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  #1  
Alt 14.08.2013, 01:09
Dirk1973 Dirk1973 ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo Kerejon,

und wie sehr ich Dich verstehen kann. Zuerst einmal herzlich willkommen im Krebs-Kompass, auch wenn es natürlich ein ziemlich häßlicher Anlass ist.

Das was Du beschreibst, ist so ein klein wenig die "Seuche", die uns Medizinern und medizinischem Assistenzpersonal doch so oft eigen ist: wir fühlen uns in unseren Berufen so wohl, weil wir doch Tag für Tag in den Leben anderer etwas bewegen, beeinflussen oder gar deren Leben retten können.

Ich bin im Rettungsdienst tätig, wollte seit klein auf nichts anderes machen und finde auch heute noch meine Erfüllung darin. Als ich damals meine Diagnose (metastasierender Hodentumor) bekam, wechselte ich die Seiten. Ich war nun nicht mehr der "Retter" der vermeintlich heldenhaft um jedes einzelne Leben "kämpfte" ("schön dass Ihr da seid, habt´a mal `nen Pflaster......."), sondern ich lag nun dort, wo sonst meine Patienten hin kamen. Ich war Patient Nummer 123 der in den OP wanderte. Ich war Patient 123, der nun im Zimmer 12 auf die Visite und hoffentlich gute Neuigkeiten wartete. Ich war das Häufchen Elend, das im Krankenbett über die Flure geschoben wurde.

Ich denke, genau dieser Seitenwechsel macht es uns so schwer. Und so lange es uns gut geht, so lange wollen wir für die "wirklich" Kranken da sein und uns für sie einsetzen. Schließlich gehören wir doch zu den "Guten", zu den vermeintlich Unsterblichen.
Ich habe während meiner Chemo Verfahrenshilfen ausgearbeitet und mich damit über Wasser gehalten. Ich wusste, diese Hilfen werden gebraucht, somit wurde ich gebraucht. Das war schon ein angenehmes Gefühl. Selbstverständlich war ich regelmäßig mal zu Besuch in der Firma und konnte zum Glück nach einer erfolgreichen Chemo recht schnell wieder in den Beruf zurück kehren.

Ich finde es absolut bemerkenswert, dass Du Deiner recht frustranen Diagnose zum Trotz wieder als Arzt tätig bist. Und vor allem wünsche ich Dir, dass Du dies noch eine sehr lange Zeit sein kannst. Lass Dich nicht unterkriegen und dass das Frührezidiv auch das allerletzte Aufflammen Deiner Erkrankung war.
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  #2  
Alt 15.08.2013, 00:56
Kerejon Kerejon ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo Dirk,

Erstmal vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich sehe, Du kannst meine Situation durchaus nachvollziehen, hab auch ich zuletzt die "andere" Seite kennenlernen dürfen. Um es zu präzisieren: Ich bin Chirurg und war auf einmal vollkommen hilflos, mal der zu sein, der jeden Pflasterwechsel kritisch beäugt und der Visite harrt. Vorgestern stand ich wieder auf der " richtigen Seite" des OP- Tisches und habe zum ersten mal ein Gefühl bekommen, wie es tatsächlich ist, der Mensch unter den Abdecktüchern zu sein.
Der Nachteil "vom Fach" zu sein ist , dass ich mich natürlich in jede Veröffentlichung und Studie meine Erkrankung betreffend eintauche ( die es leider kaum gibt, ist meine Tumorart doch extrem selten ( 2:1000000) und Daten fehlen.

Eine der letzten Studien kommt zu dem Schluss, ein Frührezidiv dieses Tumors sei im Prinzip unheilbar, daher, so gut Du es meintes, glaube ich nicht, dass es das "letzte Aufflackern" war. Daher stecke ich in der Falle, zwar prinzipiell noch auf der kurativen Schiene zu sein und noch Hoffnung haben darf. Andererseits kenne ich die Überlebensraten dieses Krebses in 5 Jahren und verwerfe weitere Zukunftspläne.

Um Diesen Gedanken zu entkommen Stürze ich mich so gut es geht in meine Arbeit und... Wie Du mir sicher zustimmen wirst.... tut es einfach gut, anderen zu helfen. Und das mehr noch als zuvor.

Macht Krebs einen zum besseren Mediziner ? Wahrscheinlich nicht, aber es sensibilisiert und macht zumindest mich etwas gelassener.

