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Alt 10.12.2002, 00:33
Gast
 
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Standard Kübler-Ross und ihr Sterbephasen Modell

Liebe Afra,

du schreibst :

"Viele Menschen finden einen neuen Weg weiterzuleben, indem sie irgendwann wieder positive Gefühle leben können, eventuell einen neuen Partner finden. Ich dachte dieses Verhalten wäre dir zuwider."

Für mich persönlich schon irgendwie, ja. Schon im Begriff "neuer" Partner liegt Grauen. Doch ich weiß, unsere Sprache ist begrenzt und es gibt keine angemessenen Formulierungen für den T'd, der sowieso jede formulierbare Grenze sprengt.
(Es graut mir auch, wenn ich lese, dass Eltern den T'd ihres Kindes deswegen als besonders beklagen, weil es ihr *einziges* war. Wenn du verstehst was ich meine.)

Aber ich schrieb schon an anderer Stelle, dass DAS nun wirklich rein persönlich ist. Den Weg anderer würde ich in der Beziehung mir nicht anmaßen zu kommentieren. Mit unserem Ausgangsthema und meinem Angriff auf das Phasenmodell von Kübler Ross hat das ja dann auch nichts mehr zu tun.
Denn dort geht es wohl unter anderem darum, die psychische Stabilität von Angehörigen auf Kosten von Kranken zu sichern. (Wie ich noch immer unterstelle.)

Bei einem "Hinterbliebenen" spielt es jedoch keine Rolle, was er tut. Ist ja niemand mehr, für den es wichtig wäre außer er selbst. Ich schrieb ja schon, dass ich nicht recht weiß, was "Trauer" sein soll. Warum erst trauern, um dann "irgendwann", oder "nach einiger Zeit" ...
Warum nicht gleich und sofort ? Welche Wege gälte es erst zu finden ? Alle Wege liegen ja offen rum. Man entschließt sich, weitermachen zu wollen oder nicht. Es geht doch jetzt nicht um "organisatorische Probleme".
Die meisten Trauernden wissen doch schon gleich, dass sie weitermachen wollen. So scheint es mir zumindest bei den Meisten. Wozu dann noch erst stehnbleiben ? Es gibt da auch nichts zu "verarbeiten", worauf eifrige "Trauerpsychologen" ja immer gerne drängen. Denn dazu müsste man wenigstens ansatzweise verstehen können. Vor Leuten, die behaupten den T'd, oder gar seinen "Sinn" zu verstehen, graut es mir am meisten. (Sofern es nicht tiefreligiöse Menschen sind).

Vor vielen Jahren hatte ein naher Freund von mir einen Arbeitskollegen, bei dessen Verlobten per Zufall eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit entdeckt wurde.
Da hatten sie gerade ein Baugrundstück gekauft und mit dem Hausbau begonnen.
Ich war dem Paar nur zwei oder dreimal begegnet, aber mein Freund erzählte viel von ihrem Schicksal und ich fragte auch nach. Sie bauten weiter an dem Haus, doch zwei Jahre nach der Diagnose starb die Frau.
Ein halbes Jahr später heiratete der Typ eine andere Frau und zog mit dieser in das Haus ein.

Damals war ich entsetzt über soviel, wie mir schien, abgebrühte Kaltblütigkeit. Wegen dem Haus und wegen der kurzen Zeit und überhaupt ...
Heute seh ich zumindest das mit der "Zeit" völlig anders. Denn ich weiß, dass Zeit keine Rolle mehr spielt.

Ich wusste schon damals in jener Nacht, als es dann plötzlich vorbei war, wirklich von einem Moment auf den anderen, dass es für mich jetzt genau zwei Möglichkeiten gäbe. Diese eine Erkenntnis war trotz Tränen und Verwirrung von ungeheurer Schärfe und Klarheit. Nämlich sofort weiterzumachen und alles umfassend zu verdrängen, oder mit allem Geschehenen verbunden zu bleiben und daran zu zerbrechen.
Ich wusste auch, dass mir jede der beiden Entscheidungen auf gleiche Weise zustünde, denn für sie würde es ohne Bedeutung sein, sowohl die eine als auch die andere. Dass sie nicht mehr *ist* war mir klar, diese betäubende erste Zeit eines "ich-kann-es-noch-gar-nicht- wirklich-glauben" gab es nicht. Wahrscheinlich ist diese eine Gnade.

Ich halte mich weder für besser noch für schlechter als andere dafür, dass ich mich für den zweiten Weg entschieden habe. Ein dritter hätte vielleicht hinter dem Fenster im Gang gelegen, wenn es sich denn hätte öffnen lassen. Dafür ist es nun zu spät.

Verachtenswert finde ich allerdings in der Tat, wenn Menschen ihre persönliche Entscheidung in einer solchen Situation für besser, gesünder oder sonstwie wertvoller halten und dann aber doch keine Antworten haben auf die Fragen, auf die es ankommt. Und bisher ist mir niemand begegnet, der welche hatte, die sich nicht in Religion oder wunschbezogenen Spekulationen erschöpften. Dann sollte man auch nicht belehren wollen oder abstruse Worthülsen wie "Trauerarbeit" erschaffen. Das für mich wirklich eines der dümmlichsten Neuwörter aus dem therapeutischen Modevokabular darstellt.

Du aber hast auch gar nicht zu belehren versucht. An deinen Fragen vermeine ich zwar deine Perspektive zu erkennen, die eine ganz andere scheint, doch nie kam sie als Anmaßung an.
Vielen lieben Dank dafür !

mach's gut

Lillebror
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