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  #1  
Alt 29.07.2014, 17:28
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Helmut,
ich glaube, es ist die Nähe des Todes, die mich veranlasst, radikale Fragen zu stellen. Aus meinem Tagebuch 2013
Dienstag war ein schlechter Tag für sie. Der Oberarzt mit dem griechischen Namen kam auf Visite. Sie meint, er habe sich skeptisch über ihren Zustand geäußert. Die Schmerztherapie wurde umgestellt. Unter anderem wurde die Schmerzpumpe und der Zugang am Rücken entfernt. Dadurch hatte sie erheblich mehr Schmerzen und war schlechter Stimmung. Ich rief Schwester Elke an. Sie sagte, es könne auch daran liegen, dass der Oberarzt gesagt habe, der künstliche Darmausgang werde erst einmal bleiben. An diesem Tag war ich sehr traurig.
Der Tod war schon da, ich habe ihn damals nur noch nicht gesehen bzw. gedacht, dass er erst später kommt.. Der Oberarzt hat ihn gesehen, meine Frau auch. Wenige Tage später habe ich ihn auch gesehen. Tanja kam auf die Intensivstation, dann zurück auf die Normalstation. Man brachte sie ins Hospiz, wo sie gestorben ist. Danach ist der Tod nicht einfach weg gegangen. Er kommt immer mal wieder und dann frage ich mich nach dem Sinn. Ich bin traurig wegen Tanja, aber Angst habe ich vor ihm nicht.
Liebe Grüße
Hermann

Geändert von hermannJohann (30.07.2014 um 08:03 Uhr)
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  #2  
Alt 30.07.2014, 09:01
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
Er kommt immer mal wieder und dann frage ich mich nach dem Sinn.
Moin Hermann,

genau so, wie den Sinn des Lebens, kann man auch den Sinn des Todes suchen. Im Prinzip läuft da auf das Gleiche hinaus. Ist das dein Stein? Darauf wirst die nie eine Antwort finden. Den könntest du getrost unten liegen lassen und dich anderen, radikaleren Fragen widmen. Das ist die Schere zwischen Verstand und Natur. Die kann man öffnen, doch nie mehr schließen. Glücklich die Menschen, die diese Schere nie öffnen.

Der Professor meiner Frau sagte zu mir: "Wenn ich drüben bei den Neugeborenen den Geburtsschein unterschreibe, liegt darunter als Durchschlag bereits der Totenschein. Da fehlt lediglich noch das Datum." Deprimierend? Nein. Nüchtern und sachlich.

In der Natur hat der Tod durchaus einen Sinn. Ihr Ziel ist die Veränderung, die Weiterentwicklung und ohne den Tod könnte sie dieses Ziel nicht erreichen. Ihr Prinzip: Versuch und Irrtum und die Vielfalt. Der Mensch kann dank seiner Intelligenz regulierend in die Natur eingreifen, sie verändern. Um sich herum und in sich selbst. Sogar soweit, das er in ihr nicht mehr leben kann. Der Natur ist das egal. Dann stirbt er halt aus. Seine Art der Intelligenz war ein Irrtum und ein anderer Zweig der Evolution wird die Lücke schließen. Die Natur hielt sich in dieser Hinsicht noch immer ein Hintertürchen offen.

Der Glaube des Menschen hingegen ist wie eine Leiter, die um eine Sprosse länger ist als das Leben. Dank seiner Intelligenz konnte er sich diese Leiter bauen. Was ist schlimm daran, wenn er damit leben und sterben kann? Wie diese Leiter geschmückt ist oder welche Farbe sie hat, ist dabei vollkommen egal. Wenn man diese Leiter nach oben klettert, da hilft einem niemand. Der alte Mann mit Bart (ob Gott, Manitou oder Allah) hilft einem nur auf der allerletzten Sprosse. Wie gesagt: wenn man glaubt.

Sucht nicht jeder nach so einer Leiter? Leider ist sie manchmal zu kurz. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, diese Leiter könnte auch vor den Gefahren des Lebens schützen. Das kann sie in keiner Weise.