Um den gedanklichen Exkurs zum Ausgangspunkt zu führen:
Wie mache ich das mit dem Arbeiten?
Ich tue es soweit meine körperlichen und emotionalen Kräfte mitmachen gerne. Allerdings gibt es Grenzen, bei denen ich sofort damit aufhören würde und andere Dinge, insbesondere Familie, vorziehe.

Lieben Gruss

P.S. 1973 sollte doch eigentlich ein guter Jahrgang sein, oder ? ;-)
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  #3  
Alt 16.08.2013, 07:28
conquerer conquerer ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hinzu kommt doch in dieser Situation das Alter. Ihr seid um die 40, ich 38 da macht man sich ja normalerweise Gedanken über andere Sachen.

Manchmal muss ich mich gerade auf der Arbeit oder Privat einfach ausklinken. Wenn es um die Rentenvorsorge oder Dinge in 10 Jahren geht, da wird einem doch etwas anders. Man weiss nunmal nicht wie es weiter gehen könnte.

Im Prinzip ausblenden und einfach das tun was ich denke das es das Richtige ist. Spas haben wo man noch Spass daran hat....
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  #4  
Alt 17.08.2013, 01:45
Kerejon Kerejon ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Und hier liegt mein Problem. Noch gelte ich als heilbar, obwohl die Statistiken dem widersprechen. Zu selten ist mein Tu als das es sichere Aussagen gibt. Der Verstand sagt das Leben geht weiter, die Zahlen anderes. Es ist ein fürchterliches Vakuum, welches ich anhand meiner Arbeit füllen will. Sobald ich zur Ruhe komme.... Wird es schlimm...

Liebe Grüße ?
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  #5  
Alt 17.08.2013, 08:30
J.F. J.F. ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo Kerejon,

hat das eventuell mit Deinem berufsbedingtem Pessimusmus zu tun?

Wenn ich so Revue passieren lasse, so ist es meinem Dickschädel und meinem Glauben an mein inneres Warnsystem (das mir bisher dreimal das Leben gerettet hat -> Tatsache) zu verdanken das ich im Kontakt mit Ärzten nicht wahnsinnig geworden bin. Oder zumindest depressiv. Denn von Beginn an (Vermutung was es sein könnte, Hin und Her zwischen drei Histologien) hat man alles in seiner Machtstehende getan, um mir mitzuteilen - direkt und indirekt - das ich spätestens in einem Jahr eh nicht mehr da sei. So sah zum Teil auch die Nachsorge im Erstjahr aus. Einzig ein Chirurg - den ich heute noch gerne als meinen Chirurgen bezeichne - hat da nie mitgemacht, sondern chirurgisch alles getan, um EBEN nicht in diese Zielgerade einzubiegen. Klar, es gehört mehr zum Überleben einer metastierten Krebserkrankung als der chirurgische Teil, aber hier kann auch einschneidend (im wahren Sinne des Wortes) agiert werden. Das gleiche Spiel hatte ich dann nochmals für einen dreimonatigen Marathon durch die MRTs, PET/CT und OP mit einem zweijährigen Nachlauf mit Vorlage beim tumorboard. So etwas zehrt an der Substanz. Und ist für die Vertrauensbildung / -basis zum Arzt mehr als schädlich. Wer mir heute mit Prognosen, Statistiken, selbst mit einer Trauermine gegenübersteht hat bei mir schon schlechte Karten. Ich glaube ihm nicht. Dazu habe ich in den letzten Jahren zu viele absurde / abgefahrene Situationen erlebt. Und auch die Ergebnisse.

Und arbeiten ist für viele ein verdammt gutes Instrument im "Kampf gegen den Krebs". Auch ich habe diese Möglichkeit ergriffen. Durch die Erkrankung verändert sich das Verhältnis zur Arbeit und auch sein eigener Einsatz. In welche Richtung, nun das ist wieder individuell. Vor kurzem wurde mir gesagt, ich solle aufpassen, ich bekäme noch einen Herzinfarkt. Meine Reaktion: Abwinken und spontane Aussage, und wenn, habe schon zwei als unheilbar eingestufte Erkrankungen überlebt bzw lebe mit ihnen, also was soll mir noch passieren. Eine Art Überheblichkeit, die man wohl erlangen kann. Wobei die Reaktion meines Gegenüber auch nicht schlecht war ... nach dem Überraschungseffekt..

