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Meine geliebte Mutter musste gehen….
Ich (35 Jahre alt) bin seit einem Jahr auf diesem Forum als stiller Leser unterwegs. Die letzten 3 Wochen habe ich mir diverse Themen aus dem Hinterbliebenen Forum durchgelesen, bis Seite 4, also Beiträge aus dem Zeitraum 2011 / 2013. Viele der Geschichten erinnerten mich an die meiner Mutter und viele Gedankengänge der Hinterbliebenen habe ich auch… Die Welt dreht sich für die meisten schon weiter, inklusive meiner Ehefrau und meiner Tochter (fast 2 Jahre alt) und das ist auch gut so. Mein Vater möchte das Thema ab jetzt möglichst meiden, was auch total fair ist. Aber für mich ist es eben noch nicht vorbei und deswegen hilft es gerade diese ganzen Beiträge zu lesen. Man fühlt sich nicht so alleine und es hilft auch mit der Frage“Warum“. Je mehr Schicksal ich lese, desto mehr komme ich auf den Gedanken „warum nicht? Schau mal wie viele hundert Schicksale auf diesem Forum alleine schon sind. Es kann jedem, jeder Zeit passieren“.
Und deswegen möchte ich heute auch die Geschichte meiner Mutter niederschreiben. Vielleicht hilft dann auch ihre Geschichte jemanden eines Tages in der Zukunft sich nicht so alleine zu fühlen. Die Geschichte ist lang, ich weiß noch nicht was rein soll und was ich weglasse, deswegen werde ich sie in einem zweiten Schreiben posten. Geändert von dansure (02.12.2024 um 01:35 Uhr) |
#2
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AW: Meine geliebte Mutter musste gehen….
Es begann alles im November 2021 bei einem Urlaub. Meine Mutter (damals 58) wollte immer dünn sein und hat diverse Diäten gemacht. Aber dieses mal schien es zu funktionieren, im Urlaub dachten meine Frau und ich „wow, Mama ist aber dieses mal wirklich dünn geworden“. Wir ahnten natürlich noch nichts… Im Urlaub klagte sie wohl zu meinem Vater über Schmerzen auf der Toilette beim Stuhlgang. „Wie eine Nagel im Po.“ Dieser Schmerz sollte bis an ihr Lebensende bleiben. Wir kamen auf dem Urlaub zurück und sie ging zu diverse Ärzten. Keiner wurde so richtig schlau draus, auch ein KH hier in der nähe konnte nichts sagen, obwohl sie den ganzen Tag dort untersucht wurde. Meine Eltern verirrten sich bei einer chirurgischen Praxis und die Dame dort erkannt beim Ultraschall dann „da ist Wasser und das gehört da nicht hin. Sie müssen sofort ins KH“. Es folgte eine Überweisung nach Dormhagen. Ich bin 1,5 Jahre zuvor mit meiner Frau von meinen Eltern ausgezogen und alles nur am Rande mitbekommen, habe mir während der ganzen Zeit aber keine Gedanken gemacht. Warum auch? Meine Oma war zu dem Zeitpunkt über 100, die 7 Geschwister meiner Mutter alle gesund und nur die eine über 80 jährige Halbschwester hatte Blutkrebs. Und dann im Dezember rief mein Vater mich an mit einer Stimmlage, die vorher so noch nie von ihm gehört hatte:
„Es ist alles vorbei. Es ist überall. Überall“. „Was ist überall? Ist während der Untersuchung im KH etwas passiert? Lebt Mama noch??