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Alt 09.05.2004, 02:30
Liz und Willy Liz und Willy ist offline
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Standard Gesundheitswesen in der Schweiz

Liebe Esther

Leider haben wir in den letzten Tagen nicht so häufig im Schweizer Thread gesurft, deshalb haben wir erst jetzt von deinem Mail etwas mitbekommen. Sorry. Hättest uns auch direkt eine Mail senden können, wir hätten es wahrscheinlich schneller wahrgenommen.

Wir sind dir nicht böse mit dem was du schreibst, auch wenn du selber im Widerspruch schreibst. Du bist auch keine Ketzerin! Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn du ganz konkret auf konkrete Kritikpunkte hingewiesen hättest und nicht es nicht so allgemein gehalten hättest, so wäre ein gezielteres Antworten einfacher. Wie du weisst haben wir leider schon ein paar gute und schlechte Erfahrungen gemacht.

Wir haben noch nie irgend was erwähnt, dass unsere Erfahrungen, ob negativ oder positiv allgemeine Gültigkeit haben, sondern ausschliesslich von unseren persönlichen Erfahrungen berichtet, die, so wir unterdessen erfahren haben, wirklich nicht unsere alleinige sind und sogar auch von anderen KK Schreibern in Deutschland gemacht wurden.

Ja du hast Recht, dass es Mitmenschen gibt die das erste mal Erfahrungen mit Kliniken machen müssen, leider. Das war bei Willy auch so, da er bis anhin kerngesund war. Das kann positiv oder aber auch negativ sein, wenn sie über irgend welche Probleme in einer Klinik erfahren. Negativ ist es wenn diese Berichte Angst auslösen würden, und da hoffen wir schwer dass wir das nicht tun. Positiv wäre, wenn man aus bereits bekannten negativen Erfahrungen bescheid weiss und in der Lage ist die gleichen Probleme / Vorfälle zu verhindern. Dazu gehört, dass man daraus positive Energien nutzt, um negative Umstände gar nicht entstehen zu lassen, weil man eben darüber schon Bescheid wusste.

Wir sind der Meinung, dass Gespräche und die Fähigkeit Gespräche zu führen, ob als Arzt oder Pflegepersonal, sehr wohl zur Qualitätsbeurteilungskriterien des Gesundheitswesens gehören. Ganz im Gegenteil, gerade das ist das Stützbein oder der Grundstock des Gesundheitswesens. Wir sind sogar der Meinung viele Krankheiten könnten gelindert werden wenn es erstens die adäquate Aufklärung geben würde und sich der Arzt und das Pflegepersonal etwas mehr Zeit nehmen würde für den Patienten. Das kann ich als Krankenschwester wirklich nur unterstreichen. Heute ist ja nicht einmal mehr beim Betten ein Gespräch möglich, weil sie (Krankenschwestern) nicht mehr gross betten!! Oder es wird von Hilfskräften erledigt.

Wir haben unterdessen auch positive Erfahrungen gemacht, dank der Tatsache, dass wir auf den Tisch geklopft haben. Fraglich ist aber doch, dass man überhaupt die Energie dafür aufbringen muss in einem Zeitfenster wo man eh am Rande seiner Kräfte durch den Tag, oder die Wochen geht. Einer Zeit wo man sehr genau mit seinen Kräften haushalten muss und für so Sachen kaum die Energie mehr aufbringen kann.

Dass deine Eltern gute Erfahrungen gemacht haben, oder bedingt gute Erfahrungen ist jedem zu gönnen, der diese teilen darf. Und gönnen wir jedem der das von seinen Erfahrungen sagen kann, leider ist das nicht überall so, und so wie gute gemacht haben kann auch diese Meinung nicht als die alleinige gelten.

Auch wir waren bis das KVG eingeführt wurde 1. Klasse (Baloise) versichert, diese wurde aber von der Versicherung mit der Einführung des KVG’s aufgelöst, weil die Versicherung ihre privaten Krankenversicherungen aus ihrem Sortiment nahm. Wir hatten Glück, wir mussten ohne Vorbehalt (trotz unseren bereits bestehenden „Bräschtelis – ausser Willy, er war kerngesund bis er Krebs bekam!) von der neuen Versicherung übernommen werden, so waren wir zwar nicht mehr 1. Klasse versichert, was an sich gar nicht nötig war, sondern wir hatten einfach die nötigen Zusatzversicherung z.B. Klinikkostendeckung ganze Schweiz, Naturheilverfahren, Spitex und Haushaltshilfe, Krankentransport, Zahnkosten etc.. Also Versicherungsdeckungen die gerade bei chronischen oder schweren Erkrankungen wirklich nötig sind.