Was mir noch spontan eingefallen ist: Ist Dir was an die Niere gegangen? So wie mir wohl was einiges im Hals stecken geblieben ist. Das ist aber eher rhetorisch in den Raum gestellt. Eine Antwort erwarte ich nicht

Du giltst als heilbar. Schreibst Du selber. Warum also dieser Pessimismus?
Gerade gestern habe ich ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer gelesen, das ich jetzt nochmals herausgesucht habe, weil ich denke das es sehr gut passt:

Optimismus

Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation,
sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren,
eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint,
eine Kraft, Rückschläge zu ertragen,
eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt.

Dietrich Bonhoeffer

In diesem Sinne wünsche ich Dir, dass Du den Optimismus für Dich in Dein Leben wieder aufnehmen kannst.
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  #6  
Alt 17.08.2013, 08:53
J.F. J.F. ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo conquerer,

bei Deinem letzten Post musste ich lachen. Was bitte sind zwei Jahre Altersunterschied? Nüx . Du bist in der Verarbeitungsphase schon einen Schritt weiter als Kerejon. Er muss sich noch mit der Situation auseinandersetzen. Dies hast Du schon hinter Dir, denn Du hast den Begriff "Zukunft" schon wieder im Repertoire. Jeder der sich mit der Zukunft auseinandersetzt kommt unweigerlich mit dem Bereich Arbeit, Arbeitsqualität, Arbeitsquantität und deren Früchte in Form von Gehalt und Rente in Kontakt.

Wenn man die Postings der hier Schreibenden heranzieht so sieht man, dass es nicht allen gleich gut oder schlecht geht.
Der eine möchte lieber keine Gleichmäßigkeit, sondern Abwechslung.
Der nächste möchte lieber nur die eine Schiene durch die Arbeitswelt ohne rechts oder links.
Der nächste möchte gerne arbeiten, kann aber nicht, sondern ist froh den Alltag so zu meistern.
Hier schreiben soo viele unterschiedliche Krebsarten mit seinen unterschiedlichsten Auswirkungen auf den Körper, dass man eigentlich garkeine Vergleiche ziehen dürfte. Auch hier gilt dann: Verallgemeinerung aller Krebserkrankungen. Und dann wundern sich einige (siehe Thread Sprüche, die keiner braucht oder so ähnlich) über die unterschiedlichsten Reaktionen der Menschen, wenn selbst Krebserkrankte nicht über den eigenen Tellerrand schauen und die Problematiken anderer Operationsbereiche nicht realisieren. Das geht zum Teil sogar schon in der eigenen Krebsart los. Deswegen, nicht nur die Außenstehenden müssen im Beruf und der Freizeit Vorsicht bei einigen Krebserkrankten walten lassen, sondern auch die Krebserkrankten sollten sich daran halten. In der Freizeit ist dies mit einem offenen Wort schnell lösbar. In der Berufswelt nicht. Deswegen gibt es ja in großen Firmen Vertrauenspersonen in Form von Behindertenbeauftragte. Aber auch hier ein Aber meinerseits : Manchmal braucht es dieser Helfer nicht, selbst ist der Mensch
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  #7  
Alt 17.08.2013, 23:31
conquerer conquerer ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Naja das mit dem Optimismus ist so eine Sache. Wie es aussieht ist gerade die 2. Meta im Anmarsch. Laut meinem Professor muesse man sich das als chronische Krankheit erkennen, das da immer wieder was nachkommen wird. Sicher solche Tatsachen muss man hinnehmen. Bei dem letzten Termin sagte er noch das ich aber daran in nden naechsten 2 Jahren nicht sterben muesse und das war so bloede es doch klingt eine beruhigende Aussage. Anders gesehen kann jedem immer irgendetwas passieren, von daher sehe ich das entspannt.

Nur dieses Fehlzeiten Gespraech hat mich sehr genervt, das so etwas stattfindet verstehe ich auch aber dann stetig nachzuhaken, bringt mich dann doch aus der Fassung. Ich arbeite schon 21 Jahre in dieser Firma und da kommt so ein Buebchen und will mir etwas erzaehlen was fuer mich gut ist. Da ich ein sehr impulsiver Mensch bin, muss ich mich da echt zusammenreissen. Das naechste Mal falls es zu so etwas kommt, bin ich aber vorbereitet und dann kann er sich warm anziehen. Wenn er meint er muesse seinen Fragebogen penibel abzuarbeiten werde ich ihm auf die Spruenge helfen. Der Punkt ob die Erkrankung von der Arbeit kommt zum Beispiel. Ich arbeite in der chemischen Industrie, soviel nebenbei, werde ich ihm sagen das wenn er darauf besteht alles komplett zu klaren ich gerne fuer ihn bei der Berufsgenossenschaft eine Anfrage starte mit wievielen krebserregnden Stoffen ich jemals gearbeitet habe. Mal sehen was er dann sagt der Knilch....

