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Alt 26.05.2020, 00:18
SebH SebH ist offline
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Standard Pleuramesotheliom - am Ende wie erwartet verloren, doch der Kampf hat sich gelohnt!

Hallo,

so wie ich es mir vor Jahren vorgenommen habe, möchte ich heute Euch die Geschichte meines Vaters aufschreiben, der am 2.5.2020 nach 4 Jahren und 4 Monaten an einem Pleuramesotheliom verstorben ist.
Ich hoffe damit einen möglichen Verlauf realistisch wiederzugeben, denn wenn man die Diagnose bekommt, weiß man als Betroffener ja oft nicht, was einen erwarten könnte. Dass der Verlauf schlussendlich bei jedem anders ist, ist natürlich auch klar.

Ende 2015 hatte mein Vater aus heiterem Himmel schleichend zunehmend Luftnot. Einmal lief er auf unserem Grundstück den Hof hinauf und sagte danach zu meiner Mutter: "...dass man sich auf einmal so schnell alt fühlt..."

1 Monat zuvor waren meine Eltern noch zusammen in Südafrika gewesen inkl. Safari und allem drum und dran.

Anfang 2016 ging er dann zu seinem Kardiologen, der ihm sagte, er sehe einen Erguss unter der rechten Lunge (Pleuraerguss) und dieser komme sicher nicht ursächlich vom Herzen.
Meine Alarmglocken waren aktiviert (ich bin "vom Fach") und ich stellte ihn noch am Folgetag in meiner Klinik vor. Zügig wurde der Erguss punktiert und ergab maligne (bösartige) Zellen: Diagnose Pleuramesotheliom, das sich dann mit Verdickungen im CT nach Ablassen des Ergusses auch zeigte. Wir waren am Boden zerstört.

Ein paar Tage später wurde eine Thorakoskopie in einer renommierten Thoraxchirurgie organisiert, bei der der Resterguss abgelassen werden konnte und eine großflächigere Probe vom Rippenfell genommen werden konnte, die dann histologisch untersucht wurde. Leider zeigte sich hierbei, dass doch ein großflächiger Befall des rechten Rippenfells vorlag, fast die gesamte Lunge war von bösartigem Gewebe überzogen.

Die Luftnot war dann zunächst einmal deutlich gebessert.

Einer Verklebung von Lungenfell und Brustwand (Pleurodese) stimmten wir zu diesem Zeitpunkt explizit nicht zu, da wir uns mittlerweile informiert hatten und den Weg für eine intrathorakale hypertherme intraoperative Chemotherapie (HITHOC) in den Brustkorb offen halten wollten. Hierzu mehr unten.

Wir waren danach in 2 weiteren Thoraxchirurgischen Kliniken (Universitätsklinikum Regensburg und Thoraxklinik Heidelberg) und entschieden uns schließlich aufgrund der größeren Behandlungszahlen und der räumlichen Nähe für die Thoraxklinik Heidelberg.

Dort wurde mein Vater dann im Februar 2016 operiert:

Pleurektomie und Dekortikation (=Entfernung des Rippenfells inkl. Lungenfell, der Lunge wird also gewissermaßen die Haut abgezogen) inklusive Entfernung Herzbeutel (Perikard) und Zwerchfell der rechten Seite (wurde durch synthetisches Material ersetzt).

Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Lunge auf der befallenen Seite drin bleibt und das Verfahren eine geringere Sterblichkeit mit sich bringt als eine komplette Entfernung von Rippenfell inkl. der Lunge, die es bedeckt.

Nachteil: es treten wohl vermehrt lokale Rezidive auf.

Problem beim Mesotheliom ist jedoch, dass es aufgrund seines flächigen Wachstums ohnehin fast nie vollständig entfernt werden kann (mit beiden Verfahren nicht) und es daher früher oder später fast sicher zum Rezidiv kommt.

Kein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass man quasi eine Zeitbombe in sich trägt.

Zusätzlich erfolgte während der OP als neuartiges Verfahren die Einleitung einer erwärmten Chemotherapie-Lösung in den Brustkorb (=die oben erwähnte HITHOC-Therapie, wird nicht an jedem Zentrum angeboten, wollten wir aber), die dann dort eine Zeit lang verbleibt und dann wieder abgelassen wird. Sie hat das Ziel, verbliebene Tumorzellen, die es ja leider bedingt durch die Tumorart und -ausbreitung mikroskopisch fast immer gibt, zu zerstören.

Die OP war wohl nicht leicht, leider trat als Komplikation eine Verletzung des Haupt-Lymphgefäßes (Ductus thoracicus) auf, sodass mein Vater nach Tagen eine Ansammlung von Lymphflüssigeit im Brustkorb entwickelte (Chylothorax). Eine weitere, kleinere OP wurde nötig.
Auch hiernach hörte der Fluss der Lymphe zunächst nicht auf, dies trat erst nach einer Ernährungsumstellung ein (Chylus-Diät), die die Produktion dieser Lymphflüssigkeit reduzierte, sodass der durch die OP lädierte "Abfluss" wieder ausreichte und sich nicht mehr viel ansammelte.

