben wurde, das Zimmerklo hatte man aus dem Zimmer entfernt, Krücken gab's auch nicht, nahm ich einen Sessel und schob ihn vor mir her, das operierte Bein nicht belastend. Am WC angelangt setzte ich mich zum Fenster-WC, begann meinen Bauch ganz leicht zu massieren und mit meinem Darm zu sprechen: „na kommt's ich brauche euch, seid so lieb und gebt's ein bisserl was her, wir wollen doch keinen Darmverschluss. Bitte nur ein bisserl“. Diese „Methode“ hatte ich von einer alten Hausärztin. Als ich wegen starker Menstruation bei ihr war, ich geschäftlich ins Ausland musste fragte ich sie um Rat. Zuerst sagte sie, ich soll nicht fahren und letztendlich „geh nach Hause und sprich mit deiner Gebärmutter“. Das tat ich dann auch, zuerst etwas spöttisch, dann sehr ernst und intensiv. Es hatte gewirkt, genauso wie hier, der Darm lies etwas frei. Entspannt lehnte ich mich zurück und rauchte eine Zigarette. Es würde keinen Darmverschluss geben. Am nächsten Tag, selbe Handlung nur diesmal: „Nun kommt's ihr könnt das ja, jetzt gebt's alles her“. Der Darm arbeitete zu meiner vollsten Zufriedenheit.

Ich glaube am 5. Tag kam eine Krankengymnastin, sie sollte mich lehren das Bein wenig zu belasten. Unter anderem sagte sie: „immerhin wurde der Satorius amputiert“. Bei wem fragte ich. Na bei ihnen. Bei mir wurde was amputiert? Bitte was ist der Satorius? Ein Muskel. Jetzt wurde ich aber sehr grantig. Warum wurde mir das nicht gesagt, verlangte Einblick in den Patientenakt. Der wurde nicht bewilligt mit der Begründung, dass man ohnehin gleich nach der OP mit mir gesprochen hätte. Es dauerte nicht lange bis ich beobachten konnte, wie eine problemlose Patientenaufklärung funktioniert. Meine vis a vis Bettnachbarin wurde nach ihrer OP in das Zimmer geschoben. Gleich darauf kam die Oberärztin und besprach mit ihr den Operationsverlauf. Die Patientin antwortete und fragte auch – und konnte sich am nächsten Tag an nichts erinnern. Ich möchte da nichts unterstellen, aber ich weiß jetzt, dass ich nach einer Operation absolut nichts entscheiden darf und werde auch in Zukunft ein Arzt-Patientengespräch erst am nächsten Tag erbitten.

Zu Hause, die Hirnwindungen funktionierten wieder, erfuhr ich von meinem Hausarzt, dass er vom KH angerufen worden war. Die mitgebrachte Seleninfusion war, für das schulmedizinische KH-Personal eine tödliche Dosis, man wollte dies hinterfragen. Mit diesem Arzt hatte ich, mit Sondergenehmigug, ein Wochenendseminar für Ärzte besucht, in welchem das begleitende Procedere gelehrt wurde. So konnte er mit gutem Gewissen grünes Licht für meine dem KH übergebene Therapie geben. Ich hatte schon einmal eine Sondergenehmigung bekommen. Bei einer Medizinertagung wurde auch ein Sterbebegleitseminar angeboten. Am Vormittag "kratzte ich verbal noch die Kurve", konnte als ausschließliche Patientin unentdeckt bleiben. Am Nachmittag stellte mich der Vortragende als Patientin vor. Tief beeindruckt war ich von der unterschiedlichen ärztlichen Verarbeitung der Todesfälle. Zeitweise schmerzte es mich Ärzte so leiden sehen zu müssen.

Vom Chirurgen erfuhr ich, dass er bei der Primaria des KH einen Fortbildungskurs besucht hatte und er deswegen zur OP eingeladen wurde.

Ein Jahr später stellte ich mich vereinbarungsgemäß wieder in der Ambulanz vor. 4 oder 5 Studenten (?) kamen mit der Primaria. Ich teilte ihr mit, dass die Operationsnarbe schmerzt, ganz besonders der Hautzipfel, der am Ende der Narbe wegstand und am gegenüberliegenden Oberschenkel rieb. Das kommt von der Chemo, sagte sie, „habe ich nicht bekommen“ (und wurde von ihr auch nicht empfohlen). „Ach so ja, das kommt von der Strahlentherapie“ und ich, „hab ich nicht bekommen“ (und wurde von ihr auch nicht empfohlen). Erstaunt sah sie mich an, sagte „jössas, sie sind die, die alles verweigert“, gab den Studenten den Auftrag meinen Oberschenkel abzutasten, eine Überweisung an ein pyhsikalisches Institut zu schreiben und verließ den Raum.

Mit dem physikalischen Institut machte ich einen Glücksgriff. Die Einzelturnstunde, bei einer sehr engagierten Frau, baute nicht nur meinen buckelig und hinkenden Gang sondern sehr oft auch meine Seele auf.

Bei meiner Freundin wuchsen mehrere, mit freiem Auge sichtbare, schmerzende Dippel. Ein Dippel wurde chirurgisch angegangen – es waren Metastasen. Jedes ½ Jahr war meine Freundin zum Gyn gegangen und nun sollte sie mit knapp 35 Jahren gehen müssen. Sie zog sich immer mehr zurück, auf ihr Hochbett, in die hinterste Ecke. Sie hatte enorme Schmerzen, die Schmerzmittel halfen nicht mehr. So überredete ich sie ins KH zu fahren, schleppte sie in die Ambulanz. Auf der Station aufgenommen konnte sie, schmerzfrei, ca. 3 Wochen später für immer einschlafen.
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