Einzelnen Beitrag anzeigen
  #33  
Alt 24.10.2006, 19:26
Joh70 Joh70 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 19.10.2006
Ort: Heilbronn
Beiträge: 5
Standard AW: Magersucht...bin am Ende

Hallo Kerstin,

ich habe deine Berichte gelesen. Ich kann nachfühlen, daß man sich mit Magersucht was beweisen will. Man will nicht nur attraktiv sein, sondern demonstrieren, daß man wenigstens seinen Körper im Griff hat. "Schaut, ich habs geschafft bis auf die Knochen abzunehmen. Könnt ihr das auch?" Es ist eines von vielen Möglichkeiten, wie man sich selbst disziplinieren kann.

Aber Magersucht ist ein psychisches Problem. Sei ehrlich und gesteh Dir das ein.

Du solltest Dir auch klar machen, daß es nur eine von vielen Möglichkeiten ist, wie psychische Probleme zum Ausdruck kommen können. Es könnte genausogut etwas anderes sein. Borderline, Drogen, Geltungssucht, Perfektionismus, etc. Deinen psychischen Problemen ist es völlig egal, ob Du nun hungerst oder drogenabhängig bist. Es ist nur ein untaugliches Medium der Selbstverwirklichung. Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Sortiere Deine Gedanken und Gefühle.

Natürlich kann es auch körperliche Gründe geben, die es chronisch werden lassen. Inzwischen wirst Du wahrscheinlich auch eine Art körperliche Abhängigkeit entwickelt haben. Das Hungern löst bei Dir eine Art Flash aus. Hormone pushen Dich auf. Das Gefühl ausgezehrt zu werden, bringt Dich auf eine Art Hochgefühl. Diese drogenähnliche Abhängigkeit musst Du natürlich gesondert erkennen und darf sie nicht mit den psychischen Problemen verwechseln. Wie gesagt, sortiere Deine Gefühle und lerne besser auf deinen Körper hören. Gewöhne Dich langsam an leckeres und vor allem gesundes Essen. Vergiss Fast Food. Davor ekelt es mich auch manchmal. Beginne mit gesunden Nahrungsmitteln. Salaten, Gemüse. Alles Bio. Nimm dir Zeit zum Einkaufen. Und bewahre Deinen Körper vor Mineralien-, Spurenelementemängel. Sowie Mangel an Vitaminen und Fettsäuren. Ich wünsche Dir nur, daß Dein Körper keine Krankheit wie Krebs oder eine Autoimmunkrankheit aus dieser Situation heraus entwickelt. Dann wird es vielleicht ganz aussichtslos.

Mit der Zeit wirst Du die Symptome deuten lernen. Dann kannst Du sinnvolle Gegenmaßnahmen ergreifen.

Ich bezweifle, daß Du es ohne guten Psychologen schaffst. Es müsste jemand sein, der auch als Mensch zu Dir passt. Wie auch immer, in beiden Fällen, mit oder ohne Psychologe, mußt Du es zuerst wollen.

Geh Du den ersten Schritt. Und lass Dir helfen, den zweiten Schritt zu gehen. Dann geh Du wieder den nächsten Schritt. Ein Bein vor das andere setzen. Schön langsam und behutsam das eigene Leben in Ordnung bringen. Wie wenn ein Kind das Laufen lernt.

Das bedeutet nicht, daß die Probleme aller verschwinden müssen. So ein Leben wird es nie geben. Man hat immer welche irgendwelche Probleme. Man muß nur lernen, sie zu managen. Dann sind es Herausforderungen, die man annimmt oder eben ne zeitlang vor sich herschiebt. Das kannst Du Dir zum Teil auch aussuchen.

Bevor man einen Weg einschlägt, muß man natürlich zuerst wissen, wo man hin will. Und ich glaube, hier liegt das Hauptproblem. Du weißt nicht, was Du überhaupt für Ziele anstreben sollst. Aber es sind nicht Ziele, wie der Studienabschluß, berufliche Karierre, Partnerschaft. Alles Klichees! Solche Dinge können erstrebenswert sein, müssen aber nicht. Sie sind es auf jeden Fall nicht, wenn Sie nicht dem Leben dienen. Nimm Dir Zeit für Dich. Arbeite Deine Probleme auf. Verschiebe den Studienabschluß. Sei erhlich zu Dir selbst. Strebe nach Authentizität.

Was könnte Dir wirklich wichtig sein?

Z.B. dass Du das Leben, daß, Dir gegeben wurde, auf würdige Weise führst.

Was heißt das? Zum einen wäre es einseitig sich selbt und seine Wünsche andauern zum Mittelpunkt des Universums zu machen. Das raubt einem die Illusionen und Visionen. Dann gibt es eigentlich keine Geheimnisse mehr.

Genauso falsch wäre es, nur nach außen orientiert zu sein. Dann strebt man immer nach was und kommt nie an. Die Balance zwischen nach innen gerichtet sein und nach außen gerichtet sein, ist wichtig. Dann kann das Leben spannend werden. Bekommt eine Dynamik. Die Magersucht wird noch überflüssiger.

Ein würdiges Leben heißt auch, Das Du endlich aufhörst nur nach etwas zu Streben, sondern Freude dran hast, Du selbst zu sein. An der Gegenwart. An dem was Du jetzt hast. Auch die kleinen Dinge bewahren und schätzen. Das ist eine Einstellungssache. Sicher kann man die nicht erzwingen. Sie wird einem auch gegeben. Aber man kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß einem diese Sichtweise vom Kosmos, von Gott oder der Umwelt gegeben wird - möglich gemacht wird. Die Meilensteine und Ziele ergeben sich dann von alleine. Wenn man sie erreicht: Gut! Wenn nicht, dann halt nicht.

Natürlich gibt es in dieser chaotischen Welt in der wir heute Leben, genügend Gründe frustriert zu sein. Aber diese Dinge, so allgegenwärtig sie sind, dürfen nicht Dein Innerstes blockieren.

Ganz ignorieren kann man sie auch nicht und völlig unwissend durchs Leben laufen. Das wäre auch falsch.

Kompetenz ist, daß man alles versteht, aber gleichzeitig Prioritäten setzt. Die negativen Dinge, die man nicht oder oder z.Zt. nicht ändern kann, darf man nicht zu nahe an sich rankommen lassen.

Innen drin, bist Du nur Dir selbst verantwortlich. Das muß sich die Waage halten. Aber zuerst mußt Du dich selbst annehmen. Erst dann kann nach außen was kommen.

Das ist ein Spagat, der jedem Mensch schwer fällt. Das ist nicht für Dich eine Herausforderung. Das Problem unserer Zeit ist, daß wir ständig auf das Glück warten und es so nie erlangen.
Mit Zitat antworten