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Alt 06.02.2008, 17:29
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Standard Hospiz - würdevolle Unterstützung

Ich (38) lese seit Jahren viel in Krebs-Foren. Die Beiträge sind so erschütternd und bewegend, aber auch stärkend und informativ – ein Zeichen dafür, dass man nicht alleine ist mit seinem Schicksal, egal ob es einen direkt betrifft oder einen Angehörigen.
Es ist gut, dass es solche Foren gibt, in denen sich Menschen austauschen, die mitten im Horror stecken, sich für ihre Lieben Rat holen oder um einiges besser verstehen zu können – man aber auch Erfahrungsberichte vergangener Therapien und Abläufe lesen kann.
Ich möchte unsere familiären Erfahrungen während Papas Endstadium gerne weitergeben, damit vielleicht auch andere davon profitieren können.
Immerhin stand ich – bevor das Schlimmste eintrat – selbst wie der Ochs vorm Berg und wusste nicht, was verschiedene Dinge für uns bedeuten könnten.

Papas Vorgeschichte: 1999 Diagnose Prostata-Krebs - Radikal-OP - Jahre später Darmkrebs - erfolgreiche OP - Jahre später Tumor in der Blase und Metastasen an der Wirbelsäule – Chemotherapie - parenterale Ernährung – August 2007 Nephrostoma.

Mama (77) hat ihn seit August 2007 rund um die Uhr gepflegt, ein sehr guter Pflegedienst war mit von der Partie und wir (5 Kinder) – von denen 3 in der Nähe wohnen – haben uns auch täglich gekümmert und das erledigt, was zu machen war. Die anderen kamen so oft es möglich war nach Hause.
Papa (76) sprach nicht viel über seine Krankheit, wollte niemanden beunruhigen und belasten. Er machte alles mit sich aus und war die Geduld in Person und immer ein Sonnenschein für uns.
Er war mobil und konnte sich selbst mit dem Nötigsten helfen. Fremde bzw. unsere Hilfe wollte er nicht annehmen – wir wollten ihm auch das Gefühl lassen, dass er das, was er möchte, selbst tun kann. Er sollte aber auch merken, dass er nicht mehr alles schafft und unsere Hilfe gerne in Anspruch nehmen kann. Unser geliebtes Familienoberhaupt war durch seinen Stolz gekrönt und wir haben ihm seinen Stolz (auf seine bewältigte Vergangenheit und auf uns, seine tolle Familie) täglich begründet und gelassen. Das Gefühl, bevormundet zu werden, zu nichts mehr gebraucht zu werden, wollten wir ihm nicht geben.

