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  #1  
Alt 24.06.2010, 03:36
moonchild moonchild ist offline
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Standard wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo,

ich habe eine frage, die mir sehr am herzen liegt.

(zu mir vorab - ich bin 29 und tierärztin, gerade fertig geworden und fühle mich momentan ziemlich hilflos)

mein vater hat ein ungewöhnliches und sehr bösartiges plattenepithelkarzinom (innerhalb von 2m auf T3 gewachsen) und die standardtherapie für diese lokalisation (keine OP möglich) mit radiochemotherapie bereits hinter sich.

gestern war der kontrolltermin im KH und es hat sich dabei gezeigt dass es metastasen in den lokalen lymphknoten gibt und außerdem schon multiple metastasen in der lunge beidseits.

Ursprünglich sollte heute der metastaseverdächtige lymphknoten entfernt werden, davon wurde jetzt aber abgesehen und mein vater soll stationär in ein anderes KH gehen und dort eine chemo bekommen.

ich hatte bereits als er am we husten hatte, große angst dass es sich um lungenmetastasen handelt, was sich ja nun leider bestätigt hat. als mir mein vater das gestern gesagt hat, war mir klar dass er bald sterben wird. der primärtumor hat auf die therapie nicht wirklich angesprochen, sich von vorneherin sehr bösartig verhalten und die metastasen in lymphknoten und lunge scheinen sich ebenso rasant zu entwickeln.
ich habe nichts gesagt, bis auf dass es wichtig ist dass er schnell in das andere KH kommt und das ist für morgen geplant.

heute morgen habe ich mit ihm telefoniert und ihm gesagt dass er mich alles fragen kann (ich wusste nicht, wie ich ihm signalisieren soll, dass ich bereit bin ehrlich zu ihm zu sein). er war noch sehr auf eine mögliche heilung ausgerichtet, meinte aber auch dass ihm klar ist dass es tödlich ausgehen kann.

dann hat er mir gesagt dass der arzt aus dem KH (in dem er zur kontrolle war) mit mir "von kollege zu kollege" telefonieren möchte. mein vater hat mir gesagt dass er denkt dass der arzt mir seine ehrliche meinung sagen würde und ihm evt. nicht (hat er nicht ganz so explizit formuliert, kam aber durch).

heute nachmittag hat mich sein arzt dann angerufen und er teilt meine einschätzung der situation. er meinte dass er es nicht für richtig gehalten hätte das "dem patienten zu sagen", meinte aber genau wie ich, dass eine heilung nicht möglich sein wird, die chemo rein palliativ sein wird und es sich um wochen bis monate handeln würde.

ich habe danach erstmal überlegen müssen, was ich jetzt machen soll. ich habe dann meinen vater angerufen und ihm gesagt dass ich mit dem arzt geredet habe und er mich alles fragen kann. er meinte daraufhin "erzähl mal". ich habe ihn gefragt, ob er meine ehrliche medizinische einschätzung und die meinung des arztes wirklich wissen will, er meinte "ja, erzähl".

daraufhin habe ich ihm gesagt dass die situation ist dass es sich um eine lebensverlängernde therapie handeln wird, dass es zwar nicht ausgeschlossen ist, dass sich alles ganz toll entwickelt, aber er die entscheidungen, die jetzt
auf ihn zukommen vor dem hintergrund der schlechten prognose treffen sollte und dabei nicht das hauptaugenmerk auf eine mögliche heilung setzen.

ich habe ihm natürlich auch gesagt dass man erstmal sehen muss, wie die chemo, die jetzt kommt anschlägt, gesagt dass ich positiv überrascht über die größe der metastasen war (kleiner, als ich befürchtet hatte) und dass man das zwar nicht beurteilen kann, es sich aber wohl um einen zeitraum von monaten handeln würde (ich denke wir sprechen im schlimmsten fall über einen viel kürzeren zeitraum, aber das möchte ich ihm nicht sagen, denn das wird sich meiner meinung nach in der nächsten zeit von alleine zeigen).

