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Alt 03.05.2011, 00:18
sonja1309 sonja1309 ist offline
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Registriert seit: 02.05.2011
Beiträge: 2
Standard keine ahnung, warum ich jetzt noch schreibe....

hallo,
ich weiß irgendwie so gar nicht, warum ich jetzt eigentlich noch schreiben will... monatelang hab ich foren durchstöbert, artikel gelesen, nach studien gesucht, bin weinend vorm laptop gesessen... vor zwei wochen ist mein papa gestorben, und bisher habe ich in keinem krebsforum etwas geschrieben.
er hatte ein glio IV, starb 15 monate nach der diagnose, nach 2 operationen, bestrahlung und 2 verschiedenen chemotherapien. er war erst 64 jahre alt und hat zwei kleine enkelchen...
drei tage vor meiner geplanten hochzeit und somit 5 tage vor weihnachten 2009 kam er mit verdacht auf schlaganfall ins krankenhaus. ein CT brachte weit schlimmeres zutage - eine "raumforderung", wie uns der diensthabende arzt nachts gegen 22.30 uhr mitteilte. mehr könne man noch nicht sagen, die neurologen seien erst morgen wieder im hause und dann sehe man weiter.
nach einer schlaflosen nacht bestätigten die neurologen die raumforderung und überstellten meinen papa ein paar tage später in die nächstgelegene klinik mit neurochirurgischer abteilung. das war am 21.12.09, die hochzeit haben wir abgesagt.
am 24.12. durfte er heim, bis zum 04.01. durfte er mit seiner familie (sogar mein bruder aus den USA war da, der ja eigentlich zur hochzeit angereist war) weihnachten und den jahreswechsel verbringen.
am 05.01.10 die erste OP. drei (!!) bange wochen bis zum endgültigen tiefstschlag: glio IV.
irgendwie war es wie ein schlag ins gesicht... der erste schock nach der diagnose vor der OP, dass es ein tumor sei, war schon vergessen. man konzentrierte sich auf die wundheilung und dachte eigentlich: ui, blaues auge, das war knapp! aber selbst wenn das bösartig sein sollte, gibt es noch chemo und bestrahlung und dann gehts papa halt eine weile nicht so gut aber danach ist er wieder fit!
so sollte es wohl dann doch nicht sein... die diagnose kam 10 tage nachdem ich erfuhr, dass ich schwanger bin! 3 - 6 monate gaben die ärzte meinem papa, hierbei seien chemo und bestrahlung schon berücksichtigt!
mein papa würde sein enkelchen also nie im arm halten!! bei mir stellten sich tagsdrauf blutungen ein und ich lag 4 wochen zuhause mit der angst, das krümelchen zu verlieren. ich habe es nicht verloren, es hat sich festgekrallt und gekämpft wie sein opa! es hat narben davon getragen, aber die lassen sich behandeln. während mein bauch wuchs musste ich mit dem gedanken daran fertig werden, dass die sanduhr meines papas gegenläufig lief.
die im dezember abgesagte hochzeit fand dann im mai statt - mit dickem bäuchlein und einem brautvater, der sich an diesem tag das erste mal nicht selbständig anziehen und waschen konnte. nach erfolgter bestrahlung und chemo hatte er sich so gut erholt, dass wir eigentlich schon alle an eine fehldiagnose glaubten - jedoch wurde uns wieder 3 tage vor der hochzeit der boden unter den füßen weggezogen: rezidiv, 4 x 4 cm groß! wir heirateten im allerkleinsten kreis und aßen die torte zuhause. ich glaub der standesbeamte hat noch nie eine braut so sehr weinen sehen... nicht vor freude.

am 11.06. dann die zweite OP, dieser tumor konnte vollständig entfernt werden (der im januar nicht, da die lage ungünstig war).
ab juli ging papa in die 5-wöchige reha und erholte sich sehr gut. auch zuhause ging er weiterhin zu logo, ergo und physio. er konnte sich selbst versorgen (mama war da, aber er brauchte kaum hilfe), schmiedete pläne, von "sterben" war nie die rede. er redete hingegen von seinem enkelchen, dass im september geboren werden soll.

