Kann es nochmal besser werden?

[Morgana]

Liebe Elbi,
ich möchte Dir einen lieben Gruß da lassen...
Es wird unaufhaltsam Herbst und der ist trotz seiner Farbenpracht nicht leicht auszuhalten, wenn das Herz schwer ist.
Ich hoffe, Dir geht es einigermaßen erträglich?

LG
Morgana

[Birne]

Ihr Lieben,

lange hab ich nichts mehr geschrieben. Gelesen hab ich häufig, auch wenn es zusätzlich traurig macht. Oder vielleicht ist es auch eine Bestätigung, dass man mit seiner Trauer nicht allein ist.
Zehn Monate! Zehn Monate ist mein geliebter Schatz schon nicht mehr bei mir. Zehn Monate, in denen ich versuche, dem - nein - meinem Leben wieder einen Sinn, einen Inhalt zu geben. Es gelingt mir immer noch nicht. Diese unendliche Traurigkeit will einfach nicht weichen.
Ich fürchte mich vor dem Frühling, vor dem erwachenden Leben. Ich habe Angst, dass ich den Schmerz nicht aushalten kann. Es vergeht immer noch keine halbe Stunde, an der ich nicht an meinem geliebten Mann denke. Er fehlt mir so unbeschreiblich. Immer noch stecke ich in dem tiefen Loch. Wie gerne wäre ich an seiner statt gegangen.
Funktionieren tu ich immer noch. Ich stehe jeden Morgen auf, gehe in mein Büro, verrichte meine Arbeit, geh abends heim, am Wochenende mach ich den Haushalt. Viel Arbeit steckt in so einem Haus, wenn man es allein in Ordnung halten muss.
Wie lange geht das gut? Ich schlafe immer noch keine Nacht durch. Wache mindestens stündlich auf.
Professionelle Hilfe nehme ich in Form einer Verhaltenstherapie seit gut drei Monaten wahr. Ob's hilft?! Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist hier doch schon man hilfreich, dass ich dort meiner schier unendlichen Wut Luft machen kann. Ich bin immer wieder so unglaublich wütend (und weiß nicht auf wen oder was) - einfach auf diese Ungerechtigkeit, auf die ganze Welt und gleichzeitig niemand Bestimmten. Manchmal hab ich das Gefühl eine Bombe werfen zu müssen oder Amok zu laufen. Tu ich natürlich nicht, bin ja zivilisiert und weiß, was sich gehört. Aber es ist so unglaublich anstrengend immer freundlich zu sein, am Telefon, zu den Kollegen, zur Verwandschaft. Alle meinen es ja gut und können nichts dafür. Alle tun so, als wäre nichts geschehen. Dabei ist doch das Allerschlimmste passiert, was ich mir vorstellen kann.
Ich weiß nicht, ob ihr das kennt. Ich hab hier über diese Riesenwut nichts gelesen. Vielleicht ist das auch nur bei mir so.
Ihr Lieben, so vergeht Tag für Tag, monoton und sinnlos. Manchmal denk ich, da muss doh ein Zusammenbruch oder irgendwas kommen, aber nichts - einfach nichts.
Nicht, dass ich nicht auch mal lachen kann, das geht schon, aber ich empfinde alles als "aufgesetzt", falsch und nicht authentisch.
Ein Kollege fragte letztens, ob es nicht sein könne, dass ich mich da hineinsteigere?? Was kann ich darauf antworten. Erleb du das mal. Aber auch wenn, empfindet es doch jeder anders.

Ihr Lieben, Danke fürs Lesen.
Euch allen wünsch ich eine gute oder bessere Zeit. Keine Schmerzen, kein Leid und keine Sorgen.

Herzliche Grüße euch allen

Elbi

[Morgana]

Liebe Elbi,
schön, wieder bei Dir zu lesen. Ich finde es völlig normal, dass, wenn man mitten im Trauerloch streckt so gar keine Lust hat...zu gar nichts. Ja, das Lesen hier im KKF macht zusätzlich traurig. Immer wieder zu lesen, dass Menschen bangen und hoffen...und dann doch irgendwann verlieren. Dennoch ist es doch auch ein Stück vertraut und gibt uns zurück, dass wir keine Ausnahme sind und eben nicht allein in Trauer und Verlust.

