Es war einmal ein Mann, der hatte eine tiefe Sehnsucht in seinem Herzen. Er wohnte im Tal, sah immer wieder auf den Berg hinauf und wünschte sich: Wenn ich doch nur einmal da hinauf käme, dort gibt es ganz sicher die wunderschönsten Sonnenauf-und-untergänge. Aber, es ging ihm, wie vielen anderen, die träge und bequem sind und er konnte sich nicht dazu aufraffen.
Es dauerte Jahre und Jahrzehnte, und er machte sich immer noch nicht auf den Weg. Doch die Sehnsucht wurde immer stärker. Sie wurde so stark, dass er es eines Tages nicht mehr aushielt. So ging er auf den Berg hinauf.
Zunächst war sein Schritt noch ziemlich flott und es ging gut voran, aber allmählich wurde er langsamer und langsamer, bis er letztendlich nur noch kleine Mäuseschritte machen konnte. Und so dauerte es Tage, Wochen, Monate, Jahre, die er unterwegs war. Eines Tages war er ganz verzweifelt, er wusste nicht mehr weiter. Es war alles so schwer.
Plötzlich sah er ein Bergdorf. Er hörte die Hähne krähen, die Hunde bellen und er konnte sogar die Bienen in der Dorflinde summen hören. Nun bekam er neuen Mut und ging weiter.
So kam er an das erste Haus. Ein Bauer trat ihm entgegen, grüßte ihn ganz fröhlich und sagte: "Lieber Mann, wo willst du denn hin?" "Ich will auf den Berg", sagte der Mann, "da gibt es sicher wunderschöne Sonnenauf-und-untergänge zu sehen und mein Herz sehnt sich so sehr danach." "Ach", sagte der Bauer, "du willst auf den Berg, da wirst du aber nie hinkommen!" "Wieso?",fragte der Mann, "ich habe mir das vorgenommen und bin schon bis hierher gekommen, so werde ich es auch noch auf den Berggipfel schaffen!" "Nein", sagte der Bauer, "niemals, schau doch mal, was du unter deinen Armen trägst". Da schaute er und sah zwei Riesenbaumstämme, die er schon vom Tal her mitgeschleppt hatte. Und er sagte sich: tatsächlich, meine Arme sind ja schon ganz steif. Da ließ er die Baumstämme fallen, richtete sich auf, bedankte sich herzlich beim Bauern und ging weiter.
Nun ging es schon viel schneller voran. Als er dann zum Dorfplatz kam, wo der Brunnen plätscherte, kam ihm ein zweiter Bauer entgegen und sprach: "Grüß Gott, lieber Mann, wo willst du denn hin?" Unser Mann sagte: "Ich will auf den Berg, da werde ich wunderschöne Sonnenauf-und-untergänge sehen, ich sehn mich so sehr danach." Da sagte der Bauer: "Ich bezweifle, ob du wirklich auf den Berg willst". "Warum?", fragte der Mann. "Wenn wir auf den Berg gehen, dann nehmen wir einen kleinen Rucksack mit, aber schau mal deinen Riesen-Rucksack an, den du auf dem Rücken trägst."
Und unser Mann sagte: "Tatsächlich, mein Rücken tut mir auch schon sehr lange weh." Er nahm sofort den Rucksack ab und sah, dass es wirklich ein Riesen-Rucksack war. Er schaute hinein und sah, dass lauter Steine und Sand darin waren.
Der Mann ließ den Rucksack liegen, dankte dem Bauern und ging weiter. Er ging nun ganz aufrecht und fast schon kam ihm der Weg gemütlich vor.
Als er das Dorf verlassen wollte, traf er einen dritten Bauern. Der grüßte ihn ebenso freundlich und fragte ihn, wo er hin wolle. "Ich gehe auf den Berg. Ich will mir die Sonnenauf-und-untergänge anschauen."
"Anschauen willst du sie dir? Auf keinen Fall! Wie willst du dir etwas anschauen? Ja, kannst du denn überhaupt etwas sehen?", fragte der Bauer. "Du hast Recht, ich fühle schon lange so viel Dunkel, so einen Schleier vor meinen Augen. Ich sehe schon fast nichts mehr." Da sagte der Bauer: "Nimm doch das einmal ab". Und unser Mann tastete und tastete, hob das Ding auf seinem Kopf an und legte es auf die Erde. Es war ein Riesen-Kürbis, der in der Mitte schon ganz verfault war und ihm immer mehr über das Gesicht gerutscht war.
Nun könnt ihr euch vorstellen, wie unser Mann jubelte, dankte Gott aus tiefstem Herzen und ging weiter auf den Berg. Es dauerte tatsächlich nicht mehr lange, da war er angekommen, und er konnte die Sonne auf-und-untergehen sehen, morgens und abends. Tagtäglich sah er sie.
Und wenn ihr euch beeilt und auf den Berg hinaufgeht, zudem auch das Nötigste unterwegs ablegt, werdet ihr ihn sicher noch treffen.
Mein lieber Engel
ich liebe und vermisse Dich sehr.
Dein Sonnenschein