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Alt 11.02.2013, 13:36
Trüffi Trüffi ist offline
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Standard AW: Keine Therapie - einfach nur nach Hause

Ich habe hier im November nur kurz geschrieben, aber seitdem bin ich ständige Mitleserin... Ich möchte kurz berichten, was mir bzw. meiner Mutter geschehen ist.

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Meiner Mutter wurde am 8. November mitgeteilt, dass Sie Krebs hat metastasiert im Bauchfell. Entweder Ovarien oder Pankreas… Lebenserwartung 3 bis max. 9 Monate… Meine Mutter ist am 29. Dezember in einem Arm gestorben. Die 51 Tage waren schwer, sehr schwer, ich brauche hier niemandem etwas vormachen. Sie starb im Hospiz.

Warum poste ich jetzt? Eigentlich gehört es zu den Hinterbliebenen, aber mir war es wichtig, meine Geschichte hier erst zu erzählen.

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Ich war so verzweifelt bei der Diagnose… Ich habe versucht, meine Mutter zu ermuntern, eine zweite Meinung zu holen, es doch mit der palliativen Chemo zu probieren. ABER: sie wollte nicht. Mein Vater, ihr Mann, war maximal hilflos. Er hat nicht den Charakter, sich gegen Ärzte aufzulehnen, nachzufragen, zu kämpfen. Wisst ihr, was ich meine? Ich bin fast wahnsinnig geworden, hätte gern soviel tun wollen. Ich lese hier ständig, Kontakte aufnehmen in Heidelberg oder in anderen Pankreaszenten. Ich hatte diese Optionen nicht, meine gesamte Familie hätte mich nur für wahnsinnig erklärt, es wäre ein einsamer Kampf gewesen. Meine Mutter ist nicht mehr operiert worden. Sämtliche Details spare ich hier aus.

Sie war soweit, dass sie eine weitere Meinung wollte. Erst nach Hause, ein bisschen durchschnaufen, bisschen zu Kräften kommen und es dann versuchen. Es kam alles anders. Ihr Zustand verschlechterte sich sturzbachmäßig. Es war ein Horror, ihren Zerfall zu sehen, ist auch davon auch immer wieder total überrumpelt worden. Wir kamen nie in eine Phase, wo wir die Ruhe gefunden haben, zu überlegen, was jetzt möglich wäre. Es GING NICHT. Sie brach sich die Hüfte, von dem Sturz hat sich nicht erholt –ich meine kopfmäßig, ab dann resignierte sie immer mehr.

Meine Familie war keine Hilfe, alle wälzten alles auf mich ab. Mama kam mehrfach auf eigenen Wunsch nach Hause. Mein Vater war maximal überfordert. Ich habe versucht, soviel zu helfen, wie es ging… Selbst mit maximalem und liebevollem Pflegedienst und Palliativ Care Team ging es nie länger als 48h Stunden gut. Schon ging es mit Notarzt zurück ins KH. Meine Familie verlangte, dass ich sie ins Hospiz bringe!!! Sie wollte das aber nicht bzw. noch nicht. Ihr Körper war schon soweit, aber ihr Kopf noch lange nicht. Es ging ZU SCHNELL. Ich habe mich trotzdem um einen Platz bemüht und die Gespräche mit den ganzen Stellen am Laufen gehalten. Und irgendwann im KH sah ich sie dann, mehr tot als lebendig, mit Magensonde, die sie nie gewollt hatte. Darüber hatten wir intensive Gespräche geführt… Ich sprach mit dem Oberarzt, und wir kamen überein, dass sie im Hospiz besser aufgehoben wäre. Später am Tag, als ich dann alles Notwendige geklärt hatte, wollte er davon nix mehr wissen, sagte mir nur „wenn sie sie jetzt mitnehmen, stirbt sie heute Nacht an Herz-Rhythmus-Störungen“. Dann konnte ich nicht mehr. TOLLER ARZT!!!

Als meine Mutter am nächsten Tag wieder ansprechbar war, war die Magensonde gemäß Anordnungen entfernt worden… Es war schlimm, den Ärzten zu sagen „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ – aber es entsprach definitiv IHREN Wünschen. Meiner Mutter habe ich das Hospiz dann ans Herz gelegt. Sie hatte es verstanden und eingewilligt, aber den Blick, den sie mir zuwarf, werde ich NIE vergessen. Ich finde es immer noch unfair, dass ich als einzige den Mut hatte, mit ihr zu sprechen. Dafür habe ich dann auch noch diese Blicke geerntet. Mein Bruder hatte viele kleine liebevolle Gespräche mit ihr. Ich habe manchmal den Verdacht, ich wäre am Ende ihr Sekretariat gewesen… Alles über die Beerdigung festlegen (Wo ich dann auch noch bittere Kämpfe mit der Familie hatte, anderes Thema).

