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  #1  
Alt 21.11.2005, 10:55
sonja.schuster sonja.schuster ist offline
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Ort: Überlingen
Beiträge: 50
Standard AW: komm' nicht mehr raus....

Hallo Jule,

ich habe gerade Deinen Beitrag gelesen, weil ich auch in einer ähnlichen Situation bin. Du bist nicht alleine mit Deinem Kummer, glaube mir. Hier im Forum gibt es viele Menschen, denen es genau so ergeht, aber jeder empfindet es natürlich auf seine Weise.

Mein Vater liegt seit 4 Wochen auf der Intensivstation, wird beatmet und hat jetzt einen Luftröhrenschnitt zusätzlich, die Ärzte wissen nicht mehr weiter, was noch getan werden könnte. Die Ursache seiner Erkrankung ist immer noch nicht klar, deshalb geben wir auch die Hoffnung nicht auf. Meine Tante (seine Schwester) hat gerade die 2. Chemotherapie nach Brustkrebs, sie hat schon beide Brüste weg und jetzt einen neuen Tumor Richtung Lunge. Mein Cousin, meine Tante mütterlicherseits und mein erster Mann sind an Krebs gestorben. Ich selbst habe mit 28 Jahren eine Unterleibsoperation gehabt, war damals aber noch rechtzeitig und hat nicht gestreut, so daß seither, ich bin jetzt 51 Jahre alt, keine Probleme mehr habe und die Nachsorgeuntersuchungen o.k. sind.

Ich möchte Dir damit zur sagen, daß Du nicht verzweifeln sollst. Weine ruhig und versuche einmal, hier im Chat Deine Gedanken los zu werden. Ich habe bis vor 3 Wochen nie gechattet und hielt dies immer für "dummes Kinderspielchen", aber hier im Forum ist das ganz anders. Ich schöpfe so viel Kraft und Trost aus diesem Medium, daß ich mich jetzt auch entschlossen habe, zu den Geburtstagseinladungen meiner Freundinnen (werden beide nächste Woche 50) zu gehen. Ich weiß noch nicht, ob ich es durchstehe und ob ich weine oder lache, ich werde sicher viele Menschen dort treffen, die alle meinen Papa kennen und nach ihm fragen werden, - aber ich weiß, daß er NICHT will, daß ich nur zuhause sitze und weine.

Ich bin für ihn auch immer die starke Tochter, auf die er so stolz ist (bin das einzige Kind)!!!! Auch er ist ein unglaublich willensstarker Mann, Marke "Deutsche Eiche", wenn Du weißt, was ich damit sagen will. Er war zu sich und zu anderen immer recht hart, wenn es um Gesundheit und vor allem um Krankheit ging, aber alles nur Fassade! Nun liegt er da, ist geistig vollkommen fit - na ja, er bekommt natürlich Schmerzmittel und Stimmungsaufheller usw. - , kann nicht sprechen, hat trotz allem Schmerzen und möchte heim. Aber dies ist genau der einzige Wunsch, den ich ihm bei aller Liebe derzeit nicht erfüllen kann, er kann nicht einmal einen Buchstaben mit seiner Hand auf die Bettdecke malen, weil ihm dazu die Kraft fehlt. Er wird beatmet, ernährt über eine Darmsonde, weil der Magen bereits entfernt ist und er überhaupt nicht mehr schlucken und sprechen kann, hatte jetzt Ende Oktober eine Darmverschluß-Operation mit anschließender Lungenentzündung mit Operation, damit alles ablaufen kann, jetzt eben seit fast 4 Wochen auf Intensivstation, und nun zur "Krönung" den Luftröhrenschnitt, damit er "leichter" atmen kann. Er bekommt medizinisch gesehen alles Notwendige, aber ihn so leiden zu sehen macht mich jedes Mal total fertig. Ich weine viel und sehe schon aus wie ein verquollenes Monster. Es macht mir aber nichts aus, wenn andere sehen, daß es mir schlecht geht, weißt Du. Manchmal fluche ich auch richtig lästerlich, wenn ich alleine bin, um meine Wut und Verzweiflung raus zu lassen.

Schließlich braucht mich meine Mutter auch, denn sie ist gesundheitlich sehr angeschlagen und kann den Zustand von Papa nicht verkraften. Die Klinik ist auch weiter von unserem Heimatort entfernt, so daß nicht jeden Tag Besuche möglich sind. Auch bei ihr bin ich die starke Tochter, soll sie sich doch nicht auch noch Sorgen um mich machen müssen, weißt ja selbst, wie man denkt.

