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  #1  
Alt 17.11.2009, 23:42
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
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Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 2.019
Daumen hoch AW: ich ziehe Bilanz

Hallo Silverlady,

du suchst und suchst, jeden Tag, jede Stunde: du willst verstehen! Leider gibt es da nichts zu verstehen. Unser Wissen, unser Gehirn schafft das nicht, es ist zu klein und kümmerlich dafür. Wie sollen wir einen Sinn darin sehen, was in dem Leben, welches wir kennen, geschieht?

Wir wissen nicht, wo wir herkommen, wir wissen nicht, wo wir hingehen. Wie sollen wir dann einen Sinn finden?

Vielleicht ist gerade deine verzweifelte Suche nach dem Sinn, die verhindert, dass du selbst frei sein und deinen Mann loslassen kannst? Auch ich habe, wie du, nach dem Sinn gesucht. Bin fast verzweifelt, dass ich ihn nicht gefunden habe.

Erst als ich aufgab, willenlos durchs Leben schleuderte, da hab ich die Lösung gesehen: sie liegt in uns selber. Wir sind ein Teil des Universums, ob wir gerade das durchmachen, was wir "das Leben" nennen, oder ob wir diese Phase bereits hinter uns haben. Ich behaupte mal einfach so: das Leben beginnt nicht mit der Geburt oder Zeugung und endet auch nicht mit dem Sterben.

Wenn ich unterwegs bin, geh ich sehr gerne in Kirchen. Nicht zum Gottesdienst oder weil ich besonders gläubig wäre (zumindest nicht so, wie die Kirchen es gerne hätten), sondern weil es ein Ort der Ruhe, der Besinnlichkeit ist. Ist dir schonmal aufgefallen, dass, sobald man eine Kirche betritt, der Lärm und die Hektik von dir abfallen? Die dicken Mauern schlucken den Lärm der Menschen da draussen.

In diesem Sinn ging ich einmal in die Domkirche in Speyer. Ich genoss die Ruhe und die Kühle des Raums. Ich setzte mich in eine Bank, schloss die Augen und dachte an meine Frau, betete. Plötzlich fuhr ich erschrocken hoch: es war nicht still in der Kirche, ich war auch nicht allein. Erstaunt schaute ich mich um: nur einige Besucher zu sehen. Erneut schloss ich die Augen. Ich hatte das Gefühl, als beginnen die Mauern zu erzählen, unverständliches Wispern. Ich sah Menschen. Manche in zerlumpten Kleidern, andere in teuren Gewändern. Niemanden konnte ich klar erkennen, alle kamen auf mich zu und versuchten mir etwas zu erzählen. Ich suchte meine Frau unter ihnen. Sie war nicht dabei.

Ich hatte Angst, mein Herz schlug bis zum Hals. Genau so plötzlich, wie es begann, so verschwanden die Gesichter und es war absolut still. Ich öffnete die Augen...... Nichts......... Nichts hatte sich verändert gegenüber vorhin. Ein paar Besucher schlenderten durch die Kirche. Hatte mir meine Phantasie einen Streich gespielt? Wollte ich das sehen, ohne mir dessen bewusst zu sein? Ich hatte einige Zeit daran zu knabbern, bis mir dann klar wurde: wir sind nicht allein, unsere Verstorbenen sind mitten unter uns.

Sie sind in uns. Wir sind die Summe unseres Lebens: jeder Weg, den wir mit einem Menschen gemeinsam gegangen sind hat uns geformt. Ein Stück auch dieser Menschen also lebt in uns weiter.

Einige Monate später war ich wieder in der Gegend und hab den Dom besucht. Nichts, rein garnichts passierte. Kein Wispern, das mir was erzählen wollte: ich sass eben alleine in meiner Bank. Warum?

Weil ich es hören wollte. Weil ich es herausforderte. Und genau das funktioniert nicht. Man muss es zulassen, zulassen wollen. Ohne Hintergedanken. Dann kann man manchmal sowas erleben. Muss aber nicht, es bleibt absolut ihnen überlassen, ob sie uns was zu sagen haben. Es muss auch nicht auf diese Art sein oder unbedingt in einer Kirche. Ort und Zeit bleiben ihnen überlassen.