Die letzten 13 Tage war sie dann im Hospiz und ich war jeden Tag bei ihr. Ich könnte wahnsinnig viel dazu schreiben, mache ich erstmal nicht.
Die Zeit im Hospiz war die „Beste“. Heiligabend habe ich mit meinem Vater, meinem Mann und meinem Sohn (3 Jahre) bei ihr verbracht, habe ihr den so wichtigen Karpfen gekocht. Es war die letzte Mahlzeit, die sie richtig gegessen hat. Es war mir eine Ehre und Freude, ihr das zuzubereiten… Ich werde es nie vergessen. Nach Weihnachten, am 27. Dezember, hat sie direkt gesagt, dass sie nicht mehr lange möchte. Zwei Tage später ist sie gestorben. Am Abend vorher konnte sie sich noch verständigen, hat sich sogar noch von ihrem kleinen Enkel verabschiedet, der ihr abends die Hand reichte und ihr sagte: „Oma schlaf gut, ich hab dich lieb Oma“. Darauf sie: „Dann geh du jetzt auch ins Bett Clas“. Ich kann nicht beschreiben, wie mich diese Szene zerrissen hat.

Am Morgen kamen mein Bruder und mein Vater dazu, 30 Minuten später hörte sie auf zu atmen. Es war nicht so friedlich, wie ich es erwartet hatte. Es kam soviel braune Flüssigkeit aus ihrem Mund (Entschuldigung, dass ich das hier so schreibe). Ich habe es ihr sanft weggewischt und einfach weiter liebevoll mit ihr geredet, obwohl sie schon tot war. Der Pfleger meinte am Abend vorher zu mir: ich würde meine Mutter sehr sehr gut begleiten. Mich hat das zu dem Zeitpunkt sehr irritiert. Ich wusste gar nicht, wie er das meinte. Ich glaube, jetzt weiß ich es, oder ich glaube es zumindest.

Schlimm ist für mich, dass ich sie gern waschen und umziehen wollte. Typisch für die gesamte Zeit: Mein Vater und mein Bruder guckten mich am Bett total entgeistert an: nach dem Motto: hilfe, sie verliert den Verstand. „Das machen doch die Bestatter“. – fertig. Der Pfleger sah mich an und meinte: wenn sie das möchten, unterstütze ich sie… ich bin dann dort weggefahren, um Kleidung auszuwählen… Es war eine gewisse Strecke zu meinen Eltern nach Hause und zurück. Daher verabschiedete ich mich dann von ihr irgendwie ein wenig SALOPP. Hab gesagt: Mama ich komm gleich wieder und mache dich zurecht…. Dann bin ich fast fluchtartig los. Bei meinen Eltern zu Hause, rief mich der Pfleger an und meinte: „Ich habe sie als sehr starke Frau kennen gelernt und ich weiß, dass sie ihre Mutter herrichten möchten. Aber ich rate Ihnen ab. Ihr Zustand hat sich verschlechtert, es wäre nicht gut für mich, sie nochmal in einigen Stunden zu sehen.“ Ich habe den Rat angenommen ich glaube auch, dass er es gesagt hat, um mich zu schützen. Er meinte: „Sie waren die ganze Zeit über immer für Ihre Mutter da. Jetzt ist sie von uns gegangen und Sie sollten wieder an sich denken“.

Jetzt hadere ich mit diesem raschen Abgang aus dem Todeszimmer. Ich habe sie danach nicht mehr gesehen.

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Warum schreibe ich das alles?

Ich wollte einfach damit zeigen, dass es nicht immer möglich ist, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Ich bin eine moderne junge Frau, in allen Kommunikationskanälen zu Hause, aber niemand hat mich darin unterstützt. So habe ich dann relativ schnell entschieden, dass es meine Aufgabe nicht ist, mit Kliniken, Ärzten usw. zu diskutieren, über Therapien zu debattieren, sondern meine Mutter bedingungslos zu begleiten, in all den vielen Kleinigkeiten, sie sie in der kurzen Zeit, die ihr noch blieb, wollte.

Beim Lesen hier habe ich mich fast täglich gefragt: bin ich denn wahnsinnig, ich schaue nur zu, hier kämpfen alle wie die Löwen um ihre Angehörigen. Gott – bin ich schwach. Aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich glaube, dass es auch so gut und richtig war.
Ich hätte sehr viele Details über die letzten Wochen meiner Mutter, wie es mir dabei ging, was alles passiert ist, was meine Familie alles mir aufgedrückt hat, erzählen. All die schweren Themen, mit denen man sie nicht auseinandersetzen möchte. Aber die tun nichts zur Sache.

Ich weiß, das ist jetzt mal ein ganz anderes Posting…
Ich werde mich vielleicht ab jetzt im Hinterbliebenen Forum austauschen. Ich hoffe, es tut mir gut.

Trüffi, die auch jetzt nach 6 Wochen immer noch fassungslos ist und ständig weint, nachts fernsieht, weil sie nicht schlafen kann und ständig denkt: niemand versteht mich!
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