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Alt 07.07.2005, 22:57
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard egoist und feigling

hallo,
nachdem ich einige beiträge in "ein langer abschied..." und "russisches roulette" gelesen habe, ist mir eins nur noch deutlicher bewusst: ich schaffe diese haltung nicht, dass man sich über die zeit, die man noch hat, freut, und sie genießt.
unsere situation ist, kurz gefasst, so: ich bin 38 und wohne mit meinem mann in köln, meine eltern in nürnberg und mein bruder mit seiner familie auch. meinem vater wurde 98 nach der diagnose prostatakrebs die prostata entfernt. seit drei jahren nun kämpft er gegen wiederkehrende knochenmetastasen an. im augenblick hat er es mit einer zu tun, die an einem rückenwirbel sitzt, und demnächst bestrahlt werden soll, und einer weiteren an einer rippe, die erstmal unbehandelt bleiben soll, da die doppelte bestrahlung für ihn zu viel wäre. bestrahlungen kennt er schon vom letzten jahr, da hatte er zwei im abstand von sechs monaten, die erfolgreich waren.
unsere familiäre situation ist aber etwas komplizierter: meine mutter hatte vor 30 jahren einen schlaganfall und ist seitdem 100% schwerbehindert bei rechtsseitiger lähmung und sprachbehinderung, was sie insgesamt ganz gut packt, aber sie ist eben ein pflegefall, auch wenn sie nicht bettlägrig ist. die pflege hat seit eh und je mein vater übernommen, auch jetzt noch. sie ist 75, er 77.
vor sieben wochen hat er sich bei einem sturz das handgelenk gebrochen, was mit seiner dauererkrankung nichts zu tun hat, aber deutlich auf seine psychische verfassung drückt.
ich weiß gar nicht, wie ich das alles halbwegs verständlich darlegen soll, ich weiß auch gar nicht, für wen ich das hier eigentlich schreibe.
tja, und eben habe ich mit meinem vater telefoniert und ich hörte, wie deprimiert er klang, dass ihm das alles zu viel wird: die nicht ausgeheilte hand, der befund mit konsequenz der neuen bestrahlung, er hatte vorgestern schüttelfrost und ging in voller kleidung ins bett bis er schwitzte und sie wieder auszog, dann hatte er durchfall, woher, weiß man nicht, ist jetzt aber wieder ok., dann fuhr er sein auto beim einparken an die mauer mit deutlichem schaden daran uswuswusw.
und ich höre mir das an, höre, dass er mit meiner mutter im clinch liegt, weil sie anscheinend nicht akzeptieren wollte, dass er nicht zum reden aufgelegt war die letzten tage, und ich frage mich, was da noch auf uns zukommt.
und alles, was ich denken kann, ist: ich will ja dieses wochenende nach nürnberg fahren, ich könnte auch schon freitag fahren, aber mir graut es vor der ganzen situation so sehr, dass ich erst samstag früh fahren werde.
dieses gefühl hatte ich schon oft, wenn ich in nürnberg war: da bin ich mal zuhause, aber ich möchte am liebsten weit weg laufen. ich kann es nicht akzeptieren, dass mein / unser leben nicht mehr so ist, wie es war. dass mein vater nicht mehr der starke held meiner kindheit ist, dass er angst hat, dass ich ihm helfen müsste, aber selber viel zu viel angst habe, dass mein bruder keine große hilfe ist, weil er lieber wegsieht, aber was rede ich da, das tue ich ja auch.
und ich sitze hier und tippe das und heule und hoffe, dass das weizen, das ich nebenher trinke hilft, aber nichts hilft.
da kommt etwas auf mich zu, von dem ich einfach überfordert bin, genauso wie mein vater. was soll denn aus meiner mutter werden, wenn mein vater zu krank ist, um sie zu pflegen? und ich bin 430 km weit weg, habe hier mein leben. und ich will und kann nicht zurück nach nürnberg. wie auch? ich schaffe ja kaum ein wochenende da.
und dann kommen die schuldgefühle, dass ich ihm helfen sollte, dass ich die zeit mit ihm genießen sollte. aber ich kann immer nur daran denken, dass ich das alles nicht will. dass ich die zeit zurückdrehen will. dass ich am liebsten jemand anders wäre. oder, am schlimmsten: dass ich will, dass es 10-20 jahre später ist, und ich das alles hinter mir habe.
das ist alles nicht rational und ich weiß es ja selbst: das ist hochgradig egoistisch und selbstsüchtig und passt überhaupt nicht zu der liebevollen beziehung, die ich zu meinen eltern habe. es ergibt keinen sinn.
außer, dass ich feige bin und mich mal besser auf ihn konzentrieren sollte.
mist, das kann keiner verstehen, ich verstehe es ja selbst nicht.
egal, ich fahre samstag mit all meinen schuldgefühlen bepackt nach nürnberg zu meinem deprimierten, kranken vater und meiner mutter. und wenn es so läuft, wie die letzten male, werden sie sich vermutlich besser fühlen, weil ich da bin, und ich werde mir ein bier nach dem anderen reinkippen (jaja, ich weiß: alkohol ist keine lösung blabla) und versuchen, mich nicht ständig auf mich zu konzentrieren.
hab mir gerade nochmal durchgelesen, was ich da geschrieben habe... bin vor mir selbst erschrocken.
ich will nicht so sein, aber ich fühle so.
ulli
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