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  #16  
Alt 22.12.2006, 01:33
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struwwelpeter struwwelpeter ist offline
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Der Engel der nicht singen wollte

Als die Menge der himmlischen Heerscharen über den Feldern von Bethlehem jubelte: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden", hörte ein kleiner Engel plötzlich zu singen auf. Obwohl er im unendlichen Chor nur eine kleine Stimme war, machte sich sein Schweigen doch bemerkbar. Engel singen in geschlossenen Reihen, da fällt jede Lücke sogleich auf. Die Sänger neben ihm stutzten und setzten ebenfalls aus. Das Schweigen pflanzte sich rasch fort und hätte beinahe den ganzen Chor ins Wanken gebracht, wenn nicht einige unbeirrbare Großengel mit kräftigem Anschwellen der Stimmen den Zusammenbruch des Gesanges verhindert hätten. Einer von ihnen ging dem gefährlichen Schweigen nach. Mit bewährtem Kopfnicken ordnete er das weitere Singen in der Umgebung und wandte sich dem kleinen Engel zu.

Warum willst du nicht singen?" fragte er ihn streng. Er antwortete: "Ich wollte ja singen. Ich habe meinen Part gesungen bis zum "Ehre sei Gott in der Höhe". Aber als dann das mit dem "Frieden auf Erden unter den Menschen" kam, konnte ich nicht mehr weiter mitsingen. Auf einmal sah ich die vielen Soldaten in diesem Land und in allen Ländern. Immer und überall verbreiten sie Krieg und Schrecken, bringen Junge und Alte um und nennen das Frieden. Und auch wo nicht Soldaten sind, herrschen Streit und Gewalt, fliegen Fäuste und böse Worte zwischen den Menschen und regiert die Bitterkeit gegen Andersdenkende. Es ist nicht wahr, dass auf Erden Friede unter den Menschen ist, und ich singe nicht gegen meine Überzeugung! Ich merke doch den Unterschied zwischen dem, was wir singen, und dem, was auf Erden ist. Er ist für mein Empfinden zu groß, und ich halte diese Spannung nicht länger aus."

Der große Engel schaute ihn lange schweigend an. Er sah wie abwesend aus. Es war, als ob er auf eine höhere Weisung lauschen würde. Dann nickte er und begann zu reden: "Gut. Du leidest am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde, zwischen der Höhe und der Tiefe. So wisse denn, dass in dieser Nacht eben dieser Zwiespalt überbrückt wurde. Dieses Kind, das geboren wurde und um dessen Zukunft du dir Sorgen machst, soll unseren Frieden in die Welt bringen. Gott gibt in dieser Nacht seinen Frieden allen und will auch den Streit der Menschen gegen ihn beenden. Deshalb singen wir, auch wenn die Menschen dieses Geheimnis mit all seinen Auswirkungen noch nicht hören und verstehen. Wir übertönen mit unserem Gesang nicht den Zwiespalt, wie du meinst. Wir singen das neue Lied." Der kleine Engel rief: "Wenn es so ist, singe ich gerne weiter."

Der Große schüttelte den Kopf und sprach: "Du wirst nicht mitsingen. Du wirst einen anderen Dienst übernehmen. Du wirst nicht mit uns in die Höhe zurückkehren. Du wirst von heute an den Frieden Gottes und dieses Kindes zu den Menschen tragen. Tag und Nacht wirst du unterwegs sein. Du sollst an ihre Häuser pochen und ihnen die Sehnsucht nach ihm in die Herzen legen. Du musst bei ihren trotzigen und langwierigen Verhandlungen dabei sein und mitten ins Gewirr der Meinungen und Drohungen deinen Gedanken fallen lassen. Du musst ihre heuchlerischen Worte aufdecken und die anderen gegen die falschen Töne misstrauisch machen. Sie werden dir die Türe weisen, aber du wirst auf den Schwellen sitzen bleiben und hartnäckig warten. Du musst die Unschuldigen unter deine Flügel nehmen und ihr Geschrei an uns weiterleiten. Du wirst nichts zu singen haben, du wirst viel zu weinen und zu klagen haben. Du hast es so gewollt. Du liebst die Wahrheit mehr als das Gotteslob. Dieses Merkmal deines Wesens wird nun zu deinem Auftrag. Und nun geh. Unser Gesang wird dich begleiten, damit du nie vergisst, dass der Friede in dieser Nacht zur Welt gekommen ist."

Der kleine Engel war unter diesen Worten zuerst noch kleiner, dann aber größer und größer geworden, ohne dass er es selber merkte. Er setzte seinen Fuß auf die Felder von Bethlehem. Er wanderte mit den Hirten zu dem Kind in der Krippe und öffnete ihnen die Herzen, dass sie verstanden, was sie sahen. Dann ging er in die weite Welt und begann zu wirken. Angefochten und immer neu verwundet, tut er seither seinen Dienst und sorgt dafür, dass die Sehnsucht nach dem Frieden nie mehr verschwindet, sondern wächst, Menschen beunruhigt und dazu antreibt, Frieden zu suchen und zu schaffen. Wer sich ihm öffnet und ihm hilft, hört plötzlich wie von ferne einen Gesang, der ihn ermutigt, das Werk des Friedens unter den Menschen weiterzuführen.

Werner Reiser


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  #17  
Alt 22.12.2006, 22:16
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Das Paket des lieben Gottes
von Bertolt Brecht




Nehmt eure Stühle und eure Teegläser mit hier hinter an den Ofen und vergeßt den Rum nicht. Es ist gut, es warm zu haben, wen man von der Kälte erzählt.

manche Leute, vor allem eine gewisse Sorte Männer, die etwas gegen Sentimentalität hat, haben eine starke Aversion gegen Weihnachten. Aber zumindest ein Weihnachten in meinem leben ist bei mir wirklich in bester Erinnerung. Das war der Weihnachtsabend 1908 in Chicago.

Ich war anfangs November nach Chicago gekommen, und man sagte mir sofort, als ich mich nach der allgemeinen Lage erkundigte, es würde der härteste Winter werden, den diese ohnehin genügend unangenehme Stadt zustande bringen könnte. Als ich fragte, wie es mit den Chancen für einen Kesselschmied stünde, sagte man mir, Kesselschmiede hätten keine Chance, und als ich eine halbwegs mögliche Schlafstelle suchte, war alles zu teuer für mich. Und das erfuhren in diesem Winter 1908 viele in Chicago, aus allen Berufen.

Und der Wind wehte scheußlich vom Michigan-See herüber durch den ganzen Dezember, und gegen Ende des Monats schlossen auch noch eine Reihe großer Fleischpackereien ihren Betrieb und waren eine ganze Flut von Arbeitslosen auf die kalten Straßen.

Wir trabten die ganzen Tage durch sämtliche Stadtviertel und suchten verzweifelt nach etwas Arbeit und waren froh, wenn wir am Abend in einem winzigen, mit erschöpften Leuten angefüllten Lokale im Schlachthofviertel unterkommen konnten. Dort hatten wir es wenigstens warm und konnten ruhig sitzen. Und wir saßen, so lange es irgend ging, mit einem Glas Whisky, und wir sparten alles den Tag über auf dieses eine Glas Whisky, in das noch Wärme, Lärm und Kameraden mit einbegriffen waren, all das, was es an Hoffnung für uns noch gab.

Dort saßen wir auch am Weihnachtsabend dieses Jahres, und das Lokal war noch überfüllter als gewöhnlich und der Whisky noch wässeriger und das Publikum noch verzweifelter. Es ist einleuchtend, daß weder das Publikum noch der Wirt in Feststimmung geraten, wenn das ganze Problem der Gäste darin besteht, mit einem Glas eine ganze Nacht auszureichen, und das ganze Problem des Wirtes, diejenigen hinauszubringen, die leere Gläser vor sich stehen hatten.

Aber gegen zehn Uhr kamen zwei, drei Burschen herein, die, der Teufel mochte wissen woher, ein paar Dollars in der Tasche hatten, und die luden, weil es doch eben Weihnachten war und Sentimentalität in der Luft lag, das ganze Publikum ein, ein paar Extragläser zu leeren. fünf Minuten darauf war das ganze Lokal nicht wiederzuerkennen.

Alle holten sich frischen Whisky (und paßten nun ungeheuer genau darauf auf, daß ganz korrekt eingeschenkt wurde), die Tische wurden zusammengerückt, und ein verfroren aussehendes Mädchen wurde gebeten, einen Cakewalk zu tanzen, wobei sämtliche Festteilnehmer mit den Händen den Takt klatschten. Aber was soll ich sagen, der Teufel mochte seine schwarze Hand im Spiel haben, es kam keine reche Stimmung auf.

Ja, geradezu von Anfang an nahm die Veranstaltung einen direkt bösartigen Charakter an. ich denke, es war der zwang, sich beschenken lassen zu müssen, der alle so aufreizte. Die Spender dieser Weihnachtsstimmung wurden nicht mit freundlichen Augen betrachtet. Schon nach den ersten Gläsern des gestifteten Whiskys wurde der Plan gefaßt, eine regelrechte Weihnachtsbescherung, sozusagen ein Unternehmen größeren Stils, vorzunehmen.

Da ein Überfluß an Geschenkartikeln nicht vorhanden war, wollte man sich weniger an direkt wertvolle und mehr an solche Geschenke halten, die für die zu Beschenkenden passend waren und vielleicht sogar einen tieferen Sinn ergaben.

so schenkten wir dem Wirt einen Kübel mit schmutzigem Schneewasser von draußen, wo es davon gerade genug gab, damit er mit seinem alten Whisky noch ins neue Jahr hinein ausreichte. Dem Kellner schenkten wir eine alte, erbrochene Konservenbüchse, damit er wenigstens ein anständiges Servicestück hätte, und einem zum Lokal gehörigen Mädchen ein schartiges Taschenmesser, damit es wenigstens die Schicht Puder vom vergangenen Jahr abkratzen könnte.

Alle diese Geschenke wurden von den Anwesenden, vielleicht nur die Beschenkten ausgenommen, mit herausforderndem Beifall bedacht. Und dann kam der Hauptspaß.

Es war nämlich unter uns ein Mann, der mußte einen schwachen Punkt haben. Er saß jeden Abend da, und Leute, die sich auf dergleichen verstanden, glaubten mit Sicherheit behaupten zu können, daß er, so gleichgültig er sich auch geben mochte, eine gewisse, unüberwindliche Scheu vor allem, was mit der Polizei zusammenhing, haben mußte. Aber jeder Mensch konnte sehen, daß er in keiner guten Haut steckte.

Für diesen Mann dachten wir uns etwas ganz Besonderes aus. Aus einem alten Adreßbuch rissen wir mit Erlaubnis des Wirtes drei Seiten aus, auf denen lauter Polizeiwachen standen, schlugen sie sorgfältig in eine Zeitung und überreichten das Paket unserm Mann.

Es trat eine große Stille ein, als wir es überreichten. Der Mann nahm zögernd das Paket in die Hand und sah uns mit einem etwas kalkigen Lächeln von unten herauf an. Ich merkte, wie er mit den Fingern das Paket anfühlte, um schon vor dem Öffnen festzustellen, was darin sein könnte. Aber dann machte er es rasch auf.

Und nun geschah etwas sehr merkwürdiges. Der Man nestelte eben an der Schnur, mit der das Geschenk" verschnürt war, als sein Blick, scheinbar abwesend, auf das Zeitungsblatt fiel, in das die interessanten Adreßbuchblätter geschlagen waren. Aber da war sein Blick schon nicht mehr abwesend. Sein ganzer dünner Körper (er war sehr lang) krümmte sich sozusagen um das Zeitungsblatt zusammen, er bückte sein Gesicht tief darauf herunter und las. Niemals, weder vor- noch nachher, habe ich je einen Menschen so lesen sehen. Er verschlang das, was er las, einfach. Und dann schaute er auf. Und wieder hatte ich niemals, weder vor- noch nachher, einen Mann so strahlend schauen sehen wir diesen Mann.

Da lese ich eben in der Zeitung", sagte er mit einer verrosteten mühsam ruhigen Stimme, die in lächerlichem Gegensatz zu seinem strahlenden Gesicht stand, daß die ganze Sache einfach schon lang aufgeklärt ist. Jedermann in Ohio weiß, daß ich mit der ganzen Sache nicht das Geringste zu tun hatte." Und dann lachte er.

Und wir alle, die erstaunt dabei standen und etwas ganz anderes erwartet hatten und fast nur begriffen, daß der Mann unter irgendeiner Beschuldigung gestanden und inzwischen, wie er eben aus dem Zeitungsblatt erfahren hatte, rehabilitiert worden war, fingen plötzlich an, aus vollem Halse und fast aus dem Herzen mitzulachen, und dadurch kam ein großer Schwung in unsere Veranstaltung, die gewisse Bitterkeit war überhaupt vergessen, und es wurde ein ausgezeichnetes Weihnachten, das bis zum morgen dauerte und alle befriedigte.

Und bei dieser allgemeinen Befriedigung spielte es natürlich gar keine Rolle mehr, daß dieses Zeitungsblatt nicht wir ausgesucht hatten, sondern Gott.

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  #18  
Alt 22.12.2006, 22:22
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Das Märchen von den fünfundzwanzig Bohnenstangen


Da sind im tiefen Wald einmal fünfundzwanzig schöne Tannebäumchen gewesen. Denen hat es nicht mehr gefallen im grünen Wald, und sie haben gesagt: "Jetzt wollen wir in die weite Welt gehen. Der Wald ist uns zu grün, der Wald ist uns zu tief." Und in einer Nacht, da heben die fünfundzwanzig Tannenbäumchen Ihre Wurzeln aus der Erde genommen und sind in die weite Welt gegangen. Was waren das dumme Tannenbäumchen! Aber sie sind noch so jung gewesen und haben gemeint, in der weiten Welt wäre es schöner als im dunklen, grünen, tiefen Wald.
Und wie sie so durch die weite Welt gingen, da hatten sie auf einmal Hunger. Und sie sind in der Stadt in ein Gasthaus gegangen und wollten etwas zu essen haben. Da hat der Wirt Ihnen eine Erbsensuppe gebracht. "Oh weh!" haben die fünfundzwanzig Tannenbäumchen gesagt, "gibt es denn hier keinen Tau?"
"Nein, den gibt es nicht in der weiten Welt."

Da haben die Tannenbäumchen die Erbsensuppe stehen lassen und sind weitergegangen. Und sie sind an ein Haus gekommen, daraus roch es so schön nach Tannenharz, und die fünfundzwanzig Tannenbäumchen sind nur sie herumgesprungen vor Freude. Und dann haben sie an die Haustür geklopft. Und wie der Mann von dem Haus herausgekommen ist, da haben sie ihn gefragt:
Mann vom Häuschen Tannenharz
Können wir nicht bei Dir wohnen?
Wir wollen gern Dein Häuschen kehren
Deine kleinen Kinder lehren,
Erzählen von dem grünen Wald,
Und im Winter, wenn es kalt,
Dir den Ofen schüren.

"Ei ja" hat der Mann gesagt, "kommt nur hereinspaziert, zum Ofenschüren kann ich Euch gerade brauchen." Und er hat die Türe weit aufgemacht.
von Wilhelm Mathiessen
08.08. 1891 - 26.11. 1965


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  #19  
Alt 24.12.2006, 02:54
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Frieden auf Erden

Wie jedes Jahr und jeden Tag sah Jesus um die gleiche Zeit in seinen Terminkalender. "Aha", murmelte er, "die Erde ist heute also wieder einmal an der Reihe". Er befahl sogleich den Engel Bartholomäus zu sich.

