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Alt 16.09.2016, 14:04
Tom92 Tom92 ist offline
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Beitrag Tom's Krankheitsgeschichte

Hallo mein Name ist Tom und ich möchte euch über meinen Krankheitsverlauf berichten. Es könnte ein längerer Text werden und die Rechtschreibung ist eher so naja

Ich bin 23 Jahre alt, Student und bei mir wurde am 06.05.2014 (mit 21) der Verdacht auf Hodenkrebs festgestellt.
Während der Erkrankung war ich nicht wirklich in der Lage mir ausreichend Wissen anzueignen, dass möchte ich jetzt nachholen. Daher habe ich auch schon viele Beiträge im Forum gelesen und möchte nun meinen Teil dazu beitragen und meine Erfahrungen teilen.

Ich hatte schon seit Dezember 2013 leichte Beschwerden, ein ziehenden Schmerz im Hoden und ich stellte auch beim Fußball spielen fest, dass mein linker Hoden vergrößert war, da ich ihn beim Rennen bemerkte. Dem schenkte ich leider keine zu große Beachtung, die Schmerzen wurden regelmäßiger, ich fühlte mich öfters matt und erst als ich im Fitnessstudio vor Schmerzen nicht mehr auf dem Sportgerät sitzen konnte, beschloss ich am nächsten Tag zum Arzt zu gehen (06.05.2014).

Im Ultraschall stellte der Arzt einen Schatten im linken Hoden fest, war sich aber nicht sicher. Zusätzlich waren die Stränge die vom Hoden weggehen geschwollen und verhärtet. Ich holte mir eine Zweitmeinung bei einem weiteren Urologen und wurde schließlich ins Krankenhaus überwiesen. Dort wurde Blut abgenommen, Entzündungswerte waren unendlich hoch, doch keine Tumormarker festzustellen. Zusätzlich wurde ein CT und MRT durchgeführt, ein OP-Termin vereinbart und ich musste am nächsten Tag in eine Uniklinik, um eine Kryokonservierung durchzuführen.

Am 09.05.2014 wurde mir dann der linke Hoden entfernt. Die OP dauerte sehr lange, da die Ärzte sich immer noch nicht ganz sicher waren und den Hoden erhalten wollten. Doch sie entschieden sich den linken Hoden zu entfernen und den rechten Hoden zu biopsieren. Die starke Narkose nahm mich noch gut 2 Tage komplett aus dem Rennen.

Die Diagnose und die OP hatte ich nach dem ersten Schock ganz gut verkraftet. Doch das CT zeigte 2 vergrößerte Lymphknoten im Bauchraum (2x1,5x1,4) und ca. 30 Herde in beiden Lungenflügeln, alle zum Glück noch unter 1cm Durchmesser. Diese Nachricht hat mich irgendwie weit mehr getroffen.
Der Befund ergab: Embryonales Hodenkarzinom pT2 C4 cN1C2cM1aC2 L1V0Pn0S0 R0

Meine Organe sowie mein Gehör wurden untersucht und ca. 2 Wochen nach der OP sollte es mit PEB losgehen. Vor der Chemo hatte ich wirklich Respekt, da ich einfach nicht wusste, was auf mich zukommt.
Ich musste kurz vor Ende des Semesters aus der Uni aussteigen. Ich nahm kein Urlaubssemester, weil ich diese Bezeichnung absurd finde. Ich verlor meinen Nebenjob und kam auch in finanzielle Probleme. Die Kryokonservierung musste vorerst bezahlt werden und auch Auto und Miete fielen weiter an. Ohne meine Freundin und meine Familie wäre ich da ziemlich aufgeschmissen gewesen.

