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Alt 03.04.2020, 08:48
Fineya Fineya ist offline
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Registriert seit: 02.04.2020
Beiträge: 1
Standard Und dann war er weg

Hallo ihr lieben,

ich schreibe hieer, da nach 5 Monaten der Tod meines Vaters mich eingeholt hat. Ich werde es etwas ausführlich erklären.

Ich selbst bin 27 Jahre alt und stehe mit beiden Beinen fest im Leben (verheiratet, 2 kinder). Mein Vater war 56 Jahre alt und hatte seit Jahren immer wieder Hustenanfälle, ging aber sehr selten zum arzt, einfach weil er als Fernfahrer weiter arbeiten wollte. Die regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen die für den job pflicht waren, zeigten auch nichts auffälliges – sonst hätte er auch nicht weiter arbeiten dürfen.
Im Februar vergangenen Jahres klagte er während einer Tour über Luftnot und ließ sich abholen. März die Diagnose: Lungenkrebs der starkgestreut hatte. Sprich, betroffen waren: beide Lungen, Speiseröhre, Kehlkopf, eine Niere, Leber und Metastasen in den Armen als auch im Kopf. Später kam dann raus, dass der Krebs also bösartig ist. Nach vielen Chemotherapien und Lichttherapie (entschuldigt bitte, dass ich das richtige wort nicht für habe) kam im september die nachricht, dass alles fadt gänzlich zurück gegangen ist und seine nächste Untersuchung im Januar 2020 wäre. Er müsste aber 1x wöchentlich sich blut abnehmen lassen, damit bei einer verschlechterung seiner blutkörperchen-werte sofort gehandelt werden könne. Uns wurde bei so einem guten verlauf mut gemacht, dass er noch einige jahre hätte. Das war gut, da ich zu dem, zeitpunkt mit dem zweiten kind schwanger war und mein vater sich auf seinen zweiten enkel freute.
Leider kam es bis zum kontrolltermin nicht mehr.
Im November ging es ihm immer schlechter. Er hatte mehr schmerzen, aß kaum noch und lag nur noch auf der couch rum. Am ende verlor er seine stimme. Ich selber kam zu dem zeitpunkt 2-3x wöchentlich zu besuch vorbei (40 minütige autofahrt). Nach viel auf ihn einreden ging er ende november ins krankenhaus – meine mutter begleitete ihn. Sie blieb mit der Aussage bei ihm, dass er sie nicht gehen lassen möchte, aber alles okay wäre. Ich übernachtete mit meinen Sohn in ihrem Haus und passte auf meine Großmutter auf. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass meine Eltern, meine Großmutter und mein bruder in einem Einfamilienhaus zusammen wohnten. Die Tage vergingen, mein Vater wollte niemanden sehen. Ich hatte eine Vorahnung, mir wurde aber immer wieder gesagt, dass alles gut sei. Dann kam am 3. Dezember der Anruf: Mein Vater möchte mich und meinen Bruder sehen. Er hatte stark abgebaut, war nur noch ein Skelett – und er war schon immer ein sehr schlanker Mensch. Er konnte kaum die Plastikflasche mit einem halben Liter Wasser heben. Sprechen,war nicht möglich. Und dennoch, als ich ihm erzählte dass bei der Pränataldiagnostik raus kam, dass sein zweiter Enkel vollkommen gesund war, quälte er sich zu einem letzten „Gut“. Als wir das Zimmer kurz verließen kam eine Schwesterund ich erfuhr die Wahrheit: Mein Vater würde das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen. Jeder in meiner Familie hatte es gewusst. Mich wollte man im unklaren lassen, da ich schwanger war.
Es kam heraus, dass der Krebs bis auf das doppelte zurück gewachsen war – seine Blutwerte zeigten dies aber nur ab und an. Keiner hatte mit gerechnet, nicht einmal die zuständigen Ärzte, denn sonst hätten sie ihn schon viel früher ins Krankenhaus zu sich geholt. Sein Arzt entschuldigte sich tausendmal, aber ehrlich gesagt, wusste ich nicht was ich davon halten sollte. Sollte ich ihm böse sein? Sollte ich verständnis zeigen? Ich war zu keinem der beiden in der Lage. Die Schwester sagte, dass er kein Essen mehr über diese Röhre (Sättigung) kriegte und in seiner Patientenverfügung klar stand, dass man bei einer Luftnotattacke in seinem jetzigen Zustand, ihn nur noch gehen lassen würde, da keine Aussicht auf Heilung mehr gab. Wir sollen ihm doch sagen, dass es okay wäre zu gehen. Mein Bruder ging zuerst rein und als ich bei ihm war, verschlug es mir die Sprache.
Ich sollte meinen Vater, der mich all die Jahre groß gezogen hatte und seine Gesundheit geopfert hatte damit wir Essen auf den Tisch hatten, anlügen? Ich solle ihm sagen, dass es in Ordnung wäre zu gehen, obwohl es nicht in Ordnung für mich war?