"Bartholomäus", befahl er, "sieh auf der Erde nach, ob die Menschen dort in meinem Sinne leben und arbeiten. Stelle fest, ob sie Frieden halten und sich verstehen. Prüfe, ob sie sich geben und nicht nur fordern und nehmen. Na, du kennst dich ja aus, beeile dich und berichte mir dann."

Der Engel Bartholomäus begab sich also auf die Erde und beobachtete die Menschen. Er spazierte mit ihnen durch die Städte, sah ihre glücklichen Gesichter und hörte, wie sich die Menschen gegenseitig die nettesten Dinge wünschten. Später dann schaute er durch so manches Wohnzimmerfenster. Fleißig notierte der Engel alles.

Gedankenvoll blickte er sich um. "Ja", dachte er, "Jesus hat wirklich alles gut durchdacht. Sein Leben und Wirken hier auf der Erde hat Früchte getragen. Die Menschen sind friedlich, fröhlich, unbekümmert und zufrieden."

Also kehrte er mit diesen guten Nachrichten zurück und berichtete sogleich. "Herr, es ist wundervoll, genau so, wie Du es Dir gewünscht hast. Ich habe die Menschen beobachtet. Sie leben in Deinem Sinne. Tagsüber gehen Sie ihrer Arbeit nach, sind fröhlich und zufrieden. Jeder hat für jeden ein nettes Wort. Sie sind gutgelaunt, lachen von Herzen und sind sehr hilfsbereit. Abends gehen sie in die Kirche, beten Dich an und lobpreisen Dein Werk. Alle danken Dir für Deine Güte, die Sünder sitzen in den Beichtstühlen und bereuen. Ich habe gesehen, wie sich die Menschen beschenken. Die Eltern ihre Kinder, die Kinder ihre Eltern. Die Staatsmänner übermitteln überall hin ihre Grüße und auch sie erwähnen Dich und gedenken Deiner."

"Brav, brav, Bartholomäus", lobte Jesus beifällig dessen Bericht und hakte die Erde in seinem Terminkalender mit goldenem Stift ab. Es waren nur goldene Haken hinter allen diesen notierten Welten, zu denen er seine Engel sandte. Überall war alles in seinem Sinne in Ordnung.

Auf der Erde war inzwischen der Heilige Abend vorbei. Die Rundfunkstationen verkündeten die Beendigung der Waffenstillstände, die Kinder zerbrachen ihr neues Spielzeug, die Eltern stritten wie gewohnt, die Staatsmänner drohten und alle Menschen waren wieder misslaunig.
Jesus sendet die Engel immer nur an seinen Geburtstagen auf seine Welten. Wie sollte er also jemals erfahren, wie es auf unserer Welt wirklich zugeht?

Adalbert Hauser


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  #20  
Alt 24.12.2006, 02:56
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Heiligabend

Es war Heiligabend, überall im Land, auch in der großen Stadt. Eine Schneedecke lag auf den Häusern und Straßen. Leicht vergilbt war sie schon, weil die große Stadt sogar Weihnachten ihren schmutzigen Stempel aufdrückte. Aber es standen Sterne am Himmel, nicht viele, doch schöne, schön wie eh und je. Die Luft war zum Schneiden kalt, richtig anfassen konnte man sie.

Der Mann legte einen Nebelwattebausch vor sich in die Luft, der sich vor Schreck in der Kälte gleich zusammen knäulte und dann langsam in die Nacht davon schwebte. Er war allein. Ab und zu brauste ein Auto vorbei, in dem es warm sein musste. Die Menschen darin fuhren zu einem Ziel, an dem andere Menschen auf sie warteten und sich freuen würden. Über den Mann freute sich niemand. Neulich hatte ihm einer gesagt, früher hätte man solche Taugenichtse wie ihn umgebracht. Heute saß der wohl mit Tränen der Rührung in den Augen vor irgend einem Weihnachtsbaum.

Der Mann hatte Hunger. Natürlich hätte er ins Asyl gehen können, wahrscheinlich hatte man da heute Abend sogar eine Tischdecke aufgelegt. Aber nichts in der Welt hätte ihn da heute hingetrieben. Er dachte an die kalten Fliesen, die schlecht verputzten leicht fleckigen Wände, den abgestandenen Geruch, vermischt mit Desinfektionsmitteln.

Er bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Er wollte heute Nacht draußen sein, er wollte sehen, ob es der Wärme seines geliebten Sternenhimmels und der freien Luft noch einmal gelingen würde, die Kälte zu vertreiben, die mit jedem Jahr schrecklicher für seinen alten Körper wurde. Vielleicht würde er doch noch einmal spüren, was Weihnachten als Kind für ihn bedeutet hatte.

Er setzte sich auf eine Bank. Um ihn herum war ein kleiner Park zwischen zwei Hauptstraßen. Es war spät und der Park leer. Oder doch nicht? Auf dem einzigen Weg kam eine alte Frau daher, langsam, als sei sie schwer beladen. Aber sie hatte nichts bei sich, nur sich selbst. In ihrem Gesicht gab es tausend Runzeln, Falten, ja Furchen wie auf einem Acker im Frühjahr.

Aber in ihren Augen war Sommer. Endlos lang ging sie auf den alten Mann zu, dabei war sie ihm von Anfang an ganz nahe. Dann stand sie endlich vor ihm., gebeugt, aber nicht außer Atem. Sie schauten sich an. Der Blick der Frau war ernst und voller Liebe. In seinen Ohren rauschte es und er hatte den Eindruck, als würde die Welt hinter der Frau sich langsam auflösen.
"Wie heißt du?" fragte sie ihn langsam. Ihre Stimme klang ruhig, etwas rau und gebrochen vielleicht.

"Peter" hörte er sich einen Namen sagen, den er schon fast vergessen hatte, denn er hatte im Mund der anderen Menschen meistens nur etwas hässliches, wertloses gemeint. Aber diesmal löste sich das Wort sanft und freundlich von seinem Mund, es wurde größer, immer größer und fing dann an, in den Himmel davon zu schweben, höher und höher. Dort stand sein Name dann von einem Horizont zum anderen in goldgelben Buchstaben geschrieben und Sterne umflogen die Ränder. Dann wurde das Wort langsam wieder kleiner und verschwand in der Unendlichkeit des schwarzblauen Nachthimmels.

"Warum schaust du so unglücklich?" fragte die Frau jetzt, während sie ihre faltigen Hände, die aus graugelb geblümten Ärmeln kamen, auf seine Schultern legte. Als die Frage ihn traf, hüllte sie ihn ein wie ein dicker weicher Mantel und er fühlte eine Wärme in sich fließen, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.

Und dann erzählte Peter. Von der Schule erzählte er, wo die Menschen ihm Fragen stellten, ohne dass ihm je einer Antworten gesagt hätte, von seinen Eltern, die Karriere machten, von seinen Kindern, die Geld wollten, von seinem Chef, der keinen Menschen wollte. Dann war da die Hoffnung auf Bücher, die er doch nicht verstanden hatte, da waren Sozialhelfer, die ihn nicht verstanden hatten, dann kam der Alkohol.

Alles, alles hörte die Frau sich geduldig an. Und all diese Worte, Bilder, Geschichten, Peters Furcht und auch Peters Freude und Hoffnung, die mit der Zeit freigeweht wurden, all das schwebte nach oben in den Himmel, wurde größer, nahm tausend Farben an, sprühte, umgab sich mit goldenen Girlanden, explodierte und schlug Feuerräder.

Es war ein gewaltiges Feuerwerk. Der Himmel war voll von blitzenden, leuchtenden Worten, die langsam in die Weite des Weltalls davon schwebten. Nachdem sich die Worte verloren hatten, war der Himmel übersät mit schillerndem, blitzendem Staub. Und Peter war nicht mehr kalt. Seine Worte hatten seiner Welt die lange vermisste Wärme zurückgegeben.
Lange starrte er ungläubig in den Himmel und nur langsam lösten sich seine Gedanken von den Bildern.

"Du bist nicht von hier, nicht wahr?" rang Peter sich durch, zu fragen.
"Nein," lächelte die Frau, "aber ich bin hier, nur für dich und es war ein langer Weg." "Warum besuchst du mich?"
"Du hast mich doch gerufen! Lass uns tanzen!"

Peter stand auf, schwerfällig, denn er hatte lange nicht mehr getanzt und seine Knochen waren darüber mürbe geworden. Vorsichtig und unsicher Umfasste er die alte Frau, der Stoff ihres Kleides fühlte sich grob an.
Er hatte etwas Angst, doch dann merkte er, dass seine Füße sich von selbst bewegten. Oder bewegten sie sich gar nicht? Peter schwebte durch den Park. Die Winternacht drehte sich um die beiden und jetzt hörte er auch die Musik. Glocken klangen, ganz leise und sie gaben den Takt an. Ein Schwindelgefühl hüllte ihn sacht und zärtlich ein. Die beiden Geliebten schienen stillzustehen und die Welt drehte sich im Walzertakt.

Das lächelnde Gesicht der geheimnisvollen Frau beleuchtete Peter. Das Leuchten dehnte sich aus und schon war alles um ihn herum in helles Licht gebadet. Auch das Klingen der Glocken wurde größer und lauter und schien die ganze Welt auszufüllen. Weiche, leuchtende, glitzernde Schneeflocken wehten ihm jetzt ins Gesicht.

Das Lächeln der Frau war auf eine seltsame Weise anders geworden. Das Lächeln eines Kindes? Es lag in seinen Armen und schrie und der alte Mann spürte, wie ein Schauer von Glück seine Falten glättete. Die Schneeflocken fielen immer wilder und schon war es ein Schneesturm, der ihm entgegenwehte. Nur noch das Gesicht des Kindes schmolz mit seiner Wärme eine Öffnung hinein. Peter schaute und schaute. Wärme floss zu ihm herüber, in ihn hinein, füllte ihn ganz bis zum äußeren Rand seiner Haut mit Liebe. Und nichts mehr sonst war da. Nur noch Liebe, Liebe, Liebe.
Der Schnee hatte den alten Mann auf der Bank zugeweht. Er saß still da, wie ein Schneemann, den Kinder dort hingesetzt hatten. Die Hände hatte er gefaltet, der Kopf war leicht nach vorne genickt.

Roland Rauch


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  #21  
Alt 24.12.2006, 03:02
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Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Es war so grässlich kalt; es schneite und es begann dunkler Abend zu werden. Es war auch der letzte Abend des Jahres, Silvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Dunkelheit ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopf und nackten Füßen; ja, sie hatte zwar Pantoffeln angehabt, als sie von Hause wegging, aber was nützte das schon! Es waren sehr große Pantoffeln, ihre Mutter hatte sie zuletzt benutzt, so groß waren sie, und die verlor die Kleine, als sie über die Straße eilte, während zwei Wagen so erschreckend schnell vorbeifuhren. Der eine Pantoffel war nicht zu finden, und mit dem andern lief ein Knabe davon; er sagte, den könne er als Wiege brauchen, wenn er selbst einmal Kinder bekomme.

Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten, kleinen Füßen, die vor Kälte rot und blau waren. In einer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer, und ein Bund hielt sie in der Hand. Niemand hatte ihr den ganzen Tag hindurch etwas abgekauft; niemand hatte ihr einen kleinen Schilling gegeben. Hungrig und verfroren ging sie dahin und sah so eingeschüchtert aus, die arme Kleine! Die Schneeflocken fielen in ihr langes, blondes Haar, das sich so schon um den Nacken ringelte, aber an diese Pracht dachte sie wahrlich nicht. Aus allen Fenstern glänzten die Lichter, und dann roch es auf der Straße so herrlich nach Gänsebraten; es war ja Silvester- Abend, ja, daran dachte sie!

Drüben in einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas mehr vorsprang als das andere, dort setzte sie sich hin und kauerte sich zusammen. Die kleinen Beine hatte sie unter sich hochgezogen; aber es fror sie noch mehr, und nach Hause zu gehen, wagte sie nicht. Sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, nicht einen einzigen Schilling bekommen. Ihr Vater würde sie schlagen, und kalt war es zu Hause, sie hatten nur eben das Dach über sich, und da pfiff der Wind herein, obwohl in die größten Spalten Stroh und Lumpen gestopft waren. Ihre kleinen Hände waren beinahe ganz abgestorben vor Kälte. Ach!
Ein kleines Schwefelhölzchen könnte gut tun. Wenn sie es nur wagen würde, eines aus dem Bund zu ziehen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger zu erwärmen! Sie zog eins heraus, ritsch! Wie es sprühte, wie es brannte! Es war eine warme, helle Flamme, wie ein kleines Licht, als sie, es mit der Hand umschirmte. Es war ein seltsames Licht: dem kleinen Mädchen war es, als säße es vor einem großen, eisernen Ofen mit blanken Messingkugeln und einem Messingrohr. Das Feuer brannte so herrlich, wärmte so gut; nein, was war das! Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen - da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand, sie saß mit einem kleinen Stück des abgebrannten Schwefelhölzchens in der Hand.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und wo der Schein auf die Mauer fiel, wurde diese durch- sichtig wie ein Schleier; sie sah gerade in die Stube hinein, wo der Tisch gedeckt stand mit einem blendendweißen Tischtuch, mit feinem Porzellan, und herrlich dampfte die gebratene Gans, gefüllt mit Zwetschgen und Äpfeln; und was noch prächtiger war: die Gans sprang von der Schüssel herunter, watschelte durch die Stube, mit Messer und Gabel im Rücken; gerade auf das arme Mädchen kam sie zu. Da erlosch das Schwefelholz, und es war nur die dicke, kalte Mauer zu sehen.

Die Kleine zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten Weihnachtsbaum; er war noch größer und schöner geschmückt als der, den sie bei der letzten Weihnacht durch die Glastür bei dem Kaufmann gesehen hatte. An den grünen Zweigen brannten tausend Kerzen, und bunte Bilder, gleich denen, welche die Schaufenster schmückten, sahen auf sie herab. Die Kleine streckte beide Hände in die Höhe - da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher. Sie sah, jetzt waren sie zu den hellen Sternen geworden, einer von ihnen fiel und hinterließ einen langen Feuerstreifen am Himmel. »Jetzt stirbt jemand«, sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die einzige, die gut zu ihr gewesen, aber nun tot war, hatte gesagt: wenn ein Stern fällt, geht eine Seele hinauf zu Gott.

Sie strich wieder ein Schwefelhölzchen gegen die Mauer, es leuchtete ringsumher, und in dem Glanz stand die alte Großmutter, so klar, so schimmernd, so mild und lieblich.

»Großmutter«, rief die Kleine, »oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist fort, wenn das Schwefelhölzchen ausgeht, fort, ebenso wie der warme Ofen, der herrliche Gänsebraten und der große, gesegnete Weihnachtsbaum!«

Und sie strich hastig den ganzen Rest von Schwefelhölzern an, die im Bund waren. Sie wollte Großmutter recht festhalten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit einem solchen Glanz,
dass es heller war als der lichte Tag. Großmutter war früher nie so schön, so groß gewesen; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und sie flogen in Glanz und Freude so hoch, so hoch dahin; und dort war keine Kälte, kein Hunger, keine Angst, sie waren bei Gott.