Dank den Massnahmen der Sozialhilfe ABER nicht mehr. Die Sozialhilfe kündigte sämtliche Zusatzversicherungen und nun sind wir nur noch KVG versichert. Das Problem fing damit an und wurde zu unserem grössten Nachteil. Und genau da fängt es mit dem 2. / 3. Klassen Gesundheits- und Sozialsystem an – wenn du das Geld hast kannst du versichert bleiben, wenn nicht musst du dich fügen. So bleiben uns verschiedene Möglichkeiten verwehrt, die unser Leben erleichtern würden oder gar gesundheitlich relevant sein können.

Wenn wir das Geld hätten, wären uns die Zusatzversicherungen nie gekündigt worden und wir könnten beispielsweise Willy in die anthroposophische Klinik überweisen lassen, da wir aber leider nicht genügend versichert sind geht es nicht. Und das ist in unseren Augen ein klassisches Beispiel der Klassenmedizin!

Ein weiteres ist; dass uns die Spitex resp. Haushaltshilfe verwehrt bleibt. Wenn wir versichert wären - wenn uns vom Sozialamt diese Versicherungen nicht gekündigt worden wären - könnten wir heute Spitex oder Haushaltshilfe beanspruchen, statt dessen musste ich, als Willy in der Klinik lag, schon in zwei Winter (2003 und 2004) ohne Socken rum laufen, weil ich sie nicht selber anziehen kann und niemand da war um sie mir anzuziehen. Ich hätte die Spitex haben können die mir geholfen hätten, wenn wir die Versicherungen dazu noch hätten. Das Sozialamt deckt anlaufende Kosten für Spitex etc. nicht – wenn keine Versicherung vorliegt - auch wenn der Arzt es für nötig findet und verordnet. So bin sind wir gezwungen darauf zu verzichten. So lief ich halt barfuss rum.

Sogar Klinik- oder REHA-Aufenthalte in einem anderen Kanton werden zum Hürdenlauf und kosten enorm viel mehr Energie als nötig. Wir können nicht einmal in die REHA oder in die Klinik im nächsten Kanton gehen ohne Bewilligung des Kantonsarzt, also hängt es immer von seinem Willen ab ob es bewilligt wird oder nicht. Nur er entscheidet vom Schreibtisch aus ohne je den Patienten gesehen zu haben.

Als wir noch in Basel-Land wohnten hatten wir das Problem, dass für meine leider komplexen Erkrankungen kein Spezialist in diesem Kanton war, vor allem auch keine Klinik oder Abteilung in einer - es gibt nur ein normales Kantonsspital (nicht Zentrumsklinik oder Uniklinik). Der Komplexität meiner Krankheiten wegen wurde ich oft von diesem besagten Kantonsspital ins nächst liegende grosse Zentrumsklinikum oder Uniklinik verlegt (eine stationäre Verlegung als stationäre Patientin), oft musste ich von dort nach hause, weil ich gar nicht genügend versichert bin um dort zu bleiben oder wurde so lange aufgenommen bis der Kantonsarzt seine Entscheidung traf. Dann hiess es oft, ich müsse wieder in die andere Klinik, obwohl sie mich gar nicht behandeln konnten, oder nach hause oder es wurde täglich ein Verlängerungsantrag der Klinik an den Kantonsarzt gemacht damit ich doch bleiben konnte. Diesen Druck im Nacken, bei jeder Visite darauf angesprochen zu werden ist schlicht weg unerträglich, so dass irgend wann mal du den Ärzten sagst sie sollen dich auf deiner Verantwortung entlassen.