Ich schaffte es nicht, ich konnte ihm nur sagen, dass ich ihn liebte und für alles dankbar war. Als ich das Zimmer verließ, spürte ich wie ein Zusammenbruch mich zu übermannen drohte. Ich hielt mich am geländer fest, hielt die Luft immer wieder an und unterdrückte dieses gefühl. Die Tränen ließ ich teilweise zu. Es ist schwer zu erklären, aber in dem moment wollte ich nicht zusammenbrechen und dem Ungeborenen es antun. Also hielt ich diese Gefühle im Zaum. Vielleicht war ich auch so stur darauf bedacht, weil ich im September meinen Großvater (väterlicherseits) verlor und im Oktober eine Freundin und Kollegin Selbstmord beging und ich auch dort, mich zusammen gerissen habe.
Am nächsten Tag, den 4ten Dezember verstarb er. Wir nahmen erneut im Krankenhaus abschied und auch da hielt ich mich zurück. Die Tage danach, widmete ich mich den Papierkram: Beerdigung, Lebensversicherung, Kündigungen, Witwenrente, Arbeitslosengeld bis die Lebensversicherung ausgezahlt werden würde etc. Ein Testament gab es ja nicht.
Zur Beerdigung dieam 20. Dezember war hielt ich eine Rede. Arbeitskollegen, Freunde und der Rest der Familie kam. Die Kollegen waren sogar mit 2 LKW´s angefahren – mein Vater war halt ein Trucker durch und durch, es hätte ihn wohl gefreut. Auch mein Sohn 3 ½ Jahre kam mit zur Beerdigung. Wir haben ihm erklärt, dass sein Opa im Himmel jetzt ist und als Stern über ihn wachen würde. Verstanden hatte er es zunächst nicht – er kann auch noch nicht reden (hat eine Sprachbarriere). Aber als er die Urne sah, zeigte er mit den Finger drauf und frug „Opa?“ und wir bejahten es. Als die Urne dann ins Grab gehoben wurde, wollte er sogar seinen Schokoriegel hineinlegen. Bei meiner Mutter im Hause zurück, legte er sich auf die Couch, an die Stelle, an die ein Vater Wochenlang gelegen hatte. Es brach mir das Herz ihn so zu sehen, aber auch hier blieb ich „gelassen“. Danach hat mir mein Mann „erlaubt“, dass ich bis zur Geburt bei meiner Mutter bleiben könne → Die Geburt war am 24. Februar gewesen. Der Kleine hat einen Doppelnamen bekommen. Erstname ist der, den mein Vater vorgeschlagen hatte und mein Mann hat sich durchgesetzt und den Zweitnamen nach meinem Vater benannt.Ich war in der Zeit noch einmal auf meinen Friedhof und ich konnte auch ohne Probleme mit meinen Vater reden.
Jetzt war ich am 26. März nur mit meinen zweiten Sohn dort. Ich hatte das Bedürfnis, meinen Vater seinen zweiten Enkel zu zeigen. Vielleicht hört sich das etwas doof an. Auf jeden Fall hatte es in diesem Moment Klick gemacht. Mein Vater, der nicht mehr da war, welcher nicht mehr mit seinem ersten Enkel Ball spielen könne oder seinen zweiten Enkel in den Arm nehmen könne. Mein Vater, welches sein Versprechen gegenüber den Großen nicht mehr einhalten könne, ihn mit auf einer Tour zu nehmen wenn er größer ist. Mein Vater, der meinen Mann beiseite stand wenn wir uns gestritten haben und uns bei der Versöhnung half. Mein Vater, der mir all die Jahre durch die schwere Zeit begleitet hatte, als bei mir eine akute Nervenerkrankung fest gestellt wurde.
Mein Vater war nicht mehr da. Er war einfach nicht mehr da.
Und ich? Ich brach heulend auf den Friedhof zusammen und heulte mir die Seele aus dem Leib. Nach einigen Monaten seit seinem Tod heulte ich zum ersten Mal richtig los. Auch jetzt übermannt es mich immer wieder im Alltag. Voralledem April wird schwer für mich werden. Keine Ostereiersuche mit ihm. Meine Eltern hätten beide im April Geburtstag gehabt. Meine Mutter hat mich sogar gefragt ob ich „Kassler mit Klößen und Rotkohl“ kochen könne an ihrem Geburtstag, weil ich es genauso wie mein Vater mache. Sie möchte gerne nochmal "sein Essen" schmecken. Das tat irgendwo weh.
Ich frage mich nur, wie lange mein Zustand anhält? Ich versuche für die Kinder stark zu sein und zumindest nicht vor ihnen zu weinen, aber es fällt mir manchmal einfach schwer. Und mit meinen fast 28 Jahren erwarte ich es eigentlich auch, mich unter Kontrolle zu haben...
Ich entschuldige mich für den ultralangen Text, aber ich musste es mir von der Seele schreiben.
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  #2  
Alt 06.04.2020, 10:50
Clea Clea ist offline
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Registriert seit: 13.01.2017
Beiträge: 561
Standard AW: Und dann war er weg