Aber im Winkel beim Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit einem Lächeln um den Mund - tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über der kleinen Leiche auf die mit den Schwefelhölzern dasaß, von denen ein Bund fast abgebrannt war.
Sie hatte sich wärmen wollen, sagte man. Niemand wußte, was sie Schönes gesehen hatte und in welchem Glanz sie mit der alten Großmutter eingegangen war zur Neujahrsfreude.

Hans Christian Andersen


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Das Christkind

Über der ganzen Ebene, soweit sie reichte, lag der Schnee glänzend im Mondschein da. Das erste, was Veva tat, war, dass sie zum Himmel aufblickte, den großen Stern wiederzufinden, und aufgeregt erzählte sie Trese, wie der große Stern gerade über dem Häuschen zu sehen gewesen war, wo das Christkind aufs neue zur Welt kam. Aber nun sah der Himmel ganz anders aus: alle Sterne hatten ihr Licht angesteckt! Am schwarz-blauen Himmelszelt wimmelte es von großen und kleinen Sternen, wirr durcheinander und dicht gesät; sie funkelten und tanzten wie zitternde Feuerfünkchen, wie schelmische Augen, die fortwährend zwinkerten und blinzelten. Und mitten zwischen ihnen hing der schöne runde Vollmond, der die ganze Welt mit silbrigem Glanz übergoß und den Schnee erglitzern ließ, so weit das Auge reichte. Der Wind hatte sich gelegt, und es war ganz still in dieser Nacht. Der Schnee krachte, er knirschte unter jedem Schritt; an anderen Stellen war er pulverig wie leckeres Backmehl, das unter dem Fuß aufstäubt.

Veva fand jetzt alles noch viel einsamer und stiller als am Abend. Es beängstigte und erfreute sie zugleich, wenn sie daran dachte, daß es nun Nacht war, die echte heilige Christnacht, und dass sie sich aufgemacht hatte, das Jesuskind zu schauen; es war zu überwältigend, um es zu glauben. Sie stapfte zwischen Trese und der Mutter einher, und das war ihr das einzig Sichere, daran sie sich überzeugen konnte, dass es kein Traum war, was sie hier draußen auf dem Feld erlebte. Und doch, es kam noch die Kälte dazu! Die Kälte, die überall hinkniff, wo sie bloße Haut vorfand, und den ganzen Körper des Kindes wie mit tausend Nadeln stach, so dass es tüchtig wehtat. Zu Hause am Herd war es so warm gewesen, dass sie es nun draußen schwer aushalten konnte - der Unterschied war gar zu groß. Aber als sie so mit den Zähnen klapperte, dass Mutter es hörte, warf diese ihr ihren Mantel über den Kopf, und nun wurde es wirklich lustig. Veva lief wie in einem Kapellchen, im dunkeln, aber warm eingemummt, und nun wusste sie selbst nicht mehr recht, ob sie vorwärts ging oder an Ort und Stelle trippelte; sie ließ sich nur führen, hielt Mutters Hand fest und fing an, von ihrem unsagbaren Glück zu träumen. Die Pächtersfrau und die Magd plauderten leise miteinander. Veva aber wollte oder konnte es nicht hören, weil sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigte.

Nach einer Weile öffnete Veva den Mantel einen Spalt breit, und als sie mit einem Auge durchguckte, sah sie vorn Trese, die alte Magd, die mit beiden Bündeln am Arm unter dem weit offenstehenden Mantel einem wandelnden Fuder Heu glich. Nun wagte Veva noch einen Blick, um in die Ferne auszuschauen, und wahrhaftig; „Sieh, Mutter“, rief das Kind, „siehst du es! Das Licht brennt noch! da ist's!“ „Ja, das ist das Kätnerhaus, wir sind bald da...“

„Und was willst du nun zu dem Kindlein sagen?“ Veva wusste nicht, was sie antworten solle; sie hatte nicht daran gedacht, dort etwas zu sagen - das würde sie sich nie getrauen -, sie wollte nur das Kindlein still bewundern. „Ich will es ansehen, Mutter“, sagte sie.

„Und hast du das Kindlein nichts zu fragen? Das ist aber wenig.“

Veva überlegte, aber sie konnte es sich nicht denken, sonst noch irgend etwas zu tun als das göttliche Kind anzuschauen. Sie war voll schaudernder Ehrfurcht vor dem, was sie erleben sollte, und schätzte diese Gunst allein so hoch, dass kein anderes Verlangen in ihr aufkommen konnte. Sie fühlte sich unwürdig, wie die dürftigste unter den Hirtinnen, die voll Glückseligkeit, aber voll Furcht sich leise nahen und niederknien und kaum aufzuschauen wagen zu dem göttlichen Kind, das wirklich aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen; sie kam nur, anzubeten, und schon das war ein großes Glück für sie. Aber nun erfüllte Mutters Vorschlag, der sie wie eine große Überraschung traf, ihr Herz mit neuer Freude.

„Du mußt das Christkind bitten, dass es nächstes Jahr auch einmal zu uns auf den Hof kommt“, sagte Mutter.

„Ach ja!“ Daß sie daran nicht gedacht hatte! Dies war die passende Gelegenheit, sich diese Gunst für das nächste Jahr auszubitten.

„Ach, wenn das geschehen könnte!“, sagte Trese. Keine von den dreien wusste noch etwas hinzuzufügen; sie schwiegen, als geschähe es aus Ehrfurcht, weil sie sich jetzt dem Häuschen näherten. Das Licht, das sie aus weiter Ferne hatten blinzeln sehen, war nun ganz nah, und wirklich, nun traten sie leiser auf und hielten inne, um die Ruhe nicht zu stören; denn hier war es stiller als selbst auf der weiten Fläche, wo sich nichts bewegte. Vor der Tür zauderten sie noch ein wenig, dann klopfte Trese mit dem Knöchel sacht an das Fensterchen und flüsterte, das Gesicht gegen den Spalt gedrückt: „Meetje, mach auf, Trese ist da und hat gute Begleitung mit...“ Veva hielt den Atem an, so ergriffen und scheu war sie. Sie fürchtete, dass nun nach all dem langen Warten am Ende noch etwas dazwischenkommen könnte: dass sie nicht eingelassen würden, dass sie das Kindlein nicht zu sehen bekämen oder dass es vielleicht schon fort wäre... Aber Meetje öffnete hastig die Tür. „Womit kann ich euch dienen?“ fragte das Frauchen, verwundert über diesen späten Besuch. „Die Pächterin vom Gutshof und ihr Töchterchen würden jetzt gern das Christkind sehen“, antwortete Trese in dem gleichen gewollt feierlichen Ton. Aber nun tat er seine Wirkung: „Ei, ei!“ rief das Frauchen mit verhaltenem Atem und gedämpfter Stimme. „Wer ist da? Ist's wirklich wahr? Die Herrin selbst? Wie kommen wir zu dieser Ehre? Und Trese, die alte Trese, noch so spät... Gott, was für Sachen! Und in der Christnacht noch dazu! Kommt doch herein! Und ich lass euch da in der Kälte stehen, wo es so friert!“ Das Frauchen hatte ganz den Kopf verloren; sie stotterte und stammelte vor Verwunderung. Sie könnten nichts dafür, dass es hier so dunkel sei, weil sie nur ein Lämpchen hatten, und das müsste in der Webkammer brennen bei der Wöchnerin... Veva schlüpfte an Mutters Rock mit herein, blieb bestürzt stehen und blickte bebend in die Dunkelheit. „Kommt nur, ihr Leute“, flüsterte Meetje und drückte leise die Tür der Kammer auf, wo das Lämpchen brannte.

Eine warme muffige Treibhausluft schlug ihnen entgegen, aber weder die Pächterin noch die Magd sahen, wie man da hineinkommen könnte. Mit Mühe mussten sie sich alle vorwärtsschieben und sich zwischen Kamin und Stühlen durchquetschen; die Kammer war so klein, daß beinahe kein Platz mehr übrig blieb, weil der Webstuhl und das Bett den ganzen Raum in der Mitte ausfüllten. Der Mann war von dem Flachsfaserfeuerchen aufgesprungen und schaute erschrocken, wer da nun so unerwartet hereinkäme. Er suchte Platz zu schaffen und schob die Stühle aus dem Weg und stellte sich selbst in den äußersten Winkel. Die Frau im Bett öffnete ihre großen Augen und richtete sich halb auf, um sehen zu können; da verklärte ein leises glückliches Lächeln ihre Züge. So voll und so durcheinander stand hier alles unter der Balkendecke zwischen den weißgekalkten Lehmwänden, dass man das Ganze nicht recht übersehen konnte. Aber Veva hatte es doch schnell entdeckt: vor dem Bett, in dem die Frau lag, stand auf vier plumpen Beinen eine hölzerne Mulde, und darin lag etwas, das mit Webabfall und Lumpen umwickelt war, und ganz in der Ecke hinter diesem wirklichen Krippchen standen Lenchen und Trinchen! Die erschrockenen Gesichter der beiden Mädchen blickten verwundert auf, und Veva sah, dass die beiden die Krippe bewachten, in der das Kindlein liegen müsste. Das Mädchen wusste nicht, wie sie dort hinkommen sollte, aber sie wagte nicht sich zu rühren, noch zu sprechen.

„Dicht bei dicht macht warm“, sagte Meetje Moeie freundlich, „es ist hier zwar etwas eng, wir sitzen alle in ein und demselben Nest, da spart man Feuerung... Wir wärmen uns gegenseitig, seht...“ Und sie wies auf eine dunkle Höhlung auf dem Boden zwischen dem Fußende des Bettes und der Mauer: „Da liegen schon zwei Schläfer, und die beiden ältesten müssen gleich noch mit hinein - das ist die Schlafstelle für die Mädchen.“ Dann zeigte sie auf das ausgetretene Loch unter dem Webstuhl: „Das ist das Bett der beiden Jungen, sie liegen auch schon drin.“

Es war zu dunkel, als dass man etwas unterscheiden hätte können, und es musste der Pächterin allmählich zum Bewusstsein kommen, wie es hier von Kindern wimmelte und wie die untergebracht waren. „Schlafen die Würmchen auch nur so auf der Erde?“, fragte sie teilnehmend.

„Ach da liegen sie warm, sie haben zusammengeballte Säcke und ein paar Lumpen in ihrer Kuhle, und sie wärmen sich aneinander“, sagte Meetje Moeie.

„Still, dass sie nicht wach werden! flüsterte die Bäuerin, denn sie fürchtete, es möchte jeden Augenblick ein tüchtiges Geschrei losbrechen, wenn das Kroppzeug munter würde. Gott, wie war es möglich, hier so aufeinandergepackt zu hausen? Jetzt merkte sie, dass es hier noch an anderem als an Kinderwindeln und leinenen Lappen fehlte. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, so beschämt war sie, hier als behäbige Bäuerin zu stehen, und es tat ihr leid, dass sie nicht viel mehr mitgebracht hatte, was diesen Leuten dienen könnte.
Diesen Weihnachtsbesuch hatte sie als reine Freundlichkeit aufgefasst, um einer Laune ihres Kindes zu genügen, aber nun sah sie den Ernst der Lage, und ein grenzenloses Mitleid erfüllte ihr Gemüt. Als sie sich nach Veva umsah, merkte sie, dass das Kind - Gott weiß wie - durch den engen Raum zwischen den Stützen des Kamins und dem Webstuhl zu der Krippe geklettert war und an die beiden andern geschmiegt dastand. Die Arme eins um des andern Schulter geschlungen, beugten sie sich über die hölzerne Krippe und verharrten in starrer Bewunderung. Das älteste Mädchen hatte ein Tuch zurückgeschoben, und nun lag das Gesichtchen des Neugeborenen frei. Sobald sie es gesehen hatte, wusste Veva nicht mehr, was rund um sie her vorging, sie sah das Kindlein: ein ganz kleines Kindlein, Äuglein und Mündchen zugekniffen, ein Gesichtchen, nicht größer als eine kleine Faust... Sie sah es an und konnte sich nicht satt sehen daran.
Noch niemals hatte sie solch einen kleinen, kleinen Säugling gesehen, und sie wagte erst nicht zu glauben, dass er lebte.

Die Pächterin kümmerte sich um die Frau, die im Bett lag; sie murmelte ganz leise, während Trese und Meetje Moeie die Bündel aufmachten. Aber Veva sah und hörte nichts von alledem; sie fühlte sich in dem Besitze dessen, was ihr höchstes Verlangen darstellte: nun war sie überzeugt, dass sie wirklich vor der Krippe stand und das Jesuskind anschauen durfte; sie dachte keinen Augenblick daran, dass es so ganz anders war, als sie es sich früher vorgestellt hatte.
Von der übernatürlichen Klarheit war hier nichts, nichts von dem Glanze und dem Leuchten, die das göttliche Kind ausstrahlen müsste, keine schwebenden Engel, kein himmlischer Gesang; aber dies alles vermisste Veva nicht einmal, denn eine wunderbare Klarheit strahlte aus ihrem eigenen Innern und erleuchtete alles, was sie sah; und die ungewöhnliche Armut und Dürftigkeit der vollgestellten muffigen Webkammer ließ sie unbewusst an den armen kleinen Stall zu Bethlehem denken, wo der Wind frei durch die Löcher blies. Die äußerst alltäglichen Dinge erschienen ihr alle so wunderbar, dass sie noch immer Mühe hatte, sich zu überzeugen, dass es kein Traum war, aber sie spürte zu deutlich die Haarlocken an ihren Wangen, und gegen ihre Schultern stießen von beiden Seiten die Schultern ihrer beiden kleinen Gespielinnen Lenchen und Trinchen, die ebenso entzückt schienen wie sie selbst und in stummer Verwunderung vor der Krippe standen.

Trotz ihrer eigenen Verzückung fühlte Veva dennoch, wie viel reicher und köstlicher der Besitz für Lenchen und Trinchen war, denn diese vom Schicksal bevorzugten Kinder hatten diesen heiligen Schatz ins Haus bekommen, indessen sie sich mit einem Christbaum und ein wenig Tand hatte bescheiden müssen. Veva beneidete die armen Mädchen jetzt nicht mehr; sie musste ihnen unsäglich dankbar sein dafür, dass sie sie an der Gnade, das göttliche Kind hier sehen zu dürfen, teilhaben ließen.

Die drei hatten noch kein Wort miteinander gesprochen, als die Pächterin mit halber Stimme fragte: „Veva, was hast du nun für die artigen Kinder mitgebracht?“ Da stand die Kleine beschämt; sie erschrak und wusste nichts zu tun als traurig aufzublicken, da Mutter sie bei dieser hartherzigen Nachlässigkeit ertappte. Alle ihre Gedanken waren vom Christkind eingenommen; was ihr die Engel aus dem Himmel mitgebracht hatten, galt ihr so wenig, dass ihr nicht einmal der Gedanke gekommen war, etwas davon an diese armen Kinder zu verschenken. Wie gern hätte sie ihnen alle ihre Schätze abgetreten, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen für die große Wohltat, die ihr zuteil wurde! „Nun, bleibst du noch hier, oder gehst du mit Trese nach Hause?“ fragte die Pächterin. Veva rührte sich nicht. Sie stand wie ein Bildstöckchen da und sah ihrer Mutter flehend ins Auge. Sie wollte so gern hier bleiben! „Gut, dann gehen wir in die Kirche und lassen dich hier, bis wir wiederkommen.“ Veva konnte es nicht erwarten, bis Mutter weg war, damit sie sicher sei, dass sie bleiben dürfte.