Ab Weihnachten 2007 ging es ihm zusehends schlechter, er war super schwach und konnte nicht mehr aufstehen. Ein gesundes Herz und ein wacher, zum Schluss nicht immer klarer Verstand waren ihm bis zum Einschlafen gegeben.
Die letzte Woche, die unser Sonnenschein zuhause im Bett verbrachte, war so anstrengend, so nervenaufreibend, aber so voll mit liebevollen Momenten. Viele Tränen, viel Angst, viele Sorgen waren Sekunde um Sekunde in unserem Haus – bei uns allen.
Wir lauschten jedem Atemzug, hatten Angst, ihn falsch anzufassen, ihn nicht richtig versorgen zu können, ihm Schmerzen zu bereiten, Angst vor den Nächten und Angst vor den Tagen, Angst vor dem, was noch kommt – einfach Angst für und um ihn.
In der Familie sprach man den Gedanken „Hospiz“ aus – ob das in Papas Situation das Beste wäre, da wir die Pflege vor Angst und Sorge zuhause in seiner letzten Woche kaum mehr bewältigen konnten. Mit „Hospiz“ konnte ich nichts anfangen – ich war entsetzt, dass die anderen daran dachten, den Papa „wegzugeben“. Für mich entstand ein Bild von Abschiebung, Krankenhaus, Sterilität, Maschinen, Operation, zu viele Menschen, Besucher, Gewühl, Unruhe und keine Zeit, sich fallen lassen oder ausruhen zu können.
Nach einem Besuch des Hospizes in unserer Nähe bekam ich meinen ersten Eindruck.
Großzügige, nicht-krankenhausmäßig-gestaltete Gästezimmer, Aufenthaltsräume, große Badezimmer, großzügig ausgestattete Küche, Rückzugsmöglichkeiten für Angehörige, entsprechend ausgebildetes Pflegepersonal und Schmerz-Therapeuten.
Nach der Besichtigung kam ich nach Hause und hatte ein beruhigenderes Gefühl.
Erklären konnte ich mir das nicht, aber ich dachte: dort muss Papa keine Schmerzen mehr haben, wird nicht belagert, nicht bevormundet, ist gut aufgehoben, wird bestens betreut (palliativ) und wir müssen weniger unserer Ängste ausstehen – aber ER muss es wollen.
Das Gespräch mit Papa folgte (ich konnte es nicht führen) und er wollte zu unserer Entlastung in das Hospiz ziehen. Wir regelten den Schriftkram: Aufnahmeantrag, Arzt-Brief, Patientenverfügung.
3 Tage später fand der Transport statt, die Aufnahme dort war sehr unproblematisch, die Beratung sehr gut und zuvorkommend.
Wir sind teilweise mit eingezogen. Einer meiner Brüder und ich teilten uns die Nächte, der Rest der Familie die Tage. Wir wollten Papa nie alleine lassen.
In meiner Nacht bei Papa hatte ich Situationen, die mich überforderten, aber ich wusste: klingel einfach - die Schwester kommt sofort und hilft. So hab ich’s auch gemacht und Papa und mir wurde professionell geholfen.
Papa bekam Antibiotika und reagierte in meiner Nacht allergisch darauf (überall musste er sich kratzen) - so konnte er nicht schlafen. Die Schwester brachte einen CD-Player und Wellness-CDs und wir versuchten es damit. Schnell waren Papa und ich uns einig, dass wir beide mit den Geräuschen keinen Schlaf finden konnten – wir stehen eben auf Swing
In der Nacht zu Silvester wachte mein Bruder bei ihm. Kurz vor 5 Uhr morgens bekam ich einen Anruf vom Hospiz, dass die Familie jetzt zum Verabschieden kommen sollte. Das Telefonat geschah in einer beruhigenden Art und Weise, dass ich mich gar nicht aufregte. Die Schwester sagte, er wäre nach Mitternacht unruhig geworden, sie hätte ihm dann sein Schmerz-Spray und ein Beruhigungsmittel verabreicht und er wäre jetzt ganz ruhig und hätte ein wundervolle Ausstrahlung, die sie vorher noch nicht bemerkt hätte.
Als ich meine Mama weckte, sind wir sofort aufgebrochen und kamen 15 Minuten später an – Papa war in dieser Zeit bereits verstorben – mit Geleit seines ältesten Sohnes an seiner Seite.
Ganz ruhig und friedlich ist er eingeschlafen.
Die Schwester hat ihn kurz gewaschen, ihn ordentlich gebettet und die Hände übereinander gelegt.
Ich zündete eine duftende Kerze an, wir versammelten uns um Papa und waren alle ganz ruhig. Natürlich liefen Tränen… Tränen der Liebe, der Erinnerung, aber auch der Erleichterung für ihn - er hat jetzt keine Schmerzen mehr und muss nicht mehr leiden.
Die Schwestern wollten uns bedienen mit Kaffee und Gebäck, sprachen ganz ruhig mit uns und boten ihre Hilfe an. Sie sagten, dass der Papa ruhig noch länger hier liegen kann, damit sich jeder auf seine Art verabschieden könne.
Wir nahmen im Laufe des Tages unseren Abschied, streichelten ihn, sprachen mit ihm oder saßen still bei ihm und schauten ihn an.

Unser geliebter Papa ist Silvester 2007 - eine Woche vor seinem 77. Geburtstag - friedlich und ohne Schmerzen eingeschlafen. Pünktlich zum Jahreswechsel. So war er. Immer ordentlich und gewissenhaft. Das alte Jahr hat er sauber abgeschlossen, damit seine Lieben voller Hoffnung und Zuversicht ein neues, ein anderes Leben mit dem Neujahrstag beginnen konnten.

Wir nehmen die Erfahrung „Hospiz“ mit in unser neues Leben und berichten gerne, wie würdevoll die Möglichkeit war, unserem Papa seine letzten Tage qualitativ zu verbessern (und nicht quantitativ!!!).
So, wie der Hospiz-Gedanke publiziert wird, können wir ihn nur bestätigen.

