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Alt 04.08.2005, 08:58
Vida Vida ist offline
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Registriert seit: 07.06.2004
Beiträge: 72
Standard R., Du fehlst mir so!

Lieber R.,

heute ein Märchen. Aus einem bestimmten Grund.
Du kennst ihn - du weißt ja, was in mir vorgeht.

Er fehlt mir. Du fehlst mir.

Hugs,
Vida

....ein Märchen.....

Die traurige Traurigkeit
Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg
entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr
Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen
Glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei einer

zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah
hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen,
das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos.
Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit mensch-
lichen Konturen.

Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte:
"Wer bist du?" Zwei fast leblose Augen blickten müde
auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die
Stimme stockend und so leise, daß sie kaum zu hören
war. "Ach, die Traurigkeit!" rief die kleine Frau
erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte
begrüßen. "Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit
mißtrauisch. "Natürlich kenne ich dich! Immer wieder
einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum

flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine
Angst?" "Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine
Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, daß du jeden
Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will:
Warum siehst du so mutlos aus?" "Ich... ich bin
traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger
Stimme.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig
bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll
mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."
Die Traurigkeit seufzte tief.
Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen?
Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. "Ach,
weißt du", begann sie zögernd und äußerst verwundert,
"es ist so, daß mich einfach niemand mag.
Es ist nun mal meine Bestimmung, unter den Menschen
zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu
verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken
sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden
mich wie die Pest."

Die Traurigkeit schluckte schwer. "Sie haben
Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen.
Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter.
Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen
und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht.
Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen:
Man muß sich nur zusammenreißen. Und sie spüren
das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie
sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufge-
stauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder
aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen,
damit sie mich nicht fühlen müssen." "Oh ja",
bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir
schon oft begegnet."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich
zusammen.
"Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich
ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen.
Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu
pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut.

Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte
Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer
zuläßt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine
Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht,
daß ich ihnen dabei helfe.
Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über
ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer
aus Bitterkeit zu."

Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach,
dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die
kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt
tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich
anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das
zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte
sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft
sammeln kannst. Du sollst von nun an
nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten,
damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete
sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin:
"Aber
... aber- wer bist eigentlich du?" "Ich?" sagte
die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte
sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen.
"Ich bin die Hoffnung."
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