Vor Beginn der Chemo hatte ich noch einen Termin bei einer Klinik für alternative Heilmethoden. Ich wollte mich informieren was man zusätzlich so neben der Chemo machen kann. Ich kaufte ein paar Vitaminpillen und was fürs Blut, aber ansonsten fand ich das dort nicht so überzeugend.
Der Arzt setzte 2 Zyklen PEB an, danach Staging. Die ersten Stationären Tage verkraftete ich recht gut. Ich fühlte mich ab und an etwas schal im Kopf(verkatert) und hatte erst Verstopfung und dann mehrere Tage Durchfall aber ansonsten war ich wirklich positiv gestimmt.
Ich bekam neben der Chemo: Dexamethason, Pantoprazol und eine Antithrombosespritze.

Die Zeit zwischen den ambulanten Bleogaben verbrachte ich mit PC-Spielen, Serien schauen und schlafen. Ich versuchte 2 mal am Tag an die frische Luft zu gehen und viel zu trinken. Ich hatte wenig Appetit (es war auch warm), und auch mein Geschmack veränderte sich nach und nach. Normal esse ich eher mageres Fleisch, doch durch die Chemo bevorzugte ich wirklich fettiges Essen, was ich normal nicht gegessen hätte. Im Gegenzug konnte ich kein Geflügel essen, es roch und schmeckte wie verdorben und z.B. an Geflügel im Auflauf kann ich jetzt noch nicht ran.

Das mit dem Appetit änderte sich zum 2ten Zyklus hin. Ich wurde wohl auch bedingt durch das Kortison nicht wirklich satt, das abgepackte Essen im Krankenhaus wurde immer unerträglicher und ich stopfte mich an einigen Tagen voll, während ich an anderen wenig zu mir nahm. Meine körperliche Leistungsfähigkeit nahm zunehmend ab. Ich schaffte es nicht mehr in den 4ten Stock, in dem ich wohne, ohne eine Pause einzulegen. Auch meine Haare gingen aus und ich rasierte sie erst auf 1mm und 1 Tag später komplett ab.

Der 2te Zyklus war deutlich härter. Die Verdauungsprobleme blieben, ich hatte Taubheitsgefühl in den Händen, bekam Lippenherpes, Ausschlag auf der Schulter. Meine Armvenen schmerzten durch die hohe Flüssigkeitsgabe(Ich hatte keinen Port oder ZVK). Ich war froh nach den 5 Tagen wieder daheim zu sein mit der Hoffnung den stationären Teil nun überwunden zu haben. In dieser Hoffnung schaffte ich auch noch die ambulanten Bleotermine. Wirklich schlimm war, dass es mir von Tag zu Tag besser ging, bis zum nächsten Termin, der wie die „Faust in die Fresse“ wieder alles zunichte machte.
Das Staging 1 Woche nach Ende des 2.Zyklus war ein voller Erfolg, die Herde in der Lunge waren beseitigt, die Lymphknoten bis auf knapp über 1 cm zurückgegangen. Man ging davon aus, dass kein Tumorgewebe mehr darin lebte und sie nach und nach weiter schrumpfen würden. Umso überraschter war ich, als der behandelnde Onkologe mich zum 3. Zyklus einbestellte. Auf meine Nachfrage hin meinte er, es wäre von Anfang an die Rede von 3 Zyklen gewesen und das wäre bei Metastasen der gängige Weg. Also auf zum 3ten Zyklus (auch wenn ich bis heute nicht weiß, ob dieser wirklich notwendig gewesen ist).

Im dritten Zyklus kam zu den Nebenwirkungen noch Speichelbildung (ein Spucklama ist nichts dagegen) und ich nenne sie die „Bleo-Stripes“ dazu. Die hohe Dosis an Bleomycin in meinem Körper lagerte sich an Stellen in meiner Haut ein an denen ich mich gekratzt habe, wie eine Art Pigmentstörung. Das tut nicht weh, nur ist es auch 2 Jahre danach nicht weniger geworden. Mein Rücken sieht jetzt aus als wäre ich als Kind geschlagen worden, oder meine Freundin hätte mir beim Sex den Rücken zerkratzt.