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
Was ist mein Stein?
Weißt du, irgendwann trennten sich die Wege meiner Trauer. Zu dem Zeitpunkt, als mir klar wurde, um wen oder was ich eigentlich trauere.

Zu Anfang hatte ich um das 'Wir' getrauert. Ein riesiger Felsbrocken, den ich nicht mal bewegen konnte. Ich habe versucht, ihn wenigstens zur Seite zu rollen, um den Weg freizumachen. Ging nicht. Habe ihn gestreichelt und verflucht. Unter großer Anstrengung bearbeitet ... bis er in zwei Teile zerbrach.

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
Ich bin traurig wegen Tanja
Den einen Teil trage ich in einem Rucksack auf meinem Rücken. Den werde ich nicht mehr los. Das ist die Trauer um Myriam. Dass sie nicht mehr leben durfte. Um das, was sie verloren hat. Ich kann ihn tragen nach langem Training. Er bremst mich nicht mal aus. Er stärkt sogar die Muskeln.

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
Was ist mein Stein?
Das andere Stück lies sich mit viel Mühe den Berg hinauf rollen. Das ist die Trauer um mich und um das, was ich verloren hatte. Nun liegt er da oben, dieser Brocken. Gut verkeilt.


Liebe Grüße,

Helmut
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  #3  
Alt 31.07.2014, 11:07
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Eigentlich weiß jede Frau und jeder Mann, dass er/sie sterben muss. Man blendet es nur gerne aus und einige Unternehmen verdienen gut daran. Wenn man nur genug Prävention betreibt und eine private Altersversicherung hat, ist alles gut. Meine Frau hat gesund gelebt, eine Alterssicherung hatten wir auch. Was hat das genutzt? Seit ihrem Tod begegne ich dem Tod öfters in Gedanken. Irgendwann kommt er nicht nur zu Besuch, sondern um mich zu holen. Ob er in 20 Jahren in dieser Absicht kommt oder nächstes Jahr weiß man nicht Tanja hat es erlebt.
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  #4  
Alt 01.08.2014, 10:52
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Guten Morgen Hermann,

ja, eigentlich weiß das jeder. Auf der anderen Seite weiß niemand wann. Das wird nicht nur gerne ausgeblendet, es ist in jüngeren Jahren bis zu einem gewissen Maß auch durchaus sinnvoll. Wer mit 30 gesund ist und schon auf den Tod wartet, warum soll der noch arbeiten, gesund bleiben und vielleicht Kinder in die Welt setzen wollen und sich fürs Alter etwas zurücklegen? Ich hätte gerne auf so manches verzichtet, könnte meine Frau noch leben. Du sicher auch. Ich denke, wir alle. Wir, sie ... es lag nicht in unserer Macht, ihren Tod zu verhindern. Niemand konnte das. Auf den Tod zu warten macht keinen Sinn, mit ihm zu rechnen schon.

Mein Einkommen, mein Sparbuch, beides hat sich von einer Sekunde auf die andere quasi verdoppelt. Auch das hat weh getan, hat doch meine Frau einen nicht unbedeutenden Anteil daran, dass es uns Beiden zusammen hätte gut gehen können. So habe ich jetzt zwei Äpfel vor mir liegen. Der eine schmeckt gut, der andere hat einen bitteren Beigeschmack. Soll ich den einen oder vielleicht sogar beide deshalb wegwerfen? Nein. Den ihr vormals zugedachten Apfel esse ich morgen in Dankbarkeit.

Es war auch mal der Gedanke: "Ich profitiere von ihrem Tod." Eigentlich wollten wir zusammen alt werden und die Früchte unseres Lebens gemeinsam genießen. Würde ich mich besser fühlen, hätten wir damals nicht vorgesorgt? Es hätte ja auch anders kommen können und sie hätte weiterleben dürfen. Ich hätte ihr die zwei Äpfel mehr als gegönnt. Hätten wir nicht vorgesorgt, ginge es mir heute ja auch besser, denn das Wenige, was mir geblieben wäre, müsste ich dann ja nicht noch teilen.

