Thema: es tut so weh
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Alt 19.09.2002, 02:00
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Standard es tut so weh

Hallo gela, Lisa,Robbe und Karin,

da ich ja nun schon sehr viel länger trauere als Ihr, habe ich natürlich auch schon viele Phasen der Trauer durchlaufen. Zum einen habe ich festgestellt, dass wir Menschen sehr verschieden trauern. In der ersten Zeit ist man damit beschäftigt alle erforderlichen Dinge zu erledigen, das lenkt natürlich ab und man verbringt die Zeit wie in einem Schockzustand. Dann kommt der Zeitpunkt an dem einem bewußt wird, dass er/sie nie mehr die Tür reinkommt oder anruft. Nach dem Tod meines Sohnes war es auf einmal total still in unserer Wohnung, kein Telefonanruf, keine Besuche von Freunden, kein schmutziges Geschirr mehr in der Spüle - niemanden den man ständig zur Ordnung ermahnen muss. All die kleinen unwichtigen, auch unangenehmen Dinge spielten auf einmal eine große Rolle, ich vermißte das Chaos !
Ich konnte in den ersten 3 Monaten nicht mehr alleine einkaufen gehen, alleine Autofahren bzw. viele Menschen versetzten mich in totale Panik. Dann habe ich nächtelang am Computer gesessen und Briefe an meinen Sohn geschrieben oder auch Karten gespielt, nur um nicht nachdenken zu müssen, tagsüber habe ich geschlafen. Die 13 Monate seiner Erkrankung hatten mich so gefordert, dass ich nur noch "funktionierte", arbeiten war nicht möglich. Als ich dann wieder arbeiten konnte, habe ich jeden Tag 10-12 Stunden gearbeitet, dazu noch Samstags und manchmal auch Sonntags, dann kam der totale Zusammenbruch. Erst nach einer Behandlung in einer psychosomatischen Klinik war es mir möglich auch wieder etwas Lebensfreude zu empfinden. Diese Dinge passierten im Laufe von 4 Jahren, also eine sehr, sehr lange Zeit in der ich versucht habe mich mit dem Verlust einigermaßen zu arrangieren. Heute, nachdem ich im Dezember 01, Kontakt mit meinem Sohn hatte, geht es mir sehr viel besser, obwohl ich an den speziellen Tagen, wie Geburtstag, Todestag, Weihnachten, etc., immer noch depressive Phasen habe, aber ich weiss inzwischen, dass sie auch wieder vorüber gehen.

Ich denke auch oft, dass wir früher vielleicht
auch oberflächlich waren und es uns nicht bewußt war. Nur durch das einschneidene Erlebnis sehen wir viele Dinge jetzt bewußter, die Wertigkeit hat sich für uns verschoben. Menschliche Gefühle sind für uns wichtig geworden, das Materielle erscheint uns sogar unwichtig. Viele Mitmenschen wissen auch nicht wie sie mit einem Trauernden umgehen sollen. Wir denken, dass sie doch den Schmerz spüren müssen, den wir in uns tragen. Sie sehen nur, dass wir uns sehr verändert haben und vielleicht für sie sogar zum Negativen, man ist ungeduldiger, störrischer, etc.

Ich bin noch in einem Forum für trauernde Eltern (leben-ohne-dich), da findet man sehr viele Beiträge über die Trauer, auch über das Verarbeiten von Trauer sowie von Nichtbetroffenen, die uns Trauernden klar machen, was sie von uns erwarten. Ich denke, es ist vielleicht auch für Euch interessant wie unterschiedlich dort die Trauer verarbeitet wird. Es gibt z.B. sehr viele Homepages für verstorbene Kinder, mit wunderbaren Gedichten und Gedanken. Ich weiss allerdings nicht, ob es auch Euch helfen kann.

Karin, Dir möchte ich sagen, dass Du Deinen Mexiko-Urlaub auf jeden Fall machen sollst. Ich war im letzten Jahr zweimal in Mexiko und habe noch nie so freundliche, nette Menschen kennen gelernt und eine so wunderschöne Landschaft wie dort gesehen. Man kann zwar seine Gedanken nicht zu Hause lassen, aber Du mußt Dir einfach vorstellen, dass Dein Vater mit dabei ist und wie gut ihm die Reise gefallen wird. (Mein Sohn hat mir über das Medium ausrichten lassen, dass er weiss, dass ich im letzten Jahr zwei lange Flüge gemacht hatte.)

Lisa, Robbe, das mit dem Niederschreiben ist eine sehr gute Idee. Du siehst ja, dass ich schon meine Ansprechpartner gefunden habe, vielleicht gibt es auch ein Forum für trauernde Ehefrauen, Geschwister, Kinder oder wenn nicht, kannst Du Dir es vielleicht als Deine Aufgabe sehen, die Dir hilft Deine Trauer zu verarbeiten. Schau doch mal in unser Forum leben-ohne-dich, dann siehst Du auch wie groß dort die Reaktionen sind, viele, viele Beiträge und vor allen Dingen findet man dort sehr viel Verständnis, was Du ja im Moment bei Deiner Umwelt vermisst.

Ich wollte mich nach dem Tod von meinem Sohn auch ehrenamtlich engagieren. Ich hatte eine unheimliche Wut auf die Krankenhäuser, Ärzte, ja, die ganze Organisation ! Da mein Sohn 20 Jahre alt war, lag er bei den Erwachsenen. In der Uniklinik Frankfurt lagen allerdings die Krebskranken mit den Herzkranken auf einer Station. Manchmal war er der einzige Krebskranke im Zimmer, na, die Blicke der Besucher von den Herzkranken könnt ihr Euch sicherlich vorstellen, da lag nun ein junger Bursche mit Glatzkopf, dem Tod schon nah, das war eine richtige Sensation. Dann hat eine Oberschwester an einem Sonntag sein Pflaster an der Kanüle nicht gewechselt, obwohl es sich gelöst hatte, weil Sonntag war. Dafür hat sie Nummernschilder der Schränke im Zimmer erneuert. Dann stundenlanges Warten auf das Röntgen, die Bestrahlungen, wir sassen einen Tag von morgens 8.00 Uhr bis nachmittags 17.00 Uhr im Keller, irgendwie abgelegt. Diese Art der "Kleinigkeiten" erlebten wir ständig während seiner 13-monatigen Erkrankung, dass ich mir geschworen hatte, da muss etwas geschehen, ich werde nach seinem Tod etwas unternehmen. Zuerst war ich dazu nicht fähig und wenn ich hier im Krebsforum manche Beiträge lese, sehe ich, dass sich nichts in der Behandlung der Patienten geändert hat. Inzwischen bin ich sehr mutlos und denke, dass es an unserem Krankensystem liegt, dass die Patienten so sorglos und manchmal sogar unmenschlich behandelt werden. Es muss sich vor allen Dingen rechnen, es dreht sich auch bei dieser Krankheit nur ums Geld.

Oh je, das wurde wieder ein langer Beitrag, aber es tut so gut sich mit jemanden auszutauschen, der nachfühlen kann von was man spricht.

Nun schlaft gut - bis morgen !

DORIS
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