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Alt 18.10.2007, 07:29
Liz und Willy Liz und Willy ist offline
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Standard AW: Mami bereitet sich auf ihren Tod vor ...

ZITAT EINER MAIL die wir von einer lieben Mitleserin erhielten - wir möchten das Thema offen mit allen besprechen, deshalb hier ihre Mail und unsere Gedanken und Antwort dazu.

LIEBEN MITLESERIN

************************************************** ********Liebe Liz

Habe soeben in meinem *chrüsi-müsi Ordner geschaut.

Es gibt da eine Yvonne Waldboth, die freischaffende Theologin ist.
Der Bericht habe ich auf die Seite gelegt. Darin steht unter anderem, dass sie vielfach für Menschen da sei, welche der Kirche den Rücken gekehrt hätten. Auch diese Menschen hätten ein Anrecht auf eine schöne Beisetzung.

Zum Schluss steht da:
Seit eineinhalb Jahren (damals) bietet die Theologin daher ihre Dienste für die individuellen Bedürfnisse von entkirchlichten Menschen auf Honorarbasis an:

Ich hoffe Liz, ich bin dir nicht zu nahe getreten!

In Gedanken mit euch

************************************************** ********

Liebes * und alle anderen

Ach es hat mich wieder eingeholt, die schlaflosen Nächte – seit 2.00 Uhr bin ich wieder wach und suche im Netz nach einer Lösung, im wissen es gibt keine.

Wie gut kennen wir doch alle hier das Problem, kaum eingeschlafen, ist man wieder wach und die Gedanken kreisen sich und lassen einem nicht mehr los. Man ist Gefangen in den Gedanken.

Der Horror wiederholt sich nun zum dritten Mal…

Nun zu dir Liebes –

Erstmal von tiefstem Herzen herzlichen Dank für deine liebe Mail. Obwohl du selber im Sumpf des Krebses steckst machst du dir Gedanken darüber wie man das Problem der Konfessionslosigkeit bei der Bestattung beheben kann. Dafür danke ich dir aufrichtig. Nein du bist uns nicht zu nahe getretn ganz im Gegenteil - deine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit mit deinem liebevollen Vorschlag ist wunder schön und wird von uns hoch geschätzt.

Wir schreiben hier offen, denn es erscheint uns wichtig die verscheidenen Fasetten des Todes udn des Abschieds und die Art wie amn damit umgehen kann und könnte zu diksutieren. Wir wollen dem Thema Tod das Tabu nehmen udn es aus der Anonymität herausholen.

Wie ich dir schon geschrieben habe, werde ich hier offen antworten, denn das Thema ist für viele von grosser Bedeutung und doch wird es kaum angesprochen – in der heutigen Gesellschaft wird nicht darüber gesprochen, oder Gedanken gemacht.

Ich möchte, und dies ist auch ein Wunsch von Mami, das Thema Sterben und Tod enttabuisieren (ich war früher Sterbebegleiterin für AIDS Patienten und eines habe ich aus dieser Zeit gelernt, gerade AIDS Patienten und erst recht die Homosexuellen, eine ganz schöne und offene Art haben sich mit dem Tod und Sterben auseinander zu setzen. Nicht zuletzt hat mir dies auch mein Daddy in die Wiege gelegt, er war Künstler (Bildhauer und Goldschmied) aber er war auch Lebenskünstler und darunter verstand er auch das Brechen von Normen, weil der Mensch nicht in Schachteln zu zwängen ist. Man kann den Menschen nicht ISO-Zertifzieren!

Wir möchten Mut machen sich der anonymen Abschiedsnahme und -feiern zu lösen, ja zu trotzen und das Persönliche des Verstorbenen hervorzuheben – egal ob jemand noch in der Kirche ist oder nicht. Es braucht oft nicht viel um den Charakter eines leiben Menschen bei einer Abdankung zu unterstreichen.