“ „Krebs, ihr Körper ist voller Krebs, es ist überall“: Ich dachte das wäre alles schlechter Scherz. Eine Mischung aus Wut, Schock und Traurigkeit machten sich in mir breit. Ich fuhr zu meinem Vater und wir beiden konnten uns kaum beruhigen und trauten uns nicht meiner Mutter anzurufen und ihr zu sagen, was wir gerade erfahren hatten. Meine Mutter sprach nicht so gut Deutsch, als konnte sie die Ärzte oft nicht vollständig verstehen. Zumal sie auch immer sagte „sagen Sie mir nichts, was schlecht ist“. Als es meine Mutter dann später doch von uns erfuhr, sagte sie „keine Sorge, ich packe das. Ich sehe das so, da ist einfach eine kleine Unreinheit in meinem Körper und die beseitigen wir jetzt“. Diagnose: - Bauchfellkrebs, Stage IV, mit CUP Syndrom, also kein Primärtumor auffindbar. Vermutung war damals Blinddarm oder Gallenwege. - Eierstöcke, Gebärmutter, Gallenblase, Bauchfell, Dickdarm, Blindarm, Milz befallen. - Schleimbildendes Adenokarzinom (G2) mit KRAS-Mutation (G12D), vermutlich pankreatiko-biliären oder gastrointestinalen Ursprungs, MSS, PD-L1 Expression (also Immuntherapie nicht möglich) Ich googelte das gesamte Internet und stieß auf HIPEC: Während meine Mutter tapfer ihre Chemo mit FOLFOX begann, schickte ich ihre Befunde und CT an alle möglichen renommierten Chirurgen in NRW. Und dann meldete sich Professor R. aus Essen und sagte mir direkt „Werfen Sie die Flinte nichts in Korn“. Und er sollte recht behalten, nach 3 Monaten FOLFOX war der Tumor geschrumpft und Professor R. sagte, dass einer HIPEC OP nichts im Wege stehe. Es folgte die OP im April 2022 und danach kam der Anruf „Ihre Mutter hat jetzt R0, sie ist Tumorfrei“. Ich dachte wirklich meine Mutter hat das Wunder geschafft. Damals wusste ich natürlich noch nichts von Rezidiven und den HIPEC Statistiken… meine Mutter brauchte 3 Monaten um sich von der OP zu erholen. Die empfohlene Chemo 6-8 Wochen nach der OP war aufgrund diverser Komplikation wie z.B. einer Fistel nicht möglich. Rückblickend frage mich mich ob das nicht der Grund fürs Rezidiv war… und so ging es von September 2022 - März 2023 mit FOLOX als „Erhaltungstherapie“ weiter. Meine Mutter hatte 15kg runter, aber sie kämpfte sich zurück ins leben. Konnte auch Ihre Enkelin, meine Tochter dann im Dezember kennenlernen und auf den Armen halten. Ich bin sehr froh darüber, dass wir so schnell ein Kind bekommen konnten, denn die Krankheit meiner Mutter gab mir den finalen Schub, endlich die Familienplannung in die Realität umzusetzen. Sie kämpfte sich Schritt für Schritt zurück ins leben und meisterte jede Chemo so tapfer. Nie hat sie sich beschwert. „Ach, ist bisschen wie eine Schlaftablette. Man ist halt 3 Tage müde“. Im März war dann die letzte Chemo durch und im Mai 2023 sollte der STOMA dann wieder zurück verlegt werden, worauf hin sie sich sehr freute. Die Schmerzen vom Anfang blieben übrigens während der ganzen Zeit, trotz künstlichen Darmausgangs. Das war immer schlimm. Professor R. verlegte also im Mai 2023 den Darm zurück und dabei sah der „verdächtige Knoten“. Als er mich anrief und mir sagte „es tut mir Leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass es sich bei den Knoten leider wieder um den Tumor handelt“ war mir fast klar was jetzt passieren wird. Aber wir hofften weiter. Es folgten Therapien mit 5FU + Avastin. Der Tumor streute in die Leber. Es wurde umgestellt auf FOLFERI + Avastin und nach 3 Monaten Stabilisierung, folgte dann noch mehr Befall im Januar 2024. Es folgten noch Versuche mit FOLFOX, Sunlight (Lonsurf + Avastin) und am Ende wurde sogar noch auf eine Chemo umgestellt, die auf die Gallenwege abzielt. Alles brachte nichts. Dazu muss ich sagen, dass sie von September 2022 - März 2024 wirklich noch einigermaßen Lebensqualität hatte. Der Onkologe verwies mich im Mai 2024 auf Botensilimab plus balstilimab, eine neuartige Immuntherapie für MSS Tumore wie den meiner Mutter. Ich schrieb zig Unis in den USA an, war sogar bereit mit meiner