am 06.09.10 gingen die wehen etwas früher als geplant los und der kleine kam per kaiserschnitt zur welt. im vorraum des kreißsaales weinte ich hemmunglos, die ärzte waren ganz verunsichert. mir fiel ein stein vom herzen - mein papa würde sein enkelchen noch erleben. ich hatte die ganze schwangerschaft über angst, dass dem würmchen etwas passieren könnte, dass ich und der kleine mann in mir diese situation nicht meistern würden. und nun lag ich eine halbe stunde davon entfernt, meinen krümel in den arm gelegt zu bekommen! ab jetzt keine angst mehr haben müssen, sich für die zeit die noch bliebe nur noch auf das baby und papa konzentrieren können... weit gefehlt! der kleine wurde mir mit einer bis dahin nicht bekannten lippen-kiefer-gaumenspalte in den arm gelegt. völlig ohne vorbereitung, ohne ahnung was diese erst mal oberflächlich scheinende spalte noch nach sich ziehen könnte... also wieder kein "weitesgehend unbeschwertes familienleben" sondern wieder angst, sorge, hektik, umverlegungen, untersuchungen...
mein papa feierte 9 tage nach geburt seinen 64. geburtstag und alle waren da ;-) es war ein so schöner tag! seit der OP im januar nahm er fortwährend temodal ein. es ging ihm gut, sogar urlaub mit dem wohnmobil war möglich. der kontroll-MRT war gut, keine neubildung.

im dezember musste mein papa wieder zur kontrolle - es sah alles immer noch gut aus, keine neue tumorbildung! weiterhin temodal zur stabilisierung und erneute kontrolle nach 3 monaten.

im februar stellte man ein erneutes wachstum fest - auch hatte er ein wenig nachgelassen, war etwas schwächer geworden und hatte immer wieder ausfälle der linken körperhälfte.
die temodal wurde auf pcv umgestellt. ein antrag auf avastin wurde gestellt. der tumor sei inoparabel.
etwa 5 wochen nach der umstellung auf pcv bekam mein papa plötzlich starke kopfschmerzen und erbrach sich ständig. hirnblutungen! am selben tag musste ich meinen dann 6 monate alten jungen ins krankenhaus bringen, der am nächsten tag seinen ersten eingriff haben würde. mein mann ließ sich mit ihm einweisen, da ich auch noch mit einer grippe kämpfte und daher eh nicht mitaufgenommen werden sollte. so konnte ich zwischen beiden kliniken pendeln... papa erholte sich nach einer nacht, in der es hieß dass er es vermutlich nicht schaffen würde, erstaunlicherweise wieder recht gut. recht gut in dem sinne, dass er wieder ansprechbar war, bei fast klarem verstand, wieder selber das essbesteck halten konnte. jedoch konnte er nicht mehr laufen und man musste ihn auf den nachtstuhl setzen und im rollstuhl an den tisch zum essen schieben. das war ihm immer sehr wichtig - am tisch essen, mit den anderen!
nach 2 wochen palliativstation ging er wieder heim. dort wartete nun das pflegebett auf ihn. nach 1 woche kam er wieder mit lungenentzündung auf die palliative. nach 1 woche ging es wieder heimwärts.
bis zum letzten tag (etwa noch 2 wochen) nahm er alle mahlzeiten mit den anderen am tisch ein, die letzten tage urinierte er in die flasche und nahm nur für das große geschäft die strapazen des aufstehens, in den rollstuhl setzen, auf toilette, wieder runter, zurück ins bett auf sich.
am freitag, dem 15.04. dann (er war schon ein paar tage etwas müder als sonst, aber hatte eigentlich immer noch seinen cortison-hunger) meinte er, er sei voll, es passe nichts mehr in den bauch... er konnte auch nicht mehr mithelfen, vom rollstuhl ins bett zu kommen. das erste mal, dass er sagte: tut mir leid, ich kann nicht... es geht nicht...
als er dann im bett lag, dämmerte er weg... in der nacht waren wir kinder und mama bei ihm. wir saßen alle um sein bett, hatten unsere läger ringsrum aufgeschlagen. er atmete sehr unregelmäßig, dann bekam er schmerzen im bauchbereich. die ambulante palliativschwester meinte, dass er vermutlich innere blutungen hätte. sie ließ uns einige aufgezogene spritzen mit morphin da und legte einen subkutanen zugang am oberschenkel. papa war nicht mehr ansprechbar. wir hielten seine hand, streichelten ihn und redeten ihm zu, dass er loslassen könne und sich keine sorgen um uns machen müsste... alles wäre in ordnung und wir würden klar kommen ohne ihn. wir würden ihn sehr vermissen, aber er könne loslassen und dem schmerz entfliehen. alle 2 -3 stunden gaben wir ihm morphin.
die nacht war unruhig, zum morgengrauen hin fiel er in einen tiefschlaf und atmete regelmäßig aber flach, manchmal schnappte er nach luft, sein mund stand offen und er röchelte. seine besten freunde wurden angerufen und sie kamen. alle waren nun da. um 14.32 blinzelte er nochmal kurz in die runde und holte ein letztes mal tief luft...