Der Mann und das alte Frauchen gaben der Pächterin und Trese bis vor die Haustür das Geleit, dann wurde es vollkommen still im Kämmerlein. Veva bekam einen Stuhl zum Sitzen, und nun standen die Mädchen zu beiden Seiten der Krippe; sie strengten sich an, als hätten sie Nachtwache beim Christkind zu halten. Meetje Moeie schlurfte auf Strümpfen hin und her, legte Flachsfasern auf Feuer und rührte in der Pfanne. Der Mann war nicht zurückgekommen und war sicher auch zur Christmette gegangen. Lenchen und Trinchen wagten noch immer nicht zu sprechen, aus Ehrerbietung oder aus Furcht, dass das Kindlein aufwachen könnte. Im stillen war es Vevas innigstes Verlangen, das Kindlein wach zu sehen, oder dass es doch einmal eines von seinen Äuglein öffnen möchte; es schien aber ruhig weiterschlafen zu wollen. Wenn es geschah, dass Veva flüchtig aufschaute, sah sie jedesmal in da bleiche Gesicht und die sanften Augen der mageren Frau mit dem nie weichenden Lächeln, die so glücklich schien und fortwährend ihren Blick auf die drei Mädchen und die Krippe heftete.

Veva wusste eigentlich nicht, ob es sehr lange oder sehr kurz gedauert hatte, aber es wunderte sie und sie erschrak, als sie an der Haustür ein Geräusch hörte und Mutter schon zurückgekehrt war. „Komm nun, Kind, die Leute wollen schlafen gehen und wir auch“, sagte die Pächtersfrau. Veva stand wie angewachsen da; sie hatte die beiden Händchen auf den Rand der Krippe gelegt, weil sie es nicht wagte, das Kind selbst anzurühren, es fiel ihr schwer, die Hände wegzuziehen und Abschied zu nehmen. Vor dem Fortgehen sah sie noch zum letzten Mal zum Krippchen, und siehe da: nun bewegte sich etwas und das Christkind schien aufwachen zu wollen; es öffnete die Äuglein und lächelte! Veva schoss das Blut zum Herzen, dass es heftig zu klopfen begann und sie keinen Schritt vorwärts zu tun wagte. Aber Mutter drängte: „Komm nur, es wird spät, die Leute werden schon daheim sein!“

„Mutter, Mutter!“ Veva wollte erklären, dass nun etwas Wichtiges bevorstehe, aber die Pächterin begriff nicht, was ihr Töchterchen sagen wolle. „Morgen darfst du noch einmal wiederkommen, wenn du dich ausgeschlafen hast!“

Veva musste mit, Trese legte ihr das Tuch um die Schultern und nahm sie an der Hand. „Sag guten Abend, oder besser, guten Tag!“ Und plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie nahm den Faden wieder auf: „Schau, es ist wahr: Gesegnete Weihnachten! Ich hatte vergessen, dass es schon Christtag ist!“

„Gesegnete Weihnachten!“ wünschten nun sie alle einander. Der Mann und Meetje Moeie kamen bis zur Tür mit, um der Pächtersfrau zu danken; die Wöchnerin rief vom Bett aus auch noch ihren Dank, worauf die junge Bäuerin sich entschuldigte und versprach, am Tage noch das eine oder andere zu schicken und alles für das Kindchen zu tun, was nötig war... „Ihr werdet sehen!“ rief die alte Trese Meetje Moeie zu, „dies Christkind bringt noch Glück ins Haus!“

Vevachen ging an Treses Hand; sie hatte nicht gewagt, sich noch einmal nach der Krippe umzusehen; auch fehlte ihr der Mut, Lenchen und Trinchen ihr Vorhaben mitzuteilen; aber sie war fest entschlossen, alles, was sie zu Weihnachten bekommen hatte, mit den Kindern zu teilen. Aber da erschrak sie auf einmal: sie hatte vergessen, das Kindlein zu fragen, ob es im nächsten Jahr zu ihnen auf den Hof kommen wolle! Sie wagte nicht zu bekennen, dass sie das versäumt hatte, und es quälte sie wie ein großes Unglück...

In der nächtigen Weite war es ganz still; noch immer überflutete eine seltsame Klarheit die weiten weißen Felder, aber auf dem Schnee liefen schwarze Menschengestalten, die aus der Kirche heimkehrten. „Mutter, darf ich den Kindern morgen meine Weihnachtssachen bringen?“

„Ja, Kind.!

„Die Kinder haben nichts bekommen, nicht wahr, Mutter?“

„Nein, nichts, Veva!“

„Aber sie haben das Christkindchen, Mutter!“

„Ja, sie haben das Christkindchen“, sagte die Pächtersfrau, und es war Veva, als hätte die Mutter bei diesem Worte schwer geseufzt. Und warum ließ Trese ein mitleidiges „Ach Gott, das Kind!“ darauf folgen? Keins von den dreien sprach ein Wort, wie sie so über den Schnee gingen, der fortwährend unter den Füßen knirschte. Veva schaute aufwärts zu den Sternen, die immer noch mächtig funkelten; ihr Herz war voll Freude und Angst, ihr Gemüt gerührt von dem, was sie gesehen hatte. Das Geheimnisvolle des Geschehens rund um sie her verstand sie nicht, und vielem, woran sie dachte, vermochte sie weder einen Sinn noch eine Erklärung zu geben. Es verlangte sie aber, sobald sie ausgeschlafen hätte, ihre Geschenke nach dem Kätnerhaus zu bringen und die Freude all der Kinder mitansehen zu dürfen.

In der großen Diele des Gutshofes war wieder Geräusch, Bewegung, Licht, Wärme und üppige Geselligkeit in Fülle, wie am hellichten Tag. Der Kaffee duftete, die mit Butter gestrichenen Schnitten vom Weihnachtsstollen lagen hochgestapelt auf den Zinnschüsseln. Jedem Neueintretenden wurden „Gesegnete Weihnachten“ gewünscht, und jeder nahm an der großen Tafel Platz. Dann wurde die Flasche wieder hergeholt und die Gläser wurden vollgeschenkt. Veva stand verlegen da wie in einem fremden Haus; sie fühlte keine Lust, jemand etwas von dem mitzuteilen, was sie geschaut hatte: immerfort guckte sie zur Mutter und Trese und hatte Angst, dass eine von ihnen etwas davon erzählen könnte; sie wollte ihr Glück verborgen halten. Als das Kind aus der kalten Luft plötzlich in die Wärme kam, wurde es bald vom Schlaf überwältigt, und unwillkürlich war es mit einem Stück Weihnachtsstollen in der Hand bei Tisch vor Schlaf zusammengesunken; ohne dass sie es gewahrte, wurde sie aufgepackt, ins Bett getragen und zugedeckt. Da lag das Kind in tiefem Schlaf.

Aber was Veva an jenem Weihnachtsmorgen träumte, war noch tausendmal schöner, als was sie in der Nacht in Wirklichkeit erfahren und erlebt hatte.
Als Engel schwebte sie auf Flügeln über dem Schneefeld durch die Luft und trug den Christbaum mit allem, was daran hing, federleicht auf ihrer Handfläche.
Der schöne große Stern mit den sieben feurigen Strahlen funkelte hoch über dem Häuschen.

Mit rauschendem Flügelschlag schwebte Veva geradewegs durch den Schornstein hinunter, ohne irgendwo anzustoßen. Nun war das Häuschen voll von Licht und hellem Glanz. Sie brachte den Christbaum hinein, an dem die Lichtlein brannten. Im Krippchen lag rosig das Christkind mit einem Apfel in der Hand, selbst wie ein Äpfelchen auf einem goldgelben Bettchen von Haferstroh.
Es hatte ein schneeweißes Hemdchen an, und seine blauen Äuglein waren offen und lachten Veva freundlich an. Es schüttelte seine schönen Ringellöckchen und streckte ihr die molligen Händchen entgegen. Lenchen und Trinchen waren auch dabei und alle die anderen Kinder und Hirten und Hirtinnen, die mit himmlischer Stimme sangen:

Ihr Hirten, lasst eure Schafe im Feld!
Der große Herr, der Schöpfer der Welt,

Er ist euch geboren, die ihr wart verloren,
Und liegt in der Krippe im kleinen Stall,

Euch zu erlösen nach Adams Fall.
Da wird er gefunden, in Windeln gebunden,

Eine Jungfrau ist Mutter dem Knaben klein,
Sein Vater ist Gott Vater allein.

Macht euch auf die Beine, ihr Hirten, schnell!
Lauft, Hirten, lauft! Lauft Hirten, lauft!

Lauft, Hirten, lauft! Lauft, Hirten, lauft!
Doch lasst mir schlafen das heilige Kind!

Seid leise, leise! Doch lauft geschwind!

Der Christbaum stand mitten in der Kammer, so groß, dass er sie ganz ausfüllte, und nun tanzten die Hirten und Hirtinnen rundherum, und Veva tanzte auch mit zwischen Lenchen und Trinchen. Als sie sich müde getanzt hatten, ging Veva ohne Zagen an die Krippe, sah das strahlende Kindlein an und beugte sich mit all der Lust ihres kindlichen zarten Gemüts tief zu ihm hinunter und Das Christkind

Über der ganzen Ebene, soweit sie reichte, lag der Schnee glänzend im Mondschein da. Das erste, was Veva tat, war, dass sie zum Himmel aufblickte, den großen Stern wiederzufinden, und aufgeregt erzählte sie Trese, wie der große Stern gerade über dem Häuschen zu sehen gewesen war, wo das Christkind aufs neue zur Welt kam. Aber nun sah der Himmel ganz anders aus: alle Sterne hatten ihr Licht angesteckt! Am schwarz-blauen Himmelszelt wimmelte es von großen und kleinen Sternen, wirr durcheinander und dicht gesät; sie funkelten und tanzten wie zitternde Feuerfünkchen, wie schelmische Augen, die fortwährend zwinkerten und blinzelten. Und mitten zwischen ihnen hing der schöne runde Vollmond, der die ganze Welt mit silbrigem Glanz übergoß und den Schnee erglitzern ließ, so weit das Auge reichte. Der Wind hatte sich gelegt, und es war ganz still in dieser Nacht. Der Schnee krachte, er knirschte unter jedem Schritt; an anderen Stellen war er pulverig wie leckeres Backmehl, das unter dem Fuß aufstäubt.

Veva fand jetzt alles noch viel einsamer und stiller als am Abend. Es beängstigte und erfreute sie zugleich, wenn sie daran dachte, daß es nun Nacht war, die echte heilige Christnacht, und dass sie sich aufgemacht hatte, das Jesuskind zu schauen; es war zu überwältigend, um es zu glauben. Sie stapfte zwischen Trese und der Mutter einher, und das war ihr das einzig Sichere, daran sie sich überzeugen konnte, dass es kein Traum war, was sie hier draußen auf dem Feld erlebte. Und doch, es kam noch die Kälte dazu! Die Kälte, die überall hinkniff, wo sie bloße Haut vorfand, und den ganzen Körper des Kindes wie mit tausend Nadeln stach, so dass es tüchtig wehtat. Zu Hause am Herd war es so warm gewesen, dass sie es nun draußen schwer aushalten konnte - der Unterschied war gar zu groß. Aber als sie so mit den Zähnen klapperte, dass Mutter es hörte, warf diese ihr ihren Mantel über den Kopf, und nun wurde es wirklich lustig. Veva lief wie in einem Kapellchen, im dunkeln, aber warm eingemummt, und nun wusste sie selbst nicht mehr recht, ob sie vorwärts ging oder an Ort und Stelle trippelte; sie ließ sich nur führen, hielt Mutters Hand fest und fing an, von ihrem unsagbaren Glück zu träumen. Die Pächtersfrau und die Magd plauderten leise miteinander. Veva aber wollte oder konnte es nicht hören, weil sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigte.

Nach einer Weile öffnete Veva den Mantel einen Spalt breit, und als sie mit einem Auge durchguckte, sah sie vorn Trese, die alte Magd, die mit beiden Bündeln am Arm unter dem weit offenstehenden Mantel einem wandelnden Fuder Heu glich. Nun wagte Veva noch einen Blick, um in die Ferne auszuschauen, und wahrhaftig; „Sieh, Mutter“, rief das Kind, „siehst du es! Das Licht brennt noch! da ist's!“ „Ja, das ist das Kätnerhaus, wir sind bald da...“

„Und was willst du nun zu dem Kindlein sagen?“ Veva wusste nicht, was sie antworten solle; sie hatte nicht daran gedacht, dort etwas zu sagen - das würde sie sich nie getrauen -, sie wollte nur das Kindlein still bewundern. „Ich will es ansehen, Mutter“, sagte sie.

„Und hast du das Kindlein nichts zu fragen? Das ist aber wenig.“

Veva überlegte, aber sie konnte es sich nicht denken, sonst noch irgend etwas zu tun als das göttliche Kind anzuschauen. Sie war voll schaudernder Ehrfurcht vor dem, was sie erleben sollte, und schätzte diese Gunst allein so hoch, dass kein anderes Verlangen in ihr aufkommen konnte. Sie fühlte sich unwürdig, wie die dürftigste unter den Hirtinnen, die voll Glückseligkeit, aber voll Furcht sich leise nahen und niederknien und kaum aufzuschauen wagen zu dem göttlichen Kind, das wirklich aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen; sie kam nur, anzubeten, und schon das war ein großes Glück für sie. Aber nun erfüllte Mutters Vorschlag, der sie wie eine große Überraschung traf, ihr Herz mit neuer Freude.

„Du mußt das Christkind bitten, dass es nächstes Jahr auch einmal zu uns auf den Hof kommt“, sagte Mutter.

„Ach ja!“ Daß sie daran nicht gedacht hatte! Dies war die passende Gelegenheit, sich diese Gunst für das nächste Jahr auszubitten.

„Ach, wenn das geschehen könnte!“, sagte Trese. Keine von den dreien wusste noch etwas hinzuzufügen; sie schwiegen, als geschähe es aus Ehrfurcht, weil sie sich jetzt dem Häuschen näherten. Das Licht, das sie aus weiter Ferne hatten blinzeln sehen, war nun ganz nah, und wirklich, nun traten sie leiser auf und hielten inne, um die Ruhe nicht zu stören; denn hier war es stiller als selbst auf der weiten Fläche, wo sich nichts bewegte. Vor der Tür zauderten sie noch ein wenig, dann klopfte Trese mit dem Knöchel sacht an das Fensterchen und flüsterte, das Gesicht gegen den Spalt gedrückt: „Meetje, mach auf, Trese ist da und hat gute Begleitung mit...“ Veva hielt den Atem an, so ergriffen und scheu war sie. Sie fürchtete, dass nun nach all dem langen Warten am Ende noch etwas dazwischenkommen könnte: dass sie nicht eingelassen würden, dass sie das Kindlein nicht zu sehen bekämen oder dass es vielleicht schon fort wäre... Aber Meetje öffnete hastig die Tür. „Womit kann ich euch dienen?“ fragte das Frauchen, verwundert über diesen späten Besuch. „Die Pächterin vom Gutshof und ihr Töchterchen würden jetzt gern das Christkind sehen“, antwortete Trese in dem gleichen gewollt feierlichen Ton. Aber nun tat er seine Wirkung: „Ei, ei!“ rief das Frauchen mit verhaltenem Atem und gedämpfter Stimme. „Wer ist da? Ist's wirklich wahr? Die Herrin selbst? Wie kommen wir zu dieser Ehre? Und Trese, die alte Trese, noch so spät... Gott, was für Sachen! Und in der Christnacht noch dazu! Kommt doch herein! Und ich lass euch da in der Kälte stehen, wo es so friert!“ Das Frauchen hatte ganz den Kopf verloren; sie stotterte und stammelte vor Verwunderung. Sie könnten nichts dafür, dass es hier so dunkel sei, weil sie nur ein Lämpchen hatten, und das müsste in der Webkammer brennen bei der Wöchnerin... Veva schlüpfte an Mutters Rock mit herein, blieb bestürzt stehen und blickte bebend in die Dunkelheit. „Kommt nur, ihr Leute“, flüsterte Meetje und drückte leise die Tür der Kammer auf, wo das Lämpchen brannte.

