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  #1  
Alt 08.02.2006, 14:13
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Liebe Anny,

danke für deine Antwort, ich kann jedes Deiner Worte bestätigen. Du schriebst insbesondere:

Eines aber vergessen die meisten Trauernden,auch STERBENDE gehen durch dieselben Phasen während ihres letzten Lebensabschnittes. Nicht nur ich bin der ARME......sondern auch derjenige der gehen MUSS.

Für das gemeinsame Durchlaufen einiger dieser Phasen während der langen Krankheits - und Abschiedszeit zusammen mit meiner verstorbenen Frau bin ich sehr, sehr dankbar.

Abschied nehmen : Für mich ein Frühbeginn der Trauer, aber noch gemeinsam, Hand in Hand.

Es war unerbittlich und schmerzlich für uns beide, aber wir konnten uns dem gar nicht entziehen. Es gab NICHT die Möglichkeit, es zu verdrängen. Es gab auch nicht die Möglichkeit voreinander die Situation, das Unabänderliche zu beklagen.

In Würde sterben zu können, dankbar für ein gelebtes Leben Abschied nehmen zu können, war ihr geschenkt. SIE hat sich dieser unendlich grossen Aufgabe gestellt und SIE hat die Aufgabe gelöst. Das hat sie bis zum Endpunkt ihres Lebens bei mir, unseren Freunden, dem Krankenhauspersonal ausgestrahlt: Würde in Krankheit/Sterben, Liebe, menschliche Größe.

Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Frau damals ein Stück begleiten durfte. Auch wenn es immer wieder schwer ist, ich denke gerne an die vielen kleinen und großen Abschiede, sie zeigen mir immer wieder was "Würde" beim Sterben bedeutet und ordnen meine eigene Trauer um ihren Verlust dem entsprechend eher gering ein.

Anny, ich danke Dir für den Hinweis, in diesem Trauerforum nicht nur den Gesichtspunkt der überlebenden Betroffenen zu beleuchten, sondern auch den der Sterbenden.

Es kann uns "Überlebenden" durchaus helfen, Gedanken und Gefühle neu zu gewichten und zu hinterfragen.

Mit lieben Grüßen
Shalom
__________________
Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel

Geändert von shalom (08.02.2006 um 14:15 Uhr)
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  #2  
Alt 08.02.2006, 15:21
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Zitat:
Anny, ich danke Dir für den Hinweis, in diesem Trauerforum nicht nur den Gesichtspunkt der überlebenden Betroffenen zu beleuchten, sondern auch den der Sterbenden.
... mir macht es eher Angst, dass ich gegebenenfalls etwas Wichtiges überhört oder übersehen haben könnte. Ich weiß nicht, wie sterben ist, ich war nur Begleiter so gut ich es konnte. Ich weiß nicht, was mein Mann tatsächlich gefühlt hat, aber ich hoffe sehr, dass er unsere Nähe und unsere Liebe bis zu seinem letzten Atemzug gespürt hat.

Ich weiß nicht, was tatsächlich nach dem Leben hier auf Erden kommt. Ich weiß nur, dass ich im Augenblick seines Todes ganz intensiv gespürt habe: Jetzt ist für ihn wieder alles ok.

LG
Andrea, heute genau seit 16 Monaten verzweifelt dabei, den Berg zu bezwingen....
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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  #3  
Alt 08.02.2006, 16:19
shalom shalom ist offline
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Ort: Baden-Württemberg
Beiträge: 221
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Liebe Andrea,

warum solltest Du etwas überhören oder übersehen haben, Du warst bei ihm und hast ihm Deine Nähe und Liebe angeboten und gespürt ,dass jetzt wieder alles für ihn o.k. ist.

Vielleicht war ich mißverständlich in meiner Ausdrucksweise, entschuldige das bitte. Wir können natürlich nicht wissen und sollten uns das auch nicht anmassen, was im Augenblick des direkten Sterbens sein wird oder bei unserem geliebten Partner war. Mit meinen Äußerungen (wahrscheinlich auch denen von Anny) war eher der monatelange PROZESS des Abschiednehmens vor dem Tod gemeint (ich habe das auf das Wort Sterben verkürzt).