Dies machen wir schon seit Jahren so, bei uns in der Familie ist es Tradition, dass wir nie ein Gesteck, Krank oder Gebinde kaufen. Statt dessen gehen wir uns sammeln uns die „Zutaten“ z.B. Moos, Blätter, bis hin zu Baumpilze, Tannenzapfen, Steine etc, im Wald, auf der Wiese und am Fluss bei einem Spaziergang zusammen. Es ist eine Zeit der Muse, wo wir im Einlang mit der Natur und unseren Gedanken um die verstorbene Person sind. Bei Bedarf werden dann Blumen etc. hinzu gekauft und dann werden die Gestecke, Gebinde und Kränze selber gemacht. Die ganze Familie ist dabei und macht mit, wir spielen dann die Lieblingslieder der verstorbenen Person, ja wir suchen in diesen Stunden auch die Lieder für die Trauerfeier aus. Wir sind eine Einheit und somit Stark auch wenn wir uns verloren und schwach fühlen. Dies tun wir erst recht für unsere Liebsten, aber auch für Freunde oder Angehörige unserer Freunde.

Als am 5.12.2001 Vati mit 92 starb (Willy’s Papi) lag ich in der Klinik und erhielt tags zu vor die Diagnose MS (Multiple Sklerose). Ich war gesundheitlich sehr schlecht dran und durfte die Klinik nicht verlassen, ich erhielt aber Stundenweise Urlaub um die Behördengänge zu erledigen und die Abdankung vorzubereiten, so wie an dem Abend als Vati starb auch die Klinik verlassen durfte um mich von ihm zu verabschieden. Trotz diesem Hindernis konnten wir für Vati eine Abdankung mit Unterstreichung seiner selbst organisieren, es brauchte nicht viel und doch war es für Mutti so wichtig und wertvoll, den Abschied so erleben zu dürfen (auch sie war es immer gewohnt, Beten, Singen, Lebenslauf, zack bum aus…. Vati hat mit 90 Jahren angefangen zu malen und hat wunder schöne Bilder gemacht – diese haben wir in der Kapelle aufgestellt, auf Stühlen und auf seiner Staffelei. Wir haben seine Pinsel hingelegt, alles ummauert mit vielen Kerzen. Das Gesteck auf der Urne haben wir selber gemacht und ein Herzgesteck für aufs Grab auch (auch wenn ich in der Klinik lag. Die Gestecke mögen vielleicht nicht die Normen eines Floristen entsprechen, aber sie entsprechen der Person die es galt Abschied zu nehmen. Wir schrieben Vati Briefe die wir vorlasen. Wir überliesen es auch nicht Fremden die Urne von Vati zu tragen und in den Boden zu lassen, nein Willy und ich taten dies gemeinsam – ich trug Vati von der Kapelle bis zum Grab (obwohl ich an Stöcken und am Rollator lief) und gemeinsam liessen wir sie ins Grab runter.

Mutti starb auf den Tag genau 4 Wochen später am 2.1.2002 – an gebrochenem Herzen. Im Wissen, dass sie ihrem Mann, mit dem sie 60 Jahre verheiratet war, nachgehen wollte haben wir auch die Abdankung in diesem Sinne gestaltet. Wir machten, nachdem wir die ganzen Zutaten zusammen gesucht hatten, einen doppelten Kranz der aussah wie zwei leicht übereinander liegende Eheringe aussah. Der eine war mit Moss gebunden, der andere mit Evergreen, einer wunder schönen Wurzel etc., um die zwei Persönlichkeiten von Mutti und Vati zu unterstreichen. Quer über beide Ringe gab es nur 2 langstielige rote Rosen die in schwarzem Tüll gehüllt waren. Auf Muttis Kranz lag eine Perlenkettenimitation, ganz zart sichtbar nur einzelne Perlen – sie liebte Perlen und war bis zu ihrem Tode eine sehr gepflegte Frau (am Morgen ihres Todes, obwohl sie schwach war, wollte sie partout noch einmal baden und ihre Haare waschen – man tritt die letzte Reise sauber an!). Da auf der Todesanzeige das Gedicht des „einen Blattes“ in etwas abgewandelter Form war, wurde auch das Gesteck für die Urne aus einem Blatt gemacht, mit Federn, Perlen und einem Röschen sowie ihrem Marienkäfer den sie von uns bekam als sie Jahre zuvor auf der IPS lag.