er hat mich dann gefragt "was heisst monate" und ich habe ihm gesagt "monate, die du noch leben wirst".

er hat mir gesagt dass er es gut findet dass ich ihm das gesagt habe.
ich habe jetzt aber ein schreckliches gefühl und große angst, dass ich nicht hätte ehrlich zu ihm sein sollen.

andererseits denke ich dass er die möglichkeit haben muss, die wirkliche lage einzuschätzen und dann zu entscheiden, wie er die nächste und wahrscheinlich letzte zeit verbringen möchte.

ich bin mir nicht sicher, ob er wollte dass ich ihm das sage - und deshalb das telefonat von mir und dem arzt organisiert hat - oder ob das von dem arzt ausging...


jedenfalls ist das meine akute situation und ich habe so große angst das falsche gemacht zu haben.

daher meine frage an Euch: wie sehr Ihr das - wie ehrlich muss man sein, wie wichtig ist es als betroffener zu wissen, woran man ist, auch wenn die prognose so schlecht ist?

ich hoffe sehr dass jemand antwortet, weil ich diese frage sehr schwer finde und wirklich große angst habe (denn es ist ja mein vater, dem ich heute im endeffekt gesagt habe, dass er sterben wird).
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  #2  
Alt 24.06.2010, 06:47
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MoSchu MoSchu ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

gerade geht die sonne auf - irgndwie ein symbol von hoffnung.
ich lese deine frage - ich bin im grunde genau so hilflos wie du.
mein mann hat eine schlimme diagnose (malignes pleura mesotheliom) seit frebruar, wir bekamen es zusammen vom arzt erklärt, unheilbar, palliative chemo- nach der operation -(entfernung des rippenfells.)
es gab dreimal gespräche - und trotzdem, ich weiß nicht, inwieweit er es ganz so realsiert hat für sich.
wir mßten es "verstehen" es gab klaren rat der ärzte, unssere goldne hochzeit vor drei wochen abzusagen - was auch sehr gut war. denn er ist nach drei palliativen chemotherapien jeweils 10 tage akut im krankenhaus per notfall gewesen. leukozyten auf 600. und immer andere schmerzzustände.
ich habe mich mit hilfe meiner töchter dafür entschieden: ich gehe nur so weit mit gesprächen über die krankheit, wie er es vorgibt. komme ganz gut damit klar.
wenn auch das herz bricht, wenn er mal eine andeutung macht, aus der ich merke, wieviel er weiß.
an den "guten tagen" wo er auch mal was im garten tut,sammele ich kraft und merke, daß man ohne hoffnung nicht leben kann.
uns b eiden taten am anfang auch gespräche mit freunden und verwandten gut, wir waren recht offen zu allen. irgendwie ging da etwas der druck weg.

ich hoffe, daß dich noch jemand besser trösten und dir helfen kann.ich wollte dir nur signalisieren, du bist nicht allein mit deiner angst.
alles gute für den tag - er wird sicher strahlend schön -
moni
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  #3  
Alt 24.06.2010, 08:29
Speedy Schneller Speedy Schneller ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Ich finde Ihr habt ein großes -Danke!- verdient.
Die Wahrheit zu sagen ist hier ganz besonders schwer!

Wie die liebe MoSchu richtig schreibt:

" ich habe mich mit hilfe meiner töchter dafür entschieden: ich gehe nur so weit mit gesprächen über die krankheit, wie er es vorgibt. komme ganz gut damit klar."


Liebe/r moonchild
Ich verstehe Deine Zeilen so:
Dein Vater hat Dich ja darum gebeten, dass Du Ihm alles erklärst- ich denke, er vertaut Dir sehr!
Auch Ich finde, nur mit der Wahrheit ist die Möglichkeit gegeben die Zeit & Kraft, die einem bleibt, eben so gut es geht, nach eigenen Vorstellungen zu nutzen. Wichtig ist es auch für Behandlungen- wo liegt der Vorteil- wo der Nachteil - was möchte ich noch aushalten.

