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  #1  
Alt 18.08.2009, 13:40
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Kritik am Verstorbenen?

@ Alle,

die Gelegenheit, über das eigene Leben und die eigenen Fehler nachzudenken, hatte man bereits vorher. Wir haben das noch gemeinsam gemacht und Bilanz gezogen. Wichtig dabei ist was überwogen hat, welche Lehren man daraus zieht und ob man sie umsetzen kann.

Als Hinterbliebene/r hat man es da schwerer. Man kann es nicht mehr gemeinsam tun. Was noch hinzu kommt ist dieses ungeschriebene Gesetz: niemals schlecht über einen Toten reden! Ein Tabu, das auch hier im KK anscheinend nicht gebrochen wird. Warum eigentlich? Es geht doch dabei nicht um üble Nachrede, sondern lediglich um die Feststellung, dass auch unsere Verstorbenen nicht zu allen Zeiten die reinsten Engel waren, sondern Menschen wie alle anderen auch. Mit guten und auch mit manchmal weniger guten Seiten.

In welcher Ehe gab es keine Zeiten, wo man sich nicht verstand? Wo man sich auch mal so richtig gefetzt hat? Welcher Mensch war nicht auch mal weniger lieb zu seinen Mitmenschen? Egoismus, Neid, Hass, Wut, Gleichgültigkeit: menschliche Gefühle, die auch ihnen durchaus nicht fremd waren. Gefühle, die durchaus schonmal auf den Partner, die Partnerin, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Sohn oder Tochter gerichtet sein konnten. Das ist das ganz normale, tobende Leben und bleibt nicht aus und sei es auch nur in Gedanken.

Warum sind alle Menschen plötzlich nur noch lieb und gut gewesen, nur weil sie verstorben sind? Schon oft hat sich mir der Magen umgedreht, wenn ich an Beerdigungen die "Lobeshymnen" von der Kanzel hörte. Muss das sein? Jeder der Anwesenden (fast jeder) wusste, dass da gelogen wird dass sich die Balken biegen. Kann man nicht auch anders, ganz normal über Tote reden? Oder ist das ein bisschen Beweihräucherung des eigenen Egos?

Es gibt einen einzigen Grund, den ich akzeptiere, es nicht zu tun: unsere Verstorbenen können sich nicht mehr dagegen wehren! Auch wir könnten sie ja falsch einschätzen. Nur, sie mit übertriebem Glanz und Gloria in den Himmel heben, das müssen wir auch nicht. Über ihre kleinen Ecken und Kanten vernünftig reden, das dürfen wir, mit Vorsicht.


Liebe Grüsse

Helmut
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  #2  
Alt 18.08.2009, 14:59
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo an Alle!

Ich weiß nicht mehr wo ich es gelesen hatte, aber ich habe es nie vergessen, denke heute sehr oft darüber nach: Es ist ein Unterschied mit einem Lebenden zu leben oder mit einem Verstorbenen. Es ist wichtig und notwendig für das eigene Weiterleben, dem Toten einen „neuen Platz“ zu geben. Ich denke, diesen Platz zu finden, der dem geliebten Verstorbenen würdig ist und doch das eigene Weiterleben nicht verhindert gehört zu dem was wir Trauerarbeit nennen. Und den Platz kann man erst im Laufe der Zeit finden. Bis dahin durchleben wir so viele verschiedene Ebenen der Trauer so lange, bis unser geliebter Mensch ganz allmählich wieder komplett wird in unserer Erinnerung.

Ich persönlich habe nicht deshalb nicht schlecht über meinen Mann gesprochen, weil „man es nicht tut“, sondern weil mir zu Beginn tatsächlich nichts, aber überhaupt nichts Negatives in den Sinn kam. Ich habe ausschließlich seine positiven Eigenschaften gesehen und vermisst, hatte Panik davor wie ich eben genau ohne diese leben können soll. In meiner Erinnerung war ich alleine Schuld an allem was in unserer Ehe schief lief. Mein Mann war perfekt. Zahllose Gespräche mit anderen Hinterbliebenen, die mir auf meinem Weg der Himmel geschickt hat, veränderten auch die Erinnerungen, ließen im Laufe der Zeit meinen Mann wieder „ganz“ werden, d.h. mit all seinen guten Seiten, aber auch mit den Fehlern, die er zweifelsohne hatte. Kleinigkeiten, die mich in unserer Ehe wütend gemacht hatten, ganz allmählich wurden sie wieder lebendig und heute erinnere ich mich an meinen geliebten Mann mit all seinen Facetten, mit allem, was ihn ausgemacht hat. Er ist wieder komplett. Die Schubladen, die langsam in jedem Gespräch ein wenig mehr aufgegangen sind, die mich Päckchen packen ließen. Ein langwieriger Prozess.

Ich erinnere mich noch wie heute, als ich eines Tages meiner Freundin etwas Negatives über Claus erzählte. Als es mir bewusst wurde, war ich zunächst ziemlich erschrocken. Aber diese Wendung hatte etwas Befreiendes. Ganz allmählich bekam nämlich auch ich wieder die Stelle, die mir in meinem früheren Leben zustand. Nicht nur er hat mich glücklich gemacht, auch ich ihn. Nicht nur er hat den ein oder anderen Streit entschärft, auch ich. Nicht nur er war verantwortlich für das Gelingen unserer 28-jährigen Beziehung, sondern auch ich.