Das hat mich wirklich in Rage gebracht...

Mit den Studien ist das wie mit dem Internet, man schaut wiemdurch ein Schluesselloch und sieht doch nicht alles.

Die Zeit der Niedergeschlagenheit ist doch an mir vorbei gegangen, ich tue was mir Spass macht und immer oefters vergesse ich die Krankheit doch mal zwischendurch. Das war schon schlimmer wo ich wirklich fast jede Minute daran denken musste.

Wenn ich zurueckschaue auf mein Leben kann ich immerhin sagen alles genossen zu haben und mir nie gesagt habe das mache ich irgendwann mal. Ich kenne Leute in meinem Alter die sagen das tue ich wenn ich in Rente bin, ich nicht.

Ich mir tut das gut sagen zu koennen, ich wuerde nichts gros anders tun, als den Weg den ich gegangen bin...

Wer weiss vielleicht gehoerte der Krebs zu dem Weg dazu, um auch wieder klarer zu sehen...
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  #8  
Alt 15.09.2013, 16:50
Thusnelda Thusnelda ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo Con,
mir ging es ähnlich - nach den Behandlungen musste ich mich erst wieder in die Arbeit stürzen. Jetzt nach zwei befundfreien Jahren denke ich erst ernsthaft darüber nach, wie. lange ich mich noch für andere aufreiben will und gehe zunehmend in Abstand zu meiner Arbeit, arbeite aber immer noch gern. Wahrscheinlich brauchte ich erst die Freiheit, selbst eine Haltung dazu zu entwickeln und nicht durch die Krankheit gezwungen zu werden. Allerdings bin ich auch schon 54. Da sind die Jahre bis zum Ruhestand auch schon überschaubarer. Also, bis 66 mache ich definitiv nicht. Ob es auch weiterhin keine neuen Befunde gibt, weiß schließlich niemand! Carpe Diem!
Alles Gute für euch. Thusnelda
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  #9  
Alt 16.09.2013, 22:26
Norma Norma ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Antwort auf die obige Frage:

Gar nicht!

Als die Diagnose feststand, war ich 47 Jahre alt; hatte 33 Jahre gearbeitet; drei Kinder bekommen und großgezogen und noch eine pflegebedürftige Mutter.

Mein Alltag bestand Jahrzehnte aus einem ausgeklügelten Minuten-Fahrplan. Jeder Tätigkeit, ob zu Hause oder in der Arbeit, wurde ein genaues "Zeitmaß" zugeordnet.

Beispiele gefällig?

Zu Hause:
Spülmaschine ausräumen: 3 Minuten
Spülmaschine einräumen: 4 Minuten
Wäschetrockner leeren und Wäsche zusammenfalten: 8 Minuten
Essen kochen und selbst essen: 30 Minuten
Körperpflege: morgens 15 Minuten, abends 10 Minuten

und so weiter und so fort...

Auf der Arbeit:
Kundengespräche pro Gespräch: 3 Minuten minimum, 10 Minuten maximum
1 volle Seite Din-A4 (keine pro-Forma-Briefe), selbst erarbeitet und geschrieben: 10, höchstens 15 Minuten
Telefongespräche: pro Gespräch höchstens 5 Minuten
Ablage, wenn sie voll war: 5 Minuten

Überstunden? Habe sie nicht mehr gezählt

Pause? So gut wie NIE!
Urlaub? Ja, dann wurde die Arbeit mit nach Hause genommen.

Kollegen-Gespräche: ausgeschlossen, da in weiter Ferne


Nur mit diesem peniblen Zeitplan war es möglich, den Überblick zu behalten und sogar 6 Stunden Schlaf zu bekommen.

Etwa ein Jahr vor der Diagnose meldete sich mein Körper massivst. Es war klar: Irgendetwas stimmt nicht. Da ich 47 Jahre alt geworden war, beruhigte ich mich selbst: Wechseljahre. Passte ja auch alles: Schweißausbrüche, vor allem nachts
Überschnelle Erschöpfung bis zum Denken: "Ich kann einfach nicht mehr"
Ausbleiben der Periode
Magen- und Darmprobleme
Kopfschmerzen, erhöhte Temperatur
trockene Haut etc. ...


Dann ertastete ich den Knoten in der Brust; wartete aber noch Monate, weil Fibroadenome in der Familie schon zum automatischen "Brust-Mitbringsel" gehörten.