Also habe auch bei weiteren Fragen den Mut zur Wahrheit.
Viel Kraft sendet Euch
Speedy
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  #4  
Alt 24.06.2010, 09:07
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Jutta Jutta ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,

so viel Wahrheit ist richtig, wie der Betroffene sich erwünscht.

Mache dir deshalb keine Gedanken, denn es war sein Wunsch die Wahrheit zu erfahren. Nun kann er damit umgehen, seine Dinge physisch sowie psychisch regeln. Ich habe all die Jahre festgestellt, im persönlichen sowie auch im palliativen Bereich, dass fast alle Betroffenen irgendwann die Wahrheit wissen wollen. Das gibt ihnen ihre Zeit, die sie benötigen. Die meisten werden danach ruhiger, gehen alle Behandlungen iúnd alltäglichen Dinge ganz anders an, und dennoch geht der Lebenswille und oft die Hoffnung nicht verloren.
__________________
Jutta
_________________________________________




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  #5  
Alt 24.06.2010, 12:21
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blueblue blueblue ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,

zunächst einmal stimme ich meinen "Vorschreibern" zu und möchte dir aber auch mitteilen, wie ich es als Betroffene sehe. Dabei gehe ich von meiner eigenen Erkrankung aus.

Ich habe immer wissen wollen, was gerade mit mir passierte und was zu entscheiden war. Oft ist es gar nicht so einfach, sich den Aussagen der Mediziner zu stellen, besonders dann nicht, wenn sie auch noch etwas unsensibel sind.

Ich denke, dass dein Paps dieses Gespräch herbei geführt hat, weil er genau wußte, dass er die Mitteilung besser verkraften konnte, wenn du sie ihm machst. Er hat einfach ein Recht darauf, zu erfahren was los ist.

Will sagen, du machst es genau richtig, wenn du deinem Gefühl traust, denn du kennst deinen Vater und wirst genau wissen, wie du mit ihm umgehen kannst. Den Betroffenen in Watte packen bringt nichts.

Ich wünsche dir und deinem Paps noch eine möglichst lange beschwerdefreie Zeit.

Liebe Grüße

blueblue
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  #6  
Alt 24.06.2010, 22:25
MavoLiMa MavoLiMa ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo moonchild!

ich finde das auch sehr schwer. meine mama hat die selbe diagnose wie monis mann. leider ist dieser krebs nicht operier- und heilbar! sie wird sterben, ganz klar. die lebenserwartungen im internet sehe seeehr bescheiden aus. sie weiß, dass sie sterben wird, aber wann? das weiß natürlich keiner, aber das werde ich ihr auch nicht erzählen.

sie selber macht sich überhaupt nicht schlau. sie weiß, dass ich hier rumgeister, aber das war es. sie hat ihren doc und das reicht. dass die prognose einfach bescheiden ist, will sie nicht wissen. deshalb sieht es hier derzeit so aus, dass wir ihr viel positives erzählen, da ich persönlich glaube, dass sie daraus mehr kraft zieht. ihre zeit genießt sie im moment eh sehr! sie arbeitet nicht mehr, ihr geht es zur zeit noch sehr gut, und wir (ich und meine kleinen kinder) sind fast täglich bei ihr und lenken sie gut ab. das ist das was sie will!

was wirklich kommt weiß einfach keiner so genau. ich stelle mich auf nicht mehr viele jahre ein. wir müssen das nächste CT abwarten... die nächste chemo!

ich finde du hast alles richtig gemacht. wenn meine mama wirklich fragen würde, so in echt, dann würde ich es ihr auch sagen. ich finde das sehr wichtig für die weitere behandlungsstrategie. wenn meine mama durch die chemo nur zb 2 monate mehr hätte, dann hätte sie das nicht angefangen. sie weiß dein vater, was er für sich noch machen lassen möchte!

ich finde das sehr schwer und kann es schwer ausdrücken!