War das gemeinsame Leben weniger glücklich, weil wir vorsorgten fürs Alter und uns Gedanken machten? Nein! Auf den T-Shirts glänzte kein Krokodil, Urlaub war Nordsee statt Südsee und das Auto war eine Nummer kleiner als das des Nachbarn. Ja und? Unser gemeinsames Leben war glücklich und wir haben es genossen. Ich kann nicht ändern, dass es so gekommen ist. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht.

Kann es sein, dass du verbittert bist? Ich kann es verstehen.


Liebe Grüße,

Helmut
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Geändert von HelmutL (01.08.2014 um 10:54 Uhr) Grund: Rechtschreibung
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  #5  
Alt 02.08.2014, 09:12
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Hallo Helmut,
ich glaube nicht, dass ich verbittert bin.
Sicherlich könnte man sagen, dass die Tochter, die Enkelinnen und ich von dem Tod materiell profitiert haben. Aber: "Die schönsten Dinge im Leben erlebt man immer gemeinsam" So steht es auf der Geburtstagskarte, die mir meine Frau zu meinem Geburtstag schenkte. Die Karte mit den beiden Möwen liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Materielle Dinge waren mir nicht so wichtig. Mein Golf reicht mir. Gestern war ich mit Daria in Hamburg, der Wagen ist alt, läuft aber noch gut. Meine Frau meinte vor ihrem Tod, ich würde wohl viel reisen. Das werde ich wohl nicht tun.
Liebe Grüße
Hermann

Geändert von gitti2002 (19.10.2014 um 00:16 Uhr) Grund: angesprochene Userin omondi hat ihren Beitrag gelöscht
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  #6  
Alt 02.08.2014, 14:26
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Hermann,

genau so habe ich das gemeint. Auch ich lege keinen besonderen Wert auf Besitz. Es muss nicht das schnellste, schönste, dickste Auto sein. Zwei Nummern kleiner tun es auch. Ich hätte auf diesen 'Profit' auch nur zu gerne verzichtet und ich bin mir sehr bewusst, wem ich das zu verdanken habe. Eine zeitlang hatte ich tatsächlich so was wie ein schlechtes Gewissen, bis ich dachte: "Es ist nicht meine Schuld. Niemandes."

Ich war sehr viel unterwegs. Zum Teil, weil mich die leere Wohnung erdrückte, keine Luft zum atmen, zum Teil war es Flucht. Zum Teil der Parkplatz im Wald, wo ich stundenlang im Auto saß, zum Teil Tagesausflüge. Morgens weg und spät am Abend müde ins Bett. Bis ich dann eines Tages tatsächlich Neues entdecken wollte.

Ich habe noch einen Brief von meiner Frau, den sie mir nie gegeben hatte. Sie hatte ihn lange vor ihrer Krankheit geschrieben. Ich habe ihn in ihrer Handtasche gefunden. Meine Gefühle beim Lesen kannst du dir sicher vorstellen. Es stimmt, die besonderen Momente im Leben werden erst wirklich besonders, wenn man sie teilen kann: geteilte Freude ist doppelte Freude. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass ich sie 'teilhaben' lassen kann oder auch 'mitnehmen'. Bei diesen Gelegenheiten habe ich auch viele Antworten erhalten.

Wenn heute etwas besonderes passiert, ist es dann ein Unterschied, wenn man fragt: "Schade, dass wir das nicht mehr zusammen erleben dürfen" oder "Schade, dass du das nicht mehr erleben kannst"?


Liebe Grüße,

Helmut
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Geändert von gitti2002 (19.10.2014 um 00:16 Uhr)
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  #7  
Alt 02.08.2014, 19:04
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Hallo Helmut,
Du hast in vielem Recht. Aber Verbitterung klingt so hart. Ein einsamer Mensch, der sich und die Welt hasst. so bin ich nicht. Mein Selbstmitleid hält sich auch durchaus im Rahmen. Zum Beispiel haben wir beide eine Versicherung für Darias Ausbildung abgeschlossen.Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, erlebt Tanja jetzt auch, das Daria Erfolg hat. Vielleicht aber auch nicht. Wer weiß wo ihere Seele gerade ist. Besser wäre, sie würde noch leben. Daria hat uns jedes Jahr besucht. Jetzt ist sie auch hier, aber es ist anders
Liebe Grüße
Hermann
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