Im Moment der endgültigen Diagnose habe ich innerlich einen rigorosen Schnitt vollzogen. SO wie bisher wollte und konnte ich nicht mehr weiter machen. Ich sah mich plötzlich nur noch wie ein gut funktionierender Roboter, der nun kaputt gegangen war.

Kopfkino?

Ja sicher! Und wie!

Was dann folgte, waren neoadjuvante Chemo, die Op (Mamma-Ablatio) und noch einmal Chemo. 30 Bestrahlungen, 10 Jahre Anti-Hormon-Therapie.

Ich erinnere mich an Arztgespräche ("Frau, warum bloß sind Sie nicht früher gekommen?") und an viele mitleidvolle Krankenschwester-Blicke.
Ich erinnere mich an alle Nebenwirkungen der Therapien.
Ich erinnere mich an meinen früheren Zeitplan und manchmal schaue ich immer noch wie selbstverständlich auf die Uhr, ob das Einräumen der Spülmaschine auch nicht länger als 4 Minuten gedauert hat.
Und im nächsten Moment fällt mir ein, dass das unwichtig geworden ist.

Nun ja, nach der 1. Reha habe ich sofort den Rentenantrag gestellt und wenn ich damals gewusst hätte, dass daraus ein 7jähriger "Rentenkampf" entstehen würde... mein Kopfkino hätte wohl völlig verrückt gespielt.

Richtig "befreit" fühlte ich mich erst, als die Dauerrente bewilligt wurde.

Ich bin kein funktionierender Roboter mehr; ich LEBE!
Trotz aller körperlichen Einschränkungen, die sich im Laufe der Zeit eingestellt haben: Die Erkrankung hat mir die Augen geöffnet und auch dafür bin ich dankbar.


Liebe Grüße an Alle
Norma
Diagnose Brustkrebs Nov. 2001
Diagnose Darmkrebs Juni 2007 bei meinem Mann
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  #10  
Alt 18.07.2016, 21:17
Flauschekoepfchen Flauschekoepfchen ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Gerne möchte ich diesen Thread wieder zum Leben erwecken...

Im Mai 2016 kam ich nach der Chemotherapie und Bestrahlung frisch gestärkt aus der Reha zurück. Ich fühlte mich gut und wollte unbedingt wieder arbeiten gehen. Auf die langsame Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell hatte ich eigentlich keine Lust, da ich direkt wieder zu 100% dabei sein wollte.

Wie ich allerdings schnell gemerkt habe, ist das Leben mit Krebs wohl doch ein anderes als zuvor. 5 Tage die Woche, jeweils 8-10 Stunden täglich im Büro sitzen und Leistung bringen das geht im Moment nicht. Nach der 4-wöchigen Wiedereingliederung habe ich 3 Wochen lang wieder Vollzeit gearbeitet. Ich habe allerdings gemerkt, wie ich von Tag zu Tag gestresster war. Ich war regelrecht fertig mit der Welt, wenn ich am späten Nachmittag nach Hause kam.

Da es so nicht weiter gehen konnte, habe ich das Gespräch mit meinem Chef gesucht und wir haben vereinbart, dass ich zunächst jeweils einen Tag pro Woche (Rest-)Urlaub nehme und zusätzlich einen Tag pro Woche von zu Hause arbeiten. So bin ich wöchentlich nur drei Tage im Büro und es bleibt zudem viel Zeit zum Erholen, Zeit für mich. Ich bin sehr glücklich, dass mein Chef an dieser Stelle so verständnisvoll und entgegenkommend ist.

Durch den vielen Resturlaub, der krankheitsbedingt die letzten zwei Jahre angefallen ist, kann ich das locker bis Ende des Jahres so weiter machen und ich habe mir auch eingestanden, dass ich diese Zeit brauche. Ich hoffe sehr, dass mir die Zeit gut tun wird. Es ist wichtig, dass ich mir diese Zeit nehme, das merke ich jeden Tag aufs Neue.

Ich würde mich freuen, wenn ihr auch von euren Erfahrungen bzgl. des Arbeitens nach der Therapie berichtet...
__________________
Diagnose im August 2015: Primär mediastinales diffus großzelliges B-Zell-Lymphom, Stadium IIA, ca. 12x7cm
Therapie: 6x R-CHOEP-14 und 20 Bestrahlungen á 2 Gray

Hier erfahrt ihr mehr über mich und mein Leben mit NHL.
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