Auch als Marc’s bester Freund mit 18 vor 8 Jahren bei einem Tramunfall starb gingen wir so vor, wir nahmen die ganzen Freunde von Thomy mit und gingen in den Wald, im Garten, bei eisiger Kälte dann gestalteten wir gemeinsam das ca. 50x50cm grosse Gesteck, jeder konnte was einbringen. Dazu liessen wir über die Lautsprecher die Musik laufen die sie alle mochten. Ein weiteres Gesteck machten wir und legten es an den Unfallort hin. Die Jungen waren so froh etwas aktives machen zu können und etwas zu gestalten was auf Thomy ausgerichtet war.

Auch als die Mutter unserer Patenkinder starb haben wir es so gemacht – sie starb auf der Strasse an einer Überdosis von verschiedenen Drogen. Unsere Patenkinder sind Pflegekinder einer Freundin von uns und stammten aus einer drogensüchtigen Familie. Der Mann (nicht Vater der Kinder) starb genau 2 Tage nach der Mutter der Kinder am Morgen der geplanten Beerdigung von der Mutter – in letzter Minute wurde die Beerdigung von ihr verschoben, um so eine Doppelpbeerdigung zu machen. Ich hielt die Abdankung ab, wir gemeinsam machten die Gestecke und suchten die Musik aus und jedes Kind durfte ein kleines Gesteck mit Kerze ganz alleine machen. Die beiden Särge wurden mit einer roten Kordel miteinander verbunden – wie es die Ehe ja auch macht. Als drogensüchtiges Ehepaar wären sie normalerweise eher unwürdig beerdigt worden, so aber dürfen die Kinder, auch wenn sie kaum noch Kontakt zu ihrer Mutter hatten (zu ihrem Schutz) aber würdig von ihr Abschied nehmen und mussten nicht davon ausgehen, dass sie einfach verscharrt wurde.

Als der Opa unserer Patenbuben und Vater unseres Trauzeugens starb nahmen wir die Kinder zu uns und gingen genau so vor. Jeder konnte ein eigenes Gesteck noch machen. Der jüngste, damals erst 5, bastelte eine Garage aus Holzparkettriemen und stellte sein von seinem Opa erhaltener VW Käfer rein – leise sagte er Opa braucht doch nun sein Auto um in den Himmel zu fahren (Opa liebte seine VW Käfer). Die Kinder überraschten dann ihren Papi mit einer Einlage an der Beerdigung. Nicht nur liessen sie ein Lied spielen (The Last Song von Elton John, in dem es um die Beziehung zwischen Vater und Sohn geht und den Abschied vom Vater), nein sie standen während der Trauerfeier auf und forderten die Familie und engsten Freunde Kerzen anzuzünden und sich die Hände der Verbundenheit zu geben. Für die 3 Jungs stimmte so der Abschied vom Opa.

Diese Rituale und die aktive Vorbereitung der Abdankung hat uns schon oft geholfen den Tod, das Abschiednehmen und die Trauer besser anzunehmen und mit ihr umzugehen. Für uns stimmt es so, für andere vielleicht nicht. Ich bin fest davon überzeugt solche Rituale sind sehr, sehr wichtig.

Uhhi da bin recht abgeschweift, Sorry!!! Ich wollte aber doch ein paar Beispiele der sehr individuellen Abschiednahme aufzeigen.