Der 3. Zyklus war vor allem psychisch eine echte Herausforderung. Um es kurz zu sagen, ich hatte einfach keinen Bock mehr. Dieses körperliche Auf und Ab. Das ständige liegen, während andere den Sommer genossen. Mir reichte es und ich war heilfroh als es im August dem Ende zuging. Das Abschlussstaging zeigte, dass auch die Lymphknoten unter 1cm geschrumpft waren und keine weitere OP notwendig war.

Mir wurde ein Schwerbehindertenausweis (GdB: 80) ausgestellt und ich beantragte eine Reha. Nach erneutem Streit mit der Krankenkassen (die mich in eine Rentnerhochburg schicken wollten) kam ich in die junge Erwachsenenreha der Katharinenhöhe. Eine schöne Erfahrung, vor allem durch den Austausch mit Leuten die ein ähnliches Schicksal teilten. Ich spielte durch Spielermangel recht schnell wieder Fußball in meinem Verein und hatte nach ca. 6-8 Monaten meine körperliche Fitness zurück.

Heute, 2 Jahre danach:
- Kontrollen aller 6 Monate (Blut, CT)
- ich habe Konzentrations- und gelegentlich Wortfindungsstörungen
- auf dem rechten Ohr höre ich schlechter
- die Bleo-Stripes sind noch da
- Ich habe eine Zyste im Hoden die sich mit Sperma füllt (Spermatozele). Wenn ich länger als 5-6 Tage keinen Samenerguss habe, bekomme ich dadurch starke Schmerzen. Nein, das ist leider keine Ausrede damit ich regelmäßigen Sex bekomme. So lang wie nicht unbedingt nötig, soll nicht in diesem Bereich operiert werden.
- Ich habe meine Zeugungsfähigkeit zwischenzeitlich verloren, die Werte verbessern sich aber zum Glück derzeit.

Meine Tipps:
- schaut euch das Krankenhaus vorher an, bei dem ihr die Chemotherapie durchführt. Die Station auf der ich lag hatte weder Handyempfang noch W-Lan. Die ambulante Bleo gabs auf dem Gang, neben Leuten die sich übergeben haben. Allgemein war kein Platz, sodass Arztgespräche auch mal im Vorraum zum Treppenhaus stattfanden.
- holt euch evtl. eine Zweitmeinung ein, ich mache mir immer noch Gedanken ob der 3. Zyklus unbedingt sein musste
- wenn euch die Haare ausfallen, zieht keine Bündel heraus, das gibt nur kahle Stellen. Rasiert sie euch ab und schützt euch vor der Sonne
- Wenn ihr aus dem KH kommt stopft nicht alles Essen in euch rein, ihr werdet es womöglich später bereuen
- versucht ein Tagebuch oder eine Fotostrecke zu führen, wenn ihr in der Lage dazu seid
- Sucht euch eine Buchreihe zum lesen, Wartezeiten werden sich sehr summieren.
- Geht nicht allein zu wichtigen Arztgesprächen. Vier Ohren hören mehr als zwei und wenn der Arzt was sagt und man darüber nachdenkt; verpasst man schon den nächsten Fakt. Schreibt euch vorher eure Fragen auf einen Zettel, bevor ihr sie wieder vergesst.
- Wenn ihr Schüler oder Studenten seid, dann versucht ein wenig im Rhythmus zu bleiben. Es ist unheimlich schwer Stoff nachzuholen und die Tagesstruktur wieder zu erlangen.
- lasst euch von eurer Krankenkasse nicht alles gefallen. Wer eine für die meisten Männer unnötige Perücke zahlt, kann auch das wesentlich wichtigere Einfrieren von Sperma übernehmen.
- positiv hat mich der Satz einer Krankenschwester gestimmt: „Hodenkrebs haben sie schon in den 70ger Jahren der DDR geheilt, also mach dir mal keine Gedanken, dass wird schon.“

Vielen Dank für eure vielen interessanten Forenbeiträge. Ich wünsche euch Alles Gute.
Tom

Geändert von gitti2002 (16.09.2016 um 23:27 Uhr) Grund: NB
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Stichworte
erfahrungen, hodenkrebs, peb


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