Gerade dein verzweifelter Wunsch verhindert, dass du ihn UND dich wiederfindest. Glaub mir, auch ich bin noch fleissig am Schaufeln, um die ganzen Trümmer zur Seite zu räumen. Nur, die 37 Jahre gemeinsamer Weg haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Sie lebt auch in mir weiter, sie ist ein Stück von mir. Ohne die Jahre wäre gerade mal mein Name der Gleiche, sonst kaum etwas.

Irgendwann werde ich es geschafft haben (hoffe ich), mit den Trümmern, jedoch dann "weiss" ich immer noch nicht, sondern ich "akzeptiere". Vielleicht "wissen" wir, wenn wir drüben sind?

Dir und auch den anderen wünsche ich, dass ihr euren Weg findet. Jeder Weg kann der Richtige sein. Lasst euch nicht von einer Sackgasse abschrecken. Dann geht man wieder zur Kreuzung zurück und geht in die andere Richtung. In dem Thread für Myriam hab ich ein Bild aus meinem Urlaub beschrieben. Sie trifft das gesagte sehr genau. http://www.krebs-kompass.org/forum/s...520#post805520


Alles Liebe

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

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  #2  
Alt 20.11.2009, 19:12
silverlady silverlady ist offline
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Registriert seit: 13.03.2006
Beiträge: 1.973
Standard AW: ich ziehe Bilanz

lieber Helmut

wenn ich nicht daran glauben würde, meinen Männe irgendwann wieder zu sehen würde ich wirklich am Leben verzweifeln.
So erlebe ich häufig kurze Momente die mir zeigen das Männe immer noch in meiner Nähe ist. Machmal ist es nur ein hauch, manchmal ein Augenblick der länger wie ein Flügelschlag ist.
Diese Momente erzeugen in mir ein warmes Gefühl und helfen mir auf meinem Weg zu mir selber weiter.

Aber manchmal, manchmal überfällt mich die Sehnsucht nach ihm, erschlägt mich die Trauer und ich verliere mich in mir selber.
Dann muss ich kämpfen, kämpfen um nicht in meiner Trauer zu ertrinken und wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Ich weiß das es eine Utopie ist, wenn ich mir wünsche das ich meinen Männe noch einmal umarmen, ihn noch einmal spüren, ihn schmecken und fühlen.

Aber träumen darf ich doch und die Sehnsucht nach ihm die bleibt.....

liebe Grüße
silverlady
  #3  
Alt 21.11.2009, 19:42
Stephan&Sandra Stephan&Sandra ist offline
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Registriert seit: 02.10.2009
Beiträge: 80
Standard AW: ich ziehe Bilanz

Liebe Silverlady,

natürlich darf man träumen !! Mir geht es nicht anders. Der Verstand weiß, daß der geliebte Partner nicht wiederkommen wird, aber das Herz will es nicht wahrhaben. Und die Sehnsucht ist doch ganz natürlich. Es zeigt doch nur, wie wichtig Dein Partner Dir ist ! Ich kann Dich so gut verstehen.
Ich erlebe auch ganz oft ein "Wechselbad der Gefühle", gerade eben noch einigermaßen "funktionierend", im nächsten Moment falle ich in ein Loch und kann nur noch weinen.

Es tut mir so sehr leid für Dich, daß Deine Familie Dich so sehr im Stich läßt. Ihr habt doch alle einen so schmerzlichen Verlust erlitten. Hoffentlich trete ich Dir nicht zu nahe, wenn ich sage, Ihr alle habt ihn geliebt. Sollte eine solch schmerzhafte Erfahrung euch nicht zusammenschweißen ? Daß ihr versucht, euch gegenseitig zu stützen, euch Kraft zu geben, miteinander zu Reden und füreinander da zu sein ?

Ich bin wirklich froh und super dankbar, die besten und liebsten Schwiegereltern der Welt haben zu dürfen. Wenn es mir schlecht geht, sind sie für mich da und ich für sie, wenn es den beiden schlecht geht. Wenn ich arbeiten muß und dann nach Hause komme, hat meine liebste Schwiegermama schon den Ofen angemacht und es ist richtig schön warm in der Stube.

Wenn sie mal irgend etwas einkaufen möchte (sie mag nicht gern einkaufen) gehe meistens ich für sie hin. So sind wir immer füreinander da. Wer auch immer irgendetwas hat, wir sind immer füreinander da. Wenn ich jetzt auch noch in Streit mit meinen Schwiegereltern (sind meine Nachbarn) leben müßte, das würde ich gar nicht aushalten.