Was ich durch den Beitrag von Anny meine verstanden zu haben, ist auch mal den Betrachtungsstandpunkt vom überlebenden Betroffenen zum sterbenskranken geliebten Menschen zu wechseln.

Vielleicht ergibt sich dann ja ein gradueller Gewichtungswechsel meiner Gedanken und Gefühle, wenn ich auf meine Trauer schaue. So habe ich es für mich gesehen.

LG
Shalom
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(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel

Geändert von shalom (08.02.2006 um 18:42 Uhr)
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  #4  
Alt 13.02.2006, 18:54
Monika W. Monika W. ist offline
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Beiträge: 119
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Liebe Anny, hallo Shalom,

auch ich lese ständig mit Begeisterung Kübler- Ross und füge noch etwas hinzu. In einer Frage- Runde ( aus dem Buch " Was können wir noch tun " ) fragt eine Frau: " Ich möchte gerne Ihre Gedanken über die Trauer höre. Ist es möglich oder gar normal, um einen geliebten Ehemann, mit dem man viele Jahre verheiratet war und der nach sehr langer Krankheit erst vor kurzem gestorben ist, zu trauern, ohne ihn aber wirklich zu vermissen?"
Frau Dr. Kübler- Ross antwortet: " Ja, das halte ich für möglich. Nach meiner Meinung kann eine Frau, die ihren Mann in einer langen Zeit der Krankheit umsorgt und den vorbereitenden Schmerz durchlebt hat, um ihn trauern und braucht ihn trotzdem nicht zu vermissen. Das Gefühl des Verlustes ist gepaart mit einer starken Empfindung der Erleichterung wenn eine lange Krankheit und schweres Leiden überstanden sind."

Diese Worte sprechen mir aus der Seele. Natürlich vermisse ich meinen Mann, aber das Gefühl der Erleichterung ist immer noch da und tief im Innern habe ich deshalb ein schlechtes Gewissen- so als wäre ich eine Raben- Ehefrau, die froh ist, ihren Mann los zu sein- was ja nicht stimmt. Ich habe ein großes Bedürfnis, anderen Sterbenden zu helfen und werde dies demnächst auch tun.

Mein Mann blieb fast bis vor kurz seinem Tod in der Phase des Nichtwahrhaben- wollens und des Zorns. Leider konnten wir keine Gespräche führen über Tod und Weiterleben nach dem Tod. Vielleicht hätte es ihm Erleichterung gegeben.

Moni
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  #5  
Alt 13.02.2006, 20:00
anny anny ist offline
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Beiträge: 42
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Hallo liebe Moni,

tief im Inneren diese Schuldgefühle,Moni auch das ist ein Teil DEINER Trauer.
Mir fiel ein Stein vom Herzen als Mum endlich ihren Weg gegangen ist.
Ich spürte eine Erleichterung die ich mir so nicht erklären konnte.

Obwohl ich auch geweint habe,obwohl ich auch durch verschiedene Phasen der Trauer gegangen bin,bin ich froh das sie es zu diesem Zeitpunkt geschafft hat.

Das hat nichts mit einem *Raben*Verhalten zu tun,weder bei dir noch bei mir,noch bei anderen denen es genauso ergeht.

Schwerkranke und Sterbende gehen nicht immer durch alle Phasen,genauso wie du geschrieben hast kann es vorkommen dass es nie zu dieser Akzeptanz des bevorstehenden Todes kommt.

Vielleicht hatte dein Mann Angst,seine wirklichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Dadurch verharrte er in diesem Nicht-Wahr-Haben-Wollen und in diesem *Zorn*.
Der Zorn richtet sich dabei oft gegen sich selbst....ich bin wütend dass ich meine Frau oder meinen Mann oder mein Kind zurücklassen muss,das darf nicht sein.
Wenn man wirklich lernt Zorn auch zu verbalisieren,zu schreien ihn einfach rauszulassen dann gelingt die nächste Stufe.
Weißt du Moni,dass ist ein gewisses hadern mit *Gott*.....warum erlaubt er dies,dass ich gehen muss,dass ich soviel leiden muss......