Hast Du jemand, der Dich zuhause auffängt? Bist Du gläubig? (Tschuldige, ist vielleicht eine sehr intime Frage, aber meiner Mutter z.B. hilft es sehr, ich selbst hadere eher mit "dem da oben").

Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, daß Du diese Zeit bald hinter Dich lassen kannst, und fühle mit Dir. Vielleicht hilft es Dir, wenn Du Dich hier im Forum beim Chat mit beteiligst, Du wirst sehen, es gibt viele Menschen, die in einer solchen Situation stecken. Habe einfach Vertrauen und den Mut, Dich hier weiter anzuvertrauen.

Geändert von sonja.schuster (21.11.2005 um 10:57 Uhr)
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  #2  
Alt 21.11.2005, 11:12
AndreaM AndreaM ist offline
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Standard AW: komm' nicht mehr raus....

Liebe Jule,

Du ärmste weisst ja vor Angst nicht mehr ein und aus - ich weiss noch genau wie hilflos ich mich gefühlt habe, als meine Mama die Diagnose "Krebs" bekam. Ich hatte solche Angst und konnte nichts tun als Diagnose für Diagnose abwarten. Ich möchte mich hier meiner Vorrednerin anschliessen: Wenn Du das Gefühl hast, Du schaffst es nicht allein, dann such Dir Hilfe bei einem Arzt. Es ist keine Schande, einen solchen Schlag nicht allein verarbeiten zu können.

Und jetzt auch noch Angst Deinen Mann zu verlieren? Dazu möchte ich Dir gerne raten: sprich mit ihm, öffne Dich - nur so kann er verstehen was Du durchmachst. Sag ihm wie sehr Du fürchtest, Deine Mutter zu verlieren. Wie sehr Dich die Hilflosigkeit belastet, und wie sehr Dich all das lähmt. Offenheit ist in einer solchen Situation die einzige Möglichkeit, sich nicht zu entfremden. Er kann Deine Gedanken nicht lesen - Du musst sie ihm mitteilen. Vielleicht kann er Dich dann stützen, damit Du den Weg nicht allein schaffen musst.

Ich wünsche Dir alle Kraft, die Du für die kommende Zeit brauchst!
Andrea
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  #3  
Alt 29.11.2005, 09:43
juhlie juhlie ist offline
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Standard AW: komm' nicht mehr raus....

danke für eure lieben worte!
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  #4  
Alt 29.11.2005, 09:49
juhlie juhlie ist offline
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Beiträge: 45
Standard AW: komm' nicht mehr raus....

es hat mir in so weit geholfen, daß mal jemand meine gedanken gelesen hat....das sie irgendwo sind und nicht nur in meinem kopf...sie werden deshalb nicht freundlicher aber...ich weiss auch nicht...

lg
jule
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  #5  
Alt 03.12.2005, 14:13
leonore leonore ist offline
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Beiträge: 182
Standard AW: komm' nicht mehr raus....

hallo juhlie, ich glaube dir, dass du aus diesem loch allein nicht raus kommst, wie denn auch, jetzt noch die verlustangst um den mann. hier bei uns gibts ambulante hospizschwestern die für die kranken und genauso wichtig für die angehörigen da sind. ich bin froh, dass jetzt nach dem tod meines schatzes diese frau da ist, die mich anruft und besucht, egal um welche zeit, mir zuhört bei der ich weinen kann und auch zum 100mal die gleiche geschichte erzählen darf. vielleicht wäre das auch für dich eine hilfe. einen geliebten menschen leiden zu sehen und machtlos gegen die krankheit zu sein, bringt einen an den rand der verzweiflung. vielleicht kannst du ja mit deinem arzt mal darüber reden, dass du hilfe brauchst. man muss nicht alles allein tragen vielleicht kannst du ja auch deinem mann erklären, wie es in dir aussieht. ich wünsche dir viel kraft für dieses gespräch. sei lieb gegrüßt von leonore
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  #6  
Alt 05.12.2005, 12:53
Monika D Monika D ist offline
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Beiträge: 8
Standard AW: komm' nicht mehr raus....