Liebe Silverlady, ich wünsche Dir ganz viel Kraft und wenn Du reden möchtest, schreibe Dir hier alles von dern Seele. Hier findest Du immer offene Ohren. Ich Dich ganz doll, und wenn Du weinen mußt, weine, und wenn Du schreien mußt, dann schreie.

Liebe Grüße

Sandra
  #4  
Alt 21.11.2009, 19:52
silverlady silverlady ist offline
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Registriert seit: 13.03.2006
Beiträge: 1.973
Standard AW: ich ziehe Bilanz

liebe Sandra

meine "Sippschaft" ist leider sehr egoistisch und sieht nur sich selber. Der Schmerz eines anderen wird nicht gesehen oder sie wollen den Schmerz nicht wahrhaben.
Sogar meine Mutter kann nicht verstehen, dass ich den Schmer auch heute noch nicht überwunden habe.

Halt die Ohren steif

silverlady
  #5  
Alt 24.11.2009, 00:05
bea bea ist offline
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Ort: NRW
Beiträge: 184
Standard AW: ich ziehe Bilanz

liebe silverlady,

ich danke dir vom herzen dass du für mich da bist wie für soviele andere auch.
leider habe ich erst gestern per zufall entdeckt, dass du auch einen eigenen thread hast...
ich war sehr traurig als ich es gelesen habe und mußte mit bedauern feststellen, dass ich mit dir einen tag vor dem 8. November (ich erinnere mich sehr gut daran weil der 8.11 der geburtstag meines vaters ist) telefoniert habe und du mir sehr geholfen hast, ich aber auf dein schicksal und deinen schmerz teilweise unbekannterweise garnicht eingegangen bin. es tut mir so leid!
ich wünsche dir alle kraft der welt um mit deinem schmerz und der trauer umgehen zu können!
lg, bea
__________________
Mein Papa: ED: 11/2008 kleinzelliges BC, Stadium CT4N3, limited disease;
4 Zyklen Chemo Carboplatin & Etoposit und Thoraxbestrahlungen;
Mitte Mai 2009 Kontroll-Thorax-CT: komplette Remission, Tumor nicht mehr nachweisbar.
Ende Mai/Anfang Juni 2009 acht Hirnmetastasen, sofortige Ganzschädelbestrahlung & 4 x Boost,
zum schluß leider metas am nervenstrang in der Wirbelsäule (meningeosis carcinomatosa);

3.12.2009: mein dad ist für immer eingeschlafen :-(((((
  #6  
Alt 24.11.2009, 19:14
Stephan&Sandra Stephan&Sandra ist offline
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Registriert seit: 02.10.2009
Beiträge: 80
Standard AW: ich ziehe Bilanz

Liebe silverlady,

es ist echt schade, daß Deine "Sippschaft" so wenig Verständnis hat.
Bei mir ist es so, daß ich seit Stephans Tod genau erkannt habe, wer sich wirklich für mich interessiert und wer nicht.
Und die, die sich dafür nicht interessieren, die lasse ich links liegen.
So schwer wie es auch fällt. Aber die, die immer für mich da sind, für die bin auch ich immer da.

Du liebe, ich wünsche mir für Dich, daß Du auch ein paar Menschen um Dich hast, die Dir wirklich zur Seite stehen.

Ich nehme Dich (leider nur virtuell) in den Arm

und kann nur sagen, schreibe Dir hier alles von der Seele.

Liebe Grüße

Sandra
  #7  
Alt 07.03.2010, 08:48
silverlady silverlady ist offline
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Registriert seit: 13.03.2006
Beiträge: 1.973
Standard AW: ich ziehe Bilanz

Sonntag, eigentlich ein Tag zum relaxen, zum Erholen und zum baumeln lassen der Seele.
Und ich, ich freue mich gleich wieder arbeiten zu dürfen um nicht nachdenken zu müssen.

Ich bin heute morgen aufgewacht und hatte das Gefühl, ich liege unter dem Schleier der Traurigkeit. Ich weiß nicht ob ich ihn irgenwann im laufe des Tages abstreifen kann und wenn nicht dann ist es eben so.


Mir schmerzt das Herz, meine Seele weint. Ich fühle heute so stark das mein Männe nicht bei mir ist.

Du felst mir unendlich
silverlady
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