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#1
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Kann das jemand nachfühlen?
Hallo
Wenn ich schon am Schreiben bin, dann gleich richtig! Also ... Ich habe in meinem Leben, das nun gut 44 Jahre dauert, festgestellt, dass ich in wirklichen Notsituationen auf eine bestimmte Art reagiere: Ich habe dann das Gefühl, dass eine Art "Autopilot" die "Steuerung" übernimmt. Ich bin betrachte die Situation ganz sachlich, (negative) Gefühle treten stark in den Hintergrund und ich gehe mit einem gewissen "Galgenhumor" und ganz locker an die Sache heran. Ich habe das schon mehrmals erlebt. Zum Beispiel bei Unfällen, beim Tod von nahestehenden Menschen - und jetzt auch, da bei mir ein Tumor gefunden wurde. Ich möchte mich nicht darüber beklagen - im Gegenteil! Ich bin ganz froh darüber in solchen Situationen relativ gelassen zu bleiben und nicht gleich in Panik auszubrechen oder mich mit Gedanken im Sinne "Warum gerade ich?" selber fertig zu machen. So kann ich die verbleibende Energie dafür nutzen, um praktische Probleme zu lösen, etc. Dennoch frage ich mich manchmal, ob das "normal" ist. Gerade besonders "empfindsame" Menschen haben mir in solchen Situationen schon vorgeworfen, ich sei "gefühlskalt". Lustigerweise bin ich im "normalen" Alltag ganz anders. Ich kann mich über Kleinigkeiten extrem aufregen ... Jetzt, mit dieser doch ziemlich hammerartigen Diagnose, fühle ich mich aber seltsamerweise irgendwie ganz o.k. Nein, ich verdränge nicht, was das wirklich bedeutet. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, dass ich vielleicht bald die Blümchen von unten betrachen werde ... Ich kann damit leben .... Gibt es andere, die das ähnlich empfinden - oder bin ich die Einzige? Herzliche Grüsse Arsinoe PS: Vor etwa 20 Jahren ist meine Mutter an Krebs verstorben. Das Jahr davor - zwischen der Diagnose und ihrem Tod - war der absolute "Ausnahmezustand". Ich kann also einigermassen nachvollziehen, so denke ich, was in Angehörigen von Krebskranken vorgeht. (Davon hat es ja einige hier, so habe ich den Eindruck.) Ich persönlich habe den Eindruck, es ist schlimmer, als wenn man selber erkrankt ist. |
#2
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AW: Kann das jemand nachfühlen?
Hallo Arsinoe,
doch, ich erkenne mich da in einigen deiner Schilderungen auch wieder. Oftmals sind es mit belastenden Ereignissen "trainierte" Menschen, die so reagieren wie offensichtlich wir beide. Nun weiß ich nicht was Du beruflich machst, aber ich kann für meinen Teil behaupten, allein beruflich schon genug unschöne "Sachen" erlebt zu haben. Dazu sechs geliebte Menschen (Großeltern, Tante und Onkel) und etwa nochmal so viele "Bekannte" oder Kollegen zu Grabe begleitet. So etwas prägt und brüht sprichwörtlich ab. Eine Komponente kommt jedoch noch hinzu: diese Gefühlskälte und Abgeklärtheit ist ein Mechanismus um Kontrollverlust zu verhindern. Wenn wir ruhig bleiben und rationell entscheiden, so werden wir nicht den Kopf verlieren so dass vielleicht Dritte über oder für uns entscheiden müssen. Vielleicht ist ja auch ein Stück Verdrängung mit dabei... keine Ahnung. Aber geholfen hat es mir damals bei meiner Erkrankung ganz sicher. Irgendwann ist aber auch der Vorrat im emotionalen Kühlschrank aufgebraucht und fängt dann an zu nagen. Nicht selten mündet so etwas dann in eine posttraumatische Belastungsstörung. Ich kann Dir versichern, dass DAS dann wirklich nicht mehr schön ist und einen Haufen an Aufarbeitung bedarf. Ich "trat" mir eine PTBS ziemlich am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, etwa fünf Jahre nach dem belastenden Ereignis "ein". Zumindest kam es dann erst hoch. In den folgenden anderthalb Jahren habe ich dann ganz schön Federn gelassen. Dadurch habe ich aber auch Strategien erlernt (bekommen ), wie ich mit belastenden Ereignissen umzugehen habe und woran ich merke, dass ich vielleicht doch mehr brauche, als nur mal für eine Stunde meine Ruhe. Vielleicht kam ich auch deswegen mit meiner Krebs-Diagnose und zeitgleichem Versterben meiner Mutter recht gut klar. Natürlich hatte ich auch mal einen weniger guten, sehr nachdenklichen Tag. Aber am nächsten Morgen ging wieder die Sonne auf.. Was ich Dir mit all diesen vielen Zeilen mit auf den Weg geben möchte: hör in Dich rein. Wenn Du merkst, dass es Dir doch zu viel wird oder Du selber an Dir "merkwürdige" Veränderungen feststellst, scheue Dich nicht professionelle Hilfe anzunehmen. Wir dürfen auch mal schwach sein. Aber wir müssen immer so viel Kraft haben, unseren Liebsten das Zusammenleben mit uns nicht unnötig schwer zu machen. Ein leidender Angehöriger kann den Erkrankten nur schwerlich stützen und auffangen. Also dürfen wir unsere Liebsten nur in Anspruch nehmen, aber nicht verschleißen
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#3
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AW: Kann das jemand nachfühlen?