Insgesamt dauerte der stationäre Aufenthalt weit über 1 Monat. Danach war mein Vater körperlich geschwächt, geistig aber weiter topfit. Mein Vater war vorher Wirtschaftswissenschaftler gewesen und so hatte er nun auch in dieser Situation -ganz Geschäftsmann- uns bereits vom Krankenbett tägliche Anweisungen gegeben, was nun im geschäftlichen und privaten Bereich für Aufgaben anstünden etc. und war damit beschäftigt, uns alles zu erklären, damit wir auch einmal ohne ihn auskämen. Eigentlich eine traurige Aufgabe, aber eben die Aufgabe, die für ihn damals anstand.

Von zuhause aus fuhren meine Eltern erstmal in Reha ins Münsterland zum Wiederaufbau der Muskeln etc. Beide waren sehr zufrieden.

Danach erhielt er eine Chemotherapie mit Cisplatin und Pemetrexedüber 4 oder 6 Zyklen (weiß nicht mehr genau), beim letzten Zyklus wurde jedoch aufgrund Nervenschmerzen der Beine (Polyneuropathie, möglicherweise durch Cisplatin mitbedingt) statt Cisplatin das besser verträgliche Carboplatin gegeben.

Danach war es das erstmal an Therapie und es folgten Kontrollvorstellungen in der Ambulanz in Heidelberg alle 3 Monate inkl. CT, Lungenfunktion, Blutgasanalyse, Ultraschall etc.), um das irgendwann ja erwartete Rezidiv möglichst früh erkennen zu können. Auf Strahlung durch das CT kommt es bei so einer Grunderkrankung dann auch nicht mehr an.

Hiernach hatte mein Vater bis 9/2019 Ruhe und KEIN REZIDIV.

In der Zeit machten meine Eltern Urlaub, mein Vater fuhr in Reha etc...) Einfach Leben...

Bei jeder Kontrolle war er ein paar Tage zuvor in sich gekehrt und wurde immer ruhiger, ergab sich dann kein Rezidiv, gingen wir direkt in Heidelberg essen und er war mental wieder sicher und ging die nächsten Projekte an.

Kurz nach seinem 70. Geburtstag kam dann das befürchtete Rezidiv. Bereits lange vorher war eine Immuntherapie mit Pembrolizumab bei der Berufsgenossenschaft als Kostenträger beantragt worden (extra beantragt, da nicht offiziell zugelassene Therapie für Mesotheliom) und diese startete dann auch zeitnah. Leider hat sie ihm schlussendlich gar nichts gebracht, ich bin nicht mal sicher, ob sie das Wachstum am Ende nicht noch gefördert hat, da solche Phänomene bei dieser Immuntherapie beschrieben sind).

Mein Vater als sehr rationaler Mensch haderte jedoch nicht mit der Entscheidung für diese Therapie, da es sich hierbei eben um eine neue Therapie in einer äußerst schwierig zu behandelnden Krankheitssituation handelte- und es hätte ja auch etwas bringen können.

Im Januar 2020 wurde die Immuntherapie dann abgebrochen, ab Februar erhielt er, bei mittlerweile deutlich eingeschränktem Allgemeinzustand eine palliative Chemotherapie mit Pemetrexed.

Leider war es im Januar zu einem Einwachsen des Tumors in ein Lungengefäß gekommen, was ihn schnell sauerstoffpflichtig machte und ihn im Endeffekt nun sicher einige Monate gekostet hat.

Im Februar und März wurde allen Beteiligten dann nach und nach endgültig klar, dass er diesen Sommer nicht mehr schaffen würde.

Die palliative Chemotherapie wurde auf meines Vaters/unseren ausdrücklichen Wunsch jedoch weitergeführt, wozu -auch angesichts der im März beginnenden Corona-Krise- einige Überzeugungsarbeit der behandelnden Ärzte nötig war.
Auch wenn es ihm nicht gut ging, versuchten wir ein normales Leben trotzdem so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Er checkte wie seit Jahren jeden Tag die Aktienkurse, führte Telefonate etc. - auch wenn er natürlich auch viel müde war etc.

Das ambulante Palliativteam (SAPV) wurde eingeschaltet und kam 1x/Woche zu meinen Eltern nach Hause, wobei wir es eigentlich bis kurz vor seinem Tod nicht wirklich brauchten.

Ende April wurde er dann doch schneller als gedacht sehr schwach und fand auch keine Ruhe mehr, für mich als Mediziner, aber auch für ihn ein untrügliches Zeichen, dass die Stunde nun bald gekommen war.
Er erhielt noch die Krankensalbung mit Anwesenheit meiner Familie als Gemeinde und war direkt hiernach auch nicht mehr ansprechbar. Wir redeten jedoch weiter mit ihm und pflegten ihn. 2 Tage später starb er, nachdem wir lange an seinem Sessel, in dem er gelagert wurde, gewacht hatten.