Eine warme muffige Treibhausluft schlug ihnen entgegen, aber weder die Pächterin noch die Magd sahen, wie man da hineinkommen könnte. Mit Mühe mussten sie sich alle vorwärtsschieben und sich zwischen Kamin und Stühlen durchquetschen; die Kammer war so klein, daß beinahe kein Platz mehr übrig blieb, weil der Webstuhl und das Bett den ganzen Raum in der Mitte ausfüllten. Der Mann war von dem Flachsfaserfeuerchen aufgesprungen und schaute erschrocken, wer da nun so unerwartet hereinkäme. Er suchte Platz zu schaffen und schob die Stühle aus dem Weg und stellte sich selbst in den äußersten Winkel. Die Frau im Bett öffnete ihre großen Augen und richtete sich halb auf, um sehen zu können; da verklärte ein leises glückliches Lächeln ihre Züge. So voll und so durcheinander stand hier alles unter der Balkendecke zwischen den weißgekalkten Lehmwänden, dass man das Ganze nicht recht übersehen konnte. Aber Veva hatte es doch schnell entdeckt: vor dem Bett, in dem die Frau lag, stand auf vier plumpen Beinen eine hölzerne Mulde, und darin lag etwas, das mit Webabfall und Lumpen umwickelt war, und ganz in der Ecke hinter diesem wirklichen Krippchen standen Lenchen und Trinchen! Die erschrockenen Gesichter der beiden Mädchen blickten verwundert auf, und Veva sah, dass die beiden die Krippe bewachten, in der das Kindlein liegen müsste. Das Mädchen wusste nicht, wie sie dort hinkommen sollte, aber sie wagte nicht sich zu rühren, noch zu sprechen.

„Dicht bei dicht macht warm“, sagte Meetje Moeie freundlich, „es ist hier zwar etwas eng, wir sitzen alle in ein und demselben Nest, da spart man Feuerung... Wir wärmen uns gegenseitig, seht...“ Und sie wies auf eine dunkle Höhlung auf dem Boden zwischen dem Fußende des Bettes und der Mauer: „Da liegen schon zwei Schläfer, und die beiden ältesten müssen gleich noch mit hinein - das ist die Schlafstelle für die Mädchen.“ Dann zeigte sie auf das ausgetretene Loch unter dem Webstuhl: „Das ist das Bett der beiden Jungen, sie liegen auch schon drin.“

Es war zu dunkel, als dass man etwas unterscheiden hätte können, und es musste der Pächterin allmählich zum Bewusstsein kommen, wie es hier von Kindern wimmelte und wie die untergebracht waren. „Schlafen die Würmchen auch nur so auf der Erde?“, fragte sie teilnehmend.

„Ach da liegen sie warm, sie haben zusammengeballte Säcke und ein paar Lumpen in ihrer Kuhle, und sie wärmen sich aneinander“, sagte Meetje Moeie.

„Still, dass sie nicht wach werden! flüsterte die Bäuerin, denn sie fürchtete, es möchte jeden Augenblick ein tüchtiges Geschrei losbrechen, wenn das Kroppzeug munter würde. Gott, wie war es möglich, hier so aufeinandergepackt zu hausen? Jetzt merkte sie, dass es hier noch an anderem als an Kinderwindeln und leinenen Lappen fehlte. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, so beschämt war sie, hier als behäbige Bäuerin zu stehen, und es tat ihr leid, dass sie nicht viel mehr mitgebracht hatte, was diesen Leuten dienen könnte.
Diesen Weihnachtsbesuch hatte sie als reine Freundlichkeit aufgefasst, um einer Laune ihres Kindes zu genügen, aber nun sah sie den Ernst der Lage, und ein grenzenloses Mitleid erfüllte ihr Gemüt. Als sie sich nach Veva umsah, merkte sie, dass das Kind - Gott weiß wie - durch den engen Raum zwischen den Stützen des Kamins und dem Webstuhl zu der Krippe geklettert war und an die beiden andern geschmiegt dastand. Die Arme eins um des andern Schulter geschlungen, beugten sie sich über die hölzerne Krippe und verharrten in starrer Bewunderung. Das älteste Mädchen hatte ein Tuch zurückgeschoben, und nun lag das Gesichtchen des Neugeborenen frei. Sobald sie es gesehen hatte, wusste Veva nicht mehr, was rund um sie her vorging, sie sah das Kindlein: ein ganz kleines Kindlein, Äuglein und Mündchen zugekniffen, ein Gesichtchen, nicht größer als eine kleine Faust... Sie sah es an und konnte sich nicht satt sehen daran.
Noch niemals hatte sie solch einen kleinen, kleinen Säugling gesehen, und sie wagte erst nicht zu glauben, dass er lebte.

Die Pächterin kümmerte sich um die Frau, die im Bett lag; sie murmelte ganz leise, während Trese und Meetje Moeie die Bündel aufmachten. Aber Veva sah und hörte nichts von alledem; sie fühlte sich in dem Besitze dessen, was ihr höchstes Verlangen darstellte: nun war sie überzeugt, dass sie wirklich vor der Krippe stand und das Jesuskind anschauen durfte; sie dachte keinen Augenblick daran, dass es so ganz anders war, als sie es sich früher vorgestellt hatte.
Von der übernatürlichen Klarheit war hier nichts, nichts von dem Glanze und dem Leuchten, die das göttliche Kind ausstrahlen müsste, keine schwebenden Engel, kein himmlischer Gesang; aber dies alles vermisste Veva nicht einmal, denn eine wunderbare Klarheit strahlte aus ihrem eigenen Innern und erleuchtete alles, was sie sah; und die ungewöhnliche Armut und Dürftigkeit der vollgestellten muffigen Webkammer ließ sie unbewusst an den armen kleinen Stall zu Bethlehem denken, wo der Wind frei durch die Löcher blies. Die äußerst alltäglichen Dinge erschienen ihr alle so wunderbar, dass sie noch immer Mühe hatte, sich zu überzeugen, dass es kein Traum war, aber sie spürte zu deutlich die Haarlocken an ihren Wangen, und gegen ihre Schultern stießen von beiden Seiten die Schultern ihrer beiden kleinen Gespielinnen Lenchen und Trinchen, die ebenso entzückt schienen wie sie selbst und in stummer Verwunderung vor der Krippe standen.

Trotz ihrer eigenen Verzückung fühlte Veva dennoch, wie viel reicher und köstlicher der Besitz für Lenchen und Trinchen war, denn diese vom Schicksal bevorzugten Kinder hatten diesen heiligen Schatz ins Haus bekommen, indessen sie sich mit einem Christbaum und ein wenig Tand hatte bescheiden müssen. Veva beneidete die armen Mädchen jetzt nicht mehr; sie musste ihnen unsäglich dankbar sein dafür, dass sie sie an der Gnade, das göttliche Kind hier sehen zu dürfen, teilhaben ließen.

Die drei hatten noch kein Wort miteinander gesprochen, als die Pächterin mit halber Stimme fragte: „Veva, was hast du nun für die artigen Kinder mitgebracht?“ Da stand die Kleine beschämt; sie erschrak und wusste nichts zu tun als traurig aufzublicken, da Mutter sie bei dieser hartherzigen Nachlässigkeit ertappte. Alle ihre Gedanken waren vom Christkind eingenommen; was ihr die Engel aus dem Himmel mitgebracht hatten, galt ihr so wenig, dass ihr nicht einmal der Gedanke gekommen war, etwas davon an diese armen Kinder zu verschenken. Wie gern hätte sie ihnen alle ihre Schätze abgetreten, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen für die große Wohltat, die ihr zuteil wurde! „Nun, bleibst du noch hier, oder gehst du mit Trese nach Hause?“ fragte die Pächterin. Veva rührte sich nicht. Sie stand wie ein Bildstöckchen da und sah ihrer Mutter flehend ins Auge. Sie wollte so gern hier bleiben! „Gut, dann gehen wir in die Kirche und lassen dich hier, bis wir wiederkommen.“ Veva konnte es nicht erwarten, bis Mutter weg war, damit sie sicher sei, dass sie bleiben dürfte.

Der Mann und das alte Frauchen gaben der Pächterin und Trese bis vor die Haustür das Geleit, dann wurde es vollkommen still im Kämmerlein. Veva bekam einen Stuhl zum Sitzen, und nun standen die Mädchen zu beiden Seiten der Krippe; sie strengten sich an, als hätten sie Nachtwache beim Christkind zu halten. Meetje Moeie schlurfte auf Strümpfen hin und her, legte Flachsfasern auf Feuer und rührte in der Pfanne. Der Mann war nicht zurückgekommen und war sicher auch zur Christmette gegangen. Lenchen und Trinchen wagten noch immer nicht zu sprechen, aus Ehrerbietung oder aus Furcht, dass das Kindlein aufwachen könnte. Im stillen war es Vevas innigstes Verlangen, das Kindlein wach zu sehen, oder dass es doch einmal eines von seinen Äuglein öffnen möchte; es schien aber ruhig weiterschlafen zu wollen. Wenn es geschah, dass Veva flüchtig aufschaute, sah sie jedesmal in da bleiche Gesicht und die sanften Augen der mageren Frau mit dem nie weichenden Lächeln, die so glücklich schien und fortwährend ihren Blick auf die drei Mädchen und die Krippe heftete.

Veva wusste eigentlich nicht, ob es sehr lange oder sehr kurz gedauert hatte, aber es wunderte sie und sie erschrak, als sie an der Haustür ein Geräusch hörte und Mutter schon zurückgekehrt war. „Komm nun, Kind, die Leute wollen schlafen gehen und wir auch“, sagte die Pächtersfrau. Veva stand wie angewachsen da; sie hatte die beiden Händchen auf den Rand der Krippe gelegt, weil sie es nicht wagte, das Kind selbst anzurühren, es fiel ihr schwer, die Hände wegzuziehen und Abschied zu nehmen. Vor dem Fortgehen sah sie noch zum letzten Mal zum Krippchen, und siehe da: nun bewegte sich etwas und das Christkind schien aufwachen zu wollen; es öffnete die Äuglein und lächelte! Veva schoss das Blut zum Herzen, dass es heftig zu klopfen begann und sie keinen Schritt vorwärts zu tun wagte. Aber Mutter drängte: „Komm nur, es wird spät, die Leute werden schon daheim sein!“

„Mutter, Mutter!“ Veva wollte erklären, dass nun etwas Wichtiges bevorstehe, aber die Pächterin begriff nicht, was ihr Töchterchen sagen wolle. „Morgen darfst du noch einmal wiederkommen, wenn du dich ausgeschlafen hast!“

Veva musste mit, Trese legte ihr das Tuch um die Schultern und nahm sie an der Hand. „Sag guten Abend, oder besser, guten Tag!“ Und plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie nahm den Faden wieder auf: „Schau, es ist wahr: Gesegnete Weihnachten! Ich hatte vergessen, dass es schon Christtag ist!“

„Gesegnete Weihnachten!“ wünschten nun sie alle einander. Der Mann und Meetje Moeie kamen bis zur Tür mit, um der Pächtersfrau zu danken; die Wöchnerin rief vom Bett aus auch noch ihren Dank, worauf die junge Bäuerin sich entschuldigte und versprach, am Tage noch das eine oder andere zu schicken und alles für das Kindchen zu tun, was nötig war... „Ihr werdet sehen!“ rief die alte Trese Meetje Moeie zu, „dies Christkind bringt noch Glück ins Haus!“

Vevachen ging an Treses Hand; sie hatte nicht gewagt, sich noch einmal nach der Krippe umzusehen; auch fehlte ihr der Mut, Lenchen und Trinchen ihr Vorhaben mitzuteilen; aber sie war fest entschlossen, alles, was sie zu Weihnachten bekommen hatte, mit den Kindern zu teilen. Aber da erschrak sie auf einmal: sie hatte vergessen, das Kindlein zu fragen, ob es im nächsten Jahr zu ihnen auf den Hof kommen wolle! Sie wagte nicht zu bekennen, dass sie das versäumt hatte, und es quälte sie wie ein großes Unglück...

In der nächtigen Weite war es ganz still; noch immer überflutete eine seltsame Klarheit die weiten weißen Felder, aber auf dem Schnee liefen schwarze Menschengestalten, die aus der Kirche heimkehrten. „Mutter, darf ich den Kindern morgen meine Weihnachtssachen bringen?“

„Ja, Kind.!

„Die Kinder haben nichts bekommen, nicht wahr, Mutter?“

„Nein, nichts, Veva!“

„Aber sie haben das Christkindchen, Mutter!“

„Ja, sie haben das Christkindchen“, sagte die Pächtersfrau, und es war Veva, als hätte die Mutter bei diesem Worte schwer geseufzt. Und warum ließ Trese ein mitleidiges „Ach Gott, das Kind!“ darauf folgen? Keins von den dreien sprach ein Wort, wie sie so über den Schnee gingen, der fortwährend unter den Füßen knirschte. Veva schaute aufwärts zu den Sternen, die immer noch mächtig funkelten; ihr Herz war voll Freude und Angst, ihr Gemüt gerührt von dem, was sie gesehen hatte. Das Geheimnisvolle des Geschehens rund um sie her verstand sie nicht, und vielem, woran sie dachte, vermochte sie weder einen Sinn noch eine Erklärung zu geben. Es verlangte sie aber, sobald sie ausgeschlafen hätte, ihre Geschenke nach dem Kätnerhaus zu bringen und die Freude all der Kinder mitansehen zu dürfen.

In der großen Diele des Gutshofes war wieder Geräusch, Bewegung, Licht, Wärme und üppige Geselligkeit in Fülle, wie am hellichten Tag. Der Kaffee duftete, die mit Butter gestrichenen Schnitten vom Weihnachtsstollen lagen hochgestapelt auf den Zinnschüsseln. Jedem Neueintretenden wurden „Gesegnete Weihnachten“ gewünscht, und jeder nahm an der großen Tafel Platz. Dann wurde die Flasche wieder hergeholt und die Gläser wurden vollgeschenkt. Veva stand verlegen da wie in einem fremden Haus; sie fühlte keine Lust, jemand etwas von dem mitzuteilen, was sie geschaut hatte: immerfort guckte sie zur Mutter und Trese und hatte Angst, dass eine von ihnen etwas davon erzählen könnte; sie wollte ihr Glück verborgen halten. Als das Kind aus der kalten Luft plötzlich in die Wärme kam, wurde es bald vom Schlaf überwältigt, und unwillkürlich war es mit einem Stück Weihnachtsstollen in der Hand bei Tisch vor Schlaf zusammengesunken; ohne dass sie es gewahrte, wurde sie aufgepackt, ins Bett getragen und zugedeckt. Da lag das Kind in tiefem Schlaf.

