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Alt 11.04.2007, 10:03
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Gedanken zum Leid, zum Loslassen können, zur Freude

Auch wenn es seltsam klingt, die lange und schwere Zeit der Erkrankung meiner Frau war für unsere Partnerschaft eine sehr intensive und schöne Zeit. Wir sind uns nahe gekommen, wie nie zuvor, wir haben Erfahrungen gemacht, wie nie zuvor. Wir haben haben uns weiter entwickelt, wie nie zuvor.

Es waren ALLE Elemente darin enthalten:

Panik, Verzweiflung, Zorn, Freude / Glück über geschenkte Zeit, Verständnis ohne Worte, unendliche Nähe, unendliche Ferne, das Lernen endgültig loslassen zu müssen u.v.a.

Wenn ich es in der zeitlichen Nachschau bedenke, wurde der Prozess des aktiven Loslassens von meiner Frau schon eine geraume Zeit vor ihrem Tod DURCH SIE gestaltet, während ich ihre Situation noch unermüdlich positiv umdeutete. Dabei war bei mir sicher Angst vor den gewaltigen Veränderungen im Spiel, ich wollte an IHREM Leben, an der NICHTVERÄNDERUNG hängen. Bis auch ich eingestehen musste, das ihr Weg unerbittlich vorgezeichnet war. Ich habe sie schließlich bewußt loslassen können. Erst dann war sie bereit, endgültig zu gehen.

Unser gemeinsames Loslassen geschah also eigentlich schon VOR dem Tod meiner Frau. Mein eigenes Loslassen von schmerzenden Erinnerungen NACH ihrem Tod wurde überlagert von der dankbaren Erinnerung, dass wir beide gemeinsam über alles sprechen konnten und auch gemeinsam Schritt für Schritt Abschied nehmen konnten. Wir haben dasjenige getan, was uns möglich war und das war sehr viel.

Ich danke meiner Frau für die unendliche Liebe, die sie mir gegeben hat.

Shalom

NACHDENKENSWERTES:

Freude trotz(t) Leid ; Leid - Der größte Meister des Lebens

Die Leiden und Unsicherheiten unseres Lebens, so schmerzhaft und bedrückend sie auch sind, lehren uns und führen uns zur Reife. Wir ordnen Leid viel zu schnell ein unter Verzicht, Lebensfeindlichkeit oder Strafe. In Wirklichkeit ist das Leid die Voraussetzung von Reifen und Wachsen.

Niemand kann uns so trefflich lehren. Nichts hilft uns im Leben so weiter, wie das Leid. Das klingt für manche Ohren negativ, doch es ist die Wahrheit.

Wir müssen aus dem Mutterschoß, um Mensch zu werden - das ist leidvoll.

Wir werden entwöhnt - das ist leidvoll.

Wir müssen aus dem Elternhaus in die Schule und Ausbildung.

Wir haben das Altern anzunehmen - das ist leidvoll.

Wir haben Krankheit anzunehmen - das ist leidvoll.

Wir haben den Tod anzunehmen - das ist leidvoll.

Wer loslassen kann, gewinnt etwas Neues und Größeres. Wir können nicht im Mutterschoß bleiben, wenn wir Mensch werden wollen. Um das Neue zu gewinnen, müssen wir Altes oft loslassen. Vieles kann im Laufe des Lebens daher nur unter Leid losgelassen werden.


Dazu gehört auch:

Die Kindheit, die keine Forderungen an uns stellt;

Das Allmächtigkeitsgefühl der Jugendjahre;

Die sexuelle Attraktivität und Potenz der jungen Jahre;

Die Autorität der Eltern über die Kinder;

Verschiedene Formen zeitweiliger Macht über andere;

Die Unabhängigkeit von physischen Krankheiten;

Und letztlich das Ich und das Leben selber;

Wenn wir die Pein des Loslassens nicht annehmen, verbauen wir uns die Gele*genheit zum Wachsen und Reifen.

Die meisten Menschen bleiben lieber in ihren alten Mustern und versäumen die Chance und die Freude eines Neuanfangs in eine größere Dimension. Es gilt immer wieder die falsche Identität abzulegen und zu seinem wahren Wesen, zu seiner eigentlichen Identität zu findet.

Das Leid des Lebens ist der große Meister, der den Menschen zu sich selbst und damit zur Reife bringt. Es lehrt uns, loszulassen, um Neues zu gewinnen. Die kontinuierliche Weiterentwicklung braucht oft einen radikalen Sprung ins Neue. Das fällt uns so schwer, doch genau dies führt in die Freiheit.

Meister Eckehart sagte deshalb: "Leid ist das schnellste Pferd zu Gott."

Wodurch leiden wir so sehr?

Wir hängen uns daran fest, wie die Dinge zu sein hätten.

Wir hängen fest, an etwas Schönem, das wir nicht hergeben wollen, aber doch hergeben müssen.

Wir haben Angst, das Schöne, das wir erlebt haben, könnte sich nicht wiederholen.

Wir hängen fest am Verlorenen und jammern und klagen.

Dass wir so viel klagen und lamentieren, liegt nur an unserem Festhängen und Nicht-Loslassen-Können.

Die Leiden unseres Lebens, die Schmerzen unseres Lebens sind der Weg. Erlebt den Schmerz, dem ihr nicht entkommen könnt. Erlebt ihn nicht fatalistisch und masochistisch, erlebt ihn in der Gewissheit, dass er etwas Neues bringt. Lasst gehen, was nicht zu halten ist.