Liebe Fineya,
ich finde so viel von dir bei mir wieder.
Meine Ma ist jetzt drei Jahre tot.
Es gibt so viele, für die man stark sein muss.
Für sich selbst auch mal schwach sein zu können,
Dafür fehlt oft die Zeit, ja, und wenn ein paar Wochen ins Land gegangen sind,
oft auch das Verständnis der Mitmenschen.
Möglichst schnell wieder funktionieren, darauf zielt alles ab.

Ich für meinen Teil liege manchmal noch schlaflos im Bett und frage mich,
hätte das ein oder andere anders laufen müssen, hätte man etwas ahnen können,
warum hab ich nicht früher etwas gesehen undundund.
Für mich war es ein halbes Jahr lang ziemlich düster, danach wurde es langsam heller.
So richtig freuen kann ich mich aber erst seit einem Jahr wieder. Das hat zwei Jahre gedauert.
Und selbst heute gibt es noch Tage...
Wenn ich darüber nachdenke, ich hätte sie nicht besuchen können,
wegen der Gefahr der Ansteckung mit Corona, dann schnürt sich mir heute noch die Kehle zu.
Ich wünsche dir viel Kraft für die nächste Zeit.
__________________
Meine Ma
17.9.1957-19.2.2017, 59 Jahre, Lungenkrebs mit Hirnmetastasen
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  #3  
Alt 14.07.2020, 13:31
Beccamaus Beccamaus ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 11.06.2018
Beiträge: 200
Standard AW: Und dann war er weg

Liebe Fineya,auch ich sitze hier und habe Tränen in den Augen und muss mich zusammenreißen. Du hast wundervolle Zeilen geschrieben... und wie du es selber gesagt hast, aus irgendwelchen Gründen musstest du immer stark sein, irgendwann bricht es aus einem halt heraus. Leider hat man heutzutage kaum mehr Zeit zu trauern und zur Ruhe zu kommen. Gerade nicht wenn man Kinder hat. Mir geht es da ähnlich. Bei mir sind es jetzt 2 Jahre die vergangen sind, wahnsinn eigentlich. Den Tag habe ich mich mit meiner Mama unterhalten, ich fragte sie ob ich richtig getrauert hätte oder ob es mich nochmal eiskalt erwischt. Schon beim stellen dieser Frage kullerten meine Tränen nur so. Aber das kullern der Tränen ist weniger geworden, vielleicht fahre ich irgendwann mal zu einer Kur um halt herauszfinden ob ich dieses Thema verarbeitet habe. Aber verstehen kann ich dich zu 1000%
__________________
Mein Daddy
* 04.08.1947 25.06.2018

ED: 03.04.2017 (metastasierendes Lungenkarzinom (Adeno))


-------- Somewhere over the Rainbow---------
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