ich wünsche euch alles erdenklich gute
annika
__________________
betroffen: meine mama (1952)
diagnose 20.05.2010: epitheliales pleuramesotheliom rechts - T3N0M0
Für immer eingeschlafen: 07.07.2011
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  #7  
Alt 25.06.2010, 03:20
moonchild moonchild ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo und erstmal vielen dank für alle Eure antworten!

ich habe mich heute morgen schon sehr darüber gefreut und auch im laufe des tages immer wieder gelesen

heute hatte ich immer wieder ein echtes problem mit schuldgefühlen und immer noch ziemliche angst, dass ich es ihm nicht hätte sagen sollen.

dann hat mich seine frau gegen mittag angerufen und mir gesagt dass es mit dem KH platz zum glück geklappt hat und er jetzt dort ist. sie meinte dass sie meine meinung nicht teilen würde und es besser fände die ganze zeit so zu tun, als ob "das schon werden würde". dann meinte sie aber dass mein vater ihr gesagt hat dass er es so gut findet und hat dann gesagt dass "wenn ihr (also mein vater und ich) so seid, es ja unsere sache und in ordnung wäre", auch wenn sie das anders sehen würde.

später haben wir dann nochmal telefoniert, als sie nochmal bei ihm gewesen war und dann hat sie mir gesagt dass er sie explizit nach dem status vom primärtumor gefragt hätte, sie aber angst gehabt hätte ihm die wahrheit zu sagen und lieber gesagt hat, dass sie es nicht wüsste und dass ich ja nochmal mit dem arzt telefonieren könne und den fragen.

in wirklichkeit hatte ich mit ihm ja schon darüber gesprochen und wusste dass der tumor offenbar nicht, bzw. kaum auf die radiochemotherapie angesprochen hat. ich hatte das meinem vater gegenüber nicht gesagt, weil die inhalte unseres gespräches und die prognose meiner meinung nach erstmal genug waren.
ihr hatte ich das aber im ersten telefonat am mittag gesagt, so dass sie es eigentlich wusste, als er sie gefragt hat.
jetzt werden wir sehen, wie wir das machen - auf jeden fall meinte sie auch, dass sie es falsch fände ihn anzulügen (das sehe ich auch so).


ansonsten haben sich meine schuldgefühle zum glück etwas gelegt. ich denke dass es so ist, dass die reaktionen, die nach so einer diagnose kommen sicher vor allem unterbewußt gesteuert werden. sicherlich kann sich niemand sofort, oder nach ein paar tagen einfach mit der tatsache abfinden, dass er sterben wird, wie sollte man das auch, es ist einfach unbegreiflich sowas gesagt zu bekommen (so stelle ich mir das jedenfalls vor).

ich denke dass in der nächsten zeit viele verschiedene phasen ablaufen werden und dass verdrängung sicher eine ist, die am anfang oder auch lange ganz normal ist.

jetzt, wo mein vater die tragweite der diagnose kennt, werde ich versuchen so gut wie ich es kann auf seine "signale", also wie er das ganze bewertet, was er noch fragt, wie er das ganze sehen will eingehen und ihn dabei unterstützen.

ich sehe das so dass er es jetzt weiss und auf seine art verarbeiten kann und dass ich diese art respektieren muss und möchte.

es war mir nur sehr wichtig, dass er es weiss, weil es sich möglicherweise wirklich nicht um monate handeln wird, sondern ganz real auch um einen viel kürzeren zeitraum gehen kann (vielleicht nur ein paar wochen, im schlimmsten fall auch kürzer).

morgen werde ich versuchen mich so gut wie möglich zu erholen und am samstag kann ich ihn dann endlich besuchen gehen (er möchte sich erstmal im KH eingewöhnen).

die entscheidung ihm das zu sagen und die damit verbundenen gefühle bei mir sind immer noch sehr schwer - aber mittlerweile denke ich auch dass ich meine rolle da nicht so überbewerten sollte, weil der prozess damit irgendwie umzugehen der jetzt kommt, von ganz anderen dingen bestimmt wird.