Wenn die Angst kommt, nehmt die Angst an und bekämpft sie nicht.

Bleibt gegenwärtig im jetzigen Augenblick, wie auch immer er sich zeigen mag!

Lasst aus der Hand fallen, was gerade genommen wurde, damit sie neu gefüllt werden kann. Dann trotzt die Freude dem Leid.

Je mehr Übung wir im Loslassen und im Annehmen haben, desto erträglicher wird das Jetzt.

Das Leid zwingt uns zur Entwicklung und zur Reife, ob wir wollen oder nicht. Schneller geht es, wenn wir einverstanden sind.

Natürlich gehe ich zum Arzt, wenn es nötig ist. Natürlich hole ich mir Hilfe in schwierigen Situationen. Aber es gibt so vieles, was wir nicht ändern können, sondern nur annehmen können, bis hin zu unserem Tod.

Auch unseren Tod anzunehmen, in der Gewissheit, es ist ein Gewinn, es geht in eine größere Freiheit. Es geht in eine neue Seinsebene, es ist ein weiterer Schritt in die Fülle. - Auch das Sterben ist Gewinn.

Wie oft höre ich, dass jemand sagt: Es war ein schlimmes Leid. Aber heute bin ich dankbar, dass ich hindurchgehen durfte. Ich möchte es nicht missen.

Eine Frau schrieb mir: "Ich habe Leiden gehasst und sie zu meiden sucht. Ich war erbittert über einen sogenannten Schicksalsschlag. Jetzt aber habe ich entdeckt, dass ich niemals diese Fähigkeit zur Verzückung im Geiste und in meinem Herzen spüren würde, wenn ich nicht durch Leid dahin getrieben worden wäre."

Wir streben nach Balance. Wir möchten alles Schmerzhafte umgehen, aber das Herausfallen aus dieser Balance ist der Grund, warum Neues entstehen kann. Daher gehört Leid zum evolutionären Prozess. Und es gehört zur Transformation.

Wir können über Leid einen Klagegesang anstimmen oder wir können versuchen, es zu unserem Wachsen und Reifen zu nutzen. Erste Voraussetzung dafür ist Annahme. Annahme der Situation, die ich momentan nicht ändern kann. Das Leid wird uns verwandeln.

Die wirkliche Freude des Lebens kommt durch das Aufgeben und Loslassen von letztlich unhaltbaren Positionen. Wer loslassen kann, wird gewinnen. Leid ist der Preis für Reife und Weisheit.

Jede Neugeburt ist mit Leid verbunden. Die Pein des Sterbens ist die Pein einer Neugeburt.

Tod und Geburt sind nur zwei verschiedene Seiten einer Münze.

Petrus nahm Jesus zur Seite. "Dass Du in Jerusalem leidest, das darf nicht geschehen". - "Geh weg von mir Satan", erwidert Jesus. "Ich werde vieles leiden, aber ich werde auferstehen."

Wir haben vieles zu leiden, aber wir werden auferstehen.

Leid ist der größte Meister des Lebens. Die Freude trotzt daher dem Leid, wenn wir loslassen können.

(entnommen aus: http://www.willigis-jaeger.de/vortrag/freude.html)

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So gut wie nichts kann dagegen den Abschiedsschmerz dämpfen, wenn der Tod unwiderruflich zum Loslassen eines geliebten Menschen zwingt. "Diejenigen, die gehen, fühlen nicht den Schmerz des Abschieds. Der Zurückbleibende leidet", heißt es bei dem amerikanischen Schriftsteller Henry Wadsworth Longfellow (1807-1882). "Besonders schwer fällt der Abschied, wenn es mit dem Verstorbenen noch etwas zu klären gegeben hätte", sagt Elke Simon, Theologin bei der Deutschen Hospiz Stiftung in Dortmund.

Schwierig sei auch die sich häufig über einen langen Zeitraum ziehende Trennung von einem Todkranken: "Todkranke haben oft ein Gefühl dafür, wann sie sterben werden", erklärt Simon. Dadurch könnten sie den Tod früher akzeptieren als ihre Verwandten. "Die machen es den Kranken allerdings oft ziemlich schwer, indem sie nicht loslassen können." Häufig quält den Sterbenden dann die Frage, ob der Partner allein zurechtkommen wird.

"Angehörige sollten die Signale wahrnehmen, die der Kranke ihnen gibt", rät Elke Simon. Dann bleibe wenigstens Zeit für den Abschied. Doch oft kämpfen Angehörige mit Schuldgefühlen, die sie davon abhalten, den Sterbenden gehen zu lassen. Dahinter stehe die Befürchtung, den Kampf gegen Krankheit und Tod zu früh aufgegeben zu haben. Nicht loslassen zu können ist nach Simons Ansicht allerdings auch ein kulturelles Problem der heutigen Zeit: "Wo die Familie eine wichtige Rolle spielt, fällt es Betroffenen oft leichter, mit dem Tod eines Angehörigen umzugehen". Die Hinterbliebenen fänden hier mehr Beistand.

(entnommen aus: http://www.psychotherapie.de/report/.../00110101.htm)
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Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel

Geändert von shalom (11.04.2007 um 19:18 Uhr)
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