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Alt 09.07.2014, 23:34
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LSN LSN ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Meine Prüfung hat wieder mal geklappt. Wieder meinem Traum einen Schritt näher. Wieder ein Stückchen Kraft verloren. Wieder vermiss ich meinen Papa mehr und mehr.

Heute kam der Brief vom Nachlassgericht mit einer Kopie des Testaments. Ich hatte Gänsehaut als ich seine Unterschrift sah.

Ich nahm das Ding und wollte es abheften. Und als ob es das Schicksal so wollte, fiel ein Zettel aus dem Ordner.

Nicht irgendein Zettel. Papa hielt damals auf meiner Jugendweihe eine Rede. Und genau die hatte er auch zu Papier gebracht und ich hebe sowas natürlich auf.

Ich hab mich nicht bereit gefühlt dazu das zu lesen. Habe es halb wütend - halb freudig wieder zurück in den Schrank gestopft. Aber noch bevor ich dem Ganzen den Rücken zukehrte, war ich doch zu neugierig.

Also kramte ich den Schrieb wieder raus. Einfach um noch ein bisschen in der Wunde rumzubohren?!

Und so war es wortwörtlich. Die Worte bohrten sich wahrlich durch mein Herz. Ich hatte das Gefühl jede einzelne Zelle zu spüren. Es fühlte sich an wie das intensivste Gespräch mit meinem Papi, das ich je hatte. Das innigste. Ich habe jedes einzelne Worte förmlich inhaliert in der Hoffnung es nie wieder zu vergessen.

Er lies mein Leben von Geburt an bis zu meinem 14. Lebensjahr revue passieren.

Oh Gott, was haben meine Eltern mir für eine tolle Kindheit beschert. Aus jedem Wort sprudelte Papi nur so vor Liebe und Stolz. Aber auch vor Traurigkeit. Traurig darüber, dass er seine Tochter ein Stück weit gehen lassen muss. Darüber, dass ich langsam in die große weite Welt hinaus muss. Darüber, dass ich langsam erwachsen werde. Wenn er damals schon geahnt hätte, wie bald er mich gänzlich ziehen lassen muss. Oder ich ihn?

Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie grausam seine Angst am Ende sein musste, Mami und mich zurückzulassen. Mit all den Grausamkeiten und Gefahren auf dieser Erde, vor der uns Papa tagtäglich erfolgreich beschützte.

Klar, er hatte Angst vor dem Sterben. Wer hat das nicht. Aber vor allem galt seiner Angst immer, dass seine Familie allein dasteht. Ohne ihn. Und ich bin mir sicher, dass genau das sein aller letzter Gedanke war. Ich weiß, dass er für jede Minute gekämpft hat, die er nutzen konnte um für uns zu kämpfen. Und ich kann euch gar nicht sagen, was ich alles aufgeben und tun würde, um noch weiter mit Papi zusammen gegen diesen beschissenen Krebs zu kämpfen.

Und nun weine ich schon wieder und versuche jetzt mal ins Bett zu gehen, die Decke über den Kopf zu ziehen und mir vorzustellen, dass das alles nicht wahr ist.

Ich versuche wirklich nicht vor irgendetwas wegzulaufen. Aber ich erwische mich so oft dabei, dass ich Papas Nummer wählen will. Dass Papa durch die Tür kommt.

Geändert von LSN (09.07.2014 um 23:36 Uhr)
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