Aber was Veva an jenem Weihnachtsmorgen träumte, war noch tausendmal schöner, als was sie in der Nacht in Wirklichkeit erfahren und erlebt hatte.
Als Engel schwebte sie auf Flügeln über dem Schneefeld durch die Luft und trug den Christbaum mit allem, was daran hing, federleicht auf ihrer Handfläche.
Der schöne große Stern mit den sieben feurigen Strahlen funkelte hoch über dem Häuschen.

Mit rauschendem Flügelschlag schwebte Veva geradewegs durch den Schornstein hinunter, ohne irgendwo anzustoßen. Nun war das Häuschen voll von Licht und hellem Glanz. Sie brachte den Christbaum hinein, an dem die Lichtlein brannten. Im Krippchen lag rosig das Christkind mit einem Apfel in der Hand, selbst wie ein Äpfelchen auf einem goldgelben Bettchen von Haferstroh.
Es hatte ein schneeweißes Hemdchen an, und seine blauen Äuglein waren offen und lachten Veva freundlich an. Es schüttelte seine schönen Ringellöckchen und streckte ihr die molligen Händchen entgegen. Lenchen und Trinchen waren auch dabei und alle die anderen Kinder und Hirten und Hirtinnen, die mit himmlischer Stimme sangen:

Ihr Hirten, lasst eure Schafe im Feld!
Der große Herr, der Schöpfer der Welt,

Er ist euch geboren, die ihr wart verloren,
Und liegt in der Krippe im kleinen Stall,

Euch zu erlösen nach Adams Fall.
Da wird er gefunden, in Windeln gebunden,

Eine Jungfrau ist Mutter dem Knaben klein,
Sein Vater ist Gott Vater allein.

Macht euch auf die Beine, ihr Hirten, schnell!
Lauft, Hirten, lauft! Lauft Hirten, lauft!

Lauft, Hirten, lauft! Lauft, Hirten, lauft!
Doch lasst mir schlafen das heilige Kind!

Seid leise, leise! Doch lauft geschwind!

Der Christbaum stand mitten in der Kammer, so groß, dass er sie ganz ausfüllte, und nun tanzten die Hirten und Hirtinnen rundherum, und Veva tanzte auch mit zwischen Lenchen und Trinchen. Als sie sich müde getanzt hatten, ging Veva ohne Zagen an die Krippe, sah das strahlende Kindlein an und beugte sich mit all der Lust ihres kindlichen zarten Gemüts tief zu ihm hinunter und flüsterte ganz leise, sagte es sogar zweimal: „Christkind, Mutter bittet dich, du sollst nächstes Jahr zu uns kommen!“ Und Veva sah deutlich, dass das Kindlein freundlich nickte und lächelte.

Stijn Streuvels



flüsterte ganz leise, sagte es sogar zweimal: „Christkind, Mutter bittet dich, du sollst nächstes Jahr zu uns kommen!“ Und Veva sah deutlich, dass das Kindlein freundlich nickte und lächelte.

Stijn Streuvels
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  #23  
Alt 24.12.2006, 03:15
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Der Schneemann
von Hans Christian Andersen



"Es knackt tüchtig in mir, so herrlich kalt ist es!" sagte der Schneemann. "Der Wind kann einem freilich Leben eintreiben. Und wie die Glühende dort glotzt!" - Er meinte die Sonne damit, die eben untergehen wollte. "Sie soll mich nicht zum Blinzeln bringen, ich kann die Brocken schon noch festhalten."

Er hatte nämlich statt Augen zwei große dreieckige Dachziegelbrocken, der Mund war ein Stück einer alten Harke, deshalb hatte er auch Zähne. Er war unter den Jubelrufen der Knaben geboren, begrüßt von Schellengeläut und Peitschenknall der Schlitten.
Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, rund und groß, klar und schön in der blauen Luft. "Da haben wir sie wieder von einer andern Seite!" sagte der Schneemann. Er glaubte, es sei die Sonne, die sich wieder zeigte. "Ich habe ihr das Glotzen abgewöhnt! Nun kann sie dort hängen und leuchten, damit ich mich selber sehen kann. Wüsste ich nur, wie man es macht, um von der Stelle zu kommen! Ich möchte mich gar zu gern bewegen! Wenn ich es könnte, würde ich nun dort unten auf dem Eise hingleiten, wie ich es die Knaben tun sah; aber ich verstehe nichts vom Laufen."

"Weg! Weg!" bellte der alte Kettenhund; er war etwas heiser, das war er geworden, als er Stubenhund war und hinter dem Ofen lag. "Die Sonne wird dich laufen lehren! Das sah ich bei deinem Vorgänger auch. Weg, weg und weg sind sie alle!"

"Ich verstehe dich nicht, Kamerad!" sagte der Schneemann, "soll die dort oben mich laufen lehren?" Er meinte den Mond. "Ja, sie lief freilich vorhin, als ich sie fest ansah, nun schleicht sie von einer anderen Seite heran."

"Du weißt auch gar nichts!" sagte der Kettenhund, "aber du bist ja auch eben erst zusammengeklatscht worden. Was du nun siehst, heißt Mond, das was fortging, war die Sonne, sie kommt morgen wieder, sie wird dich schon lehren, in den Wallgraben hinabzulaufen. Wir bekommen bald anderes Wetter, das spüre ich in meinem linken Hinterbein, es reißt darin. Das Wetter schlägt um!"

"Ich verstehe ihn nicht", sagte der Schneemann, "aber ich habe das Gefühl, dass es etwas Unangenehmes ist, was er sagt. Sie, die so glotzte und sich dann davonmachte, die Sonne, wie er sie nennt, sie ist auch nicht meine Freundin, das habe ich im Gefühl!"

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund, ging dreimal um sich selbst herum und legte sich dann in seine Hütte, um zu schlafen.

Das Wetter änderte sich wirklich. Dicker, feuchter Nebel lag gegen Morgen über der ganzen Gegend; als es Tag wurde, begann es zu wehen, der Wind war so eisig, der Frost packte ordentlich zu, aber was war das für ein Anblick, als die Sonne aufging! Bäume und Büsche waren mit Raureif bedeckt, es sah aus wie ein Wald von weißen Korallen, es war, als ob alle Zweige mit strahlend weißen Blüten übersät wären. Die unendlich vielen und feinen Verästelungen, die man im Sommer unter all den Blättern nicht sieht, kamen nun alle einzeln, hervor, es war ein Spitzengewebe und so leuchtend weiß, als ströme ein weißer Glanz aus jedem Zweige. Die Hängebirke bewegte sich im Winde, es war Leben in ihr wie in allen Bäumen zur Sommerzeit, es war eine unvergleichliche Pracht! Und als dann die Sonne schien, nein, wie funkelte das Ganze, als ob es mit Diamantenstaub überpudert wäre, und auf der Schneedecke des Erdbodens glitzerten die großen Diamanten, oder man konnte auch glauben, dass dort unzählige kleine Lichter brannten, weißer als der weiße Schnee.

"Das ist unvergleichlich schön!" sagte ein junges Mädchen, das mit einem jungen Mann in den Garten trat und gerade beim Schneemann stehen blieb, wo sie die flimmernden Bäume betrachteten. "Einen schöneren Anblick hat man selbst im Sommer nicht!" sagte sie, und ihre Augen strahlten.

"Und so einen Kerl wie diesen hier hat man im Sommer erst recht nicht", sagte der junge Mann und zeigte auf den Schneemann. "Er ist ausgezeichnet!"

Das junge Mädchen lachte, nickte dem Schneemann zu und tanzte mit ihrem Freunde über den Schnee dahin, der unter ihnen knirschte, als gingen sie auf Stärkemehl. "Wer waren die beiden?" fragte der Schneemann den Kettenhund, "du bist länger auf dem Hofe als ich, kennst du sie?"

"Versteht sich!" sagte der Kettenhund. "Sie hat mich ja gestreichelt, und er hat mir einen Knochen gegeben, die beiße ich nicht!"

"Aber was stellen sie hier vor? Fragte der Schneemann.

"Brrr-rautleute!" sagte der Kettenhund. "Sie werden in eine Hütte ziehen und zusammen am Knochen nagen. Weg! Weg!"

"Haben die beiden ebensoviel zu bedeuten wie du und ich?" fragte der Schneemann.

"Sie gehören ja zur Herrschaft!" sagte der Kettenhund, "man weiß wirklich ungemein wenig, wenn man gestern erst geboren ist, das merke ich an dir!

Ich habe Alter und Kenntnisse, ich kenne alle hier im Hause! Und ich habe eine Zeit gekannt, wo ich nicht hier in der Kälte und an der Kette lag. Weg! Weg!"

"Die Kälte ist herrlich", sagte der Schneemann. "Erzähle, erzähle! Aber du darfst nicht so mit der Kette rasseln, denn dabei knackt es in mir."

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund. "Ein Hündchen bin ich gewesen, klein und niedlich, sagten sie, damals lag ich in einem Samtstuhl drinnen im Hause, lag im Schoße der obersten Herrschaft, sie küssten mich auf die Schnauze und wischten mir die Pfoten mit einem gestickten Taschentuch ab, ich hieß 'Schönster', 'Pusselpusselbeinchen', aber dann wurde ich ihnen zu groß, sie schenkten mich der Haushälterin, ich kam in die Kellerwohnung! Du kannst hineinsehen von dort aus, wo du stehst, du kannst in die Kammer hinabsehen, wo ich Herrschaft gewesen bin, denn das war ich bei der Haushälterin. Es war ein geringerer Ort als oben, aber hier war es gemütlicher, ich wurde nicht von den Kindern gedrückt und herumgeschleppt wie oben. Ich bekam ebenso gutes Futter wie früher und viel mehr! Ich hatte mein eigenes Kissen, und dann war da ein Ofen, der um diese Zeit das Schönste von der Welt ist! Ich kroch ganz darunter, so dass ich verschwunden war. Ach, von dem Ofen träume ich noch. Weg!"

"Sieht den ein Ofen so schön aus?" fragte der Schneemann. "Hat er Ähnlichkeit mit mir?"

"Er ist gerade das Gegenteil von dir! Kohlschwarz ist er, hat langen Hals mit Messingtrommel. Er frisst Brennholz, dass ihm das Feuer aus dem Munde sprüht. Man muss sich an seiner Seite halten, ganz nahe oder unter ihm, das ist äußerst angenehm. Du muss ihn durch das Fenster sehen können von dort aus, wo du stehst."

Und der Schneemann guckte, und wirklich sah er einen schwarzen blankpolierten Gegenstand mit Messingtrommel, das Feuer leuchtete unten heraus. Dem Schneemann wurde ganz wunderlich zumute, er hatte ein Gefühl, über das er sich selbst keine Rechenschaft ablegen konnte, es kam etwas über ihn, das er nicht kannte, das aber alle Menschen kenne, wenn sie nicht Schneemänner sind.

"Und warum verließest du sie?" fragte der Schneemann. Er hatte die Empfindung, dass es ein weibliches Wesen sein musste. "Wie konntest du nur so einen Ort verlassen?"

"Ich bin dazu gezwungen worden!" sagte der Kettenhund. "Sie warfen mich hinaus und legten mich hier an die Kette. Ich hatte den jüngsten Junker ins Bein gebissen, weil er mir den Knochen wegstieß, an dem ich nagte, Knochen um Knochen, denk' ich! Aber das nahmen sie übel, und von der Zeit an habe ich an der Kette gelegen und habe meine klare Stimme verloren, höre nur, wie heiser ich bin: Weg! Weg! Das war das Ende vom Liede!"

Der Schneemann hörte nicht mehr zu, er sah in die Kellerwohnung der Haushälterin, in ihre Stube hinab, wo der Ofen auf seinen vier eisernen Beinen stand und sich in derselben Größe zeigte wie der Schneemann.

"Es knackt so seltsam in mir!" sagte er. "Soll ich niemals dort hineinkommen? Es ist doch ein unschuldiger Wunsch, und unsere unschuldigen Wünsche werden gewiss in Erfüllung gehen. Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es wäre fast ungerecht, wenn er nicht erfüllt würde. Ich muss dort hinein, ich muss mich an sie lehnen, und wenn ich auch das Fenster zerschlagen sollte!"

"Dort kommst du niemals hinein", sagte der Kettenhund, "und kommst du an den Ofen, dann bist du weg, weg!"

"Ich bin schon so gut wie weg!" sagte der Schneemann, "ich breche zusammen, glaube ich."

Den ganzen Tag stand der Schneemann da und guckte zum Fenster hinein, in der Dämmerstunde wurde die Stube noch einladender, vom Ofen her leuchtete es so mild, nicht wie der Mond und auch nicht wie die Sonne, nein, wie nur der Ofen leuchten kann, wenn er etwas in sich hat. Ging die Tür auf, so schlug die Flamme heraus, das war so seine Gewohnheit, es glühte ordentlich rot auf in dem weißen Gesicht des Schneemannes, es leuchtete rot über seine Brust.

"Ich halte es nicht mehr aus!" sagte er. "Wie schön es sie kleidet, die Zunge herauszustrecken!"

Die Nacht war sehr lang, aber nicht für den Schneemann, er stand da in seine eigenen schönen Gedanken vertieft, und die froren, dass es knackte.

Am Morgen waren die Kellerfenster zugefroren, sie trugen die schönsten Eisblumen, die nur ein Schneemann verlangen konnte, aber sie verbargen den Ofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte "sie" nicht sehen. Es knackte, es knirschte, es war gerade so ein Frostwetter, an dem ein Schneemann seine Freude haben muss, aber er freute sich nicht, er hätte sich so glücklich fühlen können und müssen, aber er war nicht glücklich, er hatte Ofensehnsucht.

"Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann", sagte der Kettenhund. "Ich habe auch an der Krankheit gelitten, aber ich habe sie überstanden. Weg! Weg! - Nun bekommen wir anderes Wetter!"

Und es gab anderes Wetter, es gab Tauwetter.

Das Tauwetter nahm zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das richtige Zeichen.

Eines Morgens brach er zusammen. Es ragte etwas wie ein Besenstiel in die Luft, dort, wo er gestanden hatte, um den Stiel herum hatten die Knaben ihn aufgebaut.

"Nun kann ich das mit seiner Sehnsucht verstehen", sagte der Kettenhund, "der Schneemann hat einen Feuerhaken im Leibe gehabt! Das ist es, was sich in ihm geregt hat, nun ist es überstanden Weg! Weg!"

Und bald war auch der Winter überstanden.

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund: aber die Mädchen auf dem Hofe sangen:

"Waldmeister grün! Hervor aus dem Haus!
Weide, die wollenen Handschuhe aus!
Lerche und Kuckuck, singt fröhlich drein! -
Frühling im Februar wird es sein!
Ich singe mit: Kuckuck! Quivit!
Komm liebe Sonne, komm oft - quivit!"

Und dann denkt niemand mehr an den Schneemann.
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  #24  
Alt 24.12.2006, 03:18
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Der Tannenbaum

Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten.

Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig wie das Wachsen; er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen, dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: "Wie niedlich klein ist der!" Das mochte der Baum gar nicht hören.