Liebe Jule,

es tut mir so leid, dass du da in deinem Loch sitzt und keinen Ausweg mehr siehst. Auch ich kenne diese Situation zu genau. Ich bin heute 41 Jahre alt und vor etwa genau 10 Jahren stellte man bei meinem Papa Bauchspeicheldrüsenkrebs fest. Er wurde operiert und keiner aus der Familie wollte eigentlich wissen, wie es denn nun weitergehen wird. Mein ältester Bruder meinte: "der ist zäh, der schafft das schon", der 2. Bruder verkroch sich und wollte gar nichts darüber hören, meine Mutter meinte: "er ist operiert und alles kommt in Ordnung" und ich ging zu seinem Arzt und erfuhr dann eigentlich das, was ich gar nicht wissen wollte - es war Ende März - und er würde das Jahr nicht überleben. Ich konnte es einfach nicht fassen und keiner wollte mit mir reden. Einfach der blanke Horror. Ich kannte nun die Diagnose und zählte auf einmal rückwärts.

Ich entschloss mich, jede freie Minute mit meinem Vater zu verbringen, egal wo er sich aufhielt (ob Krankenhaus, zu Hause oder sonstwo). Jeden Abend fuhr ich nach der Arbeit zu ihm, rieb ihm den Rücken ein, aß mit ihm oder erzählte ihm von der Arbeit etc. Meine damalige Beziehung drohte ebenfalls daran zu zerbrechen. Mein Mann teilte mir mit, dass er mich ja gar nicht mehr zu Gesicht bekäme und die Beziehung doch eigentlich schon gar keine mehr sei. Ich muss ganz ehrlich sagen, liebe Jule, da entbrannte in mir solche eine Stärke und ich sagte nur: "weißt du, da ist mein Vater und der wird in diesem Jahr sterben. Das heißt, ich werde so viel Zeit mit ihm verbringen, wie ich und er braucht und wenn dir das nicht passt, dann zieh ich eben aus. Dies ist mein Vater und für ihn werde ich alles tun." Mein Vater starb dann am 03.11.1995 und bis heute weiß ich, dass diese Entscheidung, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, die absolut richtige war. Nie hatte ich anschließend das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben oder etwas verpasst zu haben. Ich war halt immer für ihn da.

Vor ca. 6 Wochen ist nunmehr mein Bruder (44 Jahre) an Lungenkrebs erkrankt und auch er wird nicht mehr lange zu leben haben. Auch hier versuche ich, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, meine Zeit mit ihm zu verbringen.

Ich kann dir nur einen guten Rat geben, nutze deine Zeit mit deiner Mutter. Sei für sie da, wann immer es sein muss. Es ist immer sehr schwer, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Aber diese Zeit, die euch noch bleibt, ist auch eine Zeit zu lernen loszulassen. Du solltest später nie einmal das Gefühl haben, dass du hättest etwas anders machen können. Ich glaube nämlich, dass man dann noch mehr daran kaputtgeht. Also nutze jetzt eure Zeit und genieße jeden Tag. Saug alles in dich auf, denn dies sind nachher die Sachen, die dir Kraft geben werden, an die du dich erinnern wirst. Natürlich wirst du sie vermissen, aber du weißt, dass du alles für sie und für dich getan hast.

Alles alles liebe und gute für dich und deine Mama.

Gruß Monika
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  #7  
Alt 05.12.2005, 13:31
Kirsten VoKi Kirsten VoKi ist offline
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Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 25
Standard AW: komm' nicht mehr raus....

Hallo!

Auch ich kann sehr gut Deine Gefühle verstehen. Meine Mutter hat seit März diesen Jahres die Diagnose unheilbarer Nierenkrebs. Es war ein Schock und die ganze Familie stand dem Ganzen ohnmächtig gegenüber.

Mir hat eine Gesprächstherapie sehr geholfen in der Anfangszeit. Mir wurden Wege aufgezeigt, mit dem Tod besser umzugehen. Auch ich nutze die Zeit mit meiner Mutter nun intensiver, auch wenn ich hoffe, dass sie noch einige Jahre Zeit hat.

Gebete und der Glaube an Gott sind für mich auch viel wichtiger geworden als vorher.

Auch der Austausch hier im Forum ist sehr hilfreich.

Vor allem aber ist mein Mann immer für mich da und unterstützt mich sehr. Er zeigt sehr viel Verständnis für mich und tröstet mich, wenn ich traurig bin.

Spreche mit deinem Partner über Deine Gefühle und über die Ängste, damit er Dein Verhalten versteht und hole Dir auch therapeutische Hilfe!

Ich kann so jedenfalls stark sein für meine Eltern, und wenn ich schwach bin, werde ich aufgefangen!

Ich wünsche allen Angehörigen viel Kraft und trotz allem eine schöne Adventszeit!

Liebe Grüße,
Kirsten
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