Hallo Dirk
Ganz herzlichen Dank für deine schnelle Antwort! Du fragst nach meinem Beruf. Ich bin Journalistin/Redakteurin. Da ist man immer wieder mit allerlei (zum Teil krassen) (Lebens-)Geschichten konfrontiert, die in kürzesterter Zeit vor einem ausgebreitet werden. Kann sein, dass das zu einer gewissen "Abhärtung" führt. Allerdings hatte ich das "Phänomen" schon vorher. Vielleicht rührt es daher, dass ich mehrere psychisch kranke Menschen in meiner Verwandtschaft habe, um die sich meine Eltern gekümmert haben, was ich in der Kindheit/Jugend direkt mitbekommen habe. Wir waren immer die Station vor der psychiatrischen Notfallstation und ich wohl die "Lernschwester". Sprich, ich habe da wohl sehr früh eine Art "Distanzierungsmechanismus" entwickelt. Auf der anderen Seite habe ich vor einigen Jahren - wengen Problemen mit meinem Selbstbewusstsein - eine rund 2 Jahre dauernde Psychotherapie gemacht. Diese war, nach meinem Empfinden, sehr erfolgreich. Ich denke, ich kenne mich inzwischen ziemlich gut. Hmmm ... Ehrlich gesagt, habe ich den Eindruck, dass ich zwar sehr nahe an einem "Belastungssyndrom" oder wie man das auch immer nennen will, war. Die Diagnose der Krebserkrankung ist dem zuvor gekommen. Ich habe nun - endlich - die Möglichkeit mal zur "Ruhe" zu kommen. Ja, es mag schräg klingen, aber im Moment "geniesse" ich es richtig gehend ein wenig "raus" zu sein aus dem normalen Arbeitsalltag mit all seinen Ärgernissen, ein wenig umsorgt und freundlich behandelt zu werden ... Wie gesagt, mein grösstes Problem ist nun meine Verantwortung für meinen Lebenspartner, die ich nun mal übernommen habe. Und ich nehme Verantwortungen ernst. Da kann ich nicht über meinen Schatten springen ... Das geht einfach nicht. Ich bin dazu zu sehr ein "Muttertier". Herzliche Grüsse Arsinoe |
#4
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AW: Kann das jemand nachfühlen?
Nachtrag:
Heute hatte ich mit meinem Mann ein sehr gutes Gespräch. U.a. habe ich eine Art "Bankrotterklärung" gemacht. D.h. ich habe ihm gesagt, dass ich keine Kraft mehr habe, den "Karren durch den Dreck zu ziehen", dass ich mit meinen Kräften einfach total am Ende sei. Er hat sehr gut und verständnisvoll reagiert. Und die Welt ist (noch) nicht untergegangen ... Ich werde mich ganz bestimmt bei einer psychoonkologischen Fachperson melden, ich denke, das kann nicht schaden. |
#5
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AW: Kann das jemand nachfühlen?
Hallo Arsinoe,
bin jetzt erst auf deinen Strang gestoßen ! Ja, ich kann das nachfühlen und wie! Fast ohne Worte, dachte, wer schreibt da über mich... So gut kann ich meine Situation ja selbst nicht beschreiben... Muss das erst mal 'sacken lassen'. Habe meine ED ( Lungenkrebs ) erst seit 12/2012 und jetzt erst meldet sich mein 'Geist'. Liebe Grüsse von Conny Danke für deine Offenheit! |
#6
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AW: Kann das jemand nachfühlen?
Hallo Arsinoe,
ich habe voller Interesse und mit einem Schmunzeln deine Beiträge gelesen. Du fragst: Zitat:
Krebs, dieses Wort existiert nicht wirklich für mich, sondern für mich ist das Wort Leben ganz wichtig. Ja, ich genieße meine Zeit, habe ein neues Hobby entdeckt, lerne immer wieder neue nette Menschen kennen und erfahre sehr viel Positives. Ja, auch ich kenne das mit der Verantwortung übernehmen – und den Willen, diese auch wahrzunehmen bis zum Ende, so habe ich Verantwortung für 4 Katzen, meine Kinder, mein Lebenspartner …. Das hat mich auch ganz verrückt gemacht, wenn ich daran dachte, was passiert, wenn ich meiner Verantwortung nicht mehr nachkommen kann? Hier haben mir auch Gespräche geholfen, ehrlich, offene Gespräche, wie ich fühle, wie ich das alles sehe und was mir wichtig ist, was ich mir wünsche. Und siehe da, durch diese Gespräche wurde ich zum Teil aus meiner Verantwortung entlassen, außerdem begriff ich, dass auch die lieben Menschen um mich herum bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Somit konnte ich diese Gedanken gehen lassen. Es fiel eine große Last von mir. Nun, auf diese Weise habe ich mehr und mehr Last von mir geschmissen und bin noch dabei, die Reste abzuwerfen, immer freier und glücklicher zu sein. Genau das wünsche ich dir und allen anderen hier: Ein gutes Leben voller Vertrauen, Liebe und Glück im Hier und Jetzt. Eine schöne Zeit Evelyn PS: Auch sehe ich die entarteten Zellen nicht als Feind an, es sind ja meine eigenen Zellen und sie sind auch "ICH". |
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