Im folgenden Jahre war er ein langes Glied größer, und das Jahr darauf war er um noch eins länger, denn bei den Tannenbäumen kann man immer an den vielen Gliedern, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind. "Oh, wäre ich doch so ein großer Baum wie die andern!" seufzte das kleine Bäumchen. "Dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die Welt hinausblicken! Die Vögel würden dann Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind weht, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die andern dort!"

Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und den roten Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten. War es nun Winter und der Schnee lag ringsumher funkelnd weiß, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg. Oh, das war ärgerlich! Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, dass der Hase um es herumlaufen musste. "Oh, wachsen, wachsen, groß und alt werden, das ist doch das einzige Schöne in dieser Welt!" dachte der Baum.

Im Herbst kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und dem jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauderte dabei; denn die großen, prächtigen Bäume fielen mit Knacken und Krachen zur Erde, die Zweige wurden abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus. Wohin sollten sie? Was stand ihnen bevor?

Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte sie der Baum: "Wisst ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen begegnet?" Die Schwalben wussten nichts, aber der Storch sah nachdenkend aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: "Ja, ich glaube wohl; mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, dass sie es waren, sie hatten Tannengeruch; ich kann vielmals von ihnen grüßen, sie sind schön und stolz!"

"Oh, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinfahren zu können! Was ist das eigentlich, dieses Meer, und wie sieht es aus?" "Ja, das ist viel zu weitläufig zu erklären!" sagte der Storch, und damit ging er. "Freue dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen; "freue dich deines frischen Wachstums, des jungen Lebens, das in dir ist!" Und der Wind küsste den Baum, und der Tau weinte Tränen über ihn, aber das verstand der Tannenbaum nicht.

Wenn es gegen die Weihnachtszeit war, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbäume waren, der weder Rast noch Ruhe hatte, sondern immer davon wollte; diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie zum Walde hinaus. "Wohin sollen diese?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich, einer ist sogar viel kleiner; weswegen behalten sie alle ihre Zweige? Wohin fahren sie?"

"Das wissen wir! Das wissen wir!" zwitscherten die Meisen. "Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! Oh, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man sich denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und erblickt, dass sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug, und vielen hundert Lichtern geschmückt werden."

"Und dann?" fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. "Und dann? Was geschieht dann?" "Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich schön!" "Ob ich wohl bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?" jubelte der Tannenbaum. Das ist noch besser als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich hoch und entfaltet wie die andern, die im vorigen Jahre davon geführt wurden! Oh, wäre ich erst auf dem Wagen, wäre ich doch in der warmen Stube mit all der Pracht und Herrlichkeit!

Und dann? ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, warum würden sie mich sonst so schmücken? Es muss noch etwas Größeres, Herrlicheres kommen! Aber was? Oh, ich leide, ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie mir ist!"

"Freue dich unser!" sagten die Luft und das Sonnenlicht; "freue dich deiner frischen Jugend im Freien!" Aber er freute sich durchaus nicht; er wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da, die Leute, die ihn sahen, sagten: "Das ist ein schöner Baum!" und zur Weihnachtszeit wurde er von allen zuerst gefällt. Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er konnte gar nicht an irgendein Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war; er wusste ja, dass er die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen werde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel.

Die Abreise hatte durchaus nichts Behagliches. Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er im Hofe mit andern Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: "Dieser hier ist prächtig! Wir wollen nur den!" Nun kamen zwei Diener im vollen Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen, schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und bei dem großen Kachelofen standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da waren Wiegestühle, seidene Sofas, große Tische voll von Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Taler; wenigstens sagten das die Kinder. Der Tannenbaum wurde in ein großes, mit Sand gefälltes Fass gestellt, aber niemand konnte sehen, dass es ein Fass war, denn es wurde rundherum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem großen, bunten Teppich. oh, wie der Baum bebte! Was würde da wohl vorgehen?

Sowohl die Diener als die Fräulein schmückten ihn. An einen Zweig hängten sie kleine, aus farbigem Papier ausgeschnittene Netze, und jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete Apfel und Walnüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen, und über hundert rote, blaue und weiße kleine Lichter wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die leibhaft wie die Menschen aussahen - der Baum hatte früher nie solche gesehen -, schwebten im Grünen, und hoch oben in der Spitze wurde ein Stern von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig! "Heute Abend", sagten alle, "heute Abend wird er strahlen!" und sie waren außer sich vor Freude. "Oh" dachte der Baum, "wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Meisen gegen die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?" Ja, er wusste gut Bescheid; aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm wie Kopfschmerzen für uns andere.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so dass eins der Lichter das Grüne anbrannte; es sengte ordentlich. "Gott bewahre uns!" schrieen die Fräulein und löschten es hastig aus. Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Grauen! Ihm war bange, etwas von seinem Staate zu verlieren; er war ganz betäubt von all dem Glanze. Da gingen beide Flügeltüren auf, und eine Menge Kinder stürzte herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen, die älteren Leute kamen bedächtig nach; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, daß es laut schallte; sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt und verteilt. "Was machen sie?" dachte der Baum. Was soll geschehen?"

Die Lichter brannten gerade bis auf die Zweige herunter, und je nachdem sie nieder brannten, wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Sie stürzten auf ihn zu, dass es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldstern an der Decke festgemacht gewesen, so wäre er umgefallen. Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeug herum, niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, das zwischen die Zweige blickte; aber es geschah nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen sei.

"Eine Geschichte, eine Geschichte!" riefen die Kinder und zogen einen kleinen, dicken Mann gegen den Baum hin, und er setzte sich gerade unter ihn, "denn so sind wir im Grünen", sagte er, "und der Baum kann besonders Nutzen davon haben, zuzuhören! Aber ich erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ivede- Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam?" "lvede-Avede!" schrieen einige, "Klumpe-Dumpe!" schrieen andere. Das war ein Rufen! Nur der Tannenbaum schwieg ganz still und dachte: Komme ich gar nicht mit, werde ich nichts dabei zu tun haben?" Er hatte ja geleistet, was er sollte. Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: "Erzähle, erzähle!" Sie wollten auch die Geschichte von Ivede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll, nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt.

Klumpe-Dumpe fiel die Treppen hinunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!" dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil ein so netter Mann es erzählt hatte. "Ja, ja! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin!" Und er freute sich, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, Gold und Früchten und dem Stern von Flittergold aufgeputzt zu werden. "Morgen werde ich nicht zittern!" dachte er. ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe und vielleicht auch die von Ivede-Avede hören." Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.

Am Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein. "Nun beginnt der Staat aufs neue!" dachte der Baum; aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf, auf den Boden und stellten ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht schien. "Was soll das bedeuten?" dachte der Baum. "Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?" Er lehnte sich gegen die Mauer und dachte und dachte. Und er hatte Zeit genug, denn es vergingen Tage und Nächte; niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen; der Baum stand ganz versteckt, man musste glauben, dass er ganz vergessen war.

"Nun ist es Winter draußen!" dachte der Baum. Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutz stehen! Wie wohlbedacht ist das! Wie die Menschen doch so gut sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und schrecklich einsam! Nicht einmal ein kleiner Hase! Das war doch niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der Hase vorbeisprang, ja selbst als er über mich hinwegsprang; aber damals mochte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch schrecklich einsam!"

"Piep, piep!" sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine kleine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum, und dann schlüpften sie zwischen seine Zweige. "Es ist eine gräuliche Kälte!" sagten die kleinen Mäuse. "Sonst ist hier gut sein; nicht wahr, du alter Tannenbaum?" "Ich bin gar nicht alt!" sagte der Tannenbaum; "es gibt viele, die weit älter sind denn ich!" "Woher kommst du?" fragten die Mäuse, "und was weißt du?" Sie waren gewaltig neugierig. "Erzähle uns doch von den schönsten Orten auf Erden! Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt, mager hineingeht und fett herauskommt?"

"Das kenne ich nicht", sagte der Baum; "aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!" Und dann erzählte er alles aus seiner Jugend. Die kleinen Mäuse hatten früher nie dergleichen gehört, sie horchten auf und sagten: "Wie viel du gesehen hast! Wie glücklich du gewesen bist!"

"Ich?" sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. "Ja, es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!" Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Zuckerwerk und Lichtern geschmückt war. "Oh", sagten die kleinen Mäuse, "wie glücklich du gewesen bist, du alter Tannenbaum!" "Ich bin gar nicht alt!" sagte der Baum; "erst in diesem Winter bin ich aus dem Walde gekommen! Ich bin in meinem allerbesten Alter, ich bin nur so aufgeschossen." "Wie schön du erzählst!" sagten die kleinen Mäuse, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an alles und dachte: Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen, können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin; vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen." Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine, niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs; das war für den Tannenbaum eine wirkliche, schöne Prinzessin. "Wer ist Klumpe-Dumpe?" fragten die kleinen Mäuse. Da erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen; die kleinen Mäuse sprangen aus reiner Freude bis an die Spitze des Baumes. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei Ratten, aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse, denn nun hielten sie auch weniger davon.

"Wissen Sie nur die eine Geschichte?" fragten die Ratten. "Nur die eine", antwortete der Baum; "die hörte ich an meinem glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war." "Das ist eine höchst jämmerliche Geschichte! Kennen Sie keine von Speck und Talglicht? Keine Speisekammergeschichte?"

"Nein!" sagte der Baum." "Ja, dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen zu den Ihrigen zurück. Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum: "Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herumsaßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde gerne daran denken, wenn ich wieder hervorgenommen werde."

Aber wann geschah das? Ja, es war eines Morgens, da kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden weggesetzt, der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn gleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete. "Nun beginnt das Leben wieder!" dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles ging geschwind, der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten, da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darin; die Rosen hingen frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: "Quirrevirrevit, mein Mann ist kommen!" Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten. "Nun werde ich leben!" jubelte der und breitete seine Zweige weit aus; aber ach, die waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben in der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein. Im Hofe selbst spielten ein paar der munteren Kinder, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so froh über ihn gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riss den Goldstern ab.

"Sieh, was da noch an dem hässlichen, alten Tannenbaum sitzt!" sagte es und trat auf die Zweige, so dass sie unter seinen Stiefeln knackten. Der Baum sah auf all die Blumenpracht und Frische im Garten, er betrachtete sich selbst und wünschte, dass er in seinem dunklen Winkel auf dem Boden geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe- Dumpe angehört hatten.
"Vorbei, vorbei!" sagte der arme Baum. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!" Der Diener kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum seufzte tief, und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten hinein und riefen: "Piff, paff!" Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommerabend im Walde oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen wusste - und dann war der Baum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei. Und so geht es mit allen Geschichten!

Hans Christian Andersen

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  #25  
Alt 24.12.2006, 03:21
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Weihnachtsmorgen

Es war soweit! Julika streckte ihre dick eingepackten Füße aus dem Bett und fröstelte! Hui, war das kalt heute! Sie kniete sich in ihr Bett und blickte verschlafen aus dem Fenster in den noch dunklen Morgen. Draußen glitzerte der Schnee im Glanz des Vollmonds und Julikas Herz begann vor Aufregung zu hüpfen. Weiße Weihnacht!

Ihr Atem bildete Eisblumen auf der kalten Scheibe des Fensters und Julika jauchzte vor Entzücken. Schnell rutschte sie aus dem Bett und zog ihre zwei dicksten Pullover über ihr Nachtgewand und schlüpfte in die gefütterte Hose, die Tante Rosi ihr letztes Weihnachten geschenkt hatte. Leider war sie seitdem ein ganzes Stück gewachsen, so dass zwischen ihren dicken Stiefeln und dem Saum der Hose ein kleines Stückchen nackte Haut zu sehen war. Doch das kümmerte Julika nicht im geringsten. Schnell zog sie sich noch den Lammfellmantel über, den ihr die Mutter extra gekauft hatte, kramte die dicken Handschuhe aus den Taschen und setzte sich im Hinausgehen noch die Wollmütze ihres Bruders auf.

Alles in allem gab sie so eine sehr lustige Gestalt ab, doch ihr war warm und das war die Hauptsache. Sie rannte hinaus in den Schnee und freute sich ihres Lebens! Drinnen im Haus konnte sie leise Stimmen hören und das Rumpeln verkündete ihr, dass nun auch ihre Eltern aufgestanden waren. Schnell begann sie, den Schnee zu einer großen Kugel zusammenzurollen, und als die erste fertig war, wurde eine zweite und dritte erstellt. Mittlerweile war das Licht in der Küche angegangen und Julika konnte hören, wie ihre Mutter das Frühstück vor-bereitete. Schnell setzte sie die Kugeln aufeinander, die größte zu unterst, die kleinste zu oberst. Jetzt konnte Julika hören, dass auch ihre zwei Brüder, Jonas und Niklas, wach wurden. Das hieß beeilen, wollte sie ihr Werk doch ganz alleine fertig stellen. Sie rannte zurück zum Haus, zu dem Blumentopf neben dem Küchenfenster. Dort hatte sie alles wichtige versteckt: eine lange Mohrrübe als Nase für den kalten Freund, zwei Knöpfe für die Augen, fünf kleine Stückchen Kohle, die dem Vater beim Anzünden des Kamins heruntergefallen waren, sie sollten des Mund bilden, die Zipfelmütze von Großvater, die Julika zusammen mit der Pfeife extra dafür von ihm bekommen hatte und natürlich den Schal und die Kieselsteine, die sie brauchte, um ihn anzuziehen. Da würden die Eltern aber schauen! So ein toller Schneemann und Julika hatte ihn ganz allein gemacht!

Drinnen hörte sie, wie die Mutter die Brüder zum Frühstück rief, und bei dem Gedanken an eine dampfende Tasse heißen Kakaos wurde Julika bewusst, dass sie schon seit über einer Stunde im Schnee rumtollte. Ihr Magen knurrte, als sie sich die warmen, weichen, nach Milch und Honig duftenden Brötchen vorstellte, die ihre Mutter nur zu besonderen Anlässen buk. Leise öffnete sie die Haustür, streifte Mantel, Mütze und Stiefel fast gleichzeitig ab und hüpfte in die Küche.

Oh, war das ein Anblick! Jonas und Niklas saßen im Nachtgewand und dicken Plüschhausschuhen auf ihren Stühlen, der Vater hatte seinen Morgenrock übergezogen und guckte noch ganz verschlafen, und die Mutter stand am Herd und rührte den heißen Kakao. Der Tisch, nein, die ganze Küche war festlich geschmückt mit Tannenreisig und Weihnachtssternen und kleinen Putten die selig von imaginären Wolken lächelten. Die Küche leuchtete im Glanz der Kerzen, die überall aufgestellt waren. Mutter hatte sogar die silbernen Leuchter auf den Tisch gestellt! Die gute Tischdecke war aufgelegt, auf dem Tisch waren zwischen dem Tannenreisig Walnüsse und Haselnüsse und Mandarinen und bunte Lebkuchen verteilt, und in der schönen Kristallschüssel, die in der Mitte des Tisches zwischen den silbernen Leuchtern stand, lagen Pfeffernüsse, Zimtsterne und Hildaplätzchen.