Darum ist dieses Verbalisieren von WUT so wichtig.

Zu Beginn hab ich das nicht gewußt,doch im Laufe der Jahre wurde es mir immer klarer.
Mum hat richtig um sich geschlagen und war zornig,sie hat geschimpft.....dann war sie bereit weiter zu gehen und ihre anderen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Dabei kannst du in der Begleitung sterbender Menschen hilfreich zur Seite stehen.

Als ich vor Jahren im Praktikum war begleitete ich eine ältere Frau.
Sie war ein Familienoberhaupt,immer stark und vorallem zeigte sie nie Schwäche.
Bevor sie starb befand sie sich in dieser Zorn---und Nicht-Wahr-Haben Phase.
*Holen sie mir den Herrn Primar,der wird mir helfen.*
*Gehen sie bitte raus aus dem Zimmer und holen sie mir sofort den Arzt,wissen sie nicht wer ich bin *

*ja,das weiß ich*
Ich nahm ihre Hand und begann mit ihr zu sprechen.
Ich sagte ihr ehrlich,dass auch der Herr Primar nicht mehr helfen kann.
Dann folgten lange Minuten des Schweigens,dann schrie sie wieder nach dem Arzt.
Das war das letzte Mal das sie ihrer Wut freien Lauf gelassen hatte.

*Werde ich sterben* fragte sie mich nach fast einer Stunde.
*Ja* sagte ich.....aber ich bleibe bei ihnen wenn sie es möchten.......

Innerhalb einiger Tage ging sie durch diese letzten Phasen und sie schlief in meinem Beisein ein......entspannt,ohne Zorn und ruhig.

Natürlich gelingt dies nicht immer,denn es hat generell mit dem Leben des Betroffenen zu tun.

Liebe Grüße
anny
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  #6  
Alt 14.02.2006, 05:30
Monika W. Monika W. ist offline
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Beiträge: 119
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Hallo Anny,

auch Hermann konnte seinen Zorn herauslassen, dadurch, daß er 8 Tage vor seinem Tod noch parenteral ernährt werden konnte, verbesserte sich seine Stimmung und er war nicht mehr ganz so aggressiv.
Erst kurz vor seinem Tod, als er sehr starke Schmerzen hatte und der Arzt bei ihm war, sagte er zum ersten Mal: " Ich will sterben! " Die Morphiumspritzen halfen ihm, sich gehen zu lassen und ich bin so froh, daß er nach der 2. Spritze nicht mehr aufgewacht ist, es wäre eine Quälerei ohne Ende gewesen.


Wurdest Du ausgebildet als Sterbebegleiterin oder machst Du das professionell?

Liebe Grüße

Moni
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  #7  
Alt 14.02.2006, 13:18
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Es gibt den Satz, „Wer sich in Gefahr begibt, der kommt drin um“. Der Liedermacher Wolf Biermann hat diesen Satz umgewandelt in: „Wer sich NICHT in Gefahr begibt, der kommt drin um“.

In Bezug auf die Trauerarbeit läßt sich Biermanns Modifikation auch verwenden:

Wer sich NICHT an die Trauerarbeit macht, den frißt die Trauer auf.

Ein klein wenig kann ich jeden Tag selbst mit ganz kleinen Schritten tun, damit es wieder heller um mich wird und die Traurigkeit in meinem beengten Gefühlsraum nicht alles dominiert. Heller wird es aber nur, wenn ICH die Türe/das Fenster zum Licht einen Spalt ÖFFNE. Licht ist an sich wertfrei. Man kann sich vor ihm verbergen, man kann das Licht suchen/finden. Das Licht gibt Wärme und Orientierung für denjenigen, der es will und braucht.

LG
Shalom
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Geändert von shalom (16.02.2006 um 10:49 Uhr)
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