Was ich heute Euch als Angehöriger sagen möchte, ist, dass sich trotz dieser Diagnose und des Verlierens am Ende der Kampf für uns und für Ihn gelohnt hat. Das hat er auch selbst so gesehen und ganz sicher nicht nur für uns gekämpft.

Von den 4 Jahren war die gesamte Zeit so intensiv für uns als Familie wie die 10 Jahre davor nicht. Meine Schwester hat geheiratet und im letzten Jahr einen Sohn bekommen (mein Vater wurde somit zum ersten Mail Opa), ich meine Dr.-Arbeit fertig gestellt, was ihm immer sehr wichtig war, etc.
Auch ist die Familie so eng zusammengerückt, wie ich es nicht erwartet hätte. Wir Kinder mit unserem Vater, aber auch meine Eltern sind uns/sich in der Zeit der Erkrankung emotional näher gekommen, als wir/sie es in der Zeit zuvor waren. Wir konnten alles Relevante noch in Ruhe regeln, mein Vater hat ein Testament gemacht, alles ist verteilt etc. Kein Streit zwischen Erben etc... Das hat alles einen Wert!

Und es waren auch für ihn nicht 4 Jahre Leiden, mindestens 3,5 Jahre waren mit guter Lebensqualität und auch nicht nur von "Abwicklung", sondern auch neuen Projekten geprägt.

Es muss nicht jeder alles mitmachen, aber es kann sich lohnen und man sollte versuchen, sich nicht in Emotionalität zu verlieren, sondern rational zu entscheiden- das war meines Vaters und somit auch unser Weg und ich denke es war ein guter Weg.

Noch ein paar Punkte, die mir spontan einfallen als Tipps:

- Lasst euch alle Befunde geben und legt an Krankheitsbeginn einen Befundordner an, den ihr zu jedem Termin mitnehmt. Dort muss absolute Ordnung drin herrschen und es darf auch von Ärzen nur etwas zum Kopieren herausgenommen werden.

- Holt euch vor Beginn der Therapie 2 bis 3 Meinungen an renommierten Zentren ein. Welche Kliniken die meisten Patienten mit dieser Diagnose behandeln, kann man z. B. bei der Krankenkasse auf der Internetseite herausfinden, z. B. bei der TK, indem man die Diagnose eingibt und die Fallzahlen vergleicht.
Die Erkrankung Pleuramesotheliom ist selten und es bringt nichts, sich damit irgendwo in einer Klinik behandeln zu lassen, die nur wenige Fälle im Jahr davon hat. Wir sind zu jedem Behandlungstermin ca 150 km gefahren, ein wirkliches Problem war das nicht. Es gab in Heidelberg auch Leute, die noch von viel weiter her kamen. Wenn es für eich zu kompliziert ist, ein Zentrum aufzusuchen, lasst die Therapie z. B. dort einleiten und macht dann die Folge-Chemotherapien zuhause.

-Der Betroffene soll alle Reha-Angebote nutzen, von denen er profitiert. Es gibt Krebssportgruppen etc.

-falls es auch nur den geringsten Verdacht gibt, dass der Betroffene im Rahmen seines Berufes mit Asbest in Kontakt gekommen ist, besteht darauf, dass der Arzt den Verdacht einer Berufskrankheit meldet. Bei uns wurde, obwohl mein Vater später Akademiker war und dann nichts mehr mit Asbest zu tun hatte, die Erkrankung als verursacht durch eine handwerkliche Tätigkeit vor Jahrzehnten anerkannt und ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass sich die Berufsgenossenschaft als dann zuständiger Kostenträger in Therapien und auch sonstigen Hilfen immer SEHR großzügig und wirklich um meinen Vater bemüht gezeigt hat, das waren wir von der Krankenkasse so nicht gewohnt.

- Es gab/gibt in Heidelberg in der Ambulanz eine Frau, die seit 9 (!!) Jahren kein Rezidiv hat. Auch hier im Forum gibt es ja einzelne, die wirklich sehr sehr lange mit der Krankheit leben. Schön wäre es gewesen, wenn auch meinem Vater eine so lange Zeit vergönnt gewesen wäre. Aber man kann das bei Entscheidung für oder gegen eine aufwendige Therapie nie wissen.

Um mit den Worten des Betroffenen zu schließen:

"Solange es rational einen Sinn hat, kämpfe ich."

Wir haben am Ende - wie erwartet- verloren.
Aber wir haben in den letzten, geschenkten Jahren, auch viel gewonnen.

Alles Gute für Euch.

Seb
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Stichworte
chemothreapie, hithoc, operation, pleuramesotheliom


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