das habe ich heute auch bei mir selbst gesehen - es war ganz verrückt: ich konnte mir auf einmal wirklich nicht mehr vorstellen dass die diagnose real ist und was das bedeutet. klar wusste ich immer noch vom verstand und vom medizinischen her, dass es so ist und habe auch seinen befund nochmal gelesen - aber ich konnte mein gefühl und diese erkenntnis einfach nicht mehr verbinden.

das ist wohl die verdrängung bei mir und wieviel stärker muss das bei ihm jetzt sein!

ich kann mir garnicht vorstellen, was jetzt alles in ihm ablaufen muss. wahrscheinlich ist das meiste davon aber wirklich unterbewußt und hat seine ganz eigene zeit und dynamik.

ich möchte gerne lernen und verstehen, was jetzt für ihn wichtig ist und mich damit möglichst viel beschäftigen.

aber wirklich absehen, was jetzt auf uns zukommt, kann ich einfach nicht.
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  #8  
Alt 25.06.2010, 09:06
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blueblue blueblue ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,

ich noch einmal.

Weißt du, wenn es absehbar wäre, was da auf einen zu kommt, dann wäre es doch nicht mehr so schwierig. Denn du wüßtest dann relativ genau, wie du handeln sollst.

Ehrlichkeit gegenüber deinem Paps ist ganz wichtig. Er muss die Möglichkeit haben, sich mit dem Unabenderlichen auseinander zu setzen. Und ganz sicher wird er auch wissen, dass er demnächst abberufen wird. Genau deshalb muss er auf eure Ehrlichkeit vertrauen können, weil er sonst einfach keine Möglichkeit hat sich von euch zu verabschieden.

Ich bin selbst an Krebs erkrankt und fände es ganz erschreckend furchtbar, wenn mir nicht mehr möglich wäre, mich zu verabschieden, nicht mehr sagen zu können, was mir noch zu sagen wichtig wäre.

Auf der anderen Seite kann ich aber auch deine Ohnmacht verstehen, deine Hilflosigkeit. Du stehst daneben und kannst nichts weiter für deinen Paps tun als für ihn einfach da zu sein. Glaub mir, mehr erwartet dein Paps auch nicht von dir, denn das ist so sehr viel. Dein Paps weiß intuitiv auf welchem Weg er sich befindet. Wenn ihr ihn dabei begleitet, wird er daraus auch die notwendige Kraft schöpfen.

Du machst alles richtig, wenn du für ihn da bist. Du kannst dabei nichts falsches tun.

blueblue
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  #9  
Alt 25.06.2010, 15:44
moonchild moonchild ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo blueblue,

vielen dank dass Du nochmal geschrieben hast - das hilft mir wirklich!

ich habe auch schon darüber nachgedacht, ob er das jetzt wohl spürt, obwohl er die bedeutung der diagnose vom mittwoch sicher noch verdrängt.

Du schreibst dass er es intuitiv spürt - ich kann mir auch vorstellen dass es so ist, aber kann es natürlich nicht beurteilen, weil ich diese erfahrung einfach nicht habe.

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  #10  
Alt 25.06.2010, 15:47
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,

du schreibst von Schuldgefühlen. Was soll der Grund dafür sein? Der einzige Grund, schuldig zu sein wäre, wenn du schuldig an der Erkrankung deines Vaters wärst.

Ansonsten bist du Medizinerin. Tierärztin hin oder her, das spielt keine Rolle. Du hast gelernt, Diagnosen zu stellen und Befunde zu verstehen. Als Medizinerin bist du angehalten diese Dinge nüchtern zu sehen. Ich weiss, dass das nicht immer geht, viel weniger noch bei dem eigenen Vater. Einerseits ist ein Arzt dazu verpflichtet, dem Patienten immer die Wahrheit zu sagen. Andererseits steht die Frage im Raum: was will der Patient hören oder wissen.

