Einzelnen Beitrag anzeigen
  #809  
Alt 16.07.2009, 02:59
Benutzerbild von Kerstin22
Kerstin22 Kerstin22 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 18.07.2006
Ort: Berlin
Beiträge: 874
Standard AW: Krebs und Studium

Liebe Elisabeth,
danke, dass du an mich gedacht hast.
Die Klausur war soweit okay, auch wenn sie besser hätte laufen können. Ich habe irgendwie gerade andere Probleme. Montag traf ich zufällig die Freundin meines Bruders mit meinem Hund, der seit der letzten Transplantation wegen der Keime nicht mehr bei mir wohnen kann. Eigentlich ist es geplant, dass ich am Samstag mit ihm Zug fahre und mich mit meinen Eltern in Bayern treffe. Zum einen musste ich feststellen, dass mein Hund sehr schwerhörig, wenn nicht taub ist, und sehr inkontinent. Das kommt wohl zum einen daher, weil der Tierarzt ihm letzte Woche eine Spritze gegeben hat, die seine Haut besser machen soll. Er hat starke Hautentzündungen und damit bin ich mit ihm schon jahrelang von Tierarzt zu Tierarzt gepilgert. Nun machte ich mir in der Nacht vor der Klausur Gedanken wie ich mit einem inkontinenten Hund Bahn fahren soll.

Der Tierarzt meinte, dass es bis Samstag besser werden müsse. Heute vormittag war ich die ganze Zeit in der hämatologischen Ambulanz. Mein Kreatininwert ist sehr erhöht, meine Lymphozyten zu wenig und ich soll daher mein Immunsupressivum verringern. Mein Oberarzt glaubt nicht, dass ich wieder krank bin, aber ich soll zu meiner Beruhigung ein PET nach meinem Urlaub machen. Er meinte, dass ich vielleicht was im Brustkorb wegen meiner betrahlungen fühle, aber das ist ja schon zwei Jahre her.

Den ganzen Nachmittag habe ich bei meiner Psychologin die Bilder für die Ausstellung in Andenken an die Psychoonkologin aufgehangen. Abends erfuhr ich, dass es meinem Hund, der, während meine Eltern verreist sind, bei meinem Bruder und seiner Freundin wohnt, sehr schlecht geht. Er konnte kaum laufen und sie mussten ihn zum Fressen wecken. Ich frage mich, ob das nicht der Anfang von seinem Ende ist. Morgen will ich nun mit ihm zum Tierarzt gehen.

Mein Bruder und seine Freundin fahren nächste Woche in die Schweiz. Auch wenn ich mich von meinem Hund fern halten soll, weil er laut Tierarzt viele Keime trägt, kann ich ihn doch nicht im Stich lassen. Ich kann ihn nicht in Berlin lassen, aber ich kann auch nicht mit einem schwer kranken Hund Zug fahren.

Ich habe wieder Halsschmerzen und bin total übermüdet, auch weil ich in den letzten Tagen meinen Nachmittagsschlaf ausfallen lassen musste.

Mein Fels in der Brandung, die Mama, ist ja nicht da und da muss ich wohl trotz geschwächtem Immunsystem einspringen.

Spät abends habe ich heute noch mein Gepäck gepackt, was morgen mit meinem Fahrrad abgeholt wird.

Meine Psychologin, die beim Bilderaufhängen die Sache mit meinem Hund mitbekam, meinte ich solle mich schon wegen der Infekte von meinem Hund fern halten. Aber wer soll sich denn sonst um ihn kümmern? Ich kan doch meinen vielleicht sterbenden Hund, er ist ja auch schon 14, nicht im Stich lassen. Mein Bruder ist noch im Klausuren Stress und sein verantwortungsgefühl unserem Hund gegenüber hält sich auch in Grenzen.

Morgen früh wird mein gepäck ageholt und ich frage mich, ob ich dem überhaupt am Samstag hinterher fahren werde. Ich könnte ja vielleicht mit meinem Hund vorübergehend bei meinen Eltern einziehen, damit er seine Keime wenigstens nicht in meiner Wohnung verteilt.

Ich fühle mich gerade vollkommen überfordert und weiß nicht, was ich machen soll. Seit meiner letzten Transplantation habe ich mich relativ wenig um ihn gekümmert, aber wenn alle Stricke reißen, muss ich doch einspringen.

Ich bereue es schon nicht noch abends zu meinem Hund gefahren zu sein. Ich war mit Bilder aufhängen und packen beschäftigt.

Ich kann ja jetzt um 3 Uhr nachts auch schlecht bei meinem bruder anrufen und fragen wie es meinem Hund geht.

Psychisch und körperlich bin ich gerade etwas am ende und deswegen sicherlich auch wesentlich empfindlicher. Seit ich krank bin sind in meiner Wahrnehmung alle Lebewesen sterblicher geworden. Ich habe mehr Angst um die Menschen (und Tiere) um mich herum.

Bevor ich jetz noch mehr hysterischen Müll schreibe, sollte ich vielleicht jetzt aufhören für heute Nacht.

Ich hoffe ihr liegt gerade seelenruhig schlafend in euren Betten und seit entspannter als ich.

bis bald
Kerstin
__________________
Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
Mit Zitat antworten