Heute, fast 5 Jahre auf meinem Weg, ist mein Mann in meiner Erinnerung wieder komplett. Hin und wieder „schimpfe“ ich mit ihm, oftmals lächle ich, wenn ich an seinen Blick denke, der mir all seine Verachtung ausdrücken konnte, wenn ich mich nicht so verhalten hatte, wie er es sich gerade in dem Augenblick gewünscht hat. Ich bin versöhnt mit ihm, das ist ganz wichtig. Und deshalb ist es mir auch erlaubt zu sagen: Mein Gott hat er mich manchmal genervt. Und ja, ich vermisse den ganzen Mann, den Mensch mit allem Guten, aber auch mit seinen Fehlern.

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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  #3  
Alt 18.08.2009, 16:50
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo Andrea,

beim Lesen deines Beitrages musste ich unwillkürlich schmunzeln. Die gleichen Gedanken sind auch mir schonmal durch den Kopf gegangen. Nicht nur das: meine Töchter und ich, wir reden oft über sie. "Was hätte sie jetzt wieder die Augen verdreht oder geschimpft". Auch solche Sachen eben. Und hinterher lachen wir dann wieder darüber. Oder "wenn Blicke töten könnten". Natürlich auch, dass es schön wäre, sie könnte dies oder jenes noch mit uns gemeinsam erleben. Die Einschulung unserer ältesten Enkelin z.B.

Beides ist gegenwärtig, das Lachen und das Schimpfen. Najaaaa, manchmal hatte sie ja auch recht . Es ist, wie du sagst, der ganze Mensch, der uns verlassen hat. Mit seinen Ecken und Kanten in seiner ganzen Grösse. Wobei das immer eine sehr persönliche Empfindung ist. Jeder sieht den Anderen mit seinen eigenen Augen.

Soweit so gut. Nur, dann gibt es ja auch noch diese richtigen Ekelpakete, die ihrem Umfeld das Leben schwer gemacht haben. Selbst da sollte man mal das Kind beim Namen nennen dürfen.


Alles Liebe

Helmut
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  #4  
Alt 26.08.2009, 17:08
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Graci Graci ist offline
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Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo an Alle,
ich will dann hier etwas erzählen, von dem ich nicht weiß, wie es aufgenommen wird.
Ich habe mein gesamtes Leben geändert, ich bin umgezogen, habe sämtliche Möbel neu angeschafft, eine zweite Katze adoptiert und mich inzwischen selbstständig gemacht.
Einen krasseren Wechsel hätte ich kaum vollziehen können.
Ist das normal oder bin ich gemein, weil ich alles wegwerfe?
Liebe Grüße
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  #5  
Alt 26.08.2009, 18:10
sheena sheena ist offline
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Beiträge: 30
Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

hallo graci

ich bewundere dich für deinen mut deine gefühle so zu beschreiben
auch ich habe nur für die familienfirma meinen mann und den sohn
gelebt bei uns hat es auch immer nur geheissen wenn wir älter sind
holen wir alles nach ich war mit meinem mann 24 jahre zusammen wir
hatten nie urlaub und waren immer für die firma da
2003 fiel meinmann durch organversagen ins wachkoma ich versuchte
die firma aufrechtzuerhalten er musste ins pflegeheim was enorme
kosten mit sich bracht heute würde ich ihn lieber zu hause pflegen
und die firma aufgeben
2005 ist er nach beidseitiger lungenentzündung verstorben
da die firma der schwiegermutter gehörte verkaufte sie diese und ich
stand ohne arbeit und ohne wohnung da (wohnung war über der firma)
bis heute bin ich noch nicht in der lage etwas auf die beine zu bringen
auch bei mir kam der hass auf ihn das er sich zu lebzeiten um nichts
gekümmert hat
entschuldige das es so lang geworden ist ich wollte dich doch nur
beglückwünschen das du dein leben ohne ihn so toll meisterst
meine hochachtung biggi
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  #6  
Alt 26.08.2009, 21:44
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Kritik am Verstorbenen?

Biggi,

es hat dich ja ordentlich erwischt. Tut mir leid. Deine Wut kann ich nur zu gut verstehen. Den Satz "...das machen wir später" habe ich schon hundert mal gehört. Das ist Blödsinn, was man jetzt nicht macht, macht man wahrscheinlich nie mehr.

Eine Frage am Rande: lässt deine Schwiegermutter ihren Enkel und ihre Schwiegertochter nun in der Luft hängen? War euer aller Leben nicht auf ihre Firma ausgerichtet? Sie streicht die Früchte eurer Anstrengungen ein. Du hast Anrecht auf einen Teil dieser Früchte. Zumindest moralisch.

Graci,

du bist weder gemein noch sonstwas. Dein Leben HAT sich geändert. Radikal geändert. Du hast das nicht gewollt, bist brutal hinein gestossen worden. Du musst für dich das Beste draus machen. Also lass dir kein schlechtes Gewissen einreden, von sogannten "Freunden". Ein Museum ist ein schlechter Ort, um das Leben neu zu beginnen.


Alles Liebe

Helmut
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  #7  
Alt 27.08.2009, 20:48
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Graci Graci ist offline
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Beiträge: 145
Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo,
wißt Ihr, blöd ist einfach, wenn ich peinliche Sachen finde,mich vor der Öffentlichkeit für Dinge rechtfertigen muß, von denen ich nur ahnte, das es sie gibt.
Ich bin im Augenblick sehr böse mit meinem verstorbenen Mann.
viele Grüße
Gracia
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  #8  
Alt 17.09.2009, 21:09
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Graci Graci ist offline
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Beiträge: 145
Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo,
ich bin verzweifelt, weil mein Leben allmählich zusammenbricht.
Nach 20 Jahren stehe ich als absoluter Verlierer da.
Seine Familie hat mir alles weggenommen, es war wenig genug.
Gruß Gracia
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