Julika setzte sich auf ihren Platz, mit roter Nase und noch ganz außer Atem vom Schneemannbauen. Gleich nach dem Frühstück würde sie allen zeigen, was sie so früh schon draußen für alle gebaut hatte. Doch jetzt wollte sie zuerst einmal das köstliche Frühstück genießen, das ihre Mutter mit funkelnden Augen servierte: heiße Schokolade für Julika und die Brüder, duftender Kaffee für die Mutter und den Vater. Warme, frische Brötchen mit Butter und Honig oder der leckeren selbstgemachten Brombeermarmelade. Ein Kanten von dem guten Schinken, den Vater vom Bauern Johann bekommen hatte, frisches, dunkles Brot, natürlich die guten Plätzchen und für jeden ein Ei von der Henne Berta.

Da wurde geschlemmt! Und ganz still war es, weil keiner es wagte, den Morgen durch Worte zu stören. Doch wie es immer war, fing der kleine Niklas, der noch nicht begreifen konnte, was für ein besonderer Morgen es war, zu plappern an und als somit der Bann gebrochen war, fingen alle an zu erzählen. Vom letzen Jahr und den Jahren davor und wie schön der Schnee in diesem Jahr war und wer alles geschrieben hatte und dass es in diesem Jahr im Dorf sogar ein echtes Christkind gegeben hatte, denn die Frau vom Apotheker Lindberg hatte in der Christnacht ihr Kind bekommen.

Als dann alle vom Erzählen ganz rote Backen hatten und Jonas vor Spannung kaum noch sitzen konnte, erklärte der Vater das Frühstück für beendet und stand auf, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo der Weihnachtsmann ganz sicher über Nacht die Geschenke für alle hingelegt hatte. Julika half der Mutter noch beim Abräumen des Geschirrs und Jonas löschte die Kerzen. Und dann hörten sie auch schon, wie die Klingel im Wohnzimmer die Bescherung ankündigte. Die Mutter wischte sich noch eilig die Hände an der Schürze ab, nahm Niklas auf den Arm und folgten dem Vater in die Wohnstube. Dieser hatte den Kamin angezündet und die Kerzen am Baum erhellten warm den Raum. Julika konnte vor Spannung kaum noch schlucken. Wo war ihr Geschenk? Hatte der Weihnachtsmann ihren Brief bekommen, in dem sie beschrieb, wie sehr sie den neuen Schlitten und die neue Hose brauchte? Und war sie auch artig genug gewesen? In der Schule hatte sie immer gut aufgepasst und hatte sogar ein Lob im Schönschreibwettbewerb erhalten. Die Eltern waren sehr zufrieden gewesen. Julika sah sich um: ihr Vater hielt gerade die Pfeife hoch, die Jonas ihm geschnitzt hatte, natürlich mit Großvaters Hilfe, und die Mutter zeigte dem kleinen Niklas seine Holzloko-motive, die der Vater erst am Abend vorher noch rot angemalt hatte.

Julika ging zum Lehnstuhl, unter dem sie die Kekse und die Milch für den Weihnachtsmann versteckt hatte und siehe da, der Weihnachtsmann hatte es gefunden und ihr zum Dank einen Schokoweihnachtsmann hingelegt. Julika hatte auch die Geschenke für die Eltern dort versteckt: eine Spange, die das Haar der Mutter zieren sollte und ein Päckchen Tabak für den Vater. Und für die Brüder hatte sie ein Schnitzmesser, denn das von Jonas war schon ziemlich alt und zwei Tiere für den Holzzoo von Niklas. Eine Kuh und ein Schwein. Julika holte die Geschenke, allesamt sorgfältig in rotes Seidenpapier eingeschlagen, hervor und überreichte sie an ihre Familie. Das war eine Freude zu sehen, wie sie die Sachen auspackten und dabei "ah" und "oh" riefen! Julika war so glücklich darüber zu sehen, wie die Geschenke den anderen gefielen, dass sie fast vergaß, selbst nach ihren Geschenken zu sehen. Niklas hatte ihr ein Bild gemalt, einen Schneemann, Jonas hatte ihr eine Tüte süßer Lakritze und zwei Lutscher gekauft, und die Mutter überreichte Julika ein Päckchen mit einer großen roten Schleife, in dem eine neue gefütterte Hose steckte. Julika freute sich riesig und dennoch war sie etwas betrübt. Kein Schlitten. Dabei hatte sie sich doch so sehr einen gewünscht. Vielleicht hatte der Weihnachtsmann ja nicht soviel tragen können oder vielleicht hatte der Schlitten nicht durch den Kamin gepasst.

Jetzt wollte sie der Familie aber erst einmal den Schneemann zeigen, der vor der Tür auf alle wartete, mit Rübennase und Kieselsteinknöpfen und einer Zipfelmütze auf dem runden, kahlen Kopf. Sie nahm die Eltern an die Hand und führte sie nach draußen, so wie sie waren, im Nachtgewand mit Morgenrock. Der Vater lachte vor Freude, als er den weißen, runden Mann sah, der ihn mit einem Lächeln aus Kohlestückchen begrüßte. Die Mutter klatschte in die Hände und beglückwünschte Julika zu so einem Meisterwerk. Und dann sah Julika etwas wunderschönes: Hinter dem Schneemann, kaum zu sehen, stand ein niegelnagel neuer Schlitten, mit echten Kufen und einer rot-weißen Schnur, um ihn die Hügel hinauf zu ziehen. Die Eltern blickten sich mit einem Lächeln an und der Vater blinzelte der Mutter zu, als Julika vor Begeisterung jauchzend ihre festen Stiefel und den Mantel überzog und in den Schnee hinaus zu ihrem neuen Schlitten eilte.

Das war ein Weihnachten! Und während Julika ihren kleinen Bruder Niklas auf dem Schlitten durch den Hof zog und Jonas eine Schneefrau für den Schneemann baute, verteilte der Vater das Brot an die Tiere im Wald, und die Mutter fütterte die Vögel und alles war perfekt und wunderschön.

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  #26  
Alt 29.11.2007, 23:33
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Advent beginnt im September


Donnerstag, 13. September

Schönster Altweibersommer - Noch einmal Menschen in T-Shirt und Sandalen an den Kiosken und in den Strassencafés. Bisher keine besonderen Vorkommnisse in der Nordstadt von Hannover. Dann plötzlich um 10:47 Uhr kommt der Befehl von Aldi-Geschäftsfuehrer Erich B.: "5 Paletten Lebkuchen und Spekulatius in den Eingangsbereich!"
Von nun an überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst reagiert Minimal-Geschäftsfuehrer Martin O. eher halbherzig mit einem erweiterten Kerzensortiment und Marzipankartoffeln an der Kasse.

15:07 Uhr
Edeka-Marktleiter Wilhelm T. hat die Mittagspause genutzt und operiert mit Lametta und Tannengrün in der Wurstauslage.

16:02 Uhr
Die Filialen von Penny und Plus bekommen Kenntnis von der Offensive, können aber aufgrund von Lieferschwierigkeiten nicht gegenhalten und fordern ein Weihnachtsstillstands-Abkommen bis zum 20. Oktober. Die Gespräche bleiben ohne Ergebnis.

Freitag, 14. September
07:30 Uhr
Im Eingangsbereich von Karstadt bezieht überraschend ein Esel mit Rentierschlitten Stellung, während zwei Weihnachtsmänner vom studentischen Nikolausdienst vorbeihastende Schulkinder zu ihren Weihnachtswünschen verhören. Zeitgleich erstrahlt die Kaufhausfassade im gleissenden Schein von 260.000 Elektrokerzen. Die geschockte Konkurrenz kann zunächst nur ohnmächtig zuschauen. Immerhin haben jetzt auch Kaufhof, REWE und Minimal den Ernst der Lage erkannt.

09:00 Uhr
Edeka setzt Krippenfiguren ins Gemüse.

09:12 Uhr
Minimal kontert mit massivem Einsatz von Rauschgoldengeln im Tiefkühlregal.

10:05 Uhr
Bei Kaufhof verirren sich dutzende Kunden in einem Wald von Weihnachtsbäumen.

12:00 Uhr
Neue Dienstanweisung bei Lidl: An der Käsetheke wird mit sofortiger Wirkung ein "Frohes Fest" gewünscht. Die Schlemmerabteilung von Kaufhof kündigt für den Nachmittag Vergeltungsmaßnahmen an.

Samstag, 15. September
07:00 Uhr
Karstadt schaufelt Kunstschnee in die Schaufenster.

08:00 Uhr
In einer eilig einberufenen Krisenversammlung fordert der aufgebrachte Penny-Geschäftsführer Walter T. von seinen Mitarbeitern lautstark: "Weihnachten bis zum äußersten" und verfügt den pausenlosen Einsatz der von der Konkurrenz gefürchteten CD "Weihnachten mit Michelle" über Deckenlautsprecher. Der Nachmittag bleibt ansonsten ruhig.

Montag, 17. September
08:00 Uhr
Anwohner der Schaufelder Strasse versuchen mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung die nun von Kaufhof angedrohte Musikoffensive "Adventssingen mit den Wildecker Herzbuben" zu stoppen.

09:14 Uhr
Ein Aldi-Sattelschlepper mit Pfeffernüssen rammt den Posaunenchor "Adveniat", der gerade vor Karstadt zum großen Weihnachtsoratorium ansetzen wollte.

09:30 Uhr
Aldi dementiert. Es habe sich bei der Ladung nicht um Pfeffernüsse, sondern Christbaumkugeln gehandelt.

18:00 Uhr
In der Stadt kommt es kurzfristig zu ersten Engpässen in der Stromversorgung als der von C&A beauftragte Rentner Erwin Z. mit seinem Flak-Scheinwerfer Marke "Varta Volkssturm" den Stern von Bethlehem an den Himmel zeichnet.

Dienstag, 18. September
Die Fronten verhärten sich, die Strategien werden zunehmend aggressiver.

10:37 Uhr
Auf einem Polizeirevier meldet sich die Diabetikerin Anna K. und gibt zu Protokoll, sie sei soeben auf dem Platz von Lidl zum Verzehr von Glühwein und Christstollen gezwungen worden. Die Beamten sind ratlos.

12:00 Uhr
Seit gut einer halben Stunde beschießen Karstadt, Kaufhof und C&A die Einkaufszone mit Schneekanonen. Das Ordnungsamt mahnt die Räum- und Streupflicht an. Umsonst!

14:30 Uhr
Teile des Stadtbezirks sind unpassierbar. Eine Hubschrauberstaffel des Bundesgrenzschutzes beginnt mit der Bergung von Eingeschlossenen. Menschen wie du und ich, die nur mal in der schönen Herbstsonne bummeln und in der Eisdiele ein leckeres Eis genießen wollten.




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  #27  
Alt 30.11.2007, 00:27
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Liebe(r) Survivor, ( für mich gilt: 6 = setzen

ich, eine Struwweline eigentlich ) viel mehr, habe in den letzten Jahren Weihnachten stets in Kliniken und Co verbracht!
Den wahren Zauber von Weihnachten den habe ich in der Betrachtung dessen gefunden.
Weihnachten und schenken:
wenn ich mir des öfteren die Weihnachtsgeschichten hervor nehme, wenn ich still die Adventszeit genießen kann, dann ist dies für mich ein riesengroßes Geschenk. Und meine Gedanken werden nicht so einzigartig sein, also möchte ich jeden so oft es eben geht daran teilhaben lassen.
Es freut mich sehr, dass ich Dir damit eine Freude bereiten kann. Den Dezember über habe ich noch "Urlaub" von der Klinik, also wird regelmäßig eine Geschichte erscheinen, mal besinnlich, mal zum Schmunzeln, traurig und auch so manches Mal auch nur mit der Erkenntnis das Weihnachten doch eine wunderschöne Zeit ist.
Dir wünsche ich ( so wie jedem anderen ebenso) eine wunderschöne Adventszeit!






Danke nochmals

Liebe Grüße
Ina

Geändert von struwwelpeter (30.11.2007 um 13:25 Uhr)
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  #28  
Alt 30.11.2007, 00:37
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Hallo Ina auch von mir DANKE
Die meisten Geschichten, kenn ich zwar schon (habe viele Weihnachtsgeschichten, die ich fast jedes Jahr zur Atventszeit wieder lese). Aber allein die Idee find ich Klasse.
Aber DIES JAHR bist du doch zu Hause?
Ganz liebe Grüße von Siby
__________________
An bösen Worten die man ungesagt hinunterschluckt,
hat sich noch niemand den Magen verdorben.

Winston Churchill
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  #29  
Alt 30.11.2007, 13:19
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Liebe Siby

Ich mag es kaum fassen, meine Gedanken bewegen sich diesmal nur um eine schöne, besinnliche Adventszeit und auf Weihnachten!
Ich freue mich auf das Brennen der Kerzen, den reich gefüllten Teller mit den Impressionen von Weihnachten Tag für Tag. Weihnachten ist das, was jeder für sich daraus macht! Ich genieße die Zeit - das neue Jahr ist noch weit, Weihnachten, es macht sich in mir breit. Es ist auch eine Zeit in der ich mir die Zeit nehme und das Erlebte aufarbeite, aber es ist gut so. Neue Energien mobilisieren, jeder so wie er es eben schafft.
Danke für Deine lieben Worte: ich hoffe das es mir diesmal gelingt, vorallem auch viele unbekannte (mehr oder weniger) Geschichten zu finden, die dieses Gefühl von Weihnachten jeden von euch näher bringt! L.G. Ina



Der ungeduldige Weihnachtsstollen



von Helmut Wördemann




Es war einmal ein Weihnachtsstollen, der war ganz durchknetet von dem Gedanken, als leckeres Frühstücksbrot mit Butter zu dienen. Ja, es wurde ihm sogar in Aussicht gestellt, zum Nachmittagskaffee serviert zu werden, wie Kuchen, wie richtiger Kuchen. Nun lag der süße Stollen aber schon wochenlang im Brotfach, lag da in durchsichtigem, glänzendem Weihnachtspapier mit Schneelandschaft und Christkind-Schlitten und musste mit ansehen, wie alle anderen Brote gebraucht wurden: das Schwarzbrot, das Vollkornbrot; sogar das Weißbrot und das Knäckebrot kamen regelmäßig an die Reihe und durften sich bewähren. Ich glaube, der Stollen wurde ganz blass vor Neid und vor Ungeduld, aber das konnte man nicht sicher sagen, weil er ja über und über mit Puderzucker bedeckt war. "Da hat man soviel Aufhebens um mich gemacht," dachte der Stollen bitter wie Sukade, "hat mich gesüßt und mit Rosinen gespickt. Ja, sogar Marzipanstückchen hat die Hausfrau in mich hineingebacken. Und nun? Nun bin ich überflüssig und gammele hier `rum, schön und lecker, aber unnütz." Doch dann kam Heiligabend. Die Hausfrau stellte im Wohnzimmer die Geschenke auf. Und nun, nun deckte sie in der Küche den festlichsten Kaffeetisch des Jahres; und das Beste, das Edelste und das Leckerste, das sie zu bieten hatte, das war der Weihnachtsstollen.


Leider konnte er seine große, feierliche Wichtigkeit nicht lange genießen, denn er schmeckte gar zu gut und war nach einer halben Stunde gegessen.




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  #30  
Alt 30.11.2007, 14:04
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Die Geschichte ist niedlich und ich kannte sie noch nicht!!!!!!
DANKE
Anhang 9614
Siby
__________________
An bösen Worten die man ungesagt hinunterschluckt,
hat sich noch niemand den Magen verdorben.

Winston Churchill

Geändert von Siby (29.12.2007 um 13:35 Uhr)
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