das ist nun etwas über 2 wochen her - mir scheint es, als läge ein ewigkeit dazwischen. ich habe kaum geweint seit seinem tod - ich habe die 15 monate davor viel geweint, hatte schlimmste alpträume, wachte schreiend und schweißgebadet auf, konnte an manchen tagen nicht aus dem bett aufstehen (schwanger, hormone, stress...). fuhr ich am bestattungshaus vorbei, brach ich in tränen aus und musste rechts ranfahren... kam im radio ein langsames lied brach ich in tränen aus... der gedanke an die organisation der bestattung, der ganzen sache, schnürte mir die kehle zu. ich war mir sicher, dass ich nicht mal in der lage sein würde an der trauerfeier oder beerdigung teilnehmen zu können.
und jetzt? wir haben alles erledigt was erledigt werden musste. wir weinen fast nicht, zumindest nicht zusammen. jeder für sich?!?! vielleicht... heut wollte ich mich an seine stimme erinnern und konnte es nicht! nur an die kränkliche, schwache stimme, an das flüstern wenn ich mich über ihn beugte und immer zum abschied küsste, an das "bis morgen". aber nicht an die stimme von papa, wie sie vor der krankheit war, wie sie ja eigentlich für mich 33 jahre lang war! es ist alles so weit weg!

ich war immer der meinung, dass mir ein schneller tod für ihn lieber gewesen wäre - herzinfarkt oder so. bis zu dem moment alles genießen und erleben, keine angst vor dem morgen oder was wird wenn man nicht mehr ist - und dann ZACK BUMM AUS!! er hatte zwar bedeutend länger als ihm prognostiziert war, und er schien diese zeit sehr genossen und intensiv gelebt zu haben. aber kann man das wirklich "genießen"??? diese gewissheit vor der ungewissheit, dieses "erlebe ich dies und jenes noch?? was wird dann aus meiner familie?? ist dies mein letzter geburstag/letztes ostern/letztes irgendwas???. KANN MAN DAS GENIESSEN??
geht es uns deshalb "so gut", weil wir die trauerarbeit schon seit 15 monaten leisten?

ich weiß nicht, warum ich das alles jetzt hier noch geschrieben habe... monatelange habe ich andere geschichten gelesen und geweint, und diese hier schreibe ich ohne eine träne. ich hab meinen papa sehr geliebt, ich war ein papakind. und ich werd meinem kleinen schatz, der noch auf opa´s schoß sitzen konnte und dem er in seiner art jetzt als baby schon so ähnlich ist, viel von seinem opa erzählen. ihm erzählen, wie tapfer der opa war, wie er gekämpft hat um ihn noch im arm zu halten und ein wenig zeit mit ihm verbringen zu dürfen. mein kleiner hat nächste woche seine zweite OP, der lippenverschluss. mein papa hat ihn somit nur mit seinem breitesten lächeln gekannt - aber ich bin sicher, dass er bei der OP dahei ist, dem ärzteteam über die schulter schaut, max den schweiß von der stirn wischt und auf ihn aufpasst. und ich bin (ist das egoistisch??) froh, dass papa vor der OP gestorben ist - es war die schlimmste nacht meines lebens, meinen kleinen sohn in einem krankenhaus zurücklassen zu müssen mit dem wissen, dass er am nächsten morgen operiert wird, und aus diesem krankenhaus in das zu gehen, in dem mein vater im "sterben" lag. mit dem wissen, sich verabschieden zu müssen und am folgetag/abend, nachdem die OP vorbei und max wieder einigermaßen fit ist, keinen papa mehr zu haben.
so ist es einfacher. jetzt kann ich mich auf meinen kleinen schatz konzentrieren.
okay... jetzt habe ich euch von mir/uns erzählt... ich weiß auch nicht, irgendwie fühl ich mich "leichter" und werd jetzt gleich mal ins bett gehen.
ich habe vermutlich niemandem hoffnung gemacht, der in der lage des betroffenen oder angehörigen ist - aber ich glaube, hoffnung gibt es bei dieser diagnose keine. noch nicht. vielleicht in vielen jahren mal. habe das mit der nanotherapie von magforce gespannt verfolgt, ist seit diesem quartal im einsatz, ganz neue therapieform. aber dazu war mein papa dann doch zu schwach. aber auch das wäre nur eine verlängerung, keine heilung.

ich wünsche allen betroffenen und angehörigen viel kraft auf den weg und kann abschließend einen spruch wiedergeben, der auf einer der zig beileidskarten stand und der treffendste aller sprüche war (und mir bis dato unbekannt):

MAN SIEHT DIE SONNE LANGSAM UNTERGEHEN UND ERSCHRICKT DOCH, WENN ES DUNKEL WIRD.

alles liebe,
sonja
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