Mutter dorthin zu reisen und ihre Behandlung dort selbst zu bezahlen, damit sie dort an den Studien teilnehmen kann. Ich habe schon selbst ergoogelt, dass es bei Lebermetastasen nicht wirkt. Ich fragte den Professor, er antwortete mir nicht. Letztendlich bekam ich dann genau die Antwort aus dem Ausland… Der Zustand meiner Mutter wurde immer schlechter. Sie hat seit Mai 2024 Essen verweigert, sie konnte nicht mehr aus dem Bett, redete kaum noch (obwohl sie der Sonnenschein unserer Familie war!) und am Ende verlor sie ihr schönes lächeln. Sie sagte manchmal selbst „ich bin nur nach ein Stück Fleisch, aber ich lebe nicht mehr“. Sie fragte mich immer wieder „Warum ist es so gekommen? Ich war ein fröhlicher Mensch, ich hatte noch viel vor“. Die Frage dreht sich bei mir noch heute durch den Kopf… Im September 2024 wurden Sie dann gelb. Ich kannte die Geschichte von „xap“ hier auf dem Forum und ahnte schon böses… und am 21.10, einem Tag nach meinem Geburtstag kam Mama dann ins Krankenhaus mit einer Blutvergiftung… Sie konnte nicht mal mehr richtig reden als ich mit ihr an dem Abend telefonierte. Ich wusste wir sind jetzt am Ende angelangt. Und das bestätigte uns der Oberarzt dann einen Tag später und verordnete ein Einzelzimmer. Als ich meine Mutter dort so liegen sah, habe ich es zum ersten mal ausgesprochen, ich sagte ihr zum ersten mal „Mama, du musst das alles nicht mehr machen. Du hast kein schönes Leben mehr und ich weiß du hast die ganzen Schmerzen und Qualen vor uns versteckt. Wenn du nicht mehr magst, kannst du gehen“. Es hat mich unglaublich viel Überwindung gekostet das zu sagen. Sie sagte mir „Danke, dass du das gesagt hast“. Ihre Schwester, die auch im Zimmer war sagte zu mir „was machst du da? du bringst sie um!“, aber ich fand, dass das das einzig richtige in dem Moment war. In der Nacht dachte ich, dass meine Mutter uns verlassen wird. Aber sie schickte mich nach Hause. Und dann? Meine Mutter ging es von Tag zu Tag besser, ich dachte sie kommt wirklich noch mal auf die Beine und macht eine Chemo. Vielleicht wirkt dir gegen einen Gallenwegtumor ja? Es stand eine Geschäftsreise an, die ich eigentlich nicht antreten wollte. Meine Mutter sagte „geh mein Sohn, du siehst doch, mir geht es gut“. Als wir uns an dem Tag verabschiedeten nahm sie meine Hand und sagte „Ich war immer glücklich und zufrieden mit dir als meinen Sohn. Schon immer. Du hast mich immer nur glücklich gemacht.“ Und genau in den 2 Tage als ich mit meiner Frau und meiner Tochter los bin (habe beide mitgenommen) ging meine Mutter dann von uns, am 06.11.2024. Gott hat ihr den Wunsch erfüllt, dass ich das nicht mitansehen musste. Sie ist innerlich verblutet. Ich kam 2 Stunden später von meiner Reise zurück, da war sie schon nicht mehr da… alle hatten auf mich gewartet und fragten mich, ob ich noch mal zu ihr rein möchte. Ich hörte ihre Stimme in meinem inneren: „Gehe da nicht rein“. Ich rief 2 Freunde an, die auch ihre Eltern verloren haben und beide sagten, sie bereuen den Anblick. Und so ging ich nicht rein und halte an der letzten Begegnung mit meiner Mutter fest und den schönen Worten, die sie mir zuletzt sagte… und ich bereu es nicht. Das war jetzt viel Text und viel Chronologie. Als nächstes möchte ich mehr auf meine Mutter selbst, mich und unsere Gefühle eingehen. Aber für jetzt, wollte ich erst einmal die Geschichte mit euch teilen. Geändert von dansure (02.12.2024 um 01:37 Uhr) |
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