Was sind schon 10 Monate...Du kämpfst Dich so tapfer durch Dein Leben, gebeutelt von dem tiefen Schmerz des Verlusts, funktionierst automatisch, weil es "ja weiter geht"...Stimmt: Es geht weiter für andere! Sie meinen es gut...und Du willst nett sein. Mir gefiel immer der Spruch "Gut gemeint ist nicht gut getan". Nicht mehr darüber reden...das spielt viel Angst mit...an den Schmerz zu rühren...Du könntest ja in Tränen ausbrechen - deshalb tun manche wohl so als sei Nix passiert. Ich habe bei unverständigen Sprüchen immer tief durchgeatmet, die Ohren von innen verschlossen und gehofft, dass es vorüber geht - bevor ich explodiere. Jaa...die Wut - ich habe sie gespürt. Am Anfang war ich verdammt wütend, dass mein Mann mich verlassen hat, mich zurückgelassen hat, dass er sich "aus dem Staub gemacht hat". Das war ein starkes Gefühl in mir - ohne mit dem Verstand zu akzeptieren, zu verstehen, dass er sterben mußte. Wut/Gereiztheit kam auch immer mal wieder...wenn ich so unverstanden glaubte, wenn ich meinte, diesen Schmerz nicht einen Tag länger aushalten zu können, wenn ich täglich erleben mußte, dass das Leben so alltäglich gesprochen...einfach WEITER ging...
Der erste Frühling ist mit Vorsicht zu geniessen: Eine unvorstellbare Unverschämtheit der Natur, dass ungerührt einfach alles wieder sprießt und grünt; die Menschen wieder Spaßt haben und gemütlich draussen sitzen...
Es wurde besser! Ich liebte doch eigentlich den Frühling. Ich glaube, er hat sich mir ganz vorsichtig genähert und mir einen Schubs gegeben, nun endlich die Kästen zu bepflanzen. Meinen Mann gedanklich im Nacken sitzend habe ich die "richtigen" Blumen besorgt und den Balkon bepflanzt. Dann saß ich da...schöne Blumen...jaa...Windlichter......Es war nicht auszuhalten...bin wieder reingegangen. Immer wieder mal einen Versuch gestartet zu geniessen...alleine...geniessen??? Erster Frühling und ich haben uns darauf geeinigt, dass wir uns einfach nur ruhig anstarren. Dann kam der Frühsommer...Geranien...beim Pflanzen ein paar Köpfe abgebrochen...war wütend, war sauer... Doch dann ging es langsam besser - es war anders, es war sehr still...neben mir. Doch ich konnte ein kleines bißchen geniessen und habe dann irgendwann abends nach Feierabend gern mit 1 Glas Rotwein da gesessen und zum Himmel geprostet...es war die Liebe, die mein geschundenes Herz so durchflutet hat, dass ich mich fast geborgen fühlte.
Heute freue ich mich schon sehr, wenn der Winter endlich vorbei ist; die Blumen und Bäume wieder freundlich gucken und ich die Natur geniessen kann.

Liebe Elbi, Du hast Zeit...ich möchte Dir Mut machen: Es wird nie wieder, wie es war - doch es wird besser. Erinnere Dich, was ich Dir mal geschrieben habe: Einen Tag nach dem anderen! Du bist auf einem guten Weg. Habe Geduld mit Dir - auch mit der Therapie. Belohne Dich mit etwas Schönem, einfach nur dafür, wenn 1 Tag halbwegs erträglich war; behalte ihn im Gedächtnis und dann blinzelt er Dir zu, wenn tiefgraue Tage folgen.
Ich weiß auch wie anstregend es ist, freundlich zu bleiben. Stell Dir einfach mal gedanklich vor, Du würdest jemand die Zunge rausstrecken, kräftig auf die Pumps treten, mit dem Rasenmäher die Blumenrabatten im Park eliminieren, eine Stinkbombe ins Café werfen, wo all die "normalen" Menschen ihre Freizeit geniessen. Das kann sehr erleichternd wirken - und Du hast gar kein Bedürfnis mehr real Amok zu laufen...vielleicht wirst Du auch lachen...über Deine Gedanken. Ich finde es wichtig auch die "negativen" Gefühle wahrzunehmen, wenn man gerade irgendwie "nett" sein will/muß.