Krankenwagenkosten werden nur bedingt übernommen, der Rest wäre von der Zusatzversicherung gedeckt – dass wir in der nächsten Zeit mal den Krankenwagen brauchen werden ist leider nicht ausgeschlossen, können ihn aber nicht bestellen, da wir auf den Kosten sitzen würden. Das ist schon passiert, im November hatte ich einen Tramunfall (er musste eine Notbremsung machen, weil jemand vor dem Tram über die Strasse rannte). Der Ruck des Tram, bei dem Tempo war so stark, dass ich eine Rückenmarksquetschung erlitt und notfallmässig aufgenommen werden musste. Im Wissen, dass wir auf den Kosten des Krankenwagens sitzen würden, fuhren wir weiter bis zur Klinik, Willy hatte eh ein Termin für ein CT und ich einen beim Onkologen um über die ganze Situation zu sprechen (aus diesem Grund waren wir im Tram). Ich übergab Willy in die Obhut der CT Abteilung und ging schweissgebadet vor lauter Schmerzen und ständig umfallend (trotz Gehwagen) zum Onkologen. Ich konnte kaum laufen, hatte grausame Schmerzen, hielt mir ständig den Kopf und lehnte mich vorne über auf dem Gehwagen um mich abzustützen, weil es so schmerzte (bis in die Beine und Arme). Als er mich sah und fragte was los sei, brachte er mich persönlich mit dem Schragen auf direktem Wege auf die Notfallstation. Er wie auch die Ärzte auf dem Notfall schimpfen mehr als nur mit mir, weil ich mit dem Krankenwagen hätte transportiert werden müssen, sie wussten ja erst ca. 5 Stunden später das wirklich nichts gebrochen war, bis dahin galt ich als höchstgefährdet mit verdacht auf Wirbelfraktur (vor allem weil ich ja schon als Kind einen doppelten Halswirbelbruch hatte. 3 Tage später wurde ich entlassen, obwohl ich dringend hätte bleiben müssen. Ich musste einmal mehr heim gehen, weil sie KEIN freies Bett hatten!!!! Die Kanton hat seit 1997 680 Betten gestrichen, um vor allem personal zu sparen! Als ich im November in der Klinik lag und wegen dem Bettenabbau wieder heim musste, weil sie keine Betten frei hatten, waren sie im Begriff die letzten 16 Betten auf der Medizin zu schleissen. So befinden sich dort wo ich als junge Krankenschwester noch beim Umzug in den Neubau mithalf, nicht mehr Patientenzimmer, sondern Büros für Sekretärinnen, Ärzte, die Forschung und Räume für die ambulante Behandlung der Patienten.

In Baselland ist es sogar soweit, dass sie trotz ihrem Bettabbau sogar in den letzen paar Jahren 197 Personen mehr im Pflegewesen einstellen mussten, also hat der Bettenabbau gar nicht einmal den Spareffekt gehabt wie sie es sich erhofften (Nachrichten von dieser Woche!!!)!

Die Empfehlung Willy soll sich an die hiesige anthroposophische Klinik wenden, weil sie für ihn nichts mehr tun können, ist das für einen ehrlich, lieb und gut gemeinten Rat, Und sind eigentlich sehr froh darüber, auch wenn wir wissen es ist ein Abschieben der Schulmedizin da sie an sich nicht einverstanden sind mit dieser Art der Medizin! Es wird dann zu einem Problem wenn uns das Sozialsystem die Möglichkeiten verwehrt, nur weil man nicht zu viel kosten darf, dabei geht es um ca. Fr. 5 bis10.— pro Monat. Das müssen wir nun ausbaden, evtl. in dem uns die letzte Hoffnung genommen wird. Es kann sein, dass diese Klinik für uns noch eine Hoffnung wäre, nur können wir leider nicht hin, aufgrund unseres Sozialsystems. Nur weil uns das Sozialsystem etwas aufgezwungen hat – sie kündeten uns die Zusatzversicherungen -, was wir vorher hatten und nun keine Chance mehr haben uns wieder zusatzversichern zu lassen ohne Vorbehalt auf unsere Krankheiten.

In Naturheilkunde orientierten Kliniken und dazu noch in einem anderen Kanton zu gehen ist uns so aus beiden Gründen (anderen Kanton und Naturheilkunde) leider verwehrt. Mit dem Entscheid der Sozialhilfe wird uns die Naturheilkunde (obwohl eine Überweisung vorliegt), den Krankenwagen, ein anderer Kanton, Zahnkosten, Spitex, Haushaltshilfe und die Kostendeckung von Nichtanerkannte Leistungen wie Spezialcremes, Shampoos für unsere Neurodermitis, Verbandstoff etc. verwehrt, sogar die Spezialschienen die Willy für seinen, wegen dem Krebs, gelähmten Arm werden nicht bezahlt.

Positive oder negative Erfahrungen ist sicher auch von den jeweiligen Abteilungen innerhalb einer einzigen Klinik abhängig. Das die Ärzte keine Zeit haben ist eines der Probleme, ja kann sogar ein grosses Problem sein, aber wenn man sie darauf anspricht, dass man ein Gespräch wünscht gehen viele darauf ein (leider immer noch nicht alle). Wenn aber Kliniken wiederholt ständig die Unterlagen, Befunde, Berichte, Bilder etc. "Verlieren" dann ist es ein Problem des Kliniksystems.

Gerade solche Sachen sollten ja wirklich nicht passieren, und erst recht nicht wiederholt.

