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Alt 26.04.2004, 18:56
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard schwere demenz und krebs.....:(

Hallo Erika,

doch, es gibt Menschen mit dieser Erfahrung, und unsere Familie ist gerade vor zwei Wochen aus dieser Situation (Schwiegermutter war mittel- bis hochgradig dement und bekam dann ein Karzinom im Genitalbereich, welches sich zu einer komplexen Karzinomsituation im gesamten Unterleib ausweitete) erlöst worden. Sie hat mit meiner Frau und mir im gleichen Haus bis zu ihrem Tod gewohnt und ist von uns (zum Schluss mit Hilfe eines Pflegedienstes) betreut worden.

Eigentlich wollte ich gerade hier nur im Angehörigenforum noch mal meinen Dank an Leute ausprechen, die mir geholfen haben wenn ich mich mal auskotzen musste, aber dann sah ich deinen Artikel und da ich um das Problem weiß, mit der 200%-Krankheitssituation ziemlich alleine dazustehen, will ich dir gerne aus eigenen Erfahrungen antworten.

Deine Pflicht Nr. 1 ist der Erhalt deiner eigenen Kraft, denn diese wirst du in den nächsten Monaten noch brauchen, und die Belastung wird eher steigen als abnehmen. Daher musst du dich so schnell wie möglich um Hilfe bemühen. Das macht mal eben etwas zusätzliche Arbeit (einige Stunden) verschafft dir dann aber ungeheure Entlastung. Pflegedienst ist Pflicht, und wenn genug Rente/Vermögen vorhanden sind, dann achte auch nicht zu sehr auf Pflegestufe und Stundenzahl. Ich konnte meine Frau leider erst spät hiervon überzeugen, aber auch sie hat eingesehen, dass es nicht nur Entlastung für sie selbst war, sondern auch zwingend notwendige Hilfe für ihre Mutter darstellte, denn die eigene private Minimalversorgung reichte eben medizinisch und pflegerisch schon längst nicht mehr aus. Zum Schluss war der Pflegedienst fast den ganzen Tag über da (über die Kostenübernahme zanke ich mich jetzt zwar mit der Kasse, aber als Anwalt nimmt man so etwas sportlich). Unseren Hospizverein konnten wir leider nicht mehr einsetzen, da die Erlösung knapp zwei Stunden vor dem ersten Termin mit dem Hospizverein kam. Mein Kontakt zum Hospizverein hatte mir aber auch schon angedeutet, dass es die Möglichkeit gibt, sehr gute und bezahlbare Kräfte für eine dauerhafte Betreuung über einige Wochen aus Osteuropa zu bekommen. Auch hierauf solltest du deinen Hospizverein ansprechen. BTW: Obwohl kirchlich engagiert, würde ich dir raten dich auch mal bei den gewerblichen Pflegediensten umzuschauen. Nichts gegen die großen Organisationen wie AWO, Caritas und Diakonie, ... Aber die Sache hängt wirklich an Personen und Persönlichkeiten. Wir hatten z.B. den Hinweis auf einen gewerblichen Pflegedienst als Top-Angebot in unserer Stadt von einer Mandantin bekommen und sind damit super gefahren und selbst unser Pastorenehepaar hatte schon auf dieses Unternehmen schon zugegriffen.

Nutze, was du nutzen kannst und mach aus deinem Herzen keine Mördergrube. Erzähle jedem, von dem du dir Hilfe erhoffst von deinen Problemen und du wirst erstaunt sein, was alles zurück kommt und was für tolle Menschen man auf diesem Weg kennen lernen kann (zwei Schwestern unseres Pflegedienstes kamen mit großem Gesteck zur Beerdigung und blieben fast als letzte Gäste und sind uns wirklich als Freunde ans Herz gewachsen, Wiedersehen fest geplant). Es gibt Kurzzeitpflegeeinrichtungen, die dir mal ein paar freie Tage für einen Kurzurlaub mit Mann und/oder Kindern verschaffen, Tagespflege und mal ein paar etwas unbeschwertere Stunden zu verbringen, ... Das Angebot ist größer als man denkt, wenn man nur einmal anfängt zu suchen.

Lass es nicht soweit wie meine Frau kommen, die meinte alles selbst und alleine machen zu müssen und neben ihrem 80h Job auch noch glaubte eine perfekte Pflegeleistung abliefern zu können. Das Ende vom Lied waren zwei Zusammenbrüche mit massiven Blutungen, die sich dann als Folge einer vor einigen Monaten abgestorbenen und unbemerkten Schwangerschaft herausstellten. Dies wäre unser erstes Kind gewesen, das wir schon lange haben wollten und sie selbst hat auch großes Glück gehabt. Also denke an deine eigene Gesundheit, achte auf die Signale deines Körpers und geh rechtzeitig zum Arzt, wenn dir etwas auffällt. Deine Mutter hat nichts davon, wenn du halbtot neben ihr liegst und deine Familie braucht dich noch viele, viele Jahre nachdem von deiner Mutter nur noch die schönen Erinnerungen geblieben sind.

Deine 2. Pflicht ist rational gesehen deine eigene Familie, denn mit dieser wirst du hoffentlich noch mehr Weihnachtsfeste verleben und gerade deine Kinder kannst du nicht mal eben für ein paar Monate "abschalten". Natürlich wirst du vermutlich genau wie meine Frau jetzt deine Mutter als "wichtiger" einstufen, aber du musst den täglichen Kampf zwischen rationaler und emotionaler Entscheidung wirklich immer wieder ausfechten und hoffentlich dabei an meine Familie denken, denn was bei meiner Frau und mir passiert ist, steht in der traurigen Tradition meiner Familie. Beim Tode meiner Großmutter mütterlicherseits hat meine Mutter auch zu wenig an uns Kinder gedacht und es sogar geschafft eine beidseitige Lungenentzündung bei meinem Bruder zu "übersehen". Als Omas Arzt zum Hausbesuch da war hat dieser glücklicherweise auf dessen Untersuchung bestanden.