Ich nehme Dich mal fest in die Arme und wünsche Dir viele erträgliche Tage, die dann zu Monaten werden - und wenn Dich das Trauerloch erwischt, dann schicke ich Dir ein virtuelles Seil um Dich wieder Zug um Zug nach oben zu ziehen.

Herzliche Grüsse
Morgana

[Bulldogge]

Liebe Elbi
du sprichst mir aus der tiefsten Seele, ich kann dich so sehr verstehen Ganz genauso läuft auch mein Leben ab, Tag für Tag, Monat für Monat - und nichts wird besser Schon lange spricht niemand mehr von IHM, alle umgehen elegant dieses Thema so als ob er niemals existiert hätte. Klar, jeder will mich schonen, bloß nicht an der Wunde rühren!
Diese Wut die du beschreibst hatte ich schon Wochen vor seinem Tod und auch die Wochen danach und auch jetzt flammt sie oft noch in mir auf. Ich sehe glückliche Paare an mir vorbeigehen, Kollegen unterhalten sich angeregt über die Urlaubsplanung, viele haben schon gebucht, Karibik, Türkei, Malediven, freuen sich auf den Frühling und den Sommer. Ich stehe daneben, eingemauert in meiner Monotonie, irgendwie ohne jedes Gefühl. Was schert es mich ob es Winter, Frühling oder Sommer ist, für mich ist ein Tag wie der andere. Was sollte ich im Urlaub - alleine, ohne Partner? Und genau in solchen Augenblicken kocht in mir die Wut hoch, gnadenloser Hass auf diese Scheißkrankheit die mir alles genommen hat, Wut auf all diese glücklichen Menschen die keine Ahnung von den qualvollen Stunden der Angst, Hoffnungslosigkeit und Schmerzen haben, Wut auf alle, die ein unbeschwertes Leben führen dürfen, Wut auf mich selber, weil ich es einfach nicht schaffe mein Leben total umzukrempeln und neu anzufangen! Schnell ist alles wieder vorbei, falle ich wieder zurück in die Resignation, setze wieder meine Maske auf - freundlich lächeln, netter Small Talk mit den Kunden - so alles wäre nie etwas geschehen.


Morgana, du hast es wie immer auf den Punkt gebracht und du gibst uns Hoffnung. Vielleicht wird es irgendwann mal erträglicher und leichter. Du bist für mich ein Vorbild, dass es zu schaffen ist und daran halte ich mich fest. DANKE FÜR DEINE WORTE.

Liebe Grüsse
Maria

[Birne]

Ihr Lieben,

die ihr mich noch kennst und an meinem Schicksal teilgehabt habt.

Ich versuche jetzt - nach über drei Jahren , die mich jeden Abend, wenn ich von der Arbeit kam, schmerzlich an das, was ich verloren habe, erinnert haben.
Ich hoffe inständig, dass der Hausverkauf mir einen Neuanfang ermöglicht!

Es ist so unglaublich schwer, dieses Haus zu räumen, die gemeinsamen Erinnerungen drängen sich mir mit jedem Buch, jedem Gegenstand, jedem Kochtopf wieder auf.

Noch immer kann ich mir ein neues Leben - ohne ihn - schwerlich vorstellen!. Der Alltag, die Arbeit - ja das geht zwischenzeitlich wieder - aber der Schmerz - tief drinnen in mir hat sich so eingebrannt - das geht nie vorbei.
Noch immer denk ich, wenn ich an seinem Grab bin, ich wollte mich "da unten" an ihn schmiegen, ihm nah sein, wie früher in unserem Bett.