Der Arzt stellt trocken und wissentschaftlich Diagnosen und Befunde aus. Sie enthalten immer die Wahrheit. Soweit es die Qualität des Arztes zulässt. Der Patient selbst versteht diese Dinge eher weniger. Eine ganz andere Geschichte hingegen ist das persönliche Gespräch mit dem Patienten. Hier gilt es auszuloten, wieviel Wahrheit der Patient verträgt und vorallem, was für seine Zukunft (und sei sie auch noch so kurz) einträglich ist. Auch hier (genauso wie bei der Behandlung selbst) stellt sich die Frage nach Quantität und Qualität des Lebens des Patienten während und nach der Behandlung. Ein Fehler an dieser Stelle kann durchaus fatale Folgen in medizinischer wie auch privater Hinsicht für den Patienten haben. Die Frage ist also: wie und was kann der Arzt dem Patienten erzählen, ohne ihn über Gebühr zusätzlich zu belasten und vorallem ohne ihn zu belügen?

OK, es geht um deinen Vater, du bist in erster Linie Angehörige. Normalerweise besitzen Angehörige ein eher gefährliches Halbwissen, sofern sie sich mit der Krankheit auseinander setzen. Wenn überhaupt. Für sie ist es noch sehr viel schwieriger auf Fragen des Betroffenen zu antworten. Wobei sich für sie zwangsläufig die gleichen Fragen stellen wie oben: wie, was und wieviel. Hinzu kommen noch Emotionen, Gefühle und (meist) die Liebe, die sie mit den Betroffenen verbindet.

Um die Fragen deines Vaters zu beantworten, hast du zwei Vorteile. Zum Ersten weisst du haarklein Bescheid über seine Krankheit und zum Zweiten liebst du deinen Vater und kennst ihn ganz genau. Seine Frau (sie ist nicht deine Mutter, denke ich) liebt ihn sicherlich auch, doch fehlt ihr das richtige, fundierte Wissen. Deshalb handelt sie so, wie viele Angehörige. Das wird auch genau der Grund sein, warum dein Vater gerade dich mit seinen Fragen löchert.

Der Titel deines Threads ist ein bisschen irreführend. Ehrlichkeit muss immer sein. Ob man nun stückchensweise Antworten gibt oder unverblümt die volle Wahrheit erzählt. Ein bisschen Ehrlichkeit, also eine Halbwahrheit im Sinne des Wortes, gibt es nicht. Nicht an dieser Stelle. Das hätte fatale Folgen. Der Titel hiesse besser: "Wie, was und wieviel darf ich wann erzählen?"

Nach dem, was ich lesen konnte, machst du das genau richtig. Du hörst auf deine Gefühle und auf deinen Bauch. Letzterer ist in solchen Dingen eh der bessere Ratgeber. So viel über die Wahrheit. Es gibt jedoch auch Patienten und Situationen, bei welchen eine gnädige Lüge durchaus angebracht sein kann. Ich denke, dein Vater gehört nicht zu den Letzteren. Ich drück euch allen die Daumen.


Alles Gute

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
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  #11  
Alt 26.06.2010, 21:37
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Natascha85 Natascha85 ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,
hab dir ne PN geschickt. Aber sei gefasst. Ist seeeeeeeehr lang.
__________________
Mama, ich werde Dich nie vergessen! Ich liebe Dich!
07.07.1952-21.01.2011
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  #12  
Alt 27.06.2010, 01:18
chaoskatze chaoskatze ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Ich finde es toll, wie du es ihm erzählt hast. Gebe den anderen recht - er hat explizit danach gefragt, ist bei vollem Bewusstsein, setzt sich damit auseinander. Und genau mit diesen Fragen hat er auch das Recht auf die Antworten. Augenscheinlich hat er mit dir da wirklich tolle Bedingungen - weil du in der Lage bist, Emotionen und Verstand zu trennen, das können viele oft nicht, gerade in so einer Situation.

Mir war es als Betroffene immer wichtig, möglichst schnell konkrete Antworten zu bekommen, hatte auch meine Ärzte gefragt, wie lange ich noch habe.

Und was mir noch dazu einfällt - ich denke oft, dass Angehörige es häufig schlimmer haben als die Betroffenen. Denn unsereins ist in der Aktion an sich, handelt, reagiert... ihr seid hilfloser, klar. Zurückbleiben ist oft schlimmer als Gehen.