Und auch wenn du es vermutlich ebenfalls nicht schaffen wirst: Prio 3 ist jetzt erst deine Mutter. Denke immer daran, dass du an ihrem Schicksal nichts mehr wirst ändern können und mache dir dies, so schmerzlich es auch ist, immer wieder bewusst. Erliege bitte nicht der süßen Versuchung "Fortschitte" und "gute Tage" zu feiern, denn um so tiefer wirst du dann wieder fallen. Ich habe dies auch meiner Frau gegenüber immer wieder versucht in Erinnerung zu halten und als sie dieses Schicksal wirklich angenommen hatte, konnte sie selbst viel besser damit klar kommen. Natürlich sollst du jeden Moment mit deiner Mutter genießen, der hierfür Anlass bietet und dich über jeden lichten Moment in der Demenz freuen, aber halte dir dabei wirklich immer vor Augen, dass dies keine absolute Besserung des Zustands ist, sondern wirklich nur ein glücklicher Moment auf einem leider steil nach unten führenden Weg.

Was du aber auf jeden Fall für deine Mutter tun kannst und auch solltest, ist jetzt ganz einfach für sie da zu sein. Und zwar nicht, indem du mehr schlecht als recht die Pflegekraft gibst, sondern dies eben den Profis überlässt und die Zeit, die du mit ihr verbringen kannst, ganz der menschlichen Betreuung widmest. Überlege dir, womit du ihr eine Freude machen kannst (wir haben in den letzten Monaten ganze Gewächshäuser leer gekauft). Musik sorgt bei nervösen Demenzpatienten oft für Entspannung (Schwiegermutter bekam noch zwei Wochen vor ihrem Tod einen neuen CD-Player und hat dann immer ganz seelig dirigiert und mitgesummt). Sprich mit ihr über ihre Ängst und nimm ihre Schmerzen ernst. Gehe auf ihre Fragen ein, aber überfordere sie nicht. Es bringt nichts, einem Demenzpatienten täglich mehrmals das zweifelhafte Vergnügen zu bereiten die infauste Prognose zu überbringen. So sehr ich meiner Frau empfohlen hatte, mit den "guten Tagen" vorsichtig zu sein, um so wichtiger war es für Schwiegermutter, dass man ihr immer von den guten Fortschritten erzählt hat.

Versuche vorsichtig herauszubekommen, wie sie sich selbst ihr Lebensende vorstellt und versuche dann, ihre diesbezüglichen Wünsche zu erfüllen. Wir wussten von Schwiegermutter, dass sie auf jeden Fall bis zum Schluss in ihrer Wohnung bleiben wollte, bei ihren Blumen und Katzen. Mit Hilfe des Pflegedienstes haben wir sie bis wenige Tage vor ihrem Tod noch regelmäßig tagsüber auf ihren vertrauten Platz im Wintergarten zwischen Blumen und Katzen gesetzt und dann eben auch das Pflegebett in ihrem vertrauten Schlafzimmer aufgestellt.

Wie steht deine Mutter zur Frage von intensivmedizinischer Versorgung. Wollte sie immer alle Chancen der Medizin ausnutzen oder lieber sanft sterben können? Sofern sie selbst jetzt nicht mehr in der Lage ist, sich hierzu mitzuteilen, musst du jetzt für sie aktiv werden. Wir kannten Schwiegermutters Einstellung und haben glücklicherweise auch einen sehr guten und einfühlsamen Hausarzt, der - genauso wie der Pflegedienst - unsere Entscheidung, ab einem bestimmten Punkt nur noch palliativ zu arbeiten, mitgetragen hat. Diesen Punkt zu bestimmen war natürlich unglaublich schwer, aber da ich als Anwalt in diesem Bereich sehr engagiert bin, konnte die Familie schon mit gutem Gewissen diesen Punkt festmachen. Und dies beantwortet dann auch deine Frage nach einem weiteren CT, ... Überlege dir sehr gut, ob deine Mutter bei klar infauster Prognose dies wünschen würde, soweit es nicht der Schmerzlinderung dient. Frage dich bei allen Massnahmen und Medikamenten, was deine Mutter hiervon in ihrer Situation hat und frage auch alle Ärzte entsprechend. Wir merkten, dass es an der Zeit war, als uns ein Arzt nach einem Noteingriff wegen drohendem Nierenversagen ganz deutlich sagte, dass dies ein schöner und sanfter Tod gewesen wäre und man jetzt nicht wüsste, wie sanft der Tod dann tatsächlich sein könnte. Wir haben dann aufgrund der Nebenwirkungen alle wegen der Demenz verordneten Psychopharmaka abgesetzt und nur noch die Unruhe mit Diazepam behandeln lassen, alle sonstigen Medikamente wegen der sonstigen alterstypischen kleineren Gebrechen wegfallen lassen und uns dann rein auf die palliativen Maßnahmen beschränkt. Dies hat dann zwar vielleicht dazu geführt, dass Schwiegermutter einige Tage früher sterben konnte und auch durfte, aber insbesondere auch dazu, dass die letzten Wochen nicht mehr von der ständigen Übelkeit und dem ständigen Erbrechen wegen den in Verbindung mit zu geringer Nahrungsaufnahme unverträglichen Medikamenten und dem Kampf des Einnehmens geprägt waren und sie dann wirklich friedlich einschlafen konnte.

Ich wünsche dir und deiner Familie für die nächsten Monate ganz viel Kraft und eine glückliche Hand bei den nötigen Entscheidungen.

Gruß

Christian
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