„Wenn ein Mensch von uns geht,
dann ist das so,
wie wenn ein Schiff hinter dem Horizont verschwindet.
Es ist da, nur wir sehen es nicht mehr.“


Wir danken dem Hospiz-Team
- für die überaus freundliche und liebevolle Betreuung – an jedem Tag, zu jeder Stunde seines Aufenthaltes. Das Team hat uns durch seine Professionalität viele Nöte und die Angst, das Falsche zu tun, abgenommen. Dadurch konnten wir mit einer besonderen Ruhe all unsere Liebe unbeschattet auf unseren Papa lenken.
- für die aufmerksame Betreuung und Beratung in Momenten der Unsicherheit und innerlichen Unruhe – von unserem Papa wie auch von uns selbst.
Wir haben gemerkt: Wir sind nicht alleine, wir müssen die Last nicht alleine tragen.
- Für die umsichtige Behandlung, das Richtige zu tun – in Momenten, in denen unser Herz schneller geschlagen und unser Verstand langsamer funktioniert hat.
- Für die würdevolle, friedliche und schmerzfreie Begleitung unseres Papas auf seinem Weg hinter den Horizont.
- Für die Stunden nach seinem Fortgang, die uns mit einer wundervollen, stillen Fürsorge für unseren Abschied und Schmerz gelassen wurden.
- Für die Besonnenheit, das persönliche Engagement und das Setzen des Zeichens für den Abschied – das Anzünden der großen Kerze im Gang – hat uns gestärkt, die Zeit ohne unseren Vater anzunehmen und in der Art und Weise fortzuführen, wie er es auch gerne getan hätte.
- Für die Unterstützung in jeglicher Art und Weise, die unserem Papa und auch uns Angehörigen die Zeit erleichtert hat. Durch die Ausübung dieses Berufes hat jeder einzelne des Teams einen Weg gewählt, der vielen Gästen und Angehörigen das Begleiten und Abschiednehmen zu einer „normalen“, zum Leben dazugehörenden Begebenheit werden lässt.

Wir bedanken uns mit Worten, die unsere Gefühle nicht richtig beschreiben können.
Durch das Team haben wir gelernt, dass der Abschied zwar mit Schmerz und Trauer, aber nicht mit Klagen, Wehgeschrei und Festhalten verbunden ist.
Die Trauer von uns ist das Tragen und Ertragen der nun gelinderten Schmerzen unseres Papas.
Wir konnten Ihn in Würde gehen lassen, weil wir ihn gut aufgehoben wussten.

Geändert von Annika0211 (11.09.2008 um 13:48 Uhr)
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Alt 30.05.2008, 01:33
sonnescheint sonnescheint ist offline
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Registriert seit: 24.01.2008
Beiträge: 31
Standard AW: Hospiz - würdevolle Unterstützung

auch ich bin UNENDLICH dankbar dafür, dass es hospize - und vor allem auch mobile hospize - gibt.

meine mutter hatte BSDK und wurde 9 monate auf wunderbarste weise vom mobilen hospiz der caritas betreut:
ca. einmal pro woche gab es einen kontakt, bzw. besuch. falls sie in der nacht schmerzen bekam oder arg brechen musste, brauchten wir keine anonymen notärztInnen, sondern wir ruften eine mobilnummer an und gleich kamen ein bis zwei hospiz-ärztInnen, waren sehr, sehr nett, so richtig menschlich, haben alles ganz genau erklärt, über eine stunde lang und uns alle vor allem beruhigt.

also diese betreuung war GOLD WERT!!!! für meine mutter und für uns angehörige.

in den letzten 3,5 wochen war meine mutter auf einer palliativstation. auch dort war die betreuung wunderbar, wie von annika beschrieben.
meine mutter wollte ihre letzte zeit dort sein, denn es war ein sehr beruhigendes gefühl, ärztInnen, pflegerInnen und die infrastruktur eines spitals "bei der hand" zu haben. zu hause wäre vieles viel mühsamer gewesen.
sie ist dort auch ganz friedlich gestorben, wir haben uns stundenlang von ihr verabschiedet....
und jetzt gibt es sogar termine für trauergruppen für die angehörigen.

ich kann kaum ausdrücken WIE UNENDLICH DANKBAR ich bin, dass es hospize gibt.
sterben in würde ist so wichtig. (die krankenhausrealität sieht oft anders aus..... )

mir ist dazu der begriff GESUNDES STERBEN eingefallen, die gesundheit bezieht sich hier aber mehr auf den psycholgischen und seelischen bereich.

ich werde mal ausführlicher über die wunderbaren momente schreiben, die uns durch das "von einem hospiz aufgefangen sein" geschenkt wurden.
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