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Alt 05.11.2013, 03:28
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karpatenkarla karpatenkarla ist offline
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Standard AW: Ernsthafte Gedanken über Tod und Sterben

Liebe Sabine,

auch von mir einen ganz großen und tiefen (Mit)-Gedanken, weil - finde ich - manchmal die Worte fehlen. Aber viele Menschen glauben oder spüren sogar noch die Anwesenheit oder sich beschützt, geborgen - das wünsche ich Dir auch!

Und nimm Dir für Deine Trauer soviel Zeit, wie Du brauchst - das entscheidest nur Du ganz allein - niemand anderes!

Ich war 2 Wochen in einer psychosomatischen Klinik, die den Schwerpunkt vorallem auf Gruppenarbeit - verschiedene Kerngruppen - auch Trauer, etc. legt. Es war eine sehr aufreibende und aber auch positive Erfahrung für mich. Naklar war es keine onkologisch orientierte Behandlung sondern eher gegen Depressionen, Selbstwertgefühl, Ängste - und das war/ist ja das Problem. Wie geht man mit seiner Angst um?

Ich meine nicht die Angst vor Spinnen oder vorm Fliegen - auch wenn mir diese Menschen wahnsinnig leid tun - es ist schwer eine "erlernte" Angst auch wieder zu "verlernen".

Aber meine Angst bezieht sich ja eher auf - ja - das Wort kommt am besten hin - Ungewißheit. Vor meiner Erkrankung war ich mit meinem Tod bzw. Sterben im "reinen" aber jetzt ist es natürlich ein ganz anderes Thema in meinem Leben und vor allem - ein viel zu Großes.

Ich beschäftige mich soviel damit, daß ich tagelang "vergesse" - zu leben. Das Verrückte ist, mein Verstand weiß es ja - auch durch Eure lieben Texte und Information - es gibt Schmerztherapeuten, Morphium, Patientenverfügungen und sogar evtl. Cannabis gegen Schmerzen und "Siechtum". Meine Ärzte haben mir sogar versprochen, daß sie es nicht zulassen im Fall der Fälle - mich leiden zu lassen. Und ich glaube ihnen auch - dafür sind wir schon zulange Jahre beisammen.

Und trotzdem - das Gefühl - die Angst - will irgendwie nicht verschwinden und seit Jahren verderbe ich mir damit meine Lebensfreude.

Es ist so ähnlich wie damals, als ich meine Diagnose bekam: da in unserer Familie Brustkrebs schon seit ich denken kann immer ein Thema war (Oma, Mama), bin ich seit ich 29 bin fleißig zur Vorsorge gegangen, das fühlte sich genauso bescheiden an, wie die Nachsorge. Es war eigentlich 10 Jahre lang
Streß bzw. Angst. Zwar nicht jeden Tag - aber es war immer da.

Als ich dann meine Diagnose bekam war mein erster Gedanke (weil ich hatte mir ja die ganzen Jahre schon ausgemalt, wie es werden könnte, welche Behandlungen, blabla - brauche immer Plan B, C und am besten noch D):

Also mein erster Gedanke bzw. Gefühl: Gott sei Dank - jetzt ist es endlich soweit - jetzt hast du es und jetzt brauch ich endlich keine Angst mehr zu haben.

Verrückt, oder? Die anderen Patienten oder die Ärzte dachten gleich, mit mir stimmt etwas nicht - die meisten Frauen beschreiben diesen Moment als "Himmel auf den Kopf fallen", oder "Boden unter den Füßen wegreißen", ich war einfach nur froh, daß ich keine Angst mehr vor Brustkrebs haben mußte, weil jetzt hab oder hatte ich ihn ja.

Nun nach der ganzen Behandlung und dem sehr positiven Ergebnis, es ist immerhin schon das 4. Jahr, geht es genauso weiter wie zu meinen Vorsorgezeiten. Es ist zum Verrücktwerden, jetzt Angst vor den Nachsorgen - nur ein wenig anders weil: 1. ich weiß, was auf mich zukäme, 2. ich weiß, so schnell stirbt man nicht, 3. ich bin nicht alleine. Das hilft - aber wer hat schon Lust diese ganze Geschichte noch einmal mitzumachen. Ich ziehe mit total zurück, gehe kaum noch aus dem Haus. Ich nenne es das "Klebstofftopfgefühl" - einfach nur in der Küche sitzen und ... nichts tun. Obwohl doch alles gut ist.

Vielleicht denke ich einfach zuviel nach - da in meiner Krankenzeit mein Arbeitgeber insolvent gegangen ist und ich noch meinen festen Job verlor (das war für mich fast schlimmer als die Krankheit, weil ich mich da so sicher und wohl gefühlt habe - ich hatte mein Team - alle wußten es - ich hätte auch Hilfe bekommen), bin ich seitdem zuhause. Ich bekomme zwar eine Zeitrente - aber ich habe viel zu viel Zeit. Habe auch schon mehrere 400-Euro-Jobs begonnen und wieder gelassen - es ist einfach noch zu viel für mich. Aber das jahrelange daheimsein - da denke ich sehr viel nach.

Anstatt respektvoll dankbar zu sein und froh - denn wieviele von uns haben nicht überlebt. Dies macht mich dann noch mehr fertig - fühle mich sehr egoistisch in meinem Verhalten.

Hat jemand von Euch vielleicht auch diese Probleme bekommen?
Eine absolute chron. Depression (bekomme sogar Rente deswegen - unglaublich) - obwohl der Krebs erstmal verschwunden ist und es sehr gut für die Zukunft für mich aussieht laut den Ärzten?

Ich glaube das ist so ähnlich wie bei einer Schwangerschaftsdepression. Alles ist gut überstanden und manche Frauen werden einfach wahnsinnig depressiv.

Und meine zweite Frage bzw. Gedanken, die ich hier gerne mal ansprechen möchte - habe lange überlegt - aber wenn nicht hier - wo denn dann?

Natürlich habe ich in der Chemozeit, OP und danach noch eine OP in/an der Lunge sehr sehr viele Schmerzmittel bekommen, ich konnte noch nie gut mit Schmerzen - egal was - umgehen und hatte immer ein Aspirin bei mir.

Ja und dann - dies alles dauerte ca. 1 Jahr - wurde ich sozusagen "nach Hause geschickt" aber völlig medikamentenabhängig. Dies ist ein Thema, welches ich in Zusammenhang mit Brustkrebs noch gar nicht irgendwo gelesen habe.

Also den Krebs besiegt aber jetzt eine Suchterkrankung? Oder bin ich selber schuld, weil ich soviel Mittel genomen habe, weil ich "Lusche" einfach die Schmerzen nicht ertragen konnte und nie Naturmedizin versucht habe?

Es würde ich wirklich sehr interessieren, ob es Euch vielleicht auch ähnlich ergangen ist.

Wenigstens habe ich es erkannt und konnte so ganz gut dagegensteuern aber lange Zeit habe ich nicht verstanden, daß vieles an den Medikamenten lag.

So - jetzt habe ich aber wieder soooviel geschrieben - das wollte ich doch gar nicht.

Ich wünsche Euch alles alles Liebe und Gute.

Der November ist ja immer so ein seltsam "trauriger" Monat aber ich hoffe, Ihr kommt alle da irgendwie durch und dann beginnen ja schon die Weihnachtsvorbereitungen.

Vielen vielen Dank fürs Lesen und die Informationen, die ich hier immer von Euch bekomme. Es macht mir sehr viel Mut und ich hoffe, ich kann dem einen oder anderen auch etwas postives dalassen.

Alles Liebe
Karpatenkarla

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