Und noch immer stellt sich mir die Frage: "Kann es nochmal besser werden"? Nichts- aber auch gar nichts - kann mich trösten!
Noch immer fühl ich mich amputiert, vom Leben betrogen und furchtbar allein.

Ich wünschte mir, dass ich so wie auch andere von euch, eine neue Partnerschaft wenigstens in meinem Herzen, in meinem Kopf, in meinem Innersten zulassen könnte! Aber ich kann es nicht. Ich hab meinen geliebten Mann so fest an, in und um mich, dass da nichts Platz hat. Der Platz in meinem Herzen ist besetzt und läßt immer noch keinen Raum für anderes.

Alles, denen es zwischenzeitlich besser geht - Heike, an dich denk icg da besonders und freu mich für dich und deine kleine Familie! wünsch ich eine gute zuversichtliche Zukunft!

Ganz liebe Grüße an alle, mit denen in in den scwierigsten und unströstlbaren Stunden Kontakt hatte - alles LIebe für euch alle.

Ganz liebe Grüße

Elbi

[Bulldogge]

Liebe Elbi,
es ist lieb von dir, dass du dich wieder einmal meldest. Ich habe öfters mal an dich gedacht, wie es dir wohl zwischenzeitlich so geht. Es ist sehr mutig von dir das Haus zu verkaufen, ich persönlich würde es nicht übers Herz bringen obwohl mich auch jeder Gegenstand an IHN erinnert aber gerade das gibt mir ein wenig das Gefühl der Geborgenheit, es war 36 Jahre unser gemeinsames Zuhause. Natürlich habe ich ein paar Veränderungen vorgenommen, ein paar Möbelstücke ausgewechselt, neue Farben und ein klein wenig mehr von mir selbst eingebracht. Doch wenn du meinst, eine neue Umgebung hilft .. dann tu es einfach. Auch bei mir hätte ein neuer Partner keinen Platz in meinem Herzen, dafür haben wir uns zu sehr geliebt. So streife ich eben als einsamer Wolf


durchs Leben, immer wieder mal überrumpelt von der Trauer aber dennoch mit dem Blick nach Vorne.
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und neue Hoffnung in deinem neuen Leben.

Liebe Grüsse
Maria

[Morgana]

Liebe Elbi,

auch ich habe oft an Dich gedacht. Was Du so machst und wie es Dir nun geht. Schön, dass Du Dich wieder gemeldet hast!
Ich kann mir vorstellen, dass der Hausverkauf bestimmt eine ganz harte Sache ist. Du wirst es Dir gut überlegt haben und Gründe haben, es zu tun.
Ja...dieser ungewollte Neuanfang...womit...wohin? Ich bin sicher, dass es vielen von uns so ergeht - bei Maria weiß ich, dass sie wie ich auch oft mal wütend werden kann...weil das alles eben irgendwie verdammt unfair ist...wenn es da überhaupt Fairness geben kann .
Doch, der Schmerz wird erträglicher...auch, wenn er manchmal wie ein "Brandmal" weh tut. Es gibt bessere und schlechtere Zeiten...Nichts ist mehr, wie es einst so liebevoll "normal" war. Damit lernen wir zu leben.

Die Sehnsucht nach der Nähe des geliebten Mannes ist völlig normal - eben, weil diese Nähe so gut war...hätten wir IHN sonst genommen??? Ich seufze dann, wenn ich seine Nähe - und verdammt oft auch seinen Rat in den schwierigen Entscheidungen des Lebens - vermisse...vergieße Tränen und strecke die Zunge raus, weil mich dann alle Welt mal kann....

Wahrscheinlich heißt es deshalb "Hinterbliebene", weil wir hier verblieben sind...geblieben, entwurzelt, allein...doch hier und heute...da!

Bei mir sind es bald 5 Jahre. Nein, einen neuen Partner habe ich nicht. Solange Kopf und Herz nicht frei sind, wird das auch Nix .

Ich wünsche Dir auch alle Liebe und würde mich freuen, wieder von Dir zu lesen.



LG
Morgana