Nun zu Mami zurück…

Mami hat zwar der Kirche den Rücken gekehrt, weil sie in ihrer Not, als Papi starb, von ihr Beistand erwartete und nicht bekam. Sie hat aber nicht dem Glauben den Rücken gekehrt. Das ist wahrscheinlich auch ein sehr wichtiger Punkt, es macht es weit einfacher etwas vorzubereiten, das so stark seine Wurzeln im Glauben hat.

Nicht zuletzt wird auch nur allzu deutlich wie stark verwurzelt sie ist, wenn man weiss, dass unsere aller liebste Freundin, nein nicht nur Freundin sondern Freundin, Gotte und Schwester, Nonne in einem Kloster ist. Dies wird uns sicher auch Türen öffnen wo wir weiterhin Trost und Halt bekommen werden und wir für Mami einen Würdevollen Abschied ihr bereiten können – eingebettet im Glauben, in Liebe und Respekt.

Mami wie auch ich, wir sind und waren schon immer Gegner der herkömmlichen „Abschiedsfeiern“, auch wenn wir respektieren, dass Tausende diese Tradition nicht brechen möchten. Wir sind der Meinung, dass der Tod ein Teil des Lebens ist, aber der Tod nicht anonym sein muss, den auch wenn jeder sterben muss, so muss nicht jeder in gleicher Art und Weise verabschiedet werden. Ist es doch nicht so, dass wir im Leben, ja bereits während der Schwangerschaft nur allzu deutlich ersichtlich einen eigenen Charakter haben und diesen im Laufe des Lebens weiter entwickeln. Warum soll man dann anonym durch eine fremde Person, die einem ja gar nicht gekannt hat, verabschieden lassen, in dem ein nichts aussagendes Lied, Gebete und ein Lebenslauf runter „geleiert“ werden, nur weil es so die Tradition ist. Wo ist der Mensch der Verstorben ist, wo ist das Bindeglied zur Person die verstorben ist und den Trauernden Angehörigen und Freunde.

Da sich Mami in den nächsten Wochen wahrscheinlich immer mehr und mehr damit auseinander setzen wird, werden wir eine für sie zugeschnittene und für sie als in Ordnung befindliche Art des Abschieds finden, auch ohne offizielle Religionszugehörigkeit. Mami sagt immer, „Glauben kann man überall auch auf dem Klo!“ und ich muss ihr recht geben, denn es ist vom Herzen abhängig und nicht vom Ort oder von der „Registrierung“ in einer Kirche.

Nun meine Lieben, werde ich versuchen noch eine Mütze Schlaf zu bekommen, auch wenn ich um 9 in der Therapie sein muss….

Gute Nacht am guten Morgen….

S’Doppelpäggli

P.S. Einen Wunsch hat Mami noch, ich natürlich auch, am 4. November, am 5. Jahrestag nach der Diagnose Lungenkrebs wollten Willy und ich im Kloster unser Eheversprechen erneuern und unsere Ehe neu segnen lassen. Der Grund dafür ist, dass wir die Diagnose von Willy’s Krebserkrankung an unserem 23. Hochzeitstag erhielten. Wir haben uns so auf diesen Tag gefreut … nun mussten wir ihn auf irgendwann aufschieben, denn dieser Tag zu begehen ohne Mami käme nicht in Frage. Wir müssen aber zuerst eine etwas stabilere Gesundheit hinbekommen. So werden wir den Tag zwar nicht mehr an unserem Hochzeitstag und 5. Jahrestag feiern aber ganz spontan in die nächsten 1-2 Monate.
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Willy 54 J. LK Pancoast Tumor Adeno. ES 8/02 ED 11/02, Radio-Chemo, Op. 2/03 seither Teilgelähmt, O2-abhängig
Liz MS im Rolli. Gebärm.ca. 8/05
Mami 10.4.1934 - 7.9.2009
inoper. Hirntumor 10/07, Blasenkrebs 1/09
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GEMEINSAM SIND WIR STARK - seit 30 Jahren das DOPPELPÄGGLI!
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