Es kann doch nicht sein, das bei einem Patienten, der nota bene Krebs und nicht eine einfache Erkältung hat, dass nicht einmal der Arzt einen Eintrag in der Krankengeschichte zur geführten Konsultation und Untersuchungen macht, sodass der nächste nach ihm folgende Arzt, also ihn ablösende Arzt, nicht einmal weiss warum man dort war und wie sich die Situation seither verändert hat. Das haben wir auf der Neurologie erlebt. Unter anderem auf der gleichen Abteilung wurden dann Fakten falsch in die Berichte geschrieben (anderer Arzt), so dass aus der Diagnose Krebs, einen „Grosszelligen“, ein „Adeno“ und am Schluss ein „Kleinzeller“ wurde! Dir muss ich glaube ich nicht sagen, dass es vor allem zwischen den Behandlungen der ersten beiden Tumortypen und dem letzten, dem Kleinzeller Welten gibt.

Wir können uns grundsätzlich auch nicht wegen irgend einem Arzt auf der Onkologie oder Thorax Chirurgie oder bei mir auf der Rheumatologie und Dermatologie/Allergologie beklagen. Anders sieht es aus auf anderen Abteilungen (leider sind es einige!), aber hier konnte einiges, gerade das Zeit- und Gesprächsproblem, gelöst oder gelindert werden – auch wir haben gelernt auf unsere Rechte zu pochen.

Es ist auch verwerflich wenn Krankenschwestern zu dir als Ehefrau gelangen um die Pflege und das Betten etc. des frisch operierten Mannes zu übernehmen, weil sie einfach keine Zeit dafür haben, nur weil sie wissen, dass ich Krankenschwester bin. Da ist es ihnen egal, dass ich am Gehwagen bin und vielleicht gar nicht kann! So musste ich Willy, um nur ein Beispiel zu nennen, nach 3 Wochen Klinikaufenthalt, nach seiner Operation, selber duschen, weil sie sich nicht die Zeit nahmen ihn zu duschen und er es nicht konnte. Er hätte bereits ein eine Woche nach der Op. geduscht werden können. Er wurde auch nicht gewaschen, obwohl er massiv schwitzte, das Inhalationszeug zu richten wurde mir übertragen – sonst wurde halt nicht inhaliert, das Zähneputzen wurde einfach vergessen ausser ich war anwesend u.s.w.. Er konnte ja erst am 11 Tag das erste mal mit Hilfe ins Bad gehen.

Es kann doch auch nicht sein, dass vor lauter Betten die mit dem Druck des neuen KVG's gestrichen werden, dass Patienten im Notfall nicht einmal mehr aufgenommen werden können oder im Gang liegen müssen nur weil es keine Betten hat. Diese Situation ist in Basel so.

Das hängt leider sehr stark von den lokalen politischen Begebenheiten ab, nebst der ausschliesslichen und individuellen Versicherungsfragen. Vielleicht ist es in Bern anders, hoffentlich. Hier in Basel ist es leider eine schlechte und grausame Realität, die nicht nur wir teilen!

Der letzte Streich war am Freitag dieser Woche, als uns die Ärzte sagten, mit der Begründung sie hätten keine Zeit dafür, wir sollten doch selber eine Internetrecherche machen zu bestimmten Fragen die für sie unklar sind. Sie formulierten uns die Fragen und wir können recherchieren!!!!

Vielleicht verstehst du, dass wir zeitweise echt einen Frust haben und sogar uns verzweifeln lässt, hat aber gar nichts damit zu tun, dass andere Angst vor unseren Klinik haben müssten, es gibt Sachen die bedenklich sind, aber auch Gutes.

Das sind ja nur ein paar Beispiele, und da wir nun als Patient/in, als Angehörige und selber aus dem Gesundheitswesen kommend, können wir sehr wohl beurteilen ob wir ein Drittklassen-Gesundheits- / Sozialsystem haben oder nicht, und wir haben das und zwar schon sehr lange, nicht erst heute!

Wir sind froh wenn ihr nicht kämpfen müsst, aber es ist leider Realität wenn andere es tun müssen. Denk nur an den Frust den Juhu auch hatte/hat – und per Zufall ist es die selbe Klinik!!! Was für ein Zufall!?

Wir hoffen du verstehst es etwas besser und bist uns nicht böse wenn wir unsere ERFAHRUNGEN abladen!

Ansonsten du kennst unsere E-mail Addy.

Liebe Grüsse Liz und Willy und weiterhin viel, viel Kraft für deinen Paps und dich.
(wir haben beide an der Antwort gearbeitet, denn vor allem Willy leidet unter dieser Situation).
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