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Alt 06.06.2012, 23:58
Arsinoe Arsinoe ist offline
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Registriert seit: 09.05.2012
Ort: Süddeutschland (ursprünglich Schweiz)
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Standard AW: Was waren/sind eure gesellschaftlichen Hürden?

Hallo
Ich habe mir lange überlegt, ob ich dazu etwas schreiben soll. Ich tue es jetzt, weil mich das Thema beschäftigt, auch wenn ich vielleicht mit dem, was ich schreibe einige verärgere ...
Aber fangen wir von vorne an:
Ganz zuerst ein paar Worte an Blümling: Dass du so jung so ernsthaft erkranken musstest, ist echt sch... Ich bin unheimlich froh, dass es mich erst Mitte 40 erwischt hat! Ich kann deinen Frust sehr gut verstehen.
Ich konnte immerhin einige Jahrzehnte ohne all diese Einschränkungen leben und das habe ich auch gemacht ... gelebt! Ich war/bin zum Glück keine Gesundheitsfanatikerin, sondern habe mir einiges gegönnt und genossen. Darüber bin ich jetzt sehr froh.
Die Lebenspartnerin meines Vaters hingegen, die immer super gesund gelebt hat, ist kurz vor ihrem 60 Geburtstag an einem Herzinfarkt gestorben. *zack!* Ihre Eltern waren schon früh an einem Herzinfarkt gestorben, sie war erblich vorbelastet und hatte wohl kaum eine Chance. Soviel zu dem Nebenthema.
Nun zum eigentlichen Thema: Die Erfahrungen mit der Gesellschaft.
Ich merke auch, dass fast alle meine Mitmenschen mit dem Ganzen überfordert sind. Allerdings kann ich das auch gut nachvollziehen. Mir erging es ja bis vor kurzem auch nicht anders. Meine Mutter ist vor 20 Jahren an Krebs gestorben. Das war eine schlimme Zeit für mich und ich war auch überfordert, habe ihr kaum so beistehen können, wie sie es vielleicht gebraucht hätte.
Ich denke, wir alle waren mal in der Situation und können uns daran erinnern ...
Von dem her pädiere ich für Nachsicht gegenüber unseren nicht-krebskranken Mitmenschen - auch wenn uns ihr Verhalten manchmal wirklich kränkt.
Es gibt zudem noch andere Lebenssituationen, in denen man von seinen Mitmenschen seltsam behandelt wird, gelinde gesagt.
Ich habe ein paar in der letzten Zeit erlebt ... (Konkurs, Arbeitslosigkeit, Tod von nahestehenden Menschen). Da gehen die Mitmenschen mit einem auch irgendwie seltsam um und man fühlt sich wie im falschen Film ...
Jetzt sind die meisten Menschen zu mir immerhin freundlich - anders als nach dem Konkurs oder als ich (in der Schweiz, wo das immer noch absolut ihhhbääähhh ist) arbeitslos war ... Da wird man behandelt wie der letzte Dreck.
Klar, da ging es nicht um Leben und Tod, aber es waren trotzdem sehr belastende Situationen.
Es mag doof klingen, aber im Moment geht es mir besser, als in den letzten Jahren ...
Was meine Zukunft angeht, mache ich mir keine allzu grossen Illusionen. Anders als in Deutschland, wo man dank Schwerbehindertenausweis einen gewissen Schutz hat, ist es in der Schweiz problemlos möglich, jemandem, der schwer krank ist, nach einer gewissen Frist zu kündigen. Ich weiss nicht, ob mir das blüht, aber es würde mich nicht verwundern. (Ich lebe in DE und arbeite in der Schweiz, bin Grenzgängerin.)
Mein Chef und meine Kolleginnen und Kollegen sind sehr nett, senden mir immer wieder Nachrichten, in denen sie schreiben, dass ich doch "bald wieder kommen" soll ... Nun ja, was ist, wenn ich das nicht tue? Wir werden sehen ... Ich habe schon so allerlei erlebt und stelle mich mal darauf ein abserviert zu werden.
Schwer krank wieder einen Job zu bekommen, ist sozusagen unmöglich und als Arbeitslose wäre ich dann nicht vermittelbar (weil krank). Immerhin habe ich das Glück im Moment eine feste Anstellung zu haben, bei der mir während 2 Jahren (pro Krankheitsfall) Krankengeld zustehen, egal, ob mir mein Arbeitgeber kündigt oder nicht. Das ist schon eine gewisse Erleichterung ...
Aber ich mache mir manchmal schon Sorgen, wie es weitergehen wird, wenn ich nicht bald wieder arbeitsfähig bin.
Herzliche Grüsse
Arsinoe

PS: Ich als gebürtige Schweizerin staune immer wieder darüber, dass so viele Deutsche die wesentlich unsozialere Schweiz als Paradies einschätzen.

Geändert von Arsinoe (07.06.2012 um 00:25 Uhr) Grund: Ergänzungen
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