Ich denke, das Richtige machst du instinktiv: ihm das Gefühl zu geben, das du immer für ihn da bist.
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  #13  
Alt 27.06.2010, 02:04
danja danja ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Zitat:
Zitat von HelmutL Beitrag anzeigen
Andererseits steht die Frage im Raum: was will der Patient hören oder wissen.
Auch wenn ich mit meiner Meinung ganz allein dastehe, genau diese Aussage von Helmut ist für mich der springende Punkt.

Kann man so über sich hinauswachsen, wissen zu wollen, daß und wann es soweit ist?

Mein Mann konnte es nicht, und ich befürchte, ich werde es eines Tages auch nicht können.

Du kannst Deinen Vater einschätzen, moonchild, und Du wirst am besten wissen, was Du Deinem Vater sagen kannst.

Geändert von danja (27.06.2010 um 02:06 Uhr)
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  #14  
Alt 28.06.2010, 03:18
Boxerhund1 Boxerhund1 ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo Moonchild,

hab erst jetzt mal bei dir nachgelesen, worum es überhaupt geht.

Schließe mich im Großen und Ganzen Helmut an. Als Tierärztin hast du viel mehr Wissen, als die meisten Angehörigen haben.

Der Punkt ist, daß dein Vater explizit von dir wissen wollte, was da ist. Er hat dich eingeschaltet, weil er es wissen wollte - und er hat dir vertraut, daß du ihm das dann auch sagst.
Und da sollte er dir dann auch vertrauen können. Wenn du ihn da jetzt angelogen hättest, so wie deine Stiefmutter es wollte, dann hätte er auch zu dir das Vertrauen verloren. Und dieses Vertrauen wird er noch brauchen die nächsten Monate - das Vertrauen, daß du es ehrlich meinst mit ihm.

Manchmal - in bestimmten Fällen - gibt es auch eine Situation, wo eine barmherzige Lüge eher angebracht ist, aber bei dir und deinem Vater sehe ich das nicht, so wie du es beschreibst. Ich finde, du hast es genau richtig gemacht. Wenn ein Patient explizit fragt, dann muß man ihm die Wahrheit sagen - die ganze Wahrheit, wenn auch richtig dosiert. Und das hast du getan - und das war richtig.

Wenn deine Stiefmutter jetzt Streß macht und dir Vorwürfe, dann laß dich davon nicht irritieren. Dein Vater braucht dich - und er muß dir vertrauen können. Was sie denkt und will, ist dabei völlig unwichtig. Also.... laß dich nicht von ihr stressen.
__________________
Liebe Grüße, Cori

Als Angehörige kam ich, als Hinterbliebene blieb ich.

Mama: 4.10.1924 - 29.6.2009
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  #15  
Alt 29.06.2010, 17:23
moonchild moonchild ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Heute hat die palliative Chemo von meinem Vater begonnen. Ich war gerade da und mir gehts wirklich gut! Habe mich mit ihm ganz in Ruhe unterhalten können und er hat ganz offen gesagt dass er mir "den Auftrag" gegeben hätte mit seinem Arzt zu reden und dass er immer alles wissen will.

Er meinte dass er es schlimm fände und sauer werden würde, wenn er nicht die Chance hätte, zu wissen was los ist und zu entscheiden was er in der verbleibenden Zeit machen will.

Ich bin wirklich so froh dass er so offen mit mir geredet hat und auch nicht mehr so fertig wirkte wie die letzten Tage. Ich denke dass jetzt eine harte Zeit kommt (bin gegangen und habe ihn allein mit seiner Frau gelassen, weil ihm das sonst alles zuviel wird), mal sehen wie es ihm morgen geht.

Ich freue mich so, dass er so damit umgeht und offen ist.

Jetzt gehe ich in den Park + ruhe mich aus!

Momentan denke ich dass man wirklich jeden guten Moment 100% genießen sollte, weil man